Beim Blick zurück muss Dr. Hans-Wilhelm Müller-Wohlfahrt lachen. Was er erzählt, klingt ja auch lustig aus heutiger Sicht. „Damals“, sagt er, „gab es eine Badewanne, eine Sauna, zwei Liegen, einen Masseur und zwei Schränke, in denen zwei große Salbentöpfe drin waren – sonst nichts.“ So sah die medizinische Abteilung des FC Bayern aus, als Dr. Müller-Wohlfahrt seinen Dienst als Vereinsarzt antrat. 1977 war das. „Das kann man sich heute gar nicht mehr vorstellen.“ Denn heute, 42 Jahre später, ist alles ganz anders.
Dr. Müller-Wohlfahrt, den alle seit der Kindheit einfach nur „Mull“ nennen, sitzt in seiner neuen Praxis im Erdgeschoss des Neubaus an der Säbener Straße. Viel Holz, viel Weiß, viel Ruhe. Man fühlt sich sofort wohl. In seinem Behandlungszimmer muss der Vereinsarzt des FC Bayern nur aus dem Fenster schauen, schon blickt er direkt auf den Trainingsplatz. Auf gleicher Ebene wie Dr. Müller-Wohlfahrts Orthopädie ist die Radiologie von Prof. Dr. Martin Mack untergebracht. Zwei vollumfängliche Praxen auf dem Vereinsgelände - das gab’s auch beim FC Bayern noch nie. Seit dieser Saison ist es Realität. Man habe jetzt „perfekte Rahmenbedingungen für Behandlung und Betreuung“ der Mannschaft geschaffen, sagt Sportdirektor Hasan Salihamidžić.
Bislang mussten Spieler zur Untersuchung und Behandlung oft zur Praxis von Dr. Müller-Wohlfahrt in der Innenstadt fahren. Jetzt sind ganztägig ein Orthopäde und ein Radiologe vor Ort auf dem Vereinsgelände. Zudem wurden die Praxen mit Geräten der neuesten Generation des Bayern-Partners Siemens Healthineers ausgestattet: Magnetresonanztomograph (MRT/Kernspin), Computertomograph (CT), Röntgen, Ultraschall. „Wir konnten alles großzügig und weitsichtig ausrüsten, es bleiben keine Wünsche offen“, ist Müller-Wohlfahrt mehr als zufrieden, „das ist das Nonplusultra, mehr geht nicht.“
„„Das ist das Nonplusultra, mehr geht nicht.“”
Dr. Hans-Wilhelm Müller-Wohlfahrt
Auf den ledernen Sitzgelegenheiten der neuen Praxis scheint 1977, als die Konturen einer medizinischen Abteilung noch rudimentär waren, mindestens 100 Jahre entfernt zu sein. Dr. Müller-Wohlfahrt hat seine Anfänge an der Säbener Straße aber noch genau in Erinnerung. Manager Robert Schwan hatte den damaligen Mannschaftsarzt von Hertha BSC nach München eingeladen. „Im Vereinsgebäude, im großen Sitzungssaal, saßen Präsident Neudecker, Manager Schwan und Trainer Cramer. Es hieß nur: Wir suchen einen Arzt wie Sie. Haben Sie Lust, für uns zu arbeiten?“ Für den Mull „ein Traumangebot. Jeder war damals Bayern-Fan.“ Drei Mal in Folge hatten Beckenbauer & Co. gerade den Landesmeistercup gewonnen, kurz zuvor auch erstmals den Weltpokal. „Ich habe gar nicht überlegt, habe auch nicht mit meiner Frau gesprochen – ich habe sofort zugesagt. Handschlag, und das war’s.“ Bis heute.
Mit Dr. Müller-Wohlfahrt an der Spitze hat sich die medizinische Abteilung rasant entwickelt. Er konnte Physiotherapeuten einstellen und erste Kraftmaschinen aufstellen, „im staubigen Treppenhaus, weil es nicht anders ging“, erinnert er sich. Vom Verein gab es immer Rückendeckung. „Es hieß nie: Das ist aber zu teuer.“ Inzwischen besteht das Ärzteteam aus drei Orthopäden (Dr. Müller-Wohlfahrt, Prof. Dr. Peter Ueblacker, Dr. Jochen Hahne) sowie dem Internisten und Kardiologen Prof. Dr. Roland Schmidt. Hinzu kommen weitere Experten wie Radiologe Prof. Dr. Martin Mack. Mit zwei auch öffentlich zugänglichen Praxen auf dem Klubgelände hat die stete Entwicklung einen neuen Höhepunkt erreicht.
Während er erzählt, sitzt Dr. Müller-Wohlfahrt hinter seinem minimalistisch ausgestatteten Schreibtisch. Bildschirm, Tastatur, Maus, Stift und Notizzettel. Sein wichtigstes Hilfsmittel trägt er eh immer bei sich: seine Hände. Im Gespräch hat er sie meist verschränkt im Schoß liegen, doch bei der Begrüßung spürt man: Sie können fest zupacken. „Ich tauche mit den Händen in den Muskel ein“, beschreibt er seine einzigartige Behandlungsmethode. Mit geschlossenen Augen ertastet er kleinste Veränderungen in der Struktur von Muskeln und Sehnen, sucht Schmerzpunkte. Schmerzmittel verwendet er allerdings so wenig wie möglich, Cortison und Chemie lehnt er strikt ab. Stattdessen nutzt er ganz gezielt biologische und homöopathische Medikamente.
„Man muss nur genau wissen, wo man sie einsetzt.“ Seine Hände sagen es ihm. Nicht umsonst heißt seine Biografie: „Mit den Händen sehen“. Bei Massagekursen während des Medizinstudiums hat er seine besondere Fähigkeit entwickelt und sie durch jahrzehntelange Übung immer weiter verfeinert. „Ich durfte diese verantwortungsvolle Position schon bekleiden, als es noch keinen Ultraschall, keinen Kernspin gab. Ich hatte nur meine Hände - und musste sie trainieren“, sagt der heute 77-Jährige, der längst zu einer Ikone der Sportmedizin geworden ist – weit über den Fußball hinaus.
Unzählige Spitzensportler aus aller Welt hat und hatte er unter seinen Händen. Boris Becker, Wladimir Klitschko, Usain Bolt kam schon als 16-Jähriger zu ihm. „Er galt als Riesentalent, aber auch als verletzungsanfällig“, erzählt Mull. Vierteljährlich schaute Bolt seitdem bei ihm vorbei – und wurde acht Mal Olympiasieger sowie elf Mal Weltmeister. Dr. Müller-Wohlfahrt sei „der beste Arzt der Welt“, sagt der schnellste Mann der Welt und widmete ihm 2016 seine olympische Goldmedaille.
Dass Mull früher selbst Leichtathlet war und die 100 Meter unter elf Sekunden lief, kann man erahnen, wenn man ihn über den Fußballplatz sprinten sieht. Mit schnellen Schritten eilt er dann zu Spielern, die offenbar verletzt auf dem Rasen liegen - jedes Mal ein Kaltstart, ohne Aufwärmen. „Das ist gegen alle Regeln der Sportmedizin. Ich rate dringend davon ab, das nachzumachen“, muss Dr. Müller-Wohlfahrt schmunzeln, „aber wenn ich im Einsatz bin, vergesse ich alles. Dann will ich nur so schnell wie möglich zum verletzten Spieler. Bisher ist mir nie etwas passiert.“ Auf dem Platz ist seine Kunst der Palpation, das Ertasten von Verletzungen, Gold wert. Denn Trainer und Spieler wollen schnellstmöglich wissen: Geht es weiter oder muss der Spieler ausgewechselt werden?
Expertise und Know-how, Erfahrung und Innovation
„Man muss sich in wenigen Augenblicken eine klare Meinung bilden“, sagt Dr. Müller-Wohlfahrt. Ist der Muskel gezerrt? Ein Band gerissen? Wenn Mull zurückdenkt, kann er sich an keinen Fall erinnern, bei dem er total daneben lag. „Im Gegenteil: Manchmal muss ich Spieler stoppen, die meinen, sie könnten weiterspielen.“ Lothar Matthäus zum Beispiel wollte einmal unbedingt zurück auf den Platz, Dr. Müller-Wohlfahrt hatte allerdings den Verdacht auf einen Innenbandriss im Knie. „Ich hatte ihn am Arm, plötzlich reißt er sich los und ruft: 'Trainer, ich kann weitermachen!‘ Zum Glück hat Udo Lattek auf mich gehört. Das Band war tatsächlich abgerissen“, erzählt er.
An der Säbener Straße werden die Diagnosen um MRT-, CT-, Röntgen- oder Ultraschall-Untersuchungen ergänzt. Die Siemens Healthineers-Geräte liefern kontrastreiche Bilder von enormer Detailtiefe, doch man müsse sie auch lesen können, sagt Prof. Dr. Ueblacker: „Die Technik ist unentbehrlich. Aber es ist uns sehr wichtig, dass man die Aufnahmen, gerade die kernspintomographischen, nicht isoliert betrachtet, sondern immer im Zusammenhang mit den Beschwerden des Spielers und der körperlichen Untersuchung. Sonst ergeben sich falsche Befunde. Wenn das MRT zum Beispiel auf einen Muskelbündelriss hindeutet, der verletzte Spieler aber ohne fremde Hilfe vom Platz gegangen ist, passt das nicht zusammen. Bei einem Bündelriss fällt der Spieler oft hin, weil er die verletzte Muskulatur nicht mehr kontrollieren kann, und muss anschließend gestützt werden.“
Dr. Hahne, der auch Teamarzt der Deutschen Nationalmannschaft ist, fügt hinzu: „Letztendlich führt die Zusammenschau von Anamnese, manueller Untersuchung und Bildgebung zur Diagnose.“ So kommt in der medizinischen Abteilung des FC Bayern das Beste aus zwei Welten zusammen: Handwerk und Technik, Expertise und Know-how, Erfahrung und Innovation. Und wie im Sport gibt es immer neue Ziele. Besonders die Prävention von Verletzungen will Dr. Müller-Wohlfahrt mit seinem Team weiter optimieren. Denn so schön es ist, zwei Praxen auf dem Vereinsgelände zu haben: Am besten ist es immer noch, wenn die Bayern-Profis sie möglichst selten besuchen müssen.
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