Amateure-Fans kennen Angelo Brückner als zuverlässige Stammkraft hinten links in der Viererkette. Nur wenige wissen, dass der 18-Jährige in den letzten zweieinhalb Jahren eine Ausbildung zum Einzelhandelskaufmann abgeschlossen hat - und zwar beim FC Bayern. Das Mitgliedermagazin „51" begleitete Brückner bei einem Besuch im Flagship Store in München.
Intensive Jahre
Mit einem gezielten Griff zupft Angelo Brückner am Trikot. Hier, im Untergeschoss der FC Bayern World, ist das nicht strafbar, es ist ein alltäglicher Handgriff. Denn das rote Stück Stoff liegt noch nicht perfekt auf der Beflockungsmaschine. „Hast du alles verlernt?“, fragt Ansgar Lehmann lachend. Der Assistant Store Manager hilft Angelo, das Trikot gerade auszurichten. Dann geht der Presshebel nach unten und 18 Sekunden später sitzen die „25“ sowie der Schriftzug „MÜLLER“ genau so auf dem Trikot, wie es sein soll. Zu Angelos Rechtfertigung muss man wissen: Es ist schon ein paar Monate her, dass er hier Trikots beflockt hat. Zweieinhalb Jahre hat er beim FC Bayern eine Ausbildung zum Einzelhandelskaufmann absolviert, erst im Megastore in der Allianz Arena, dann im neuen Flagship Store der FC Bayern World. Im Januar war seine letzte Prüfung. „Es ist schön, ein Teil davon gewesen zu sein“, sagt er und schaut sich im Laden um. Doch er ist auch „froh und erleichtert“, die Ausbildung abgeschlossen zu haben. Denn jetzt kann sich der 18-Jährige voll und ganz auf sein eigentliches Ziel konzentrieren: Fußballprofi zu werden.
Angelo spielt seit bald fünf Jahren für den FC Bayern. Seit 2017 durchlief er am Campus mehrere Juniorenmannschaften, inzwischen ist er Stammkraft links hinten bei den Amateuren, seit Anfang dieses Jahres trainiert er regelmäßig mit den Profis. Der gebürtige Münchner ist auf dem besten Weg, sein Ziel zu erreichen. Und ganz „nebenbei“ hat er als erster Nachwuchsspieler die duale Berufsausbildung beim Club intern erfolgreich abgeschlossen. Der FC Bayern möchte seinen jungen Talenten zu einem zweiten Standbein neben dem Fußball verhelfen. Dafür wurden Bedingungen geschaffen, um eine individuell höchstmögliche Bildung und Leistungsfußball erfolgreich zu kombinieren. Ein Plan B sei sehr wichtig, betont Campus-Leiter Jochen Sauer, weil es auch beim FC Bayern keine Garantie gebe, dass ein Talent am Ende im Profifußball landet. „Wir als Verein müssen unserer sozialen Verantwortung gerecht werden. Wir sind stolz, dass Angelo das geschafft hat und dass er auch fußballerisch Leistungen auf höchstem Niveau gebracht hat. Er ist das beste Beispiel, dass Fußball und berufliche Ausbildung zusammen funktionieren.“
Wenig Freizeit
Einfach war die Doppelbelastung natürlich nicht, das war allen Beteiligten von Anfang an klar. Ansgar Lehmann, Angelos Ausbilder, erinnert sich an erste Gespräche, wie die Ausbildung umgesetzt werden könnte: „Da habe ich dann gefragt: Und wann hat Angelo mal frei?“ Berufsschule, Ausbildung im Betrieb, Training, Trainingslager, Spiele, Nationalmannschaft … Da blieb nicht viel Freizeit. „Abends war ich schon manchmal komplett kaputt“, erzählt Angelo. Aber er hat sich durchgekämpft. „Es war ein Riesenpensum“, sagt Lehmann, „aber Angelo hat nie geklagt, dass er müde sei. Er hat Biss bewiesen.“
Um 9:30 Uhr war von Montag bis Freitag Dienstbeginn für Angelo. Wie alle Mitarbeiter hatte er seine Aufgaben im Store: vom Lager über die Kundenberatung bis zur Kasse. „Mir war wichtig, ihm alles für die Prüfungen mitzugeben“, sagt Lehmann. Er achtete genau darauf, dass Angelo die vorgeschriebene Mindestzahl von 30 Stunden pro Woche im Betrieb war, ermöglichte es seinem Azubi aber auch, sich rechtzeitig zum Training verabschieden zu können. Auch ihn selbst habe die ständige Abstimmung mit Campus, Berufsschule und Angelo gefordert, erzählt Lehmann. „Das hat mich schon ein, zwei Nerven gekostet.“ Aber es hat funktioniert. „Entscheidend war, dass Angelo sich zu hundert Prozent darauf eingelassen hat. Er wollte das.“
Persönlichkeitsentwicklung erkennbar
Angelo hat nicht vergessen, wie unsicher er sich an seinen ersten Tagen als Azubi gefühlt hat. War die Ausbildung eine gute Idee? Leidet seine Fußballkarriere darunter? Und wie soll er das alles überhaupt unter einen Hut bekommen? „Aber alle haben mich immer toll unterstützt und nach ein paar Wochen habe ich mich langsam wohler gefühlt“, erzählt er. Auch Lehmann erinnert sich an den zurückhaltenden jungen Mann, den er „kitzeln“ musste, dass er aus sich herauskommt. Knackpunkt war ein Spiel, das Lehmann besuchte, um Angelo mal auf dem Rasen zu erleben. „Da war er komplett anders. Er ist entschlossen in die Zweikämpfe und zielstrebig nach vorne gegangen, hat Ansagen gemacht“, sagt Lehmann. Dieses Auftreten forderte er von Angelo danach auch in der Ausbildung. „Ich habe ihm gesagt, dass hier genauso viel Power nötig ist wie auf dem Platz, dass die Ausbildung genauso wichtig ist wie das Training. Denn was ist, wenn du nicht Profi wirst?“ Gemeinsam legten sie Regeln fest: Pünktlichkeit, offene Kommunikation und dass Angelo seine Berufsschulnoten im Griff haben muss. Angelo verstand und legte sich ins Zeug. „Als immer mehr gute Noten kamen, habe ich gemerkt: Er hat seinen Weg gefunden.“ Die guten Noten waren die Grundlage, dass ihm Betrieb und Berufsschule Befreiungen gewähren konnten, wenn Fußballtermine anstanden. Auch seine Ausbildungszeit konnte er um ein halbes Jahr reduzieren. Am Ende ist Lehmann stolz, dass sein Azubi nicht nur die Ausbildung geschafft hat, sondern sich auch als Persönlichkeit so stark entwickelt hat. „Es war sehr schön zu sehen, wie sehr er an den Aufgaben gewachsen ist.“
Brückner als Vorbild für die Zukunft
Genau das erhofft man sich am Campus. Dass die jungen Spieler als Menschen reifen, erwachsener werden. „Das spiegelt sich dann am Ende auch auf dem Fußballplatz“, sagt Jochen Sauer. Die Jungs lernten, Widerstände zu überwinden und ihr Leben eigenständig in die Hand zu nehmen, erklärt Dr. Eva Zier, pädagogische Leitung am FCB-Campus. Die duale Ausbildung sei ein wichtiger Teil der ganzheitlichen Ausbildungsphilosophie am Campus, weshalb sie allen Spielern ans Herz gelegt werde. Das Programm umfasst nicht nur eine klassische Berufsausbildung, sondern auch eine individuell höchstmögliche schulische Bildung, einen Bundesfreiwilligendienst, allgemeine Weiterbildungen oder ein Studium. Trotz Doppelbelastung sei der Aufwand leistungsfördernd, sagt Zier: „Die Mehrzahl der Spieler, die es langfristig in den Profikader geschafft haben, haben beide Wege erfolgreich gemeistert. Zudem vermindert ein zweites Standbein den Druck, es im Fußball schaffen zu müssen.“ Mehr als 20 Campus-Talente streben diesen Sommer ihren Schulabschluss an, andere studieren oder engagieren sich ehrenamtlich im sozialen Bereich. Vier Spieler absolvieren aktuell intern beim FC Bayern eine Ausbildung, zum Beispiel in der IT oder im Einzelhandel. Das Pädagogen-Team unterstützt die Spieler bestmöglich, organisiert Workshops, Informationsveranstaltungen, Nachhilfe und hat immer ein offenes Ohr. „Aber das hauptsächliche Machen, das liegt bei den Jungs“, betont Eva Zier.
Kuriose Erfahrung
Angelo hat vorgemacht, wie die duale Ausbildung am FCB-Campus erfolgreich abgeschlossen wird. Er habe diesen Weg nie bereut, sagt der 18-Jährige. „Es war eine wertvolle Erfahrung, die meine Perspektive auf den Verein erweitert hat, auch auf die Fans.“ Er muss grinsen, weil es da ein ganz besonderes Erlebnis gab. „Einmal kam ein älterer Herr nur in Boxershorts aus der Umkleide …“ Auch Ansgar Lehmann muss lachen. Er hat noch die Anekdote parat, als Angelo auf dem Weg zur Arbeit von einem kräftigen Regenguss überrascht wurde. „Er kam komplett durchnässt bei uns an. Selbst die Schuhe waren total nass.“ Beide schauen sich wissend an. „Diesen Tag hat er im Pausenraum an der Heizung verbracht. Da haben wir gesagt: Heute lernst du für die Schule.“
Der Ausbilder ist stolz auf seinen ehemaligen Azubi. Auch die Kollegen im Flagship Store gratulieren Angelo zum Abschluss seiner Ausbildung. Einer holt sich sogar ein Autogramm. „Irgendwann ist das bestimmt viel wert“, sagt Remo, der im Obergeschoss an der Kasse steht. „Du wirst deinen Weg machen“, sagt Lehmann Angelo zum Abschied. Er deutet auf die vielen Trikots an der Wand. „Irgendwann will ich hier dein Trikot sehen. Dann füllen wir die ganze Wand damit.“
Zuletzt gewann Brückner mit den Amateuren in der Regionalliga:
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