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Ehemaliger Nachwuchsleiter Kern: „Dass wir den entdeckt haben, war ein Wunder“

Rummenigge, Schweinsteiger, Lahm … Als Co-Trainer und Nachwuchsleiter arbeitete Werner Kern beim FC Bayern mit vielen Fußballstars. Unser Mitgliedermagazin 51" hatte ein Gespräch mit einem, der Talent förderte – und sagt, dass er selbst keines hat. 

Herr Kern, als Sie sich 2012 in den Ruhestand verabschiedet haben, wollten Sie Spanisch lernen und viel reisen. Was haben Sie umgesetzt? 
„Spanisch kann ich immer noch nicht. Aber unterwegs war ich mit meiner Frau tatsächlich viel. Wir haben Machu Picchu in Peru gesehen, zuletzt waren wir in Kenia. Wir sind sehr aktiv, machen Sport, fahren Rad. Es geht mir blendend.“

Den Fußballplatz vermissen Sie gar nicht? 
„Ich würde lügen, wenn ich es nicht vermissen würde, Dinge voranzutreiben. Daran musste ich mich mit eiserner Disziplin gewöhnen. Ich war besessen vom Fußball. Auch heute noch verpasse ich kein Spiel. Und wenn wir kurz vor Schluss fast den Ausgleich kassieren, schlägt mein Herz wie wild. Ich bin so deppert. Aber ich lebe Bayern halt mit Leib und Seele.“

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Zurück in der Vergangenheit: Werner Kern nimmt auf der Trainerbank Platz (Foto: Amelie Niederbuchner).

Sie haben eine Liste mitgebracht mit den 40 bekanntesten Spielern, die während Ihrer 14 Jahre als Nachwuchsleiter in der Bayern-Jugend gespielt haben. Was geht Ihnen durch den Kopf, wenn Sie diese Liste sehen? 
„Dass es sich gelohnt hat, diesen Job so zu machen, wie ich ihn gemacht habe. Ich habe viel Herzblut investiert, viele Nächte nicht gut geschlafen, bin viel herumgefahren. Ich habe keinen Spieler ins Jugendhaus geholt, ohne nicht vorher bei ihm zu Hause gewesen zu sein. Es war mir wichtig zu wissen, wo die jungen Menschen herkommen, welches Verhältnis sie zu ihren Eltern haben. Bei Torwart Thomas Kraft war ich im tiefsten Westerwald, da hat mein Navigationssystem den Dienst quittiert. Als sich Stürmer Kevin Friesenbichler schwer verletzt hat und monatelang ausfiel, bin ich mit dem Auto bis weit hinter Graz zu ihm nach Hause gefahren, um ihm zuzusprechen.“

Auf der Liste stehen Spieler wie Bastian Schweinsteiger, Philipp Lahm, Owen Hargreaves, Toni Kroos … 
„2005 im Halbfinale der Deutschen B-Jugend-Meisterschaft war Toni für Hansa Rostock der alle überragende Spieler. Am liebsten wäre ich vor Freude von der Tribüne gesprungen, weil der Wechsel zu uns da schon feststand. Ein paar Monate zuvor hatte ich ihn mit Familie zum Champions League-Spiel gegen Arsenal nach München eingeladen. Ich hatte sie im gleichen Hotel wie Arsenal einquartiert, er begegnete Arsène Wenger, Thierry Henry und den ganzen Hochkarätern. Wir sind auch zur Baustelle der Allianz Arena gefahren, da habe ich ihm gesagt: „Hier kannst du in ein paar Jahren spielen.“ Als ich abends vorsichtig gefragt habe, ob er sich einen Wechsel vorstellen könne, sagte er: „Nur zum FC Bayern!“

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Foto: Amelie Niederbuchner

Kroos und Schweinsteiger: Unterschiede und Gemeinsamkeiten

War Ihnen damals schon klar, dass Toni vor einer großen Karriere stand? 
„Man kann nur sagen, ob es einer packen kann. Auf dem weiteren Weg sind noch jede Menge Hürden zu überwinden. Basti Schweinsteiger zum Beispiel war beeindruckend. Mich hat nur immer stutzig gemacht, dass er nicht schnell war. Basti hat das aber kompensiert, weil er sehr viel antizipiert hat.“

