Während sich die Kinder am kommenden Sonntag auf die Ostereiersuche begeben, gab es bei den Bayern vor knapp 100 Jahren eine ganz andere Jagd - nach einem Ei aus Leder...
Die römische Göttin Victoria strahlt in glänzender Bronze. Wuchtig kommt sie daher, sie ist – sitzend auf einem Felsen, ausgestattet mit Flügeln – ein echter Blickfang. Nahezu alle Besucher des FC Bayern Museums bleiben vor der Siegesgöttin stehen, betrachten sie aus nächster Nähe, suchen die Gravur mit dem Namen „FC Bayern München“. Unter „Deutscher Meister 1932“ ist der Verein auf einem kleinen silbernen Feld geführt, das Replikat der Victoria erinnert gleich am Eingang des Vereinsmuseums an den ersten großen Titel. Ein Triumph der Fußballer – das musste man damals schon dazu sagen.
Die „Victoria“ wurde von 1903 bis 1944 an den nationalen Titelträger verliehen, sie ist der Vorgänger der Meisterschale, die der FC Bayern bisher 28 Mal in Empfang genommen hat. Allerdings war sie ursprünglich nicht ausschließlich für den deutschen Fußballmeister bestimmt. Auf dem Verleihungsdiplom des Wanderpokals hieß es im Jahr 1900: „Der Weltausstellungspreis bleibt im dauernden Besitz des deutschen Fußballbundes und wird alljährlich abwechselnd von den Rugby-Fußball-Vereinen bzw. den Association-Fußball-Vereinen Deutschlands bestritten.“
Viele Fußballvereine im kaiserlichen Deutschland spielten vor allem vor Beginn des 20. Jahrhunderts noch Rugbyfußball, offiziell „Fußball mit Aufnehmen des Balles“, aus dem sich der mit den Füßen gespielte „Assoziationsfußball“ entwickelte. Die beiden Sportarten sind sozusagen stammverwandt. So ist es also kein Zufall, dass der 1900 gegründete DFB zunächst der Verband sowohl für Fußball- und Rugby-Spieler war – und dass die Rugby-Sparte dann Jahre später auch die erste Unterabteilung beim FC Bayern werden sollte.
Ein Jahr Training – dann ging es los
Die „Victoria“ konnten die „Bayern mit dem ledernen Ei“ zwar nicht gewinnen, die Geschichte dieser nahezu vergessenen Sportart in unserem Verein ist aber deshalb nicht minder spannend. Sie erzählt von geselligen jungen Männern mit enormem sportlichem Ehrgeiz. Vom Versuch, eine neue Sportart in der Stadt München zu etablieren. Von schnellem Erfolg und extrem harten Spielen. Aber auch von schweren politischen Zeiten und dem Ende der Abteilung. Alles komprimiert in gerade mal 15 Jahren.
Los ging alles im Jahr 1922 und mit einem Kreis an Rugbyfreunden, die auf der Suche nach einem Dachverein waren. Der Sport, in den USA schon damals deutlich populärer als das in Europa so gepflegte Fußballspiel, übte in Deutschland immer mehr Faszination aus. Und auch wenn es in der 50-Jahr-Chronik heißt, dass „eine recht mühsame Vorarbeit notwendig war, bis der Münchner Boden einigermaßen aufnahmefähig für den Rugby-Gedanken gemacht werden konnte“: Die Bayern waren gewillt, die Sache zu fördern. Unter Abteilungsleiter Emil Friz wurde das Training aufgenommen. Fast ein Jahr verging, ehe man – so steht es geschrieben –, „es wagen konnte, als Mannschaft fremden Gegnern entgegenzutreten“.
Sogar im Grünwalder Stadion spielten die Bayern mit dem Brustring
In München waren diese noch rar gesät, man musste also reisen. Es ging vor allem in die Hochburgen dieses Sportes, nach Heidelberg und Frankfurt am Main zum Beispiel, aber auch nach Pforzheim und Stuttgart - wo der VfB übrigens aus zwei Rugby-Clubs hervorging. Parallel dazu versuchten die ersten Förderer, auch in der bayerischen Landeshauptstadt Gegner zu rekrutieren. Der intensiven Werbetätigkeit der Bayern ist zu verdanken, dass sich in München auch noch andere Vereine für den Rugbysport interessierten. Beim FC Wacker, dem DSV und der Turngemeinde-München kam es zu Abteilungsgründungen. „Das war notwendig, wenn man gegenseitig zu einem regelmäßigen Spielbetrieb kommen wollte“, schrieben die Chroniker. 1927 schloss man sich zur „Ortsgruppe der Münchner Rugby-Vereine“ zusammen.
