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Alphonso Davies: Von Buduburam nach Bayern

Heute ist Alphonso Davies Profi des FC Bayern München - doch bis dahin war es ein weiter Weg für den Offensivspieler, der vor 19 Jahren in einem Flüchtlingscamp in Ghana geboren wurde. Seine Familie musste unvorstellbar viel erleiden. Über Kanada und die Major League Soccer kam der Sohn liberianischer Flüchtlinge nach München. Anlässlich seines 19. Geburtstages am heutigen Samstag blicken wir auf seine Geschichte zurück.

Die Umkleidekabine besteht aus einem winzigen Fleck Schatten und einem großen Plastiksack. Nach dem Anpfiff liegen die Straßenklamotten der Spieler in der Tüte verstaut im Sand. Eine Ziege schnuppert daran, Frauen balancieren Schüsseln mit Nüssen und getrockneten Früchten auf ihren Köpfen. Auf dem Platz setzt ein Spieler zu einer Grätsche an, die sich mancher zwei Mal überlegen würde. Der grashalmlose Untergrund ist von der Sonne hartgebacken, mehr Stein als Erde. Es staubt fürchterlich, als der Stürmer der Grätsche mit einer Pirouette entkommt. „Nice football“, ruft ein Zuschauer und klatscht.

Der kahle „Children Better Way Park“ im Flüchtlingslager Buduburam entspricht trotz seiner Defizite den internationalen Normen eines Fußballfelds, und nur ein paar unsortierte schmucklose Lehmhütten, windschiefe Holzbaracken und nüchterne Mauerwerke weiter wird klar: Es geht noch rudimentärer. Zwischen den Verschlägen liegt der „Pupu Park“, ein Ascherechteck mit zwei Toren ohne Netze. Früher war das die einzige Fläche im Camp, auf der man kicken konnte. Aloysius Kleah sagt: „Das ist der Slum.“

Der 20-Jährige hat hier seine ersten Schritte als Fußballer gemacht – gemeinsam mit seinem Cousin, der am 2. November 2000 in Buduburam, 45 Kilometer westlich von Ghanas Hauptstadt Accra, zur Welt kam. „Wir waren sehr klein, aber er war schon damals schnell mit dem Ball“, sagt Aloysius. Mit fünf Jahren ging sein Cousin mit den Eltern nach Kanada. Einmal haben sie noch telefoniert, doch die Verbindung wurde gekappt. Irgendwann riss der Kontakt ab. In Buduburam verfolgen sie den Jungen seitdem auf Facebook, Youtube und im Fernsehen. Denn er ist heute Fußballer beim FC Bayern. „Wir sind alle sehr stolz auf ihn“, sagt Aloysius über Alphonso Davies.

Die Familie ist weit gekommen

4800 Kilometer entfernt kann sich Davies kaum mehr an seine ersten Lebensjahre in Buduburam erinnern. Verdrängungsmechanismen sind menschlich. Die Zeit im Flüchtlingslager wurde in der Familie nie groß thematisiert, sagt er. Zwischen 1986 und 2003 forderte der Bürgerkrieg in Liberia über 250.000 Opfer, eine Million begab sich auf die Flucht, darunter Davies‘ Eltern Debeah und Victoria. Später erzählten sie, sie mussten über Leichen steigen, um an Essen zu kommen. Wer in Liberia überleben wollte, brauchte eine Waffe – doch sich eine zu organisieren, war keine Option für sie. Auf der Flucht kommt Alphonso zur Welt. Seine Mutter muss heute weinen, wenn sie ihn im Fernsehen spielen sieht, weil es ihr vor Augen führt, was sie durchgemacht und was sie für ihren Sohn erreicht haben. Sie nennt Alphonso noch immer: „Mein Refugee-Baby.“

Vom Flüchtlingsbaby zum Fußball-Star – Davies‘ Ankunft beim FC Bayern ist das vorläufige Happy End  einer einzigartigen Geschichte. „Ich bin meinen Eltern so dankbar“, sagt Davies. „Es war kein leichtes Leben damals, aber meine Eltern haben unsere Familie in ein sicheres Land gebracht.“ Hätten sie nicht den Mut gehabt, Afrika zu verlassen, „wäre ich nie im Leben Profifußballer geworden“. Und noch dazu einer, dem selbst der große Zlatan Ibrahimovic eine große Zukunft prophezeit. Mit 15 lief Davies in der MLS auf – als zweitjüngster Debütant im amerikanischen Profifußball. Der FC Bayern überwies im Winter 11,5 Millionen Euro Ablöse an die Vancouver Whitecaps. Die Münchner Stars kannte er davor nur von der Spielkonsole, surreal – nun ist er einer von ihnen, ganz real, an der Säbener Straße.

