Vor 45 Jahren wechselte Franz Beckenbauer zu Cosmos New York. Sein damaliger Kapitän Werner Roth erzählt, wie der „Kaiser“ Scherze mit Handschellen anzettelte, beim Softball grantelte – und wie Pelé das ganze Team mit einem Hai in seiner Badewanne erschreckte.
An dem Tag, als Franz Beckenbauer in New York landet, ist Werner Roth spät dran. Er hält es generell eher locker mit der Zeit, in dem Fall ist es aber ein Problem: Werner Roth, Kapitän von Cosmos New York, soll den neuen Superstar des US-Clubs vom Flughafen abholen. Er drückt aufs Gas, im Stadtteil Queens wird er von der Polizei gestoppt. „Ich hatte Glück“, erzählt er heute, und sein Lachen dröhnt über den Atlantik durchs Telefon: Als er den Officers erklärt, er müsse Franz Beckenbauer abholen, entpuppen sich beide als Cosmos-Fans, der eine von ihnen sogar als deutschstämmig. Von einer Geldstrafe sehen sie sofort ab, setzen sich vielmehr als Eskorte vor seinen Wagen – mit Blaulicht und Sirenen kommt Roth noch rechtzeitig am John F. Kennedy Flughafen an.
Am 1. Juli 1977, vor genau 45 Jahren, ist New York zum Kaiserreich geworden. Und Franz Beckenbauer wurde in den USA endgültig zu einem Mann von Welt, zwischen den Häuserschluchten des Big Apple durch Begegnungen mit Andy Warhol, Cassius Clay und Mick Jagger, auf dem Fußballplatz an der Seite von Pelé, Carlos Alberto, Giorgio Chinaglia – und Werner Roth, dem deutschsprachigen Kapitän des Weltstar-Ensembles von Cosmos, das Fußball in den Staaten salonfähig machen sollte. Die USA sind, so hieß es schon damals, das Land der unbegrenzten Möglichkeiten. Und New York stellte das perfekte Spielfeld.
Roth wurde 1948 im damaligen Jugoslawien geboren. Die schweren Nachkriegszeiten verschlugen seine Familie nach New York, als er acht Jahre alt war. Er wuchs in Queens auf, in einer der ethnisch deutschen Gemeinschaften, die dort entstanden waren. „Wir wurden als ,German Einwanderer‘ gesehen“, erzählt er. In Queens siedelten viele Menschen aus Deutschland und Osteuropa an, um ein neues Leben zu starten. Die Kinder kickten im Schatten der Baustelle des entstehenden World Trade Centers, der in den USA unpopuläre Fußball knüpfte ein starkes Band unter den Einwanderern. Man organisierte Clubs mit Namen wie „Greek Americans“ oder „SC Eintracht“ – Roth spielte für den „German-Hungarian SC“. Der Boden ihres Fußballstadions bestand aus Schmutz und Dreck, Grashalme Fehlanzeige, wie er sich erinnert: „Aber an den Spieltagen am Wochenende strömten die Zuschauer zu Tausenden – es war unsere Welt.“
Stoff für Hollywood
Heute lebt Roth in Los Angeles. Er hilft Talenten, sich auf das Leben als Profifußballer vorzubereiten – und er schreibt ein Drehbuch für eine TV-Serie über die Zeit damals bei Cosmos New York. Bisher hat er noch keinen Abnehmer gefunden („es ist schwer, in Hollywood etwas zu verkaufen“), doch Stoff für eine gute Story, die sich über mehrere Folgen erstreckt, hat er natürlich genug. Er weiß zum Beispiel noch genau, wie Pelé eines Abends vor einem Spiel in Seattle seine Teamkollegen in sein Hotelzimmer rief und sie ins Badezimmer lockte, er hätte da ein Problem – in seiner Wanne wäre ein Hai. Die Überraschung war groß: Tatsächlich schnappte dort ein kleiner Hai nach ihnen. Das Hotel stand an einer Steilküste, und der brasilianische Top-Star hatte die Chance genutzt, um vom Balkon aus zu angeln.
Große Fische, kleine Fische – es herrschte Goldgräberstimmung, in den USA generell und zu dieser Zeit erstmals sogar im „Soccer“. Mit Pelé hatte alles begonnen, er war gleich zu Beginn der größte Fang. 1966 hatte die WM in England erstmals das Interesse der Amerikaner am Fußball geweckt, die Einschaltquoten waren hoch – doch ein halbherziger Versuch, eine Liga zu etablieren, scheiterte grandios. Aber als Pelé 1974 seine aktive Karriere beim FC Santos beendet hatte, witterte man in New York einen Coup, der sich auszahlen sollte. Zuvor waren schon Versuche in letzter Sekunde geplatzt, George Best anzuheuern, nun musste man mit allen Mitteln die Mächte in Brasilien überwinden, die den Nationalhelden niemals in einem anderen Trikot als in dem des FC Santos sehen wollten. Erst als der damalige US-Außenminister Henry Kissinger den brasilianischen Staatschef überzeugte, dass Pelé in den USA ein perfekter Botschafter seines Landes sein würde, erlaubte die Regierung den Wechsel nach New York. Zwei Jahre später schloss sich Franz Beckenbauer dem sagenhaften Club an – und Werner Roths Drehbuch-Skript wuchs in den folgenden Jahren Highlight um Highlight, Kapitel um Kapitel.
Spiele auf der Gefängnisinsel
Roth weiß noch genau, wie aufgeregt er war, als er den Münchner am JFK abholte. Nachdem er von Beckenbauer erstmals bei der WM 1966 Notiz genommen hatte, hatte er ihn im „kicker“ und bei raren TV-Ausschnitten studiert. „Wir spielten beide die gleiche Position – aber bevor ich Franz spielen sah, hätte ich nie gedacht, dass es einem Libero überhaupt erlaubt sein könnte, über die Mittellinie zu gehen“, erzählt er. „Durch ihn habe ich das Spiel noch einmal ganz neu gelernt.“ Er selbst war 1972 zu Cosmos gekommen, und die ersten Jahre war der Unterschied zum „German-Hungarian SC“ nicht groß: Zuvor hatte er 50 Dollar pro Spiel erhalten, nicht mehr als ein netter Zuschuss während des Architekturstudiums, nun kassierte er 75 Dollar. Das war auch damals nicht besonders viel. Als US-Nationalspieler musste er sogar feststellen, dass das Nationalteam aus Haiti besser ausgestattet ist, und zwischendurch spielte Cosmos in einem Stadion auf der ehemaligen Gefängnisinsel Randalls in der Mitte des East River, mit Scherben auf dem Platz. Aber Roth hatte sich in seinem Beruf bereits etwas aufgebaut, für ihn war es alles okay, wie es ist. Er arbeitete tagsüber und trainierte abends – bis mit Pelé und Beckenbauer der Glamour-Faktor abrupt und unermesslich stieg und die Spiele plötzlich im Yankee beziehungsweise im Giants Stadium stattfanden, mit über 75.000 Zuschauern auf den Rängen.
Von Beckenbauer habe er extrem viel gelernt, erzählt Roth: „Er war immer professionell, immer on top!“ Gleich am Tag nach der Ankunft sollte er den „Kaiser“ wieder abholen, diesmal um ihn vom Hotel zum Training zu chauffieren. „Ich kam zu spät, wie immer“, so Roth, „Beckenbauer, ganz der pünktliche Deutsche, wartete bereits in der Lobby – und er war sauer.“ Der neue Teamkollege packte seine Tasche in den Kofferraum und meinte locker: „Vertrau mir, die werden das Training heute nicht ohne dich starten!“ Damit war das Eis gebrochen. „Franz sagte immer wieder: Gott sei Dank bist du da, Werner!“ Die beiden verstanden sich auf dem Platz und zogen abends um die Häuser, und zur Regeneration gehörte ein Bad nach jedem Spiel. Einmal kam Kissinger in die Kabine, als das Duo gerade in den Wannen relaxte. „Bleiben Sie bitte sitzen, meine Herren“, sagte er in fließendem Deutsch, er wollte nur einmal in seinem Leben Franz Beckenbauer treffen.
Sie waren Stars in der Stadt der Stars, die Spieler von Cosmos New York. „In Beckenbauers Nachbarschaft wohnte der Künstler Andy Warhol, und wenn du morgens joggen warst, trafst du Yoko Ono mit ihren Hunden beim Gassigehen“, erzählt Roth, „nachts waren wir im ,Studio 54‘ mit Mick Jagger an der Bar, und wenn Cassius Clay – später Muhammad Ali – boxte, bekamen wir die besten Plätze.“ Beckenbauer genoss es dabei, nur einer unter vielen zu sein, erinnert sich sein Kamerad aus damaligen Zeiten. Gingen sie damals ganz normal inkognito in ein Restaurant, kannten sie lediglich die Platzanweiser und die Kellner, weil sie meistens aus Ländern mit Fußballtradition stammten. „Der Franz in München war ein anderer als der in New York“, so Roth, „und diese Stadt passte zu seiner Persönlichkeit: Franz ist sehr intellektuell, sehr interessiert, sehr offen – in München hätte er sich meiner Meinung nach nicht so entwickeln können.“ Zu Hause, findet Roth, „bist du immer irgendwo in deiner eigenen Welt – doch New York an sich ist eine eigene Galaxie“.
