Die Sache war ernst. „Verdammt ernst“ sogar, wie Karl-Heinz Mainz sagte. Der Trainer der Amateure war im Jahr 1970 beim FC Bayern mit einer Aufgabe betraut worden, die neu war. Als erster Coach sollte er in unserem Verein ein Frauen-Mannschaft führen. Und er wurde in seinem Antritts-Interview in der „Bild“-Zeitung mit folgenden Worten zitiert: „Unsere Damen treten erst auf, wenn sie wirklich gut Fußball spielen können.“
Das Interesse war da, sogar schon drei Jahre vor der Gründung der Frauenabteilung, die offiziell am 7. Juni 1970 erfolgte. Bereits 1967 hat es mehr als 70 Frauen gegeben, die beim FC Bayern Fußball spielten, allerdings durfte das noch nicht offiziell geschehen. Seit 1955 war die Schaffung von Frauenfußball-Abteilungen vom Deutschen Fußball-Verband (DFB) verboten, erst Ende des Jahres 1970 wurde der Weg für die Damen auf die Fußballfelder frei gemacht. Die Bayern bzw. Bayerinnen waren da schon bestens vorbereitet – denn sie hatten unter ihrem Trainer Mainz bereits monatelang für den Ernstfall geprobt.
Drei Monate Training – dann fällt der Vorhang
Eine große Sichtung war im Juni 1970 an der Säbener Straße angesetzt worden, die erste Frauen-Mannschaft eines Bundesliga-Klubs sollte auf höchstem Niveau kicken. Die Unterstützung kam von höchster Stelle: Federführend bei der Gründung waren Präsident Wilhelm Neudecker und Geschäftsführer Walter Fembeck, als erster Abteilungsleiter fungierte Hans Press, Betreuerin war Maria Meissner, die vielen noch als „Mutter der Pokale“ im Gedächtnis ist. Man ging mit Enthusiasmus an die Sache, war aber auch skeptisch. Eine Lachnummer sollten die Bayern-Frauen nicht werden, sondern von Beginn an den Ton angeben. Ganze drei Monate also versteckte sich das Team, um im Geheimen zu trainieren. Kondition, Technik, Taktik, zwei Mal pro Woche, bei „Wind und Wetter“, wie in der Zeitung zu lesen war. Vielversprechend verriet Trainer Mainz lediglich: „Seitdem sie an der Säbener Straße rumhopsen, schwirren hier nur noch männliche Bienen.“
Ja, die Sache mit dem Sexismus begleitete die Abteilung in den ersten Monaten und auch darüber hinaus. Wenn man im Archiv des FC Bayern Museums aber die alten Ordner öffnet und die vom ersten Abteilungsleiter Hans Press säuberlich eingeklebten und beschrifteten Fotos, Spielberichte und Zeitungsartikel sichtet, wird schnell die sympathische Haltung deutlich, mit der unsere Frauen der ersten Stunde dem leidigen Thema gegenübertraten. Sie waren ein eingeschworenes Team, das um den Reiz des (noch) Unbekannten wusste, ihn aber nicht zu ernst nahm. Eine gesunde Dosis Humor war stets dabei, beim Zweikampf auf dem Feld genauso wie beim Nachziehen des Lippenstifts in der Kabine.
Das erste Spiel wurde freilich von allen herbeigesehnt. „Lampenfieber haben wir nicht“, sagte Flügelspielerin Christine Süß, und Trainer Mainz kündigte im Vorfeld an: „Mir wäre am liebsten, wenn sie mir nach einem Sieg alle 11 um den Hals fallen würden.“ Gesagt, getan. Das Debüt endete 7:1 gegen den SV Olching, trotzdem blieb die „Abendzeitung“ bei ihrem unpassenden Wortspiel. „Sex:1“ war am Tag darauf zu lesen. Mit 50 Jahren Abstand betrachtet: Unfassbar!
