
Der kleine Thomas steht ganz vorne, erste Reihe. Und die Frage an den großen Thomas hat er schon weit vor 12:45 Uhr hinterlegt. Mit Stolz trägt er die rote Kappe mit dem Bayern-Logo, und natürlich lauscht er gespannt den Erzählungen auf der Bühne des FC Bayern Museums. Der Mann, der oben steht, ist nicht nur Namensvetter, sondern Legende des Vereins, für den sein Herz schlägt. Einer, zu dem man aufschaut und der diese eine Frage ja wohl richtig beantworten wird – oder?
Bis es so weit ist, muss sich der kleine Thomas noch ein wenig gedulden. Aber diese halbe Stunde, das Highlight seines Museumsbesuchs im Vorfeld des 4:2 im Heimspiel gegen Heidenheim, ist kurzweilig: Thomas Linke hat einiges zu erzählen. Über den Gegner voller „typisch deutscher Tugenden“; über den FC Bayern, der sich „auch international vor niemandem verstecken muss“; über seinen Alltag, in dem „die Familie oberste Priorität genießt“; und natürlich auch über all das, was er zwischen 1998 und 2005 im roten Trikot erlebt hat. Eine Menge war das, 15 Titel sind auf der Legenden-Autogrammkarte des ehemaligen Innenverteidigers vermerkt. Der Pokal für den größten steht bei diesem Auftritt – Linkes erstem im Rahmen des beliebten Museumsprogramms „Matchday Special“ – nur ein paar Meter entfernt.

2001, sicher, da war doch was! Weil ein Teil der rund 200 anwesenden Fans, die ihren Spieltagsbesuch mit diesem Legenden-Treff verbinden, vor rund 20 Jahren noch nicht auf der Welt waren, nimmt Linke sie gerne noch mal mit auf die Reise zum letzten Elfmeter im Mailänder Giuseppe-Meazza-Stadion. Er spricht nicht ohne Grund vom „wichtigsten Tor“ seiner Karriere, diesen letzten Ball vom Punkt im Finale gegen den FC Valencia „durfte – oder musste – ich schießen“. Es war für ihn der „einzige Elfmeter in einem Pflichtspiel“, aber dass er ihn verwandeln würde, wusste der heute 53-Jährige, als er sich auf den Weg zum Tor machte. „Alle haben weggeguckt – und gesagt: Der trifft nie!“ Aber er traf! 5:4 – und Oliver Kahn machte den ersten Triumph in der europäischen Königsklasse seit 1976 mit der anschließenden Parade perfekt.
An der Seite der Bühne müssen auch die zwei Buben im Linke-Trikot schmunzeln. Sie haben einen Sonderplatz, stehen in der „Schatzkammer“, also jenem Ort, an dem Pokale und Ehrengaben von wichtigen Spielen aus 123 Jahren Vereinsgeschichte ausgestellt sind. Der Papa macht das gut da oben, sie sehen ihn ja nicht oft so, als „Star“. Daheim, südlich von München, wird er selten erkannt, „das fällt mir leicht, weil ich es immer geschafft habe, mich aus der Öffentlichkeit rauszuhalten“, sagt Linke. Die Premiere am „Matchday Special“ macht ihm trotzdem – oder gerade deshalb? – sehr viel Spaß.

Geschichten und Pokale
Es gibt echte Dauerbrenner unter den Legenden, Raimond Aumann und Giovane Elber etwa, auch Roy Makaay und Diego Contento haben schon diverse Auftritte hinter sich. Dazu Stefan Effenberg, Paulo Sergio, Klaus Augenthaler und Claudio Pizarro, die regelmäßig vor Ort sind. Sie alle kommen immer wieder gerne, auch Thomas Linke sagt: „Natürlich ist die Verbindung zum FC Bayern noch groß.“ Den Besuchern ein Stück Vereinsgeschichte nahezubringen, indem man seine eigene Geschichte erzählt, gefällt beiden Seiten.
Die erste Reihe vor dem Heidenheim-Spiel ist ausschließlich mit Kindern besetzt. Immer wieder flüstern die Eltern von hinten Linke-Details ins Ohr, auch bei den anschließenden Fotos und Autogrammwünschen sind sie behilflich. Locker 100 Autogrammkarten sind es, dazu mindestens dieselbe Anzahl an Selfies in diversen Handys, Linke hat ein straffes Programm. Seine Kinder schauen sich derweil das Museum an – natürlich auch den Henkelpott von 2001.