Auf dem Radl durch Peking
Beckenbauer sei bei aller Professionalität auch immer ein lustiger Kollege gewesen, erinnert sich Roth. Einmal hatten sie in Vancouver ein wichtiges Spiel auf dem Weg zu ihrer dritten Meisterschaft, und nach dem Aufwärmen ließ sich der Kapitän noch einmal massieren. Als er sich gerade entspannte, klickte an seinem Handgelenk eine Handschelle: Beckenbauer hatte den Bodyguard von Pelé überredet, Roth einfach so zum Spaß an der Massagebank festzuketten. Das Problem war nur: Der Leibwächter hatte nicht daran gedacht, dass er die Schlüssel ausnahmsweise im Hotel gelassen hatte. 15 Minuten vor dem Anpfiff der wichtigen Partie herrschte eine gewisse Aufregung, um den Kapitän wieder rechtzeitig freizubekommen. Ein anderes Mal hatte Cosmos ein Softballspiel gegen ein paar Reporter arrangiert. „Als Franz den Ball schlug, rannte er zur dritten statt zur ersten Base. Wir sagten, dass er damit ausgeschieden sei, doch er meinte, wie das sein könne, es sei doch viel schwieriger gewesen, zur dritten Base zu sprinten, der Weg sei doch viel länger.“ Die anderen blieben hart. „Blöde Regel“, meinte Beckenbauer, „das ganze Spiel wäre viel interessanter, wenn man zu allen Bases laufen dürfte.“ Insgeheim fanden sie an dem Tag alle, er hätte irgendwie recht. Aber aus ist aus, beharrten sie. „Dann stapfte er sauer weg: ,Spielt’s doch alleine!‘“, erinnert sich Roth, „den Rest des Tages hat er dann in einem Buch gelesen.“
Das Konzept von Cosmos ging damals auf; ein paar gute US-Spieler, dazu Top-Stars aus aller Welt, als Kapitän ein Spieler, der mit der Stadt verwurzelt war und dennoch um die Bedeutung des Fußballs wusste. „Wir waren ein Team, das sich selbst angetrieben hat“, erzählt Roth. New York habe Beckenbauer Energie gegeben, davon ist er überzeugt: „Er hat zu dieser Zeit realisiert, dass es nicht wichtig ist, wo du lebst – sondern wie du lebst.“ Zudem trugen die Reisen von Cosmos New York rund um den Globus viel dazu bei, den Horizont der Spieler zu erweitern. Ende 1977 flogen sie zum Beispiel nach China und Japan – in eine völlig andere Welt, für die Amerikaner im Team genauso wie für die Stars aus dem Ausland. Sie kauften sich Kameras und hielten jedes Erlebnis fest, unter anderem fotografierte Roth Beckenbauer, wie er sich einfach ein Radl schnappte und durch die Straßen von Peking strampelte.
Von Cosmos in die weite Welt
Schon damals ist Roth klar gewesen, dass Beckenbauer nach New York noch eine paar weitere Welten erobern würde. Sie unterhielten sich im Team oft über die Zukunft, und wenige wussten, was sie einmal anstreben würden. Beckenbauer hingegen hegte bereits bei Cosmos Pläne, erzählt Roth. „Er hatte genaue Vorstellungen und wir alle wussten, dass er das Potenzial hat.“ Über all die Jahre hielten sie immer losen Kontakt, luden sich zur Hochzeit ein und trafen sich bei einigen PR-Terminen. Als Beckenbauer mit Bayern Meister wurde, verfolgte Roth das Ganze in den Nachrichten, natürlich saß er auch beim WM-Coup 1990 als Teamchef vor dem Fernseher, und er freute sich, wie sein alter Freund Deutschland die WM 2006 organisierte. „Es war sehr schön für mich zu sehen, wie Franz seinen Weg macht“, sagt Roth. Immer rechtzeitig zur Stelle, ganz ohne Blaulicht, Sirene oder Eskorte – aber immer mit guten Freunden an seiner Seite.