„Das Lachen wird ihnen schon noch vergehen“
In eine ähnliche Richtung gingen die anderen Münchner Zeitungen, aber man muss immerhin zugeben: Die Schlagzeilen waren kreativ. „Ohne Schminkköfferchen, ohne Nylons, ohne Perücke, aber mit sehr viel Mut und Begeisterung“ schrieb die „Bild“ vom ersten Spiel der „Kicker-Amazonen“. Ein weiterer Auszug: „Neben Anmut und Busen zeigten die Bayern auch Fußball-Hausmannskost.“ Gerne wurde der Schiedsrichter gezeigt, der per „Kavalliersdienst“ gefoulten Damen wieder auf die Beine half. Immerhin aber merkten auch die Reporter der ersten Stunde, dass die Frauen Fußballspielen konnten. Als „a bissl verspuit“ bezeichnete Fembeck das Bayern-Team, also sprachen die Frauen nach Abpfiff für sich selbst: „Was die Männer können, schaffen wir auch. Und wenn die Mannsbilder jetzt schmunzeln – ihnen wird das Lachen schon noch früh genug vergehen.“
50 Damen-Mannschaften waren um diese Zeit bereits im Bayerischen Fußball-Verband registriert, aber egal, wo sie hinkamen: Die Bayern-Frauen waren Favorit. Zum ersten Mal vor eigenem Publikum zeigten sie sich am 15. November 1970, die Partie endete 4:0 gegen den FC Emmering. Nach einem 9:0 gegen Geisenfeld wurde Bilanz von Press gezogen. Drei Spiele, drei Siege, 20:1 Tore – so soll es weitergehen. Der Abteilungsleiter appellierte allerdings an die Mitglieder: „Besuchen Sie auch die Spiele unserer Mädchen und versuchen Sie, Freude für den Damen-Fußball zu gewinnen.“
Der DFB hatte den Frauen eigene Regeln auferlegt, die ersten Empfehlungen: Jugendfußbälle, Spielzeit zwei Mal 30 Minuten, keine Stollenschuhe, kein Angriff auf die Torfrau um Torraum, eine mindestens viermonatige Winterpause. Erst nach und nach wurden die Rahmenbedingungen jenen der männlichen Kollegen angeglichen. Für die Bayern-Frauen begann der Ernst des Lebens im Mai 1971, zum Start in die inoffizielle Punkterunde um die Meisterschaft im Großraum München posaunte die „Bild“: „Das schöne Geschlecht ist voll emanzipiert – zumindest in Sachen Fußball.“
Mit knallhartem Libero und eineiigen Zwillingen
Zur Halbzeit der Saison stand das Team von Trainer Mainz – passenderweise nach einem 6:0 im ersten Derby gegen den TSV 1860 – als „Halbzeitmeister“ fest. Am Ende feierte es nach einem 5:0 gegen den FC Wacker den ersten Titel und die beeindruckende Bilanz von 28:0 Punkten mit 114:2 Toren. Zwei Wochen danach war man nach einem 7:0 beim FC Ehekirchen auch Oberbayerischer Meister. Die Frage, ob Damen-Fußball eine Zukunft habe, wurde über die Medien nach der „technisch hervorragenden Leistung des FC Bayern“ mit einem klaren „Ja“ beantwortet.
Tatsächlich beeindruckten die ersten Frauen im Verein. Da war zum Beispiel Monika Schmidt, die nicht nur die Gründung der Abteilung entscheidend vorangetrieben hatte, sondern auch als erste Spielerin des Vereins 100 Tore schoss. Sie wurde als „knallharter Libero“ bezeichnet, natürlich begleitet von der Frage: „Oder muss man Libera sagen?“ Zur Seite stand ihr Edda Haller, die „Tore schoss wie Gerd Müller“. Ihr erstes inoffizielles Länderspiel hatte die Stürmerin mit zehn Jahren absolviert, in München war sie Miteigentümerin eines Friseur-Salons. Mit Günter Netzer wurde Eva Reichheim verglichen, weil sie laut Coach Mainz „Eckbälle direkt verwandeln kann“. Für den nötigen Zug nach vorne sorgten die eineiigen Zwillinge Gertraud Langer und Christine Süß, beide verheiratet und daher unter neuem Namen. Süß sagte: „Wenn meine Schwester schlecht spielt, geht bei mir auch nichts zam.“ Kurios auch die Geschichte von Olga Schütz: Sie spielte Handball beim TSV 1860 und Fußball beim FC Bayern.
Gefeiert wurde wie bei den Männern: Mit Goaßn-Maß
Das zweite Derby fand vor 40.000 Zuschauern statt, offiziell um „die Wartezeit zu verkürzen“. Denn die Frauen gaben im Jahr 1971 das Vorspiel vor dem Bundesliga-Schlager des FC Bayern gegen Borussia Mönchengladbach. Das überraschende Fazit lautete: „Um der Wahrheit die Ehre zu geben: In den Bayern-Trikots stecken schon einige erstaunliche Talente, die mit dem kleinen Ball geschickt umgehen können.“ Endstand: 9:0.
Spätestens ab diesem Moment wurden die Frauen ernst genommen, daran hat sich bis heute nichts geändert. Trainingslager und Freundschaftsspiele waren ab sofort genauso an der Tagesordnung wie Punktspiele. Es folgte der erste Bayerische Meistertitel, der der Beginn einer Serie von 19 Titeln war. Gefeiert übrigens wurden diese wie bei den Herren. „Sogar mit den obligatorischen Goaßn-Maßen“, schrieben die Gazetten. Von Wegen Prosecco!
In diesem Sinne: Prost, Cheers, Chin Chin – auf 50 Jahre Frauenfußball beim FC Bayern.
Information: Die aktuelle Situation lässt eine Feierlichkeit am 7. Juni 2020 zum 50-jährigen Jubiläum nicht zu. Dies wird zu gegebener Zeit gebührend nachgeholt.
Foto 1: v.l.n.r. Edda Haller, Edith Grabmaier und Eva Reichheim
Foto 2: Eva Reichheim (rechts) wurde wegen ihrer Technik mit Günter Netzer verglichen.
Foto 3: Edith Grabmaier schminkt sich 1970 in der FCB-Kabine.