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Gerland: „Ich hätte ihn gerne noch weitergenossen“

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Gerland: „Ich hätte ihn gerne noch weitergenossen“

Am Samstag wird es tatsächlich Wirklichkeit. Philipp Lahm hört auf. Nach 22 Jahren Herzblut, nach über 500 Weltklasse-Auftritten im FCB-Trikot hängt der Bayern-Kapitän seine Fußballschuhe an den Nagel. Bis zum Abschied blickt fcbayern.com jeden Tag auf die außergewöhnliche Karriere des Münchners, zum Auftakt in Form eines Gesprächs mit Hermann Gerland.

Der künftige sportliche Leiter des neuen FCB-Nachwuchsleistungszentrums hat Lahms Karriere maßgeblich begleitet. Zwei Jahre lang (2001-03) trainierte er den heutigen Weltmeister und Champions-League-Sieger bei den FCB-Amateuren, danach vermittelte er ihn über zwei Leihjahre beim VfB Stuttgart in die Bundesliga. Seit 2009 ist Gerland Co-Trainer bei den Profis und fast täglich mit Lahm auf dem Trainingsplatz.

Das Interview mit Hermann Gerland:

Herr Gerland, Sie haben die Karriere von Philipp Lahm zu großen Teilen begleitet. Duzen oder siezen Sie sich eigentlich?
Gerland:
„Wir sagen du zueinander.“

Seit wann ist das so?
Gerland:
„Seitdem ich 2009 zu den Profis gekommen bin.“

Sie kennen Philipp Lahm aber schon viel länger. Wann ist er Ihnen zum ersten Mal aufgefallen?
Gerland:
„Im Sommer 2001. Philipp war damals noch in der A-Jugend, aber weil ich bei den Amateuren auf der Außenverteidigerposition Bedarf hatte, habe ich ihn hochgezogen. Ich hatte ihn vorher in der Jugend schon spielen sehen.“

Und dann hat er sofort überzeugt?
Gerland:
„Ich erinnere mich noch gut an sein erstes Spiel bei mir. Damals in der Regionalliga Süd mit den Amateuren gegen Burghausen. Wir haben 2:1 gewonnen – und Philipp spielte, ja, wie seitdem immer: tadellos.“

Gilt das auch außerhalb des Platzes?
Gerland:
„Philipp war schon mit 17 sehr vernünftig. Ich wüsste nicht, dass er irgendwann mal Mist gebaut hat oder unangenehm aufgefallen ist. Bis heute nicht. Er war pünktlich, er war fleißig. Er hat immer überragend trainiert und nie über irgendwelche Spieler geschimpft, weder früher noch jetzt als Superstar. Er gibt den Jungen Ratschläge und ist einfach ein Vorbild. Dass er sich mit seiner Stiftung auch für andere Menschen einsetzt, zeigt, dass er die Bodenhaftung nie verloren hat. Über all die Jahre hat Philipp eine Leistung vollbracht, die unvorstellbar gut ist.“

Das klingt nach einem Traumspieler für jeden Trainer.
Gerland:
„Ich habe die zwei Jahre bei den Amateuren mit ihm genossen und hätten ihn gerne noch weitergenossen. Aber es wäre fatal gewesen, solch einen Spieler nicht der Bundesliga zuzuführen. Das ging einfach nicht. Aber das war dann nicht so einfach. Es waren renommierte Trainer dabei, die abgewunken haben. Erst Felix Magath hat zugegriffen.“

Da werden sich im Nachhinein einige Bundesligaklubs geärgert haben.
Gerland:
„Vor zwei Jahren habe ich zufällig einen Scout eines Bundesligisten getroffen, dem ich damals auch Philipp empfohlen hatte. Wir kamen ins Gespräch und er hat mir gesagt: ‚Ich habe Philipp Lahm beobachtet und ich habe genau das Gleiche gesehen, das du gesehen hast. Dass er ein überragender Spieler ist. Aber meine Leute haben mir nicht geglaubt.‘ Das ist eine schöne kleine Anekdote.“

Also ging es nach Stuttgart.
Gerland:
„Dort konnte Philipp gleich Champions League spielen. Schon nach drei Monaten war er gegen Manchester United der beste Mann auf dem Platz und Alex Ferguson wollte ihn kaufen. Das sagt alles. Danach hat Philipp fast alles gewonnen, was zu gewinnen war. Nur Europameister ist er nicht geworden. Das einzig Traurige ist, dass er noch nicht Fußballer des Jahres geworden ist. Das kann ich nicht verstehen. Klar, Philipp spielt unspektakulär. Aber wenn er nur einmal ausgespielt wird oder nur einen Fehlpass spielt, dann sagt jeder sofort: Was ist denn heute mit dem Philipp los? Daran erkennt man eine außergewöhnliche Karriere.“

Was die Körpergröße betrifft, ist Philipp kleiner als viele andere Spieler. Inwiefern hat das seine Spielweise beeinflusst?
Gerland:
„Philipp ist sehr leichtfüßig und kann viel laufen. Das war sein Vorteil. Und obwohl er nicht so groß ist, besitzt er enorme Sprungkraft und ist er sehr kopfballstark.“

Das Training am Kopfballpendel hat sich also ausgezahlt.
Gerland:
„Natürlich war Philipp auch am Pendel. Das waren damals bei den Amateuren alle bei mir. Auch Mats Hummels zum Beispiel. Der macht das heute noch.“

Wie haben Sie reagiert, als Sie von Philipps Entscheidung gehört haben, nach der Saison aufzuhören? Haben Sie mit ihm darüber gesprochen?
Gerland:
„Nein, haben wir nicht. Ich habe ihm nur gesagt: ‚Philipp, das zählt für mich nicht. Ich sehe dich im Training, ich sehe dich in den Spielen. Du bewegst dich auf Top-top-top-Niveau. Die Zuschauer werden traurig sein. Obwohl du nur eine kleine Schuhgröße hast, sind deine Fußstapfen sehr groß.‘ Ich sage allen meinen Spielern immer: Spielt so lange ihr könnt, die schönste Zeit ist die als Spieler, gerade wenn man so Fußball spielen kann wie er. Ich denke, er hätte auf höchsten Niveau noch weiterspielen können.“

Wie traurig werden Sie sein?
Gerland:
„Ich bin immer traurig, wenn Spieler, mit denen ich zusammengearbeitet habe, weggehen oder aufhören. Das war bei Basti Schweinsteiger so, das ist jetzt bei Philipp so. Aber er hat sich so entschieden und ich wünsche ihm alles Gute. Wahrscheinlich sagt er sich: ‚Bevor irgendwann alle sagen, der Philipp sollte lieber aufhören, mache ich lieber selbst Schluss.‘ Jetzt kann er sich seiner Familie widmen. Ich hoffe, dass er irgendwann wieder etwas mit Fußball zu tun hat.“

Wie erleben Sie Philipp in seinen letzten Tagen als Spieler?
Gerland:
„Er trainiert wie eh und je. Vielleicht merkt er nach ein, zwei Monaten Pause, dass es doch noch ein bisschen juckt.“

Dann kann er ja anrufen.
Gerland:
„Er kann jederzeit ins Nachwuchsleistungszentrum kommen und mittrainieren. Mit der U19, der U17, vielleicht auch mit der U15 – von der Größe her könnte das auch passen. (lacht) Wenn er Lust hat, soll er kommen. Er ist ein sehr, sehr gern gesehener Gast. Ich denke auch, dass ich ihn irgendwann mal einladen werde, damit er unseren jungen Spielern von seiner Karriere erzählt.“

Der FC Bayern hatte viele große Spieler: Franz Beckenbauer, Gerd Müller, Uli Hoeneß, Karl-Heinz Rummenigge, Lothar Matthäus... Wo siedeln Sie Philipp Lahm an?
Gerland:
„Er gehört auf jeden Fall in die Jahrhundertelf des FC Bayern. Auf eine Stufe mit den ganz Großen.“

Glauben Sie, dass Sie noch einmal mit so einem Spieler arbeiten werden?
Gerland:
„Ich höre immer wieder mal von einem zweiten Philipp Lahm, sobald ein Talent ein bisschen kleiner ist. Aber wenn einer drei Mal das Tor trifft, ist er noch lange kein Gerd Müller. So oft gibt es so einen Spieler wie Philipp Lahm nicht. Er ist außergewöhnlich.“

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