© Fotos: Peter Schreiber, Frank Bauer
Duelle gegen Italien und in der Allianz Arena gegen England - diese Länderspielphase hat es für Thomas Müller und die deutsche Nationalmannschaft in sich. In den Partien wird der 32-Jährige wieder vorangehen - auf dem Platz als Leader und Siegertyp, außerhalb des Platzes mit seiner lockeren und lustigen Art - so kennt man die Nummer 25 des FC Bayern. Aber was sieht er, wenn er morgens in den Spiegel blickt? In unserem Mitgliedermagazin „51“ spricht er über seine Reise beim FC Bayern, über seine Art zu leben - und über das Glücksgefühl, wenn seine Pferde abends genüsslich ihr Heu knuspern.
Thomas, bevor wir über dich als Rekordmeister des Rekordmeisters sprechen: Am Saisonende habt ihr mit einer riesigen Videoleinwand trainiert. Sagt da der dienstälteste Bayer: Öfter mal was Neues!?
„Nein, da geht es ja nicht locker einfach um ‚Öfter mal was Neues‘. Ich bin jetzt schon lange dabei und habe bei diesem Modul gleich eine konstruktive Optimierung gesehen: Der Trainer kann uns so unmittelbar vor der praktischen Ausübung seine Theorie zeigen - und damit noch besser veranschaulichen, worauf es ihm ankommt. Das macht es für alle Beteiligten leichter. Sonst sitzt du vor dem Training im Auditorium und bekommst 15, 20 Minuten lang eine Information nach der anderen, die du dann eine halbe Stunde später im Detail auf dem Platz abrufen musst. Das ist kein Hokuspokus, sondern sehr praktisch.“
Neulich hieß es, die Liga wird nur spannend, wenn der FC Bayern den Wagen an die Leitplanken setzt - den Gefallen wird Thomas Müller am Lenkrad vermutlich keinem tun …
„Ich sitze ja nicht alleine am Steuer, aber die Antwort ist natürlich: auf keinen Fall! Wir sind als Leistungssportler immer auch ein großes Stück weit Getriebene - und wir beim FC Bayern werden ja in der Öffentlichkeit schon abgestraft, wenn wir mal in Anführungsstrichen ‚nur‘ 3:0 gewinnen. Die Erwartungshaltung ist hier so hoch, dass sie einen permanent anstachelt. Ich sehe da gar keinen natürlichen Mechanismus, der uns bremsen soll. Für die kommenden Jahre gehe ich davon aus, dass der FC Bayern jede Saison immer zwischen 75 und 85 Punkten holen wird. Das heißt, wenn eine andere Mannschaft Meister werden will, muss sie in der Lage sein, diese Punktzahl zu übertreffen. Es wird nicht passieren, dass wir bei uns runterfahren. Wir haben eine funktionierende Servolenkung - und unter anderem mich als den Spurhalte-Assistenten Müller.“
Beim Fotoshooting entstanden nun viele Porträts von dir. Nah dran. Wie nah lässt du Menschen allgemein an dich heran?
„Gute Frage. Grundsätzlich bringt es unser Beruf mit sich, dass man eher weniger Berührungsängste haben sollte. Man hat immer mit vielen Leuten zu tun, als Teil eines Teams und generell im Bereich Profisport. Ich denke, es ist im Leben leichter, wenn man aufgeschlossen und offen an die Welt herangeht. Generell bin ich ein neugieriger Mensch, sage selten von Anfang an Nein und denke mir: Schlimmstenfalls wirst du nach dem Gespräch nicht dümmer sein. Daher gebe ich anderen gerne die Möglichkeit und höre mir an, was Leute zu sagen haben. Sorgen bespreche ich im kleinen Kreis von vertrauten Menschen. Das meiste mache ich ehrlich gesagt mit mir selbst aus. Ich habe für mich auch immer wieder festgestellt: Manchmal ist es im Grunde am besten, einen Sachverhalt einfach zu akzeptieren, abzuhaken und weiterzumachen.“
Wenn du dein Gesicht im Spiegel betrachtest - was siehst du?