Was haben Schweinsteiger und Kroos, was andere nicht haben? 
„Erst mal brauchst du natürlich Talent. Dazu aber auch Ehrgeiz, Demut, Respekt. Du musst verstehen, dass du mehr arbeiten musst als jeder andere. Es ist eine Charaktersache – und der Charakter wird vom Elternhaus geprägt.“

Bleiben Talente heute noch unentdeckt? 
Es fällt kaum einer mehr durchs Sieb, auch weil es Jugendnationalteams und Nachwuchsleistungszentren gibt, anders als in den 70ern. Den jungen Kalle Rummenigge hat kaum einer gekannt. Wir haben einen Tipp bekommen, und Robert Schwan hat mich nach Lippstadt geschickt, um einen blonden Stürmer anzusehen. Ich kannte nicht mal den Namen.“

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Foto: Amelie Niederbuchner

Planänderung

Heute hat jeder Klub ein Netz von Scouts. Gibt es da noch Zufallsentdeckungen? 
„Nur noch selten. Paolo Guerrero zum Beispiel, das war ein Wunder, dass wir den gefunden haben. Damals war ich zusammen mit Wolfgang Dremmler in Peru beim Vater von Claudio Pizarro. Der wollte eine Fußballschule eröffnen, und wir haben ihn beraten. Am Sonntag sind wir aus Langeweile zu einem Jugendspiel von Alianza Lima gegangen. Alianza gewann 3:0, Guerrero hat alle drei Tore geschossen. Wir waren total beeindruckt. Heute ist er ein Nationalheld in Peru.“

Wie war es denn um das Talent des Fußballers Werner Kern bestellt? 
„Oh weh! Ich habe ganz normal Amateurfußball gespielt, Bezirksliga. Mehr ging nicht.“

Trotzdem wurden Sie 1973 Co-Trainer von Udo Lattek beim FC Bayern. Sie waren gerade mal 27 Jahre alt … 
„… und total unbekannt. Ich war Realschullehrer. Bayern suchte einen Co-Trainer, und ein Kollege meinte, das sei was für mich. Ich sagte: „Ja, spinnst du?“ In den Sommerferien wollte ich nach Amerika, durchs Land trampen, etwas erleben. Dafür ließ ich mir auch einen Vollbart wachsen. Doch dann habe ich all meinen Mut zusammengenommen, bin zur Säbener Straße und saß plötzlich Walter Fembeck und Robert Schwan gegenüber. Ihnen gefiel, dass ich wusste, was ich kann und wie ich es angehe. Sie fürchteten nur, dass mich die Mannschaft wegen meines Alters nicht akzeptieren würde. Schwan hat Präsident Neudecker angerufen. Der meinte: „Wenn bei uns am Bau das Gerüst wackelt, dann muss man halt ein paar Pfosten reinhauen – und die Pfosten sind wir. Wir müssen dem jungen Mann helfen.“ Dann haben sie mich zum Probetraining eingeladen.“

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Zurück an der Säbener Straße: Werner Kern (Foto: Amelie Niederbuchner).

Es wurde also nichts mit Amerika? 
„Die Reise habe ich abgesagt, meinen Vollbart rasiert und bin zum Training. Meine erste Aufgabe war Torwarttraining mit Sepp Maier. Nach der zweiten Einheit hat Udo Lattek Sepp zur Seite genommen. „Und?“ Sepp sagte: „Super! Den müssen wir verpflichten.“ 

Ihrer Mutter soll das gar nicht gefallen haben … 
„Sie war alles andere als begeistert. Aber ich wusste, was ich wollte. Als Co-Trainer habe ich das Fitnesstraining gemacht, das Rehatraining, das Scouting. Zwei Jahre lang war ich auch noch Trainer der zweiten Mannschaft. Ich habe so viel gelernt. Freie Tage gab es nicht viele – und als ich dann doch mal im Westbad war, kam eine Durch­sage: „Herr Kern, bitte zur Kasse!“ Dort war Dettmar Cramer am Telefon. Ich sollte auf der Stelle nach Frankfurt fliegen, zur Gegner-Beobachtung – in Turnhose, T-Shirt und Badeschlappen!“

