
Wembley 2013. Im deutschen Finale der UEFA Champions League schlägt der FC Bayern die Borussia aus Dortmund mit 2:1, der deutsche Fußball wird europaweit gefeiert. Zu dieser Zeit wechselt der 23-jährige Timo Kern gerade von seinem Jugendverein Karlsruher SC, mit dem er in diesem Jahr die Drittliga-Meisterschaft gewann, in die Oberliga zum FC Astoria Walldorf. Der Traum von der Profikarriere für den einstigen Bayern-Fan scheint ausgeträumt. Statt FC Bayern heißen die Gegner nun TSV Grunbach.
München 2020. Kern ist mittlerweile 30 und kann sich erneut Drittliga-Meister nennen. Der Unterschied: Der filigrane Spielmacher ist zurück im Profifußball und hatte entscheidenden Anteil am sensationellen Titelgewinn der FC Bayern Amateure in der vergangenen Saison. Nach den Stationen Walldorf und Waldhof Mannheim, wo er in der Saison 2018/19 17 Tore und zehn Vorlagen zum Drittliga-Aufstieg beisteuerte, ist Kern nun Führungsspieler der Reserve des zweimaligen Triplesiegers.
Beim Saisonauftakt der Amateure gegen Türkgücü am vergangenen Samstag (2:2) traf Kern, der ab sofort die Nummer 10 trägt, zum zwischenzeitlichen 2:1. Ein passender Zeitpunkt also, um mit dem bestens aufgelegten gebürtigen Hockenheimer über die vielen Auf und Abs in seiner Karriere, parallele Studien, eine sportbegeisterte Ex-Managerin, Softbälle, Bayern-Bettwäsche, Bastian Schweinsteiger und Junioren-Fußball zu sprechen.

Die Kernaussagen von Timo Kern
Servus Timo, die Amateure sind mit einem Remis in diese Drittliga-Saison gestartet. Wie fandest du den Saisonauftakt?
„Wir können mit unserer gezeigten Leistung nicht zufrieden sein. Wir haben insgesamt einfach zu viele Großchancen für den Gegner zugelassen. Ein Sieg wäre demnach nicht verdient, aber aufgrund des Spielverlaufs sogar möglich gewesen. Unser Durchschnittsalter war auch selten so niedrig, man kann der Mannschaft also keinen Vorwurf machen. Den einen Punkt nehmen wir mit und wollen in Verl nun dreifach punkten.“
Wie lauten eure Saisonziele?
„Ich habe vollstes Vertrauen in die Mannschaft, auch wenn wir viele Abgänge haben. Die Saison geht wieder von null los, die Meisterschaft ist abgehakt. Wir werden anders wahrgenommen von den Gegnern: Wir sind der amtierende Meister und wir werden nicht mehr unterschätzt. Diese Herausforderung müssen wir meistern. Der Klassenerhalt ist das klare Ziel, da verändert sich nichts. Man kann jetzt schon sagen, dass das auch nächste Saison unser Ziel sein wird - auch wenn wir wieder Meister werden sollten.“ (lacht)

Wir wollen nicht zu viel über die Zukunft reden, sondern mehr über die Aktualität und vor allem über deine Vergangenheit. Also: Fußball oder Softball?
(lacht) „Da muss ich mich für den Softball entscheiden. Mein Opa hat mir als Kind einen geschenkt, den hatte ich meine ganze Jugend immer bei mir; so bin ich zum Fußball gekommen. Ich habe viel mit meinem Vater gespielt, wir haben einiges kaputtgeschossen. Ich habe mir vor Kurzem sogar wieder einen neuen gekauft, Softbälle haben immer Platz bei mir.“
Walldorf oder Waldhof?
(Überlegt lange) „Das kann ich nicht eindeutig beantworten. Ich will beide Stationen nicht missen. In Walldorf habe ich parallel studiert und dabei viel fürs Leben gelernt. Bei Waldhof habe ich wieder zurückgefunden in den professionellen Fußball. Ohne beide Vereine wäre ich jetzt nicht hier.“
Hockenheim Ring oder Grünwalder Stadion?
„Grünwalder Stadion. Ich war nur einmal bei einem Formel1-Rennen auf dem Hockenheim Ring, der Sport hat mich trotz der Nähe nie so richtig gepackt. Das Grünwalder war dagegen durch Spiele gegen die Bayern- und 1860-Jugend schon in meiner Jugend präsent. Es ist verrückt, dass es mittlerweile zu meiner sportlichen Heimat geworden ist.“
Bayrisch oder Kurpfälzisch?
„Jetzt muss ich ja für meine Heimat einstehen; das wird sie immer bleiben. Auf jeden Fall Kurpfälzisch. Aber langsam gewöhne ich mich auch ans Bayrische. Ich mag die Leute hier, ihre Offenheit. „Servus“ habe ich schon früher verwendet, auch „Habe die Ehre“ sorgt immer für einige Lacher.“ (lacht)