Die Hütte, in der Davies mit seinen Eltern seine ersten fünf Lebensjahre verbracht hat, steht noch heute. Sie ist nicht viel größer als ein VW-Bus. Die Wände bestehen aus Pressspanplatten, wo Fensterscheiben sein müssten, hängen Maschendrahtgitter, verdreckte Vorhänge schützen vor Staub und Sonne. Auf dem Wellblechdach liegen Steine, als Schutz vor Windböen. Neben der Kochstelle vor der Tür steht ein Trinkwasserkanister. Die Lebensbedingungen sind heute noch sehr schwer, aber damals waren sie der Horror, erzählt Daniel Crotai Blawah, ein Onkel von Davies, der eine staubige Straßenecke weiter wohnt. „Wasser, Essen, Kleidung – für alles brauchte man Geld“, sagt er. Geld, das kaum jemand hatte. „Für das Essen mischten wir ein paar Blätter mit Curry für eine Suppe, mehr gab es nicht. Wir sind froh, dass es Alphonso jetzt gut geht.“

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Vom Flüchtlingsbaby zum Idol

In Buduburam lebten zu Hochphasen über 50.000 Liberianer. Einige gingen später zurück, andere begannen in Kanada, Australien, Norwegen oder Schweden ein neues Leben. Rund 20.000 blieben. Buduburam wuchs zu einer Stadt. Eine eigene Polizei wurde aufgebaut, eine Feuerwehr, ein Krankenhaus. Es gibt Schulen, Cafes und sogar Discos. „Wir arbeiten hart“, sagt Obdieh Arnold, der Verwaltungschef, dessen Büro ein umfunktionierter Bauwagen ist. Zu Davies‘ Zeiten sei alles viel gefährlicher gewesen, sagt Arnold, es gab noch keine echte Ordnung im Camp, jeder schaute nur auf sich selbst. Zwar sammelten die umliegenden Dörfer Reis und Fisch, brachten Plastikgeschirr. Aber der Alltag wurde nur schleppend erträglich. „Fußball ist hier ein wichtiger Teil des sozialen Lebens. Er führt Familien zusammen, Clans und verschiedene Dörfer“, sagt Arnold, „und Alphonso Davies ist ein großes Idol für die Menschen hier.“

Im Frühjahr schickte Martin Gyambrah, Professor an der Sportakademie Accra, extra ein Team nach Buduburam, um den Lebensweg von Davies zu rekonstruieren. „Weil er eine unglaubliche Inspiration für die Leute ist“, erklärt er. Die Arbeit der Wissenschaftler war gar nicht so einfach, da im Jahr 2000 mehrere Kinder mit dem Namen Alphonso geboren wurden. Erst mittels eines Fotos konnte festgestellt werden, dass der heutige Münchner einst in dem in zwölf Distrikte aufgeteilten Camp zu den sogenannten „Zone Two Babies“ gehörte. „Fußball ist in Ghana sehr populär, die Bundesliga und der FC Bayern werden genau verfolgt“, erzählt Gyambrah, der in engem Austausch mit dem Internationalen Fußball Institut in München steht. Es sei wichtig, die Lebensgeschichte von Davies zu erzählen, sagt der Professor. Weil sie etwas bewegen kann: „Alphonso Davies hat sich als Flüchtling selbst geholfen. Die Botschaft ist: Du kannst deine Ziele, deine Träume verwirklichen. Ganz egal, wie schlecht es dir geht: Du hast eine Zukunft.“

Neues Leben in der neuen Welt

Die Zukunft von Alphonso Davies begann in Edmonton, Kanada. „Ab da kann ich mich erinnern“, sagt er, und der Fußball spielt sofort eine entscheidende Rolle: „Ich war schüchtern, habe mich nicht getraut, Kontakt mit anderen aufzunehmen – aber auf dem Platz war alles leichter.“ Schon nach wenigen Tagen meint ein Junge auf dem Bolzplatz, er solle doch zum Vereinstraining mitkommen. „Ich hatte keine Schuhe, kein richtiges Trikot, aber ich war so glücklich“, erzählt der 19-Jährige. Nach seinem ersten Training sagt der Coach zu ihm: „Congratulations – das ist ab jetzt dein Team!“

Bei den Edmonton Strikers wird Davies schnell zum Anführer, nebenbei spielt er drei Jahre für die Nicholas Junior High Soccer Academy – und wird in jedem Jahr Meister. Bis heute druckt die Akademie seinen Kopf auf das Cover ihrer Werbebroschüren, und es gibt ein Video aus diesen Tagen, in dem Alphonso sagt, sein Traum sei, Fußballprofi zu werden. Seine Trainer trauen ihm das zu, sie sind beeindruckt von dem Zehnjährigen, der in seiner Freizeit seine beiden kleinen Geschwister betreut statt wie andere Videospiele zu spielen. Die Eltern arbeiten im Schichtbetrieb, Alphonso muss Verantwortung übernehmen: „Ich hatte keine Wahl, ich wurde schnell erwachsen.“

Als ihn 2015 die Vancouver Whitecaps locken, „hat es mir geholfen, dass ich schon reifer war“, erzählt Davies. Seine Eltern wollen ihn zunächst nicht in die mehr als 1000 Kilometer entfernte Küstenstadt gehen lassen, seine Mum hat im Fernsehen gesehen, wie leicht Teenager auf die schiefe Bahn geraten. „Sie hatte Angst, wie es bei einer Mutter normal ist“, sagt er, „dass ich an falsche Freunde gerate und meine Highschool abbreche.“ Dann nimmt ihm sein Vater ein Versprechen ab: „Bleib' ein guter Junge, respektiere jeden!“ Und Alphonso verspricht es ihm. Bis heute sorgt Debeah Davies mit seinem trockenen Humor dafür, dass sein Sohn auf dem Boden bleibt. Als der Junior im Frühjahr in Mainz sein erstes Bundesligator schießt, ruft der Papa aus Kanada an und stichelt: „Oh, du spielst jetzt bei Bayern?“ Davies muss lachen, als er die Anekdote erzählt. „Ich sagte: Dad, ich spiele da seit einem halben Jahr!“ Doch die pädagogischen Witzeleien fruchten. Davies schickt seinem Vater aus München ein FCB-Trikot. Eines von Arjen Robben. Warum keines von ihm selbst? „Weil Robben so viele Tore gemacht hat“, sagt Davies. Da müsse er sich noch eine ganze Weile hinten einreihen.

Nach dem Abpfiff der Fußballpartie im „Children Better Way Park“ von Buduburam versammelt Dominic Wisseh seine Spieler um sich. Der Trainer kickte einst selbst in Liberias Erster Liga, heute koordiniert er die neun Teams des Camps. Die erste Mannschaft repräsentiert die Flüchtlinge sogar international, neulich schlug man die Nationalelf von Sierra Leone 1:0. „Schaut auf Alphonso Davies“, sagt Wisseh seinen Spielern, „er ist bei Bayern geduldig und respektvoll, er hört den Älteren zu. Ihm wurde nichts geschenkt, er ist einer von uns. Wir wollen ihn an der Spitze sehen.“

Ein paar Meter weiter macht sich gerade Robert Akapu fertig, seine Mannschaft für das zweite Spiel des Tages auf den Platz zu führen. Natürlich kenne er Alphonso Davies, sagt der 13-jährige Kapitän, er trainiere jeden Tag und will Fußballprofi werden. „In Zukunft möchte ich wie Davies sein. Mein Traum ist, mal für den FC Bayern zu spielen.“ Dann läuft er auf den Platz. Seine Straßenklamotten liegen in einem Plastiksack verstaut im Sand. Robert Akapu trägt ein Trikot des FC Bayern.  

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