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Foto: Amelie Niederbuchner

Mit Bayern ins Land der Träume

Haben Beckenbauer und Schwarzenbeck Sie akzeptiert? 
„Ich hatte ein gutes Standing in der Mannschaft, obwohl ich sie im Training immer marschieren ließ. Da war ich unerbittlich. Gerd Müller hat immer nur abgewunken, wenn er mich gesehen hat. „Du mit deiner blöden Lauferei“, hat er gesagt. Aber alle haben gemerkt, dass sie von der Arbeit profitierten. Und das haben sie auch anerkannt.“

Später waren Sie selbst Cheftrainer in der Bundesliga und in der Zweiten Liga, arbeiteten 15 Jahre lang bei adidas – und kehrten schließlich 1998 zum FC Bayern zurück. Wie kam es dazu? 
„Bei adidas ist aus einem Berchtesgadener Buben jemand geworden, der sich in der großen Welt auskennt. Ich war ständig unterwegs, habe Klubs und Spieler unter Vertrag genommen, war bei den großen Turnieren, war mit den Chefetagen bei FIFA und UEFA per Du. Von allen Jugend-Weltmeisterschaften habe ich Wolfgang Dremmler berichtet, wer die besten Spieler waren. Irgendwann hat mir Wolfgang gesagt, dass Bayern einen neuen Jugendleiter braucht. Von dieser Sekunde an gab es keinen Abend mehr, an dem ich nicht mit dem Gedanken an Bayern München eingeschlafen bin.“

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Foto: Amelie Niederbuchner

Und dann haben Sie sich zum zweiten Mal an der Säbener Straße vorgestellt? 
„Ich habe eine Präsentation vorbereitet, warum ich so gut für den Job geeignet bin. Als ich von Herzogenaurach zur Präsidiumssitzung nach München gefahren bin, hörte ich im Radio, was gerade an der Säbener Straße los war: Trapattoni hatte seine berühmte Rede gehalten. Ich dachte nur: Ach, du meine Güte!“

Es hat aber geklappt, trotz der Begleitumstände.  
„Ich konnte überzeugen mit Persönlichkeit, Kompetenz und der Art und Weise, wie ich gearbeitet habe. Sie müssen wissen: Ich bin ein Typ, der kein besonderes Talent hat. Ich habe mir alles erarbeiten müssen. Alles. Zwei Jahre bin ich in die Abendschule gegangen, um das Abitur zu machen. Ich habe immer wahnsinnig viel gearbeitet. Und das Tolle ist: Obwohl ich eigentlich kein Talent habe, habe ich trotzdem was erreicht.“

Aber einen Blick für Talente haben Sie schon. 
„Ich habe ein System, um das Potenzial eines Spielers erfassen zu können. Was kann er fußballerisch? Was kann er athletisch? Ist er fit? Ist er schnell? Spielt er gut mit? Wie ist er ohne Ball? Und dann kommt der Charakter. Dieses Gerüst bin ich immer 100-mal durchgegangen.  

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Foto: Amelie Niederbuchner

Vor dreieinhalb Jahren hat der FC Bayern den Campus eröffnet. Hätten Sie so eine Anlage auch gern gehabt? 
„Der Campus ist gigantisch. Meine Zeit im Nachwuchs ist aber vorbei, deswegen war ich nur dreimal dort. Über so eine Anlage wie das Skills.Lab, wo einem eine Maschine Bälle zuspielt, habe ich früher auch schon nachgedacht. Aber jede Zeit hat ihre Methoden.“

Am 23. Februar werden Sie 75 Jahre alt. Was bedeutet Ihnen das?  
„Gar nichts. Der letzte Tag kommt immer näher, aber er soll auf positive Art näher kommen. Gesundheit ist daher das Einzige, was ich mir wünsche.“

Die Kern-Story und viele weitere hintergründige Geschichten findet ihr in der aktuellen Februar-Ausgabe des Mitgliedermagazins:

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