Bei den Amateuren führst du zusammen mit Kapitän Nico Feldhahn und Maxi Welzmüller die vielen jungen Spieler. Erinnerst du dich manchmal noch an deine Jugendzeit beim KSC zurück?
„Natürlich vergleicht man es manchmal mit der eigenen Jugendzeit – es ist ein Unterschied wie Tag und Nacht. Ich will auf jeden Fall ein Führungsspieler sein und führe öfter Gespräche mit den Jungs. Ich versuche, ihnen klarzumachen, wie sehr sie das ganze Umfeld schätzen müssen. Es ist bemerkenswert, was hier beim FC Bayern aufgebaut wurde. Ich finde, die Talente bekommen heutzutage mehr Ruhe und Zeit geschenkt als früher. Das ist rundum positiv.“
Du gibst auf dem Platz viele Kommandos, motivierst, lobst. Welche Werte willst du den Jungs mit auf den Weg geben?
„Auf jeden Fall Selbstbewusstsein. Es geht insbesondere um das eigene Bewusstsein, welche Rolle und Chance man hat. Ich habe in jungen Jahren meine Chance verplempert und zu wenig gemacht für meine körperliche Verfassung. Junge Spieler sollten sich bewusst sein, dass man aus all den Möglichkeiten, die man hier bei Bayern hat, das Beste für sich rausholen muss. Das habe ich früher verpasst. Ich hatte nicht verstanden, was ich für eine große Chance habe. Das Studium hat mich dann umdenken lassen. Irgendwann habe ich mir währenddessen die Frage gestellt: Warum habe ich diesen Einsatz, den ich im Studium gezeigt habe, nicht in jungen Jahren als Fußballer für meine Leidenschaft aufgebracht? Das will ich dem Nachwuchs vermitteln.“

Du wurdest sowohl Meister in der Oberliga, in der Regionalliga und in der 3. Liga. War die Drittliga-Meisterschaft mit dem FCB das bisherige Highlight deiner Karriere?
„Ja dann fehlt nur noch die 2. und die 1. Bundesliga. (lacht) Es war auf jeden Fall eines der Highlights - wir haben etwas Historisches geschafft. Es wird etwas gedämpft, weil wir nicht aufsteigen können, ganz klar. Für mich persönlich ist der Titel noch höher einzuschätzen als der Aufstieg mit Waldhof Mannheim, denn da waren wir schon die Favoriten. Jetzt waren wir nur die 2. Mannschaft, die Aufsteiger. Wir haben uns auf den Klassenerhalt konzentriert. Dass es dann so gut läuft, dass wir so dominant auftreten, war nicht abzusehen. Das war schon etwas Besonderes – und hat unfassbar viel Spaß gemacht. Die Bayern-Profis haben ja auch so ein Selbstverständnis, dass sie jedes Spiel gewinnen. Dieses Bayern-Gen war teilweise auch bei uns zu spüren. Wir sind zum Schluss in jedes Spiel reingegangen und haben gesagt: Wir gewinnen das heute, weil wir besser sind. So etwas habe ich noch nie erlebt.“
Wie warst du mit deiner eigenen Leistung zufrieden?
„Ich messe mich als offensiver Mittelfeldspieler schon an Scorerpunkten. Deswegen war die Waldhof-Saison ganz klar meine beste Spielzeit, die ich bisher hatte. Ich war in der abgelaufenen Hinrunde gar nicht so zufrieden und hatte mehr von mir erwartet; in der Rückrunde ist es deutlich besser gelaufen. Es hätten aber noch mehr Tore und Vorlagen sein können. Insgesamt bin ich aber mit dem Mannschafts-Ergebnis absolut zufrieden.“
Du hast zu deiner Walldorf-Zeit parallel studiert und gearbeitet. Nun bist du Führungsspieler beim Drittliga-Meister. Hättest du dir so eine Entwicklung damals zugetraut?
„Das ist eine Wahnsinns-Geschichte. Ich habe von 2014 bis 2017 dual BWL bei der SAP studiert, dann meinen Bachelor gemacht und schließlich zwei Jahre bei SAP gearbeitet bis zu meinem FCB-Wechsel. Zu meiner Zeit bei Waldhof habe ich also noch immer zweimal die Woche gearbeitet. Zuvor bei Astoria lag mein klarer Fokus auf dem Studium, im dualen System ist ja eh viel los. Das waren rückblickend die härtesten drei Jahre, die ich bisher erlebt habe. Meine Konzentration lag nicht mehr zu 100 Prozent auf Fußball; ich dachte schon, ich höre auf. Dadurch ging natürlich auch meine Leistungskurve runter und Fußball hat mir teilweise auch keinen Spaß mehr gemacht. Nach einem Jahr im Job habe ich mich aber gefragt: Will ich meine Leidenschaft, meine Fähigkeiten, meine Talente so herschenken? Da hat meine Freundin auch super auf mich eingewirkt.

Und dann hatte ich richtig Glück: Ich habe bei SAP im Personal gearbeitet und habe im Januar 2018 eine neue Managerin bekommen. Im April habe ich dann die Entscheidung gefällt, dass ich nochmal höherklassig kicken will. Meine Managerin hat sofort gesagt: Das passt, du machst Teilzeit. Sie war da völlig entspannt, ist auch selbst Fußball-Fan, vom 1. FC Kaiserslautern. Sie wollte natürlich, dass ich zu Lautern wechsel. (lacht) Dann habe ich bei Waldhof unterschrieben. Nach einem Jahr kam das Angebot von Bayern, da hat sie auch sofort gesagt, ich soll das machen. Das werde ich ihr nie vergessen.“
Hast du schon Pläne für die Zeit nach der Karriere?
„Ich will im Sportbereich landen – wer weiß, vielleicht sogar beim FC Bayern München. Ich bin aktuell auf der Suche nach einem Master-Studiengang per Fernstudium. Dann wird man sehen.“
Stimmt es, dass du schon früher in Bayern-Bettwäsche geschlafen hast?
„Ja, ganz früher. Ich war komplett ausgestattet. In meinem Heimatdorf Hockenheim gab es sogar einen kleinen privaten Bayern-Fanshop um die Ecke, da bin ich auch öfter gewesen. In der F-Jugend gibt’s ein Bild von mir in kompletter Bayern-Montur. Mein Onkel wollte mich immer in die Kaiserslautern-Klamotten stecken. (lacht) Es ist wirklich eine absolute Ehre, das Trikot des besten Klubs Deutschlands, wenn nicht sogar Europas, zu tragen.“

Maxi Welzmüller hat dir den Spitznamen „Thiago“ verpasst. Kannst du darüber lächeln oder gibt es tatsächlich Gemeinsamkeiten?
„Ich höre es öfter, Welzi übertreibt es aber komplett. (lacht) Ich kann da natürlich nur schmunzeln, Thiago ist für mich einer der weltbesten auf dieser Position – einfach ein krasser Fußballer, der mich begeistert. Ich nenne Welzi übrigens im Gegenzug auch Basti, bezogen auf Bastian Schweinsteiger, weil er genauso für den FC Bayern brennt.“

Du trägst seit dieser Saison die Nummer 10 bei der FCB-Reserve. Dein Vorgänger, Amateure-Legende Otschi Wriedt, bezeichnet dich als „würdiger Nachfolger“. Was bedeutet dir das?
„Otschi war von Anfang an integriert in diese Entscheidung. Ich habe ihn angesprochen, ob das okay wäre. Er meinte dann: Ja klar, wer sonst? Das ist schon etwas Besonderes und freut mich. Ich hatte bei Waldhof auch die 10, da hat es gut funktioniert mit vielen Toren. Jetzt hoffe ich, dass sie wieder den gleichen Einfluss hat. Gegen Türkgücü hat es ja schon gleich gut hingehauen.“
So verlief der Saisonstart der Amateure im Lokalduell gegen Türkgücü München:
Themen dieses Artikels