
Der FC Bayern wird im Mai die nächste Meisterschale in Empfang nehmen. Ist überhaupt noch Platz im Museum?
Kurt Ranger: In den vergangenen zehn Jahren war der Verein ungemein erfolgreich und der Platz wird jetzt tatsächlich knapp. Wir müssen erweitern, gleichzeitig werden wir einen Teil der Ausstellung verdichten. Die Anpassbarkeit und Aktualisierbarkeit war stets Teil des Konzepts. Das Museum zeigt keine Geschichte, die abgeschlossen ist – die Geschichte des FC Bayern wird Woche für Woche fortgeschrieben.
Das Museum ist jetzt schon über 3.000 Quadratmeter groß. Haben Sie eine persönliche Lieblingsecke?
KR: Was mich immer wieder beeindruckt, ist die Aneinanderreihung der Vitrinen mit den Meisterschalen und der Licht- und Filmchoreografie. Damit wird eine unglaubliche Erfolgsstrecke visualisiert, eine „Via Triumphalis“, wie dieser Bereich auch treffend heißt.
Michael Stephan: Das ist mit das Erste, was einem im Museum ins Auge fällt. Ich selbst bleibe immer an den kleinen Stadionmodellen hängen. Da verknüpft sich die Vereinsgeschichte mit der Stadtgeschichte. Witzig finde ich die „Hörbar“, wo man sich die Songs von Franz Beckenbauer oder Gerd Müller anhören kann – auch wenn es nicht immer ein Genuss für die Ohren ist (lacht).
Was ist für Sie als Stadtarchivar besonders am Museum?
MS: Dass eben nicht nur Pokale und alte, verstaubte Fußballschuhe ausgestellt werden. Und es gibt diese vielen Verknüpfungen mit der Geschichte Münchens. Wir als Stadtarchiv haben uns gerne eingebracht, zum Beispiel als es darum ging, die ersten Fußballplätze des Clubs ausfindig zu machen, an der Clemens- und an der Leopoldstraße. Wir konnten mit Luftaufnahmen helfen. Dass die Wurzeln des Clubs in Schwabing liegen, überrascht die Leute immer wieder. Man verbindet den Club eher mit dem Grünwalder Stadion oder dem Olympiastadion.
Sven Widmann: Dieses Wissen über Orte und Personen aus der Frühzeit des Vereins gab es vor dem Museum nicht, zumindest nicht in der breiten Öffentlichkeit. Den Namen Franz John hatte fast jeder Fan schon mal gehört, aber wer war das eigentlich? Ich gehe immer wieder mit Ehrfurcht durch die Ausstellung. Es ist ein Gedächtnis des FC Bayern.
MS: Es ist ein großer Verdienst des Museums, dass Licht in die Frühzeit des Vereins hineingebracht wurde, zum Beispiel in die Lebensgeschichte der Gründungsmitglieder. Da ist auch für mich einiges Neues aufgetaucht.
Es musste auch Geschichte überarbeitet werden. Eine Studie des Münchner Instituts für Zeitgeschichte im Auftrag des FC Bayern warf ein neues Licht auf den Club während der NS-Diktatur. Wie mutig war dieser Schritt? Man hätte ja auch alles beim Alten belassen können.
MS: Wenn man in die Offensive geht, gewinnt man mehr, als wenn man etwas unter den Teppich kehrt. Das hat der Verein erkannt.
SW: Ich finde es sehr positiv, dass man sich zu Fehlern der Vergangenheit bekennt.
KR: Daraus kann man ja auch lernen. Aber dieser offene Umgang ist nicht selbstverständlich und zeugt von Stärke.
Herr Widmann, Sie sammeln Erinnerungsstücke aus der Geschichte des FC Bayern. Haben Sie ein eigenes Museum zu Hause?
SW: Das kann man so sagen. Seit Anfang der 80er Jahre sammle ich vor allem Stadionhefte, Eintrittskarten und Autogrammkarten vom FC Bayern, aber auch von der Nationalmannschaft und deutschen Vereinen im Europapokal ganz allgemein. Ich habe einfach ein großes Fußballherz. Insgesamt habe ich geschätzt zwischen 5.000 und 10.000 Einzelstücke zu Hause, aber nicht in Vitrinen, sondern in vielen Ordnern und Schränken. Ich sammle eigentlich nur für mich privat.
Sie haben einige Stücke aus Ihrer Sammlung dem Museum zur Verfügung gestellt. Welche?