„Sexappeal, unglaublich (lacht) … nein, jetzt ernsthaft: Ich denke, ich sehe eine gewisse Reise, auf der ich bin. Eine Reise mit tollen Erlebnissen und Menschen, die mir auf diesem Weg begegnen. Und ich sehe mehr Erfahrung.“
Wie ist es, das Gesicht des FC Bayern zu sein?
„Da muss ich widersprechen: Ich bin ein Gesicht von vielen! Natürlich wird mein Gesicht oft in der Öffentlichkeit gespielt, weil es sportlich und vom Typ des Bayern gut zum Club passt. Aber wir haben so viele großartige Persönlichkeiten beim FC Bayern, da sehe ich bei mir keine Sonderstellung, weil das einfach nicht stimmt. Klar ist aber, dass ich natürlich gerne für alles stehe, für was der FC Bayern steht.“
Ist es heute besser als früher - oder lieber noch mal jung sein?
„Ich habe das Gefühl, dass es bei mir in jedem Jahr immer ein Stück vorwärtsgegangen ist - aber der Mensch hat ja auch ein Talent, sich was einzureden (lacht). Tatsächlich aber will ich kein Stück meiner Reise missen. Ich bin kein großer Freund von ‚früher war alles besser‘. Unterm Strich finde ich mein Leben heute angenehmer als als Jungspund. Erfahrung macht alles interessanter, man kann Dinge viel besser einordnen und bewerten. Ich bin heute vielschichtiger aufgestellt. Man wächst mit all diesen emotionalen Kapiteln seiner eigenen Lebensgeschichte, und man geht alles reflektierter an. Als junger Spieler versuchst du einfach, im Haifischbecken Profifußball zu überleben: Du paddelst irgendwie, um dich oben zu halten. Im Lauf der Jahre hast du dann gelernt, wie das Paddeln geht. Wenn mir einer 2008 gesagt hätte, dass ich 2022 so dastehe wie jetzt, hätte ich gesagt: Hand drauf, da schlag ich ein, da freu ich mich auf die ganze Reise.“
Es gab zu deiner Vertragsverlängerung jetzt die Fotos mit deinem nachgebauten Kinderzimmer; ein Ort, an dem Kinder träumen - wo sind wir heute bei dir, irgendwo zwischen Traum und Wirklichkeit?
„In meinem Poesiealbum stand tatsächlich mal ‚Profifußballer‘. Aber ich bin eigentlich kein Träumer. Die Leute denken oft von mir, da kommt der lockere Thomas, bei dem läuft alles wie am Schnürchen, und lustig ist er auch noch. In Wahrheit versuche ich die Dinge immer sehr logisch und rational anzugehen. Natürlich hatte ich früher die volle FCB-Montur und das Zimmer voller Poster, aber ich bin, auch nachdem ich in der Jugend früh zum FCB gekommen bin, nie herumgelaufen und habe mir gedacht, es ist alles ein Traum. Mir war immer klar: Wenn ich nicht alles abrufe, ist es schnell vorbei. Auch heute ist es ja so, dass mein Vertrag nicht deshalb verlängert wird, weil ich in Bayern geboren wurde und alles einfach insgesamt so schön zusammenpasst.“
Beim FC Bayern zählen nur Siege, das hast du als Kind schon gelernt. Das ist anstrengend, sagtest du mal - hast du Angst vor dem Tag, wenn es dir mal zu anstrengend wird?
„Nein. Weil ich mich bewusst regelmäßig selbst auf den Prüfstand stelle. Wenn ich feststelle, es wird mir zu anstrengend, ich kann mich dem täglichen Wettkampf auf diesem Niveau nicht mehr stellen, dann habe ich den Mut mir gegenüber, darauf zu reagieren. Dann stellt sich die Frage, wie ich mich sonst für meine Mannschaft einbringen kann. Dann ist es nicht mehr die Hauptaufgabe, jedes Jahr an x Toren unmittelbar beteiligt zu sein, sondern andere dabei zu unterstützen, dass sie diese Tore machen. Aber bis dahin ist noch eine Weile hin.“
Nach der Verlängerung sagtest du: Ach, deshalb hat das so lange mit der Verlängerung gedauert, ihr musstet das Kinderzimmer erst nachbauen - ein typischer Müller: Alles mit einem Augenzwinkern kommentieren. Eine Gabe?
