Logo FC Bayern München

FC Bayern Museum: Infos, Tickets, Ausstellungen

FC%20Bayern_Gruendung_CafeGisela_ThomkeMeyer

Die drei Fragezeichen

Dank der Arbeit des FC Bayern Museums erfahren wir immer mehr über die Anfangsjahre unseres Clubs. Aber noch immer sind drei der 17 Gründungsväter unbekannt. Ein „51“-Reporterteam hat sich auf die Suche nach ihnen gemacht.

Franz John ist gut vorbereitet, als er am Abend des 27. Februar 1900 das Gasthaus Bäckerhöfl nahe der Frauenkirche betritt. Die Leitung des „Männer-Turn-Vereins München von 1879“, kurz MTV, hat zu einer Art Krisensitzung geladen. John, 27 Jahre alt, gebürtiger Brandenburger und von Beruf Fotograf, ist Mitglied in der damals noch jungen Fußballabteilung des Vereins. Er liebt den Fußball. Er möchte ihn in München voranbringen. Und er weiß wohl: Der heutige Abend könnte dabei ein entscheidender werden.

Seit einiger Zeit bemüht John sich darum, dass die Fußballer des MTV dem „Verband Süddeutscher Fußball-Vereine“ beitreten. Der Vereinsvorstand lehnt das ab , blickt überhaupt skeptisch auf den noch jungen Fußballsport und dessen Dynamik und Wettkampfgeist. Im Stillen plant Franz John deshalb, einen neuen Fußballclub zu gründen, führt seit Wochen Gespräche mit möglichen Mitstreitern und sammelt Unterschriften: „Unterzeichnete würden evtl. in den FC Bayern eintreten“, steht auf der Liste. Neben ihm selbst haben schon mehrere Männer, darunter auch MTV-Mitglieder, signiert.

Einige von ihnen sind nun mit John im Bäckerhöfl. Die MTV-Oberen haben Wind von Johns Plänen bekommen, stellen ihn zur Rede. In einer wilden Debatte verteidigt er sein Vorhaben. Gemeinsam verlassen die Männer gegen 21:30 Uhr die Sitzung. Nur wenige Hundert Meter weiter, im Café Gisela, gleich hinterm Wittelsbacherplatz, gründen die Männer noch an diesem Abend ihren eigenen Fußballclub. Und Franz John korrigiert den Titel seiner Unterschriftenliste: Er streicht die Formulierung „würden evtl. eintreten“. Stattdessen wird daraus: „Unterzeichnete erklären ihren Eintritt“ in den FC Bayern. Die Unterschriftensammlung, auf der 17 Namen stehen, wird zur Gründungsurkunde. Es ist der Anfang der Geschichte des FC Bayern – und ein bis heute ungelöstes Rätsel.

FC%20Bayern_Gruendung_Lupe_ThomkeMeyer

Rund 124 Jahre nach jener legendären Nacht sitzen die Historiker Alexa Gattinger und Michael Hellstern vom FC Bayern Museum gemeinsam mit Dr. Michael Stephan, der lange Zeit das Stadtarchiv München geleitet hat, an einem Besprechungstisch in der Allianz Arena. Vor ihnen liegt eine Kopie der Gründungsurkunde des FC Bayern – und eine Recherche, die ihr die letzten Geheimnisse entlocken soll.

Historiker haben schon viel über das Entstehen der Urkunde und dessen Hintergründe herausgefunden. Aber wer die 17 Männer waren, deren Namen auf der Gründungsurkunde stehen, das ist bis heute nicht zur Gänze geklärt. „Über einige von ihnen wissen wir mittlerweile recht viel“, sagt Alexa Gattinger, „über andere zumindest Grundsätzliches: Geburtstag, Herkunft, späterer Beruf. Aber zu drei Namen auf der Liste ist uns bis heute nichts bekannt. Und bei einer Unterschrift sind wir uns nicht mal ganz sicher, ob wir sie richtig entziffert haben.“

Neuigkeiten zum 125. Jubiläum?

Seit der Eröffnung des FC Bayern Museums im Jahr 2012 arbeiten die Historikerinnen und Historiker nicht nur daran, die Dauerausstellung weiterzuentwickeln, sondern präsentieren auch immer wieder Sonderausstellungen. 2019 wurden unter dem Titel „Zwischen Atelier und Fußballplatz“ einige der Gründerväter näher vorgestellt, die zum Münchner Künstlermilieu gehörten: der Illustrator und Grafiker Otto Ludwig Naegele; der Maler, Bildhauer und spätere Flugzeugpionier Wilhelm Focke und der Bildhauer Benno Elkan. Zum 125. Geburtstag des Vereins plant das FC Bayern Museum ein Buch über die „Väter des Erfolgs“, die 17 Gründungsmitglieder. Dafür wollen wir nun herausfinden, um wen es sich bei den drei bislang unbekannten Männern handelt.

Ihre Namen laut Urkunde: Wilhelm Hirsch, August Evers und Erich Gottschalk – oder lautet sein Vorname Ludwig? Und der Nachname ganz anders? Während die zwei erstgenannten Signaturen gut lesbar sind, ist es die des vermeintlichen „Erich Gottschalk“ nicht. Und deshalb beginnt die Suche mit einer Anfrage an den Leipziger Historiker und Experten für alte Handschriften Pierre Meinig. Auch er meint zunächst, den Namen Erich Gottschalk zu erkennen. Doch dann melden sich leise Zweifel. Der Nachname könne auch Gottschall oder Gottschalck heißen, sagt Meinig. Ziemlich sicher sei nur, dass der Anfang „Gott…“ laute und der Name abgekürzt wurde.

Und der Vorname? Da könnte auch „Lud.“ stehen, findet Meinig, die Abkürzung für Ludwig. Dafür sprächen das Fehlen des i-Punktes und der winzig kleine Punkt am Ende des Namens – sofern der kein Dreckfleck sei. Ob wir ihm einen besseren Scan der Urkunde zukommen lassen könnten? In einer Vitrine im Eingangsbereich des FC Bayern Museums wird ein Faksimile der Original-Gründungsurkunde ausgestellt. Vorsichtig wird es entnommen und in bestmöglicher Auflösung neu gescannt. So kann Meinig die Unterschrift noch genauer untersuchen. Ob er zu einer neuen Erkenntnis kommt? Während wir auf Neuigkeiten aus Leipzig warten, treiben wir auch in München die Suche voran. Tauchen die gesuchten Namen – in all den von Meinig genannten Varianten – in Archiven auf? In alten Melderegistern, Telefonbüchern, Studentenverzeichnissen? Oder in frühen Mitgliederlisten des bis heute bestehenden MTV? Viele der Gründerväter des FC Bayern spielten schließlich zunächst für die Fußballmannschaft dieses Vereins, die seit 1897 bestand und gegen Ende des 19. Jahrhunderts als die beste Münchens galt.

FCB_Szene%20Fussball_ThomkeMeyer

Der Fußball war in der Stadt damals noch eine Neuheit. Das Spiel kam ab Mitte der 1870er Jahre aus England nach Deutschland. In München wurde zunächst auf der Theresienwiese gekickt. Vor den Augen staunender und kopfschüttelnder Spaziergänger jagen dort ab 1895 erste Fußballer einem Lederball nach. Ein Jahr später entstehen die ersten Fußballvereine. Es sind vorwiegend Studenten, Kaufleute, Beamte, also Männer aus dem bürgerlichen Milieu, die sie gründen. Als Spielfelder nutzen sie einen städtischen Sportplatz, der im Südteil der Theresienwiese angelegt wird, sogenannte Waldspielplätze außerhalb der Stadt oder die Schyrenwiese in den Isarauen. Dort findet im Herbst 1899 anlässlich der „Allgemeinen Deutschen Sportausstellung“ in München auch ein Fußballspiel zwischen einem aus süddeutschen Spielern zusammengestellten Team und dem MTV statt. Es soll für den Fußball werben und findet zahlreiche Zuschauer. Unter ihnen: Franz John.

Er ist erst kurz zuvor nach München gezogen, hat schon in Berlin Fußball gespielt und sucht Anschluss an die kleine Münchner Fußballergemeinde. Am Rande des Spiels auf der Schyrenwiese lernt er „verschiedene Herren vom MTV kennen“, wie er später einmal erzählt. Bald wird er Mitglied im Verein – und lernt dort einige seiner späteren Mitstreiter und Mitunterzeichner der Gründungsurkunde des FC Bayern kennen.

Sind auch Wilhelm Hirsch, August Evers und der Mann, der vielleicht Erich Gottschalk heißt, unter den 
MTV-Mitgliedern jener Zeit? Um das herauszufinden, steht Werner Klotz an einem Dienstag im vergangenen Winter gemeinsam mit dem „51“-Reporter im kleinen Archivraum des MTV und öffnet Kartons voller alter Dokumente. Werner Klotz, 81, graues Haar, freundliches Lächeln, ist ehrenamtlicher Archivar des Vereins, der seinen Hauptsitz in einem großen alten Gebäude nahe des Goetheplatzes hat. Im Krieg wurde ein Teil des Komplexes zerstört – und später wieder mit Turnhallen, Fechtzentrum und Boxkeller aufgebaut. Die historischen Mitgliederlisten aber sind unwiederbringlich verloren. „Nach den Herren können wir also nur in alten Jubiläumsschriften oder Vereinsmitteilungen suchen“, sagt Klotz, „oder in alten Kneipzeitungen“, satirischen Schriften, die Vereine früher zu besonderen Anlässen anfertigten.

Also legen wir los, blättern durch vergilbtes Papier, durchforsten die Zeilen nach den Namen Hirsch, Evers, Gottschalk – ohne Erfolg. Was wir aber finden: einen Beitrag in einer Kneipzeitung des MTV, die vermutlich kurz nach der Gründung des FC Bayern erschien. Darin amüsiert man sich darüber, dass viele Spieler des jungen FC Bayern gar keine Bayern waren. Die Überschrift des Beitrags: „Die ‚Bayern‘“.

Darunter heißt es (in Ausschnitten):

„John, Berlin: ‚Immer los! Immer mang det Publikum! Trittst du mir, tritt ich dir!‘“

„Pollack, Freiburg: ‚Faul! Des ischt a Geminheit, der Mann hätt mi von hinte g’remblet.‘“

„Franke, Leipzig: ‚So gäben Sie doch heide noch ab und warden Sie nich alleweil, bis Ihnen der Gägner mit’m Been in die Fresse latscht!‘“

Den unbekannten Gründervätern kommen wir im MTV-Archiv nicht näher. Aber einen schönen Nebeneffekt hat die Recherche dort: Die, wenn auch erfundenen, Zitate der Mitgründer Franz John, Josef Pollack und Paul Francke geben – bei aller gebotenen Vorsicht – einen kleinen Hinweis darauf, wie diese Männer sprachen, agierten, auf andere wirkten. „Zuagroaste“ sind im München des ausgehenden 19. Jahrhunderts keine Seltenheit. Nur etwa ein Drittel der rund 500.000 Menschen, die im Jahr 1900 in der Stadt leben, sind auch dort zur Welt gekommen. Wer damals in der Stadt lebt oder hinzuzieht, wird in sogenannten „Polizeilichen Meldebögen“ erfasst. Müssten in den Bögen von damals also nicht auch die Herren, Hirsch, Evers und „Gottschalk“ zu finden sein?

FC%20Bayern%20Gruender_Recherche_ThomkeMeyer

Das Stadtarchiv München, nahe des Nordbads. Dr. Michael Stephan, der lange Zeit Leiter des Archivs war, Bayern-Fan ist und uns bei der Recherche unterstützt, sitzt im Lesesaal des 
Archivs und beugt sich über ein in alter Handschrift beschriebenes Formular. Die Mitarbeiter des Archivs haben für uns sämtliche Polizeiliche Meldebögen zusammengestellt, die sie zu den Namen, die wir suchen, finden konnten. Zu August Evers ist keiner dabei. Zum Namen Gottschalk immerhin einer, der passen könnte: Erich Gottschalk, Medizinstudent, geboren 1879. Allerdings war er laut Meldebogen erst ab Mai 1902 in München gemeldet, zwei Jahre nach der Gründung des FC Bayern. Er kommt also wohl nicht infrage.

Dann aber: ein Treffer. Michael Stephan hält den Meldebogen eines Wilhelm Hirsch in der Hand: geboren 1879 in Schwarzenbach bei Hof, Student, wohnhaft in München ab 1897, zunächst in der Veterinärstraße und später in der Wilhelmstraße. „Er wohnte also in der Nähe des ersten eigenen Fußballplatzes der Bayern in Schwabing“, sagt Michael Stephan. Könnte dieser Wilhelm Hirsch unser Mann sein?

Wir durchforsten in den folgenden Wochen viele weitere Dokumente. Die Adressbücher der Stadt München aus den Jahren 1900 und 1901, die Studentenverzeichnisse der Ludwig-Maximilians-Universität, der Technischen Universität und der Akademie der Bildenden Künste. Einen August Evers können wir weiterhin nicht ausfindig machen. Auch der Mann, der wohl Erich oder Ludwig Gottschalk hieß, bleibt ein Phantom.

Doch über Wilhelm Hirsch: Er studierte an der Ludwig-Maximilians-Universität zunächst Mathematik, dann Philosophie, dann wieder Mathematik. Er wohnte in Schwabing und verließ München schon 1904. Immerhin eine heiße Spur haben wir nun also. Und dann – gibt es in der Recherche plötzlich zwei überraschende Entwicklungen.

Wilde Theorie: Urkundenfälschung?

Pierre Meinig, der Leipziger Schriftexperte, hat die Unterschrift noch einmal unter die Lupe genommen und ist zu einem neuen Schluss gekommen: Der Vorname lautet definitiv „Ludwig“, legt er sich fest. Beim Nachnamen tippt er nun auf „Gottscheck“. Für die „schalk“-Variante fehle das „l“ vor dem „k“, erklärt er. Erneut durchsuchen wir Meldebögen, Adressbücher, Matrikellisten. Diesmal nach Ludwig Gottscheck. Erneut vergeblich.

Wie ist es möglich, dass August Evers und Ludwig Gottschalk/Gottscheck keine Spuren in Münchens Archiven hinterlassen haben? „Viele Unterlagen gingen im Laufe der Jahrzehnte und der zwei Kriege verloren“, erklärt Dr. Michael Stephan. „Und wer beispielsweise nur für ein Jahr zur Untermiete wohnte, wurde nicht zwangsläufig mit einem Polizeilichen Meldebogen erfasst.“

Doch es könnte noch einen weiteren Grund dafür geben, dass die Namen nirgendwo auftauchen: Es könnte sich um Pseudonyme handeln. Diese Theorie stellt Thomas Staisch auf, ein Journalist und Sporthistoriker aus Karlsruhe. Für das FC Bayern Museum recherchiert auch er zu den Gründungsmitgliedern. „Es war damals für Fußballer nicht unüblich, Schein- oder Tarnnamen zu 
verwenden“, erklärt er, „etwa um sich vor Institutionen, die den Fußball nicht guthießen – wie Schulen oder Universitäten – zu schützen. Oder um anonym für einen Zweitclub spielen zu können.“ Denn das war seit der Gründung des Süddeutschen Fußball-Verbandes 1897 offiziell verboten.

Was zu Staischs Theorie passen würde: Erstens erhielt Franz John kurz vor der Gründung des FC Bayern die „weitgehendste Unterstützung“ von Gus Manning, Schriftführer des Süddeutschen Fußball-Verbandes, bei der Neugründung. Zweitens stießen vier Spieler vom Freiburger FC – dem Verein, den Gus Manning drei Jahre zuvor selbst mitgegründet hatte – zum FC Bayern. Unterschrieben also ein, zwei oder sogar drei dieser Spieler mit einem Tarnnamen auf Johns Unterschriftenliste? „Ich halte das für absolut denkbar“, sagt Staisch, „kann es bislang aber nicht belegen.“

Im Frühjahr treffen wir uns wieder in der Allianz Arena. Ein Zwischenbericht: Für wie realistisch hält Alexa Gattinger vom FC Bayern Museum die Theorie mit den Tarnnamen? „Ich würde mal sagen: Nichts ist unmöglich, aber skeptisch bin ich schon. Franz John ging die ganze Sache mit großer Ernsthaftigkeit an. Dazu passen Unterzeichner mit Tarnnamen nicht so gut.“ Michael Hellstern und Dr. Michael Stephan nicken zustimmend. Ihre Meinung zum Punkt „Erich Gottschalk“: Schriftexperte Meinig hat recht, der Vorname lautet wohl eher Ludwig. Beim Nachnamen halten sie neben Gottscheck, Gottschalk, Gottschall auch einen Nachnamen für möglich, der mit „Ga…“ beginnt. „Ich würde da nichts ausschließen wollen“, sagt Alexa Gattinger.

Bleibt der Mann, bei dem wir zumindest eine heiße Spur haben: Wilhelm Hirsch. Ist der Student, den wir gefunden haben, wirklich der Mann, der die Gründungsurkunde unterschrieben hat? Mithilfe der Historiker des historisch-biografischen Nachschlagewerks „Neue Deutsche Biographie“ finden wir etwas mehr über ihn heraus: Der Sohn eines Lehrers ging in Hof aufs Gymnasium, studierte in München und arbeitete später womöglich als Mathe-Lehrer in Berlin. Bei der SpVgg Hof, die um die Jahrhundertwende der erste Fußballclub der Stadt war, ist sein Name nicht in den Archivunterlagen zu finden. Es werden Kreativität und Akribie gefragt sein, um mehr herauszufinden.

FC%20Bayern_Gruendung_Suche_ThomkeMeyer

Die Gründungsurkunde des FC Bayern, sie birgt weiterhin ihre Geheimnisse. Welche davon sich bis zum Jubiläum 2025 lösen lassen? Schau’n mer mal – die Recherche geht jedenfalls weiter.

Credits Illustrationen: Thomke Meyer

Diesen Artikel teilen