SW: Eintrittskarten und Programmhefte zu Endspielen und anderen bedeutenden Partien, zum Beispiel das Programm zum Weltcup-Finale 2001 in Tokio, das Ticket vom UEFA-Cup-Finale 1996 in Bordeaux oder das Ticket vom deutsch-deutschen Europacup-Vergleich 1973 zwischen Dynamo Dresden und Bayern München. Ich selbst interessiere mich vor allem für Sachen, die richtig, richtig selten und schwer zu bekommen sind wie Programme und Tickets aus den ersten Bundesliga-Jahren des FC Bayern. Die lassen mein Sammlerherz höherschlagen.
Was macht es mit Ihnen, solche Raritäten in Händen zu halten?
SW: Es ist schon ein besonderes Gefühl, nostalgisch, aber auch feierlich. Oft verbinde ich auch eigene Erlebnisse mit den Stücken. Seit fast 40 Jahren besuche ich Bayern- und Fußballspiele, habe seit Mitte der 80er alle großen Erfolge im Stadion miterlebt und dabei fast 70 Länder gesehen.
MS: Herr Widmann kann zu jedem seiner Stücke etwas erzählen. Diese kleinen Geschichten sind wichtig, um Geschichte empathisch rüberzubringen. Bei Führungen im Stadtarchiv habe ich immer wieder erlebt, wie groß die Augen der Besucher werden, wenn man mittelalterliche Urkunden mit goldenen Bullen hervorholt. Das zelebriere ich dann auch, ziehe Handschuhe an, erzähle eine kleine Anekdote. Wenn Ausstellungsstücke aber nur in Vitrinen liegen, ist das schwieriger. Dann müssen sie selber für sich sprechen.
KR: Wenn es gelingt, Geschichte mit Geschichten zu erzählen, ist das der Idealfall. So vermittelt man Zeitgeist und führt auch eine gewisse Abstraktion ins Konkrete.
Es ist aber nicht damit getan, eine Informationstafel neben einem Objekt anzubringen, oder?
KR: Richtig – und das ist das Besondere am FC Bayern Museum. Hier gibt es eine gute Mischung von Form und Inhalt. Als wir 2007 eingeladen wurden, ein Konzept einzureichen, gab es nur leere Räume und die Idee eines Museums – sonst nichts, kein schriftliches Konzept, keine Sammlung. So hatten wir totale Freiheit, etwas vorzuschlagen. Wir haben uns erst ein inhaltliches Konzept überlegt: Was müsste ausgestellt werden? Die Geschichte, die Hall of Fame für die großen Spieler, einen Fan-Bereich und die aktuelle Mannschaft – das waren die Grundüberlegungen. Und dann haben wir dafür Räume definiert und gestaltet.
War dieser Prozess ungewöhnlich?
KR: Bei klassischen Museen gibt es oft zu viele Exponate, zu viele Themen, die berücksichtigt werden müssen. Da muss man erstmal die Hälfte wieder streichen, und selbst dann ist es noch zu viel. Das war hier anders. Man war nicht vorgeformt, konnte sehr medial denken. Eine solche Freiheit hatte ich in dieser Form noch nicht erlebt. Das war von Anfang an ein großer Trumpf.
Die Ausstellung nutzt viele Film- und Tonaufnahmen. Warum ist das wichtig?
KR: Einer unserer Gedanken war: Fußball findet eigentlich nur im Moment des Spielens statt, wie Musik, danach ist alles sofort verklungen. Wir haben aber das Glück, dass im Fußball Radio, Fotos und Fernsehen sehr präsent sind. Diese Medien haben Momente eingefangen, die bis heute bei vielen Besuchern Gänsehaut verursachen – sie machen die Ausstellung jetzt sehr lebendig.
MS: Mir gefällt auch, wie Geschichte inszeniert wird, zum Beispiel mit den Fahrrädern, mit denen Bayern-Fans 1932 aus München zum Finale um die Deutsche Meisterschaft nach Nürnberg geradelt sind. Insgesamt ist es eine sehr fundierte Ausstellung. Es ist erstaunlich, was in so kurzer Zeit an Material gesammelt wurde. Man darf nicht vergessen: Es gab früher kein Archiv.
KR: Bei wichtigen Spielen habe ich anfangs oft Nachrichten geschrieben, damit gewisse Dinge für das Museum gesichert werden, zum Beispiel der goldene Glitter bei der Meisterfeier.
MS: Ich weiß noch, wie wir 2013, nach dem Triple-Sieg, zu Besuch im Archiv waren – da roch es so komisch, irgendwie nach Bier. Es war der Anzug von Jupp Heynckes, der noch patschnass von der Weißbierdusche war. Da haben wir dann diskutiert, wie man das am besten konserviert (lacht).

Wie groß war der Wunsch bei Ihnen, Herr Widmann, dass ein Ort entsteht, an dem solche Erinnerungsstücke aufgehoben werden und öffentlich zugänglich sind?
