Seit viereinhalb Jahren spielt Leon Goretzka beim FC Bayern und ist zu einem absoluten Leistungsträger der Münchner gereift. Mit dem FCB ist er aktuell im Trainingslager in Doha. Bei der letzten Einheit trat Goretzka etwas kürzer, hat aber den Auftakt in die zweite Saisonhälfte gegen Leipzig fest im Blick. Im Interview spricht der 27-jährige Mittelfeldspieler über motivierende Gym-Sessions mit Arjen Robben und Franck Ribéry, seine fußballerische und charakterliche Entwicklung beim deutschen Rekordmeister und was passieren muss, damit er im Sommer zufrieden auf die Saison zurückblickt.
Das Interview mit Leon Goretzka
Servus, Leon! Bevor wir nach vorne schauen, noch einmal ein kurzer Blick zurück: Wie lange hat dich die Weltmeisterschaft beschäftigt?
Goretzka: „Ich brauchte natürlich erstmal etwas Abstand. Den habe ich im Urlaub gewonnen, auch dank meines privaten Umfelds, das immer für mich da ist. Das Kapitel WM ist abgeschlossen.“
Auf Instagram hat man dich im Urlaub, im Schnee gesehen. Unter einem Post hast du den Hashtag #DigitalDetox verwendet. Wie hast du die freien Tage verbracht?
„Weihnachten habe ich im Kreise der Familie zuhause in Bochum und Umgebung verbracht. Danach war ich noch in Österreich im Schnee. Gerade im Winterurlaub passiert es bei mir automatisch, dass ich das Handy nur ganz selten dabeihabe. Damit die Leute auch verstehen, warum ich bei Social Media nicht so aktiv war, habe ich den Hashtag noch hinzugefügt.“
Was sind deine Lieblingsbeschäftigungen abseits des Platzes?
„Meine Freunde aus Bochumer Zeiten haben bei mir einen sehr hohen Stellenwert. Ich nutze die Zeit, viel mit ihnen zu machen, weil ich sie aufgrund der Distanz nicht mehr so häufig sehe. Ansonsten gehe ich gerne Essen und mache eigentlich alle Ballsportarten als eine Art Ausgleich, vor allem im Urlaub.“
Es wird viel darüber gesprochen, dass du in den vergangenen Jahren an Muskulatur und Robustheit zugelegt hast. Wie hat sich deine Spielweise seit dem Wechsel zum FC Bayern verändert?
„Bei Schalke war ich ein entscheidender Leistungsträger, und in so eine Rolle habe ich mich dann auch bei Bayern Stück für Stück gebracht, denn das geht in so einem Club nicht von heute auf morgen. Man muss sich immer weiterentwickeln, und die Philosophie hier ist anders als bei Schalke: Bei Bayern hat man viel mehr den Ball, du konzentrierst dich daher mehr darauf, was du der Mannschaft geben kannst, wenn du den Ball hast. Aber auch der Aufgabenbereich gegen den Ball wurde größer. Gerade auf meiner Position im Zentrum ist man offensiv wie defensiv signifikant beteiligt.“
Du warst schon in der Jugend häufig ein Spieler, der vorneweg gegangen ist. Der FC Bayern steht wie kein anderer Verein für eine besondere Mentalität. Inwiefern hast du dich auch charakterlich in den letzten Jahren entwickelt?
„In diesen viereinhalb Jahren ist viel passiert, ich bin gereift – auf und außerhalb des Platzes. Zu Schalker Zeiten habe ich zum Beispiel noch zuhause gewohnt. Ich habe gleich im ersten Jahr das ‚Mia san mia‘ in mich aufgesogen und möchte das weitervermitteln. Damals waren Franck Ribéry und Arjen Robben noch da, mit die verdientesten Spieler in der Vereinshistorie. Da hast du gesehen, wie sie trotz all ihrer Erfolge täglich weiter im Gym und auf dem Platz alles gegeben haben und schon vor dem Training klitschnass geschwitzt waren. Wenn du das siehst, hast du gar keine andere Möglichkeit als mitzuziehen. Das motiviert dich und färbt extrem ab.“
Viele neue und auch jüngere Spieler sind seitdem dazugekommen, wächst man dann in eine Vorbild-Rolle hinein?
„Es passiert von ganz allein: Wenn du dich richtig verhältst, bist du zwangsläufig ein Vorbild für andere, auch wenn du dir das gar nicht bewusst machst. Ich denke zum Beispiel nicht, dass Franck und Arjen sich damals dachten: ‚Ich gehe ins Gym, um den Jungs zu zeigen, wie sie es machen müssen.‘ Aber es ist der Optimalfall, dass du durch dein Auftreten anderen ein bisschen die Richtung vorgibst. Klar hat man im Laufe seiner Karriere dann auch vermehrt ein Auge darauf, hier und da mal einen Denkansatz mitzugeben.“
Nach einer Verletzung in der Vorbereitung hast du dich unheimlich schnell als Säule des Spiels zurückgekämpft. Wie blickst du persönlich auf deine Hinrunde mit dem FCB zurück?
„Die Operation am Knie kam natürlich zu einem fiesen Zeitpunkt. Ich hatte schon zwei Wochen Vorbereitung in den Beinen, war guter Dinge - und dann musste ich doch unters Messer. Aber ich habe die Zeit dann als Vorbereitung gesehen. Ich konnte schnell wieder laufen und Grundlagen schaffen. Die Reha habe ich genutzt, um topfit wiederzukommen und keine Anlaufschwierigkeiten zu haben. Das hat sich schnell ausgezahlt, so dass ich direkt den Anschluss gefunden habe und der Mannschaft wieder helfen konnte.“
In der Bundesliga auf Platz 1, im Pokal und der Champions League im Achtelfinale - wie zufrieden bist du mit der bisherigen Saison?
„Man kann schon zufrieden sein, vor allem, was die Entwicklung unseres Spiels angeht, unabhängig von den Ergebnissen. Wir hatten eine schwierigere Phase, aber da haben wir uns aufgrund der Art und Weise, wie wir gespielt haben, rausgekämpft. Jetzt sind wir in allen Wettbewerben gut dabei. Wir müssen schauen, dass wir da wieder anknüpfen und uns die Automatismen, die wir hier bei Bayern speziell trainiert haben, schnell wieder ins Gedächtnis rufen. Das ist die Aufgabe bis zum Start in die zweite Saisonhälfte.“
Bekanntermaßen hast du mit vielen Spielern eine enge Bindung, schon aus der Jugendzeit. Wie würdest du insgesamt das Gefüge und den Spirit der Mannschaft beschreiben?
„Die Wochen vor der WM waren schon fulminant, da haben wir wie aus einem Guss gespielt. Da sieht man auch, dass sich die Chemie, die neben dem Platz top ist, auf unser Spiel überträgt. Das ist gar nicht auf spezielle Spieler beschränkt, es herrscht insgesamt in der Mannschaft ein richtig guter Spirit. Wir hoffen, dass wir da direkt wieder anknüpfen und als Initialzündung die Chemie von außen wieder auf den Platz übertragen können.“
Du sprichst den guten Lauf vor der WM an - wie wollt ihr diesen Flow nach der zweimonatigen Pause wieder aufnehmen?
„Indem wir hart arbeiten im Trainingslager. Wir packen morgens um 7:30 Uhr schon die Laufschuhe aus, das ist schon ein Weilchen her, dass wir das gemacht haben. Es gilt einfach, eine gute Grundlage zu schaffen, damit wir das Programm in der Rückrunde durchziehen können.“
Wie groß war die Freude, als es hieß: Morgens um 7:30 Uhr Lauftraining?
„Als Fußballer machst du natürlich lieber etwas mit dem Ball. Aber ich habe schon in der Vergangenheit im Trainingslager diese Art von Einheiten gemacht, und das hat mir immer gutgetan. Ich weiß, dass es sehr wichtig ist.“
Magst du die Vorbereitung oder bist du froh, wenn ihr wieder im normalen Spielrhythmus seid?
„Man will immer lieber spielen, das ist klar. Aber gerade in den vergangenen Jahren ist die Vorbereitung bei uns oft zu kurz gekommen, das sieht man auch an einigen Verletzungen. Die Möglichkeit, sich von einer Saison zu erholen und auf die neue vorzubereiten, war selten richtig da. Wir hatten jetzt die Möglichkeit, durchzuschnaufen. Das war mal wichtig.“
Mit dem Duell in Leipzig geht es direkt mit einem Topspiel wieder los. Wie groß ist die Vorfreude auf den Start?
„Groß! Es fühlt sich jetzt einfach gut an, das Bayern-Wappen wieder auf der Brust zu haben und sich hier auf unsere Ziele vorzubereiten. Wir freuen uns auf den Start.“
In der Bundesliga habt ihr vier Punkte Vorsprung. Wie groß ist der Hunger auf deine fünfte deutsche Meisterschaft?
„Es ist das Schönste, was es gibt, am Ende der Saison mit der Schale dazustehen und zu wissen, dass alle es Jahr für Jahr versuchen, uns da oben wegzubekommen. Der Titel ist natürlich auch in diesem Jahr wieder unser absolutes Ziel. Obwohl viele Leute sagen, dass es langweilig ist, können wir darauf keine Rücksicht nehmen. Das wird an unserer Motivation nichts verändern.“
Im Achtelfinale der Champions League geht es gegen Paris Saint-Germain. Was erwartest du von diesem Kracher-Duell?
„Paris ist einer der stärksten Gegner in Europa mit herausragenden Einzelspielern. Es wird ein super Duell. Die Champions League ist dafür da, dass solche Mannschaften aufeinandertreffen. Diese Paarung wäre auch ein schönes Endspiel gewesen. Am Ende des Tages brauchen wir uns vor niemandem zu verstecken und freuen uns auf das Duell. Es ist ein absolutes Highlight und wir werden bereit sein.“
Was muss in den nächsten Monaten passieren, damit du im Sommer 2023 zufrieden auf die Saison zurückblickst?
„Da sollten schon mehr Titel herausgesprungen sein als im vergangenen Jahr.“
Mit unserem Liveticker halten wir Euch über die Geschehnisse im Trainingslager des FC Bayern in Doha auf dem Laufenden:
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