Die Spiele der Rugby-Bayern fanden an diversen Stätten statt. Im Dante-Stadion etwa, teils auch im Stadion an der Leopoldstraße, sogar im Stadion an der Grünwalder Straße lief die Mannschaft auf. Alles zu sehen im privaten Foto-Band, der im Archiv des Museums aus dem Nachlass von Hans Koch, neben Friz der zweite starke Mann der Abteilung, vorliegt. Unzählige Spielszenen sind dort abgelichtet, die Härte des Sports wird regelrecht greifbar. Außerdem auffällig: die Trikots. Die Bayern liefen in dunkelblau mit einem roten „Brustring“ auf.
Die Familie Friediger als große Förderer
Man meinte es ernst mit dem Sport, und möglich war Professionalität vor allem dank Sponsoren wie der Familie Friediger. Vater und Bayern-Mitglied Markus unterhielt in München bereits seit 1916 das „Hotel Stadt Wien“ in der Bayerstraße 27, zudem war er neben weiteren Hotels in Berlin, Dresden und Patenkirchen Besitzer des legendären „Hotel Métropole“ in Wien. Weil zwei seiner Söhne – Karl B. und Leopold – Mitglieder der ersten Rugby-Mannschaft waren, lag ihm die Förderung am Herzen. Vergünstigte Übernachtungen für FC Bayern-Mannschaften auf Auswärtsreisen waren das eine, das andere die Stiftung des „Wanderpokal Friediger“ für den Münchner Rugby-Meister. Drei Mal konnten die Bayern die Trophäe, die heute im original aufgebauten Präsidiumszimmer im Museum ausgestellt ist, zwischen 1927 und 1929 gewinnen. Gefeiert wurden diese Titel immer sehr opulent im Grand Hotel der Friedigers in Grünwald.
Der Erfolg stellte sich aber auch über die Stadtgrenze hinaus ein, 1927 und 1928 wurde das Team Bayerischer Rugby-Meister. Der größte Triumph jedoch war ein inoffizieller. Weil man „aus völlig unverständlichen Gründen“ (Chronik) nicht an den Spielen um die Deutsche Meisterschaft teilnehmen durfte, erwirkten die Verantwortlichen ein Freundschaftsspiel gegen den feststehenden Deutschen Meister. Der Heidelberger Ruderclub wurde in „einem der schwersten, aber auch der schönsten Spiele“ mit 3:0 bezwungen. Und auch international konnten sich die Bayern bei Siegen gegen Teams in Wien und Zürich sehen lassen.
Später wurde das Ei gegen den Fußball getauscht
Die Zeiten jedoch wurden unruhiger, das politische Geschehen ließ das Wirken in den Münchner Vereinen turbulent werden. Bereits zwischen 1930 und 1933 lösten sich die anderen Rugby-Mannschaften wieder auf. Die Bayern-Abteilung ist in den Jahrbüchern des Deutschen Rugby-Verbandes nach einer Unterbrechung noch bis ins Jahr 1937 erfasst. In der 50-Jahr-Chronik steht jedoch: „Mangelnder Nachwuchs führte schließlich dazu, dass unsere Rugby-Abteilung im Jahr 1936 den Spielbetrieb einstellte.“
Auch wenn das „Ei“ seitdem ruhte, prägten einige Figuren der ehemaligen Sparte auch nach dem Krieg den Verein nachhaltig. Ein „kameradschaftlicher Geist“ wird den Burschen in offiziellen Schriften attestiert. Gespielt wurde von den mittlerweile zwanzig und mehr Jahre älteren Herren allerdings nur noch mit dem runden Leder. In den Clubnachrichten werden sie Anfang der 1950er Jahre als „verschworene Gemeinde alter, guter Bayern“ bezeichnet, die „im Geruche stehen, die härteste Alte-Herren-Mannschaft Münchens zu sein“.
Beispielhaft für die enge Verwurzelung und Treue zum Verein steht vor allem Karl B. Friediger. Im Gegensatz zu seinem Vater Markus und seiner Mutter, die ihrer jüdischen Herkunft wegen in Auschwitz ermordet wurden, gelang es ihm – zeitweise aktiv im Widerstand gegen das nationalsozialistische Regime tätig – und seinem Bruder Leopold zu emigrieren. Auch als er später längst in den USA lebte, blieb er Zeit seines Lebens Mitglied in seinem Klub. Als seine Sportart im Verein längst vergessen war, wurde der ehemalige Rugby-Spieler Karl B., der sich mittlerweile Charles B. Friediger nannte, zum Ehrenmitglied seines FC Bayern ernannt. 1983 war das, ein Jahr vor seinem Tod.
Das FC Bayern Museum wünscht mit der besonderen Geschichte zum ledernen Ei
FROHE OSTERN!
Fotos: ©FC Bayern Archiv