SW: Bei vielen Fans gab es diesen Wunsch schon lange. Der FC Bayern begeistert so viele Menschen. Und es gibt doch alle möglichen Arten von Museen, sogar Kartoffelmuseen. Also warum kein FC Bayern Museum? Das habe ich mich schon immer gefragt. Anfang der 2000er Jahre habe ich auf einer Jahreshauptversammlung die Idee vorgebracht, ob man nicht im Zuge des Baus der Allianz Arena ein Museum einrichten könnte.
KR: Es geht auch um Identität. Ein Verein wie der FC Bayern ist ein Stück Heimat. In einer Zeit, die sich immer schneller ändert, bietet der Club eine emotionale Konstante. Das ist, glaube ich, für viele Menschen sehr wichtig.
Wie kann ein Museum dabei helfen?
KR: Die Frage, die viele Menschen beschäftigt, ist: Warum sind wir heute so, wie wir sind? Um das zu beantworten, muss man in die Vergangenheit blicken. Die Geschichte des FC Bayern ist in Büchern dokumentiert – aber im Museum wird sie visuell vermittelt, sie wird anschaulich. 350.000 Besucher im Jahr nehmen viele Eindrücke mit. Ich glaube, dass das auch stark auf den Verein zurückwirkt. Das Museum bietet so dem Club selbst eine Orientierung. Übrigens interessieren sich die Besucher in antiken Ausstellungen sehr dafür, wie früher bestimmte Dinge gesehen wurden, Themen wie Liebe, Familie oder Krieg – und das bringen sie dann mit ihrem eigenen Leben in Verbindung. Für mich ist ein Museum daher immer auch ein Ort der Reflexion und des Dialogs, wo man sich nicht nur mit der Vergangenheit beschäftigt, sondern auch mit der Gegenwart und der Zukunft.
MS: Uns als Stadtarchiv war außerdem immer wichtig, dass nicht einfach nur ein Museum hingestellt wird, sondern es auch in die Stadtgesellschaft hineinwirkt. Dass es auch Aktionen in der Stadt gibt, wie am 27. Januar, dem Erinnerungstag im deutschen Fußball. Oder bei der Aufstellung von Gedenktafeln und -stelen in der Stadt, die an ermordete jüdische Mitglieder des Vereins erinnern.
Inwieweit ist die Geschichte des FC Bayern auch Münchner Stadtgeschichte?
MS: Stadtgeschichte ist immer auch Sportgeschichte, deswegen haben wir als Stadtarchiv uns immer auch mit dem FC Bayern beschäftigt. Im Verein spiegelt sich die Zeitgeschichte, sogar Migrationsgeschichte. Am Beispiel des Clubs kann man Entwicklungen veranschaulichen und junge Leute für Geschichte interessieren.
KR: Was ich spannend finde: Als der FC Bayern 1900 gegründet wurde, dominierten die Turner mit ihrer disziplinhaften Haltung das sportliche Geschehen. Und dann kam der Fußball, etwas für Quertreiber, ein undeutscher Sport, englisch, individuell, körperbetont. Diese Geschichte steht am Anfang des Museums. Anhand der Stadionmodelle sieht man, wie sich der Fußball immer mehr durchsetzt, wie die Medien entstehen, wie sich eine Gesellschaft verändert. Erst standen die Zuschauer auf einer Wiese, dann saßen sie auf ein paar Tribünen, schließlich im Olympiastadion mit seiner markanten Architektur und heute in einer „Oper des Fußballs“, wie die Architekten die Allianz Arena genannt haben. Fußball ist auch Kulturgeschichte.
Kultur, Dialog, Identität – besteht nicht die Gefahr, die Besucher zu überfordern?
SW: Überhaupt nicht. Man spürt vor allem, dass die Ausstellung mit Herzblut gemacht wird. Kürzlich war ich auf Mallorca im Rafael Nadal Museum. Das war relativ langweilig, es waren mehr oder weniger nur Pokale zu sehen. Das FC Bayern Museum dagegen ist voller Leben – das schätze ich sehr.
KR: Nach der Eröffnung des Museums vor zehn Jahren erschien ein Artikel bei „11Freunde“, in dem es hieß, dass das Museum etwas ganz Besonderes sei. Weil hier nicht einfach nur glänzende Pokale ausgestellt würden, sondern die Seele des Vereins. Das fand ich wunderschön.
MS: Gut auch, dass es heute Museum heißt, nicht mehr Erlebniswelt, wie in den ersten Jahren. Das hatte so einen Touch von Vergnügungspark. Museum hat eine andere Ernsthaftigkeit.
KR: Mein Eindruck war, dass das Museum unterschätzt wurde, auch von Leuten aus der Museumswelt. Sie dachten, es sei mehr oder weniger ein Fanshop mit ein bisschen Museums-anteil – bis sie mal hier waren.

Illustration Julia Ossko und Eugen Schulz