Von Thomas zu Thomas
Ob sie Bayern-Fans sind? Da muss Linke schmunzeln. Natürlich tragen sie das aktuelle Home-Trikot über den dicken Winterjacken, und der „Große“, sagt der Papa, ist auch zu „100 Prozent FC Bayern“. Nur der „Kleine“, der „schummelt heute ein bisschen“. Dass das Herz des jüngsten Linke auch ein wenig für Schalke 04 schlägt, ist aber nur legitim. Schließlich ist Thomas Linke vor seinem Wechsel zum FC Bayern von 1992 bis 1998 in Königsblau aufgelaufen.
Dort holte er 1997 den UEFA-Pokal, aber seine erfolgreichste Zeit hatte er in München. Fünf Deutsche Meisterschaften, drei DFB-Pokal-Siege, dazu Champions League- und Weltpokal-Sieger: „Mit vielen Weggefährten habe ich heute noch Kontakt.“ Mittwochs wird gerne zusammen in der Halle gekickt, in wechselnder Besetzung, ab und an mit der einen oder anderen Überraschung. Sogar Felix Magath war schon mal dabei. Linke lacht: „Aber ohne Medizinbälle.“
Anekdoten wie diese machen jedem Fan Spaß. Welcher ehemalige Star knapp drei Stunden vor dem jeweiligen Spielbeginn erwartet wird, wird stets ein paar Tage vor dem Spiel auf der Museums-Homepage bekannt gegeben. Alle eint, dass sie die perfekte Spieleinstimmung bieten – und sich der Besuch der Allianz Arena so gleich doppelt lohnt.
Das denkt sich auch der kleine Thomas, als der Auftritt von Linke sich dem Ende neigt. Die Frage an den prominenten Gast, die er vorab Moderator Steffe ins Ohr geflüstert hatte, lautet natürlich: „Wie heißt der Junge mit der roten Kappe in der ersten Reihe?“ Linke tippt richtig, als er das spitzbübische Grinsen sieht: „Thomas?“ Volltreffer – wie 2001 vom Punkt.

Franz, Effe, Auge
Bevor sich Linke auf die Tribüne verabschiedet, führt sein Weg über eines der Museums-Büros. Ein kurzes Resümee („hat Spaß gemacht“), aber dann schweift der Blick ab zu einem Gemälde der besonderen Art. Seine Buben stehen schon davor – und der Papa nutzt die Gunst der Stunde für ein kleines Quiz. Na, welche Legenden des FC Bayern sind der Jugend heute noch bekannt? „Den kennen wir“, ruft der Große und zeigt auf den gemalten Franz Beckenbauer. Wen noch? Die beiden grinsen. Na gut, dann muss Linke Senior doch helfen. Er zählt sie alle auf. Sepp Maier und Gerd Müller stehen in einer Reihe mit Stefan Effenberg, Klaus Augenthaler und vielen anderen. Ob die Jungs sich alle Namen der Herren merken können, die Zeiten weit vor ihrer eigenen Geburt geprägt haben, ist fraglich. Aber sie merken sich doch, dass die Leistungen der abgebildeten Spieler besonders verdienstvoll waren.
Wie genau es damals zuging, können Fans und Interessierte übrigens nicht nur im Rahmen von „Matchday Special“ erfahren, sondern auch beim Programm „Meet the Legend“. Die exklusive Abendveranstaltung mit wechselnden Legenden wird in regelmäßigen Abständen angeboten – und ist immer schnell ausverkauft. Unter anderem Augenthaler, Makaay und Pizarro nehmen die Gäste mit auf eine besondere Zeitreise. Persönliche Anekdoten, Infos aus erster Hand und Erinnerungsfotos inklusive.