„Grundsätzlich denke ich einfach: Wenn man alles immer nur ernst nimmt, macht es alles nicht gerade leichter. Auch ich ärgere mich über vieles in der Welt, es läuft weiß Gott nicht alles, wie wir uns das alle wünschen. Wahrscheinlich ist meine Art, mit dem Leben umzugehen, auch ein Stück Selbstmanipulation. Humor schadet nicht. Im Gegenteil. Und mir hilft mein gesundes Umfeld, um auch mal den Blick zu heben. Fußball ist schön. Aber nicht alles im Leben.“
Philosophisch angehaucht nachgehakt: Wie leicht ist es, es zu schaffen, dass nicht immer alles zu schwer rüberkommt?
„Vor allem beim Thema Fußball werde ich nicht schnell nervös, weil ich aus Erfahrung weiß, dass ich im Grunde mit jeder Herausforderung umgehen kann. Aber mit Larifari-Einstellung gewinnst du gar nichts. Auch Rückschläge gehören zum Leben - entscheidend ist bei ihnen, was man aus ihnen macht. Es bringt auf Dauer gesehen nichts, immer zu viel Respekt vor dem Scheitern zu haben. Ich sehe primär die Chance, dass wir nach einem Sieg gefeiert werden, als die Gefahr, dass wir nach einer Niederlage Kritik einstecken müssen. Die Aussicht auf das Positive treibt einen an, nicht die Angst vor dem Negativen.“
Was erdet dich? Mistest du zu Hause auch mal die Pferdeställe aus?
„Ich mache die Ställe mal sauber, wenn’s pressiert - aber weil sie sauber gemacht werden müssen, nicht weil mich das erden könnte. Ich bin so aufgewachsen, dass man auch mal mit anpackt und es nicht tragisch ist, wenn man dreckige Hände hat. Wenn bei uns in der Nacht ein Fohlen auf die Welt kommt und ich zu Hause bin, möchte ich dabei sein, weil ich schauen möchte, ob alles richtig abläuft. Wird während der Geburt eine Fuhre Heu gebraucht, schnappe ich mir die Mistgabel und schaufle eben Heu. Was mich erdet oder wo ich am besten runterkomme, das ist beim Spaziergang mit unserem Hund. Oder wenn ich abends nach Hause komme, und die Pferde knuspern im Stall genüsslich ihr Heu. Diese Ruhe - da ist man mit der Welt ziemlich zufrieden.“
Wie war der Moment für dich, wie du dieses Jahr die Meisterschale zu den Fans am Zaun in der Allianz Arena hochgereicht hast?
„Die Fans witzeln immer wieder mal, dass ich zu ihnen auf den Zaun kommen soll. Dann haben sie mich während der Meister-Party gefordert und ich bin raufgekraxelt. Ganz ehrlich: Das ist ein ziemlicher Balanceakt, nicht die Komfortzone hoch 3. Als ich da oben gehockt bin, kam die Frage auf, ob ich ihnen die Meisterschale hochgeben könnte, und da dachte ich: Okay, das ist doch jetzt echt mal cool und eine schöne Gelegenheit: Es ist ja nicht nur unser Erfolg als Spieler, sondern auch der der Fans, die uns auch über Corona immer die Treue gehalten haben. Es war also eine spontane Aktion, aber auch für uns alle in der Mannschaft ein sehr schöner Moment, uns hat die Situation sehr gefallen. Es war gut, die Schale mit allen zu teilen - und ein ehrliches, wichtiges Dankeschön an unsere Fans. Gerne nächstes Jahr wieder!“
Das komplette Interview gibt es im FC Bayern Mitgliedermagazin „51“.
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