Für Jupp Heynckes ist er „ein Phänomen“, Lothar Matthäus bescheinigte ihm „Radarfinger“ und der frühere Bayern-Trainer Dettmar Cramer nannte ihn einen „Glücksfall für den deutschen Fußball“. Die Rede ist von Hans-Wilhelm Müller-Wohlfahrt, seit 35 Jahren Vereinsarzt des FC Bayern und vielleicht sogar der führende Sportmediziner weltweit. Am Sonntag feiert Müller-Wohlfahrt seinen 70. Geburtstag.
„Er ist ein Phänomen als Arzt und als Mensch. Er ist Tag und Nacht für uns da. Er übt seinen Beruf mit einer Leidenschaft aus, das ist keine Arbeit für ihn“, sagte Bayern-Trainer Jupp Heynckes unlängst über den weltweit anerkannten Mediziner, der bei den Heimspielen und Champions-League-Partien des Rekordmeisters stets an seiner Seite sitzt. „Er ist einzigartig, ich mag ihn und muss ganz ehrlich sagen, ich hoffe, dass er uns noch lange erhalten bleibt und dass er gesund bleibt.“
Vom ersten Tag an Spaß
Als jüngster von drei Brüdern wurde Müller-Wohlfahrt am 12. August 1942 im ostfriesischen Leerhafe geboren. Von seinem Vater, einem Pastor, wurde er streng erzogen, „preußisch“, wie es der ehemalige Mehrkämpfer („Ich habe jeden Tag zwei Stunden trainiert“) gerne ausdrückt. Sein Vater war auch gegen das Medizin-Studium, das verbiege den Charakter, sagte er.
Nach dem Tod seines Vaters studierte er dann doch Medizin und promovierte 1971 in Berlin, wo er ab 1975 als Mannschaftsarzt von Hertha BSC tätig war. „Ich hatte vom ersten Tag an Spaß an diesem Job“, blickt Müller-Wohlfahrt im Bundesliga Magazin auf seine Anfänge zurück und erinnert sich: „Verbandsmaterial wurde nach Gebrauch gewaschen und wiederverwendet.“ Damals habe die Sportmedizin bei weitem nicht den Stellenwert gehabt wie heute.
Namhafte Patienten
Im April 1977 siedelte Müller-Wohlfahrt nach München um, wo er auf Initiative des damaligen Trainers Dettmar Cramer fortan die Spieler des FC Bayern betreute. „Ich bin überzeugt, dass ich es nirgendwo besser antreffen konnte als beim FC Bayern“, sagt Müller-Wohlfahrt heute. Seit 1995 zeichnet er zudem für die medizinische Betreuung der deutschen Nationalmannschaft verantwortlich.
So lang wie seine Karriere ist auch die Liste seiner namhaften Patienten. Neben zahlreichen Fußballspielern aus dem In- und Ausland schwören auch viele, viele andere Athleten seit Jahren auf die „magischen Fähigkeiten“ (Süddeutsche Magazin) Müller-Wohlfahrts. Ob Weltklasse-Golfer José Maria Olazabal, die ehemaligen Tennis-Größen Boris Becker und Ivan Lendl, Skispringer Sven Hannawald, Eiskunstläuferin Katarina Witt oder Schwimmerin Franziska van Almsick.
Mit den Fingern sehen
„Der Doktor ist ein ganz großer Mann. Er hat einen tollen Job gemacht. Er ist der beste Arzt der Welt“, sagte erst vor Wochenfrist 100-Meter-Weltrekordler Usain Bolt nach dem Gewinn der olympischen Goldmedaille. Der Jamaikaner hatte sich vor den Spielen in London von Müller-Wohlfahrt behandeln lassen. „Er hat großen Anteil an meinem Erfolg. Ein Stück dieser Medaille geht auch nach Deutschland“, so Bolt, der auch über die 200-Meter-Distanz souverän Olympiasieger wurde.
„Im Fußball gibt es Lionel Messi, in der Medizin Dr. Müller Wohlfahrt“, hob auch FCB-Abwehrspieler Daniel van Buyten den Stellenwert von Mull, wie Müller-Wohlfahrt von seinen Patienten liebevoll genannt wird, hervor. Seine größte Fähigkeit ist wohl, Verletzungen mit seinen Händen zu ertasten und das Ausmaß aufgrund seines großen Erfahrungsschatzes einschätzen zu können. „Ich tauche quasi in den Muskel ein“, beschrieb er im SZ-Magazin seine Herangehensweise: „Ich sehe mit den Fingern.“
Intuition, Hingabe, Freude
Eine Gabe sei diese Fähigkeit keinesfalls, stellte Müller-Wohlfahrt klar. Vielmehr habe er sich diese „durch unendliches, ausdauerndes Üben“ angeeignet. „Es gehören Intuition und Hingabe dazu. Sie müssen Freude daran haben. Und es muss für sie eine Herausforderung sein, jeden Tag“, erklärte er. „Ich liebe meinen Beruf. Das ist für mich wie eine Gnade: ich denke manchmal, das habe ich mir gar nicht selbst zuzuschreiben, das ist meine Schicksal, das soll ich so machen.“
Dabei macht Mull keinen Unterscheid zwischen Leistungs- und Hobbysportlern. „Sie bekommen genau die gleiche Behandlung. Wenn jemand zu mir kommt. ist er ein Mensch wie jeder andere, dann benötigt er Hilfe, dann darf es keinen Unterschied geben.“ Seine Kassenzulassung hat er allerdings schon vor langer Zeit abgegeben. „Gesetzliche Krankenkassen sehen meine Behandlungsweise als zu aufwändig an“, berichtet er im Bild-Interview.
100 Meter in elf Sekunden
Gute Erbanlagen, eine ausgewogene Ernährung, ein gesunder Schlaf und regelmäßige Bewegung haben, neben dem rastlosen Einsatz für seine Patienten, „Dr. Feelgood“ (Sunday Times) offenbar jung und in Form gehalten. Wenn ein Spieler des FC Bayern oder der DFB-Auswahl verletzt am Boden liegt und Müller-Wohlfahrt auf den Rasen sprintet, hängt er den Physiotherapeuten an seiner Seite immer noch ab. „Die 100 Meter konnte ich mal in 11,0 laufen.“
Ein Karriere-Ende ist für den Mann mit den „Radarfingern“ (Lothar Matthäus) nicht in Sicht. „Ich lebe einen Traum“, ist der Jubilar, der von sich selbst sagt, er sei „getrieben. Immer vorwärts“, auch nach 40 Jahren Berufserfahrung „jeden Tag dankbar, dass ich dieses Leben führen darf. Mit all der Arbeit. Mit allem – so wie es ist.“ An seinem Ehrentag, wenn der FC Bayern im Supercup auf Borussia Dortmund trifft, wird er allerdings nicht auf der Bayern-Bank sitzen. Er feiert in aller Ruhe mit der Familie im Urlaub in Südfrankreich. In diesem Sinne: Bon anniversaire.
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