Seit dem 18. November läuft die Serie „Gute Freunde“ über den FC Bayern der 60er und 70er auf der Plattform RTL+. Wir organisierten für Paul Breitner eine Zeitreise. Mit dem Schauspieler Jan-David Bürger sprach er über das zweite Ich, Parallelen zwischen Fußball und Film, Applaus und Wut.
Wir starten mit dem Paul Breitner der frühen Jahre aus den 70ern: Jan-David Bürger, wie haben Sie sich auf diese Rolle vorbereitet?
Jan-David Bürger: „Beim ersten Casting dachte ich mir: Ich werde durch diese Rolle besser im Schauspiel, dazu sportlicher – und ich lerne einen neuen Dialekt. Die Sprache war als Düsseldorfer meine größte Sorge: Erst habe ich mich über meine fränkische Mitbewohnerin herangetastet. Nach dem zweiten Casting habe ich mir einen gesucht, der richtig Bairisch spricht.“
Paul Breitner: „Dabei hab ich in der Öffentlichkeit nie so gesprochen wie daheim bei der Familie – oder auch mit dem Schiedsrichter auf dem Platz.“
Bürger: „Für mich war es dennoch eine Herausforderung. Ich habe dann als Erstes versucht, den Habitus für mich zu greifen. Dafür habe ich alle Videos im Internet zusammengeschnitten, zeitlich eingeordnet und mir in Dauerschleife reingezogen. Inzwischen kann ich die meisten Interviews mitsprechen.“
„Erst ist es unwirklich, aber ab der vierten, fünften Szene sagte ich mir dann: Das bin ich! Zumindest zu 85 Prozent, was großartig ist.”
Paul Breitner
Herr Breitner, ist es unheimlich, wenn man so studiert wird?
Breitner: „Das ist professionell. Als ich die Serie gesehen habe, habe ich bei meiner Figur genau hingeschaut. Erst ist es unwirklich, aber ab der vierten, fünften Szene sagte ich mir dann: Das bin ich! Zumindest zu 85 Prozent, was großartig ist.“
Bürger: „Vom fußballerischen Talent her war ich der Schlechteste. Also habe ich auch da alles gegeben. Wir haben viel trainiert. Wichtig war, selbstbewusst rüberzukommen, als wüsste ich, was ich tue. Ich brauchte die Körperhaltung von jemandem, der unbedingt gewinnen will, egal, was passiert.“
Breitner: „Die Fußballszenen sind sehr gut gemacht, denn es kann auch ganz schlimm aussehen, wenn irgendein Model oder Schauspieler einen Sportler imitiert.“
Bürger: „Am Anfang habe ich acht Kilo abgenommen. Ich habe einen guten Stoffwechsel, Zucker verringern, ausgewogen essen, dann passt es. Es ging mir dabei gar nicht so sehr ums Körperliche, sondern mehr um die Einstellung: Du hast ein Ziel, du willst der Beste sein, und das funktioniert dann plötzlich. Das überträgt sich von der Rolle – und umgekehrt.“
Die äußere Ähnlichkeit ist frappierend.
Bürger: „Die Maske dauert eine Stunde, das Abschminken geht etwas schneller. Ich habe das zum Ritual gemacht, um in die Rolle einzutauchen oder sie wieder loszulassen.“
Breitner: „Was mir so gefällt, ist die Detailtreue! Die Perücke ist exakt der Zeitraum 1970 bis 1972, als die Serie meine Figur im Zentrum hat. Hier der Scheitel bei Jan-David: perfekt! Die Frisur hat zu mir gepasst. Mir war immer klar, dass ich anders bin, dass ich anders sein will.“
Dieses Anders-sein-Wollen … Wie adaptiert man das?
Bürger: „Das sind manchmal Kleinigkeiten. Wenn beim Teamfoto oder auch auf dem Filmplakat alle zusammenstehen, stehe ich mit verschränkten Armen daneben – so sieht man Paul auch auf einigen offiziellen Bildern.“
Breitner: „Soweit ich mich erinnere, war das nur ein-, zweimal der Fall. Aber das waren Situationen, in denen ich klarmachen wollte: Bis hierher und nicht weiter! Ihr verfügt nicht über mich, kein Präsident, kein Manager.“
Bürger: „Hätte ich die Wahl gehabt, hätte ich mich wahrscheinlich nicht getraut, ihn zu spielen. Ich bin im Alltag eher der genügsame, verträgliche Charakter und zähle im Freundeskreis nicht zu den Alphatieren. Aber ich habe eine Entwicklung zurückgelegt, bin konfrontativer geworden, nicht mehr so konfliktscheu. Durch die Figur Paul Breitner habe ich gemerkt: Es ist gar nicht so schwer, was auszutragen – und es steht dir auch was zu! Leicht reizbar zu sein, kann förderlich sein, habe ich gelernt, und genauso ist Wut ein guter Antrieb, wenn du etwas erreichen willst.“
„Die Frisur hat zu mir gepasst. Mir war immer klar, dass ich anders bin, dass ich anders sein will.”
Paul Breitner
Herr Breitner, war Wut für Sie ein Antrieb?
Breitner: „Mich hat in erster Linie angetrieben, was mir meine Eltern, meine ganze Familie, mitgegeben haben: Hinterfrage alles – und lass dir nichts gefallen! Wenn du eine Meinