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Fan-Liebling Kuffour über seinen FC Bayern

Spätestens als er am Münchner Marienplatz „Wir wollen rot-weiße Trikots“ sang schlossen alle Bayern-Fans Sammy Kuffour in ihr Herz. Der Ghanaer ist bis heute einer der beliebtesten Bayern-Spieler aller Zeiten. Wir haben ihn in seiner Heimat Accra besucht.

Sammy Kuffour muss erst einmal sein Jackett ablegen. Es ist fünf Uhr abends in Accra, bald geht die Sonne unter, und selbst auf der Zielgeraden ihres Tagwerks brennt sie weiter auf Ghanas Hauptstadt herunter. Kuffour ist gerade aus dem Büro heimgekommen, Immobiliengeschäfte. Seine Krawatte wird auch sitzen, wenn er seine Besucher in zwei- zweieinhalb Stunden verabschiedet, aber jetzt muss selbst er mal kurz durchschnaufen. Im Fernseher auf der Terrasse läuft Fußball, natürlich, denkt man sich, aber wer genauer hinschaut, ist überrascht: Frauenfußball. Kuffour nimmt einen Schluck Wasser aus einem Weißbierglas mit dem Emblem des FC Bayern München.

Das abgelegte Jackett, für Fotos streift er es immer wieder über, ist formvollendet mit Blume am Revers und Einstecktuch – Stil an prominenter Stelle: Früher trug Kuffour dort das Wappen des FC Bayern, über dem Herzen, das noch immer für den deutschen Rekordmeister schlägt. Es geht ihm gut, sehr gut, sagt der 42-Jährige, und er müsse sich so bedanken: Bei Gott und den Menschen in München. Die Fans „singen noch heute meinen Namen – es ist da Wahnsinn“, sagt er, und er sagt tatsächlich bairisch „da Wahnsinn“.


Die Erinnerungen schießen ihm so schnell durch den Kopf, ein Dazwischengrätschen ist unmöglich: Wenn er bei Hermann Gerland zuhause war, kochte „Frau Hermann“, wie er die Gattin seines Entdeckers nennt, und die drei Töchter nahmen ihn mit nach Österreich, um ihm das Skifahren beizubringen. Der Ur-Bayer Klaus Augenthaler lehrte ihn das Schwimmen („Ich konnte das nicht“) und das Weißbiertrinken („Er sagte, als Bayer muss man das können“). Uli Hoeneß‘ damalige Sekretärin Karin Potthoff bezeichnet er noch immer als „Mama“ und den heutigen Präsidenten als „Papa“. Er habe nie einen ehrlicheren Menschen als Hoeneß kennengelernt, eigentlich müsse man stets aufstehen, wenn man von ihm spricht, findet er: „Aus Respekt.“ Und Karl-Heinz Rummenigge habe ihn immer wieder geschimpft: „Aber wenn einer, der so ein Weltstar war, dir etwas sagt, musst du zuhören. Kalle meinte es gut mit mir. Solche Leute wie beim FC Bayern musst du treffen, wenn du eine große Karriere schaffen willst.“

Ein Zuhause wie ein Museum

Betritt man Kuffours Haus, fühlt man sich wie im Foyer eines Nobelhotels. An beiden Seiten der ausladenden Halle führen breite Treppen nach oben, an den Wänden hängen viele Bilder: Kuffour als Spieler, Kuffour mit Ghanas größten Staatsmännern, Kuffour im Porträt. Am Boden lehnen weitere Gemälde und Fotos, für die sich kein Platz mehr gefunden hat. Als Kind war nicht abzusehen, dass Kuffour mal ein Zuhause wie ein Museum haben würde. Seine Familie lebte unter einfachen Bedingungen in Kumasi, Ghanas zweitgrößter Stadt. Beim Straßenfußball wurde er entdeckt, und als er erstmals für Ghanas U17 nominiert wird, verscherbelt seine Mutter den Fernseher, damit er sich Fußballschuhe kaufen kann. Seine drei Schwestern – Sammy war der einzige Junge – lamentieren, doch seine Mutter ermutigt ihn, er solle weitermachen. Vor seinem Debüt gegen Sierra Lione prophezeit sie, er werde ein Tor machen. Tatsächlich trifft er zum 1:0-Sieg. Von seiner ersten anständigen Prämie kauft er der Familie einen neuen Fernseher. Einen größeren.

Heute hat Kuffour zwei Wohnzimmer, und in jedem steht ein Riesenfernseher. Er lässt sich auf ein Sofa fallen. Hier hat er neulich mit ein paar Freunden das 5:0 seiner Bayern gegen Dortmund verfolgt. Überhaupt schaut er alle FCB-Spiele, auch auf Reisen und auch als Experte im südafrikanischen TV. Bei Siegen flippt er aus: Als die Münchner 2013 die Champions League gewannen, „war ich der Verrückteste im Fernsehstudio“. Er hat sich gefreut, als hätte er selbst gespielt. „Es war so groß, nach dem Finale dahoam 2012 zu gewinnen, bei uns war es 1999 und 2001 die gleiche Situation – das ist der FC Bayern München: Du gibst nicht auf. Mia san mia.“

Die Gelegenheit ist günstig, eine heikle Frage zu stellen: Ob Kuffour noch einmal die Final-Niederlage gegen Manchester United von 1999 anschauen würde, jetzt hier, auf seinem Sofa, auf seinem Riesenfernseher? Eine DVD hätten seine Besucher im Gepäck. Nein, sagt er, klagt er, „neinneinnein, geht nicht – es macht mir noch immer so viel weh“. Kuffour schlägt sich aufs Revers, dort wo das Wappen war, dort, wo sein Herz pocht, fast erdrückt er seine Anzugblume. Seit 20 Jahren meidet er dieses Spiel, sagt er. „Vielleicht schaue ich es mal mit meinen Kindern, irgendwann.“ Die drei Teenager leben in London, gehen dort auf die Schule und die Universität. Einer ist ManUnited-Fan, „er googelt ab und zu Ausschnitte des Spiels auf Youtube, und ich sage dann immer: Mach das weg!“, erzählt Kuffour. Ob er es zum 25-jährigen Jubiläum mal ansehen wird? „Ich kann es nicht versprechen. Ich glaube nein.“

Das Leben ist nicht immer golden

Neben dem Sofa steht die Vitrine mit Kuffours größten Erfolgen. Die silberne Champions League-Medaille von 1999 liegt dort neben der goldenen von 2001. Beide behandelt er mit der gleichen Ehrfurcht. Fußball ist wie das Leben – nicht immer fair, das gehört dazu, findet er. „Wir waren 1999 die bessere Mannschaft, wir hatten Pech.“ Keiner vergoss nach dem Abpfiff auf dem Rasen des Camp Nou mehr Tränen als Kuffour. Er, der einzige Ausländer in der Münchner Startelf. Die Bayern-Fans werden das nie vergessen. Schiedsrichter Pierluigi Collina kam zu ihm, der verletzte Bixente Lizarazu eilte extra von der Tribüne herunter, „aber ich konnte mich nicht kontrollieren“. Manchesters Wunderstürmer Dwight Yorke und Andy Cole „haben null Stiche gegen mich gemacht – und dann dreht dieses Spiel“. Karin Potthoff hatte extra ein Shirt für ihn drucken lassen, das er nach dem Sieg zeigen wollte. „Danke, Gott“, stand drauf. „Aber ich konnte es nicht anziehen.“

In der Nacht der Niederlage verkroch sich Kuffour auf sein Zimmer. Kein Bankett, keine Party. Immer wieder klopfte irgendwer: Er solle doch herauskommen. „Ich sagte jedes Mal, ich komme gleich – aber ich konnte nicht.“ Stattdessen telefonierte er mit seiner Mama in Ghana. Sie weinte. Und mit seiner Tochter in Ghana. Sie weinte ebenfalls. Als er zwei Wochen später in der Heimat landete, empfingen ihn viele Fans am Flughafen. „Ganz Afrika stand bei diesem Finale hinter mir“, erinnert er sich. Er erhielt Briefe vom gesamten Kontinent. Der Tenor: „Sammy, du schaffst es, aufzustehen!“ Die „Mutter aller Niederlagen“ in Barcelona 1999 gegen Manchester United wurde dann tatsächlich die Geburtsstunde der Immer-weiter-Bayern.

„Der FC Bayern ist meine erste Heimat.“

Sammy Kuffour

„Siehst du das Glas dort“, sagt Kuffour und deutet auf einen der Humpen, die in München bei den Meisterduschen zum Einsatz kommen. Das Monstrum von einem Weißbierglas passt so gar nicht in das afrikanisch geprägte Wohnzimmer – und halt doch zu Kuffour. „Der FC Bayern ist meine erste Heimat.“ Dass er nach seiner Karriere zurück nach Ghana ging, war seinen Geschäften geschuldet. „Ich wollte in München bleiben. Aber ich muss an meine Familie denken.“ So war das schon immer, auch als Spieler. „Als ich jung war, sah ich Lothar Matthäus und Oliver Kahn in der Kabine. Sie waren so schick angezogen. Ich wollte das auch, aber ich musste verstehen, dass ich nicht so viel verdiene – und Geld für zuhause brauche, für Mama, Oma, Geschwister.“ Hoeneß erinnert sich: „Sammy kam als Kind zu uns. Und er ging als Mann.“ Einmal hatte er ein Angebot vom FC Barcelona. Hoeneß sagte zu ihm: „Sammy, du kannst nicht dahingehen. Hier ist deine Heimat.“ Er blieb.

Kuffour weiß es noch genau, wie ihn Gerland bei der U20-WM 1993 in Australien ansprach, nachdem er gegen Deutschland ein Tor geschossen hatte. „Du bist ein guter Spieler – willst du zu uns?“, fragte der „Tiger“. Kuffour war mit 15 zum FC Turin gegangen, er hatte Heimweh, jetzt rief er seine Mama zuhause an: „Der FC Bayern will mich. Soll ich das machen?“ Natürlich! Als er im Sommer darauf das erste Mal mit den Profis trainierte, machte Rummenigge mit. Kuffour attackierte den Chef ohne Skrupel, immer wieder, bis der am Ende sagte: „Den Burschen können wir gut brauchen.“ Schon zuvor hatte Matthäus zu Hoeneß gemeint, zur Not zahle er die 300.000 Mark Ablöse aus eigener Tasche. Kuffour selbst dachte sich zum ersten Mal in seinem Leben, dass er es als Profi zu etwas bringen kann, als er mit Matthäus trainierte. Er hatte die WM 1990 im TV gesehen: „Lothar war der Beste des Turniers, der Beste der Welt – und plötzlich trainierte ich mit ihm. Ich sagte mir: Jetzt darfst du nicht nach hinten schauen! Jetzt gibt es nur noch: Vorwärts!“

Die FCB-Familie

Die deutsche Mentalität hatte er schnell verinnerlicht. Matthäus, Oliver Kahn („Wenn er Vereinschef wird, ist das gut, er ist ein Idol“) und Stefan Effenberg lebten sie ihm vor. Kuffour kann „Effe“ bis heute richtig gut imitieren, so oft besuchte ihn der damalige Kapitän bei wichtigen Spielen in seinem Zimmer. Vor dem Viertelfinale 2001 gegen Manchester United sagte er zum Beispiel: „Sammy, wenn du Yorke und Cole wieder in der Tasche hast, kommen wir weiter.“ Vor dem Finale 2001 saß Kuffour nach dem Essen gerade allein auf seinem Zimmer, als Effenberg wieder klopfte: „Morgen ist der wichtigste Tag in deinem Leben! Ganz Afrika steht hinter dir!“ Kuffour ist noch heute beeindruckt: Wenn so eine Persönlichkeit dir solche Sachen vor einem Spiel sagt, glaubst du diesem Menschen alles. Der deutsche Fußball brauche solche Figuren wieder, findet er.

Die Sonne lässt nach, letzte Strahlen spiegeln sich im Pool von Kuffours Haus, über dem eine Marienstatute wacht. Als 2003 seine jüngste Tochter ertrank, organisierte ihm der FC ­Bayern binnen weniger Stunden einen Privatjet, die Piloten warteten dann mehrere Tage lang in Accra, bis Kuffour bereit war, wieder nach München zurückzufliegen. Es war ein Drama, bei dem sie alle mitlitten im fernen Deutschland. Bis die Tränen von „Mama“ Potthoff trockneten, dauerte es lange, und Hoeneß, Rummenigge, Gerland sowie die Teamkollegen taten alles, um ihrem Sammy das Leben wieder leichter zu machen. Kuffour erzählt diese traurige Episode von sich aus, in knappen Worten, „denn ich bin glücklich, dass ich drei Kinder habe – und weil diese Geschichte zeigt, dass der FC­ Bayern anders ist als andere Vereine. Es ist eine echte Familie.“ Im Fernseher auf der Terrasse läuft inzwischen Champions League; Juventus Turin gegen Ajax Amsterdam. Doch Kuffour will jetzt erst mal duschen, die Krawatte kratzt, er verabschiedet den Besuch. Das Weißbierglas mit dem Bayern-Emblem nimmt er mit in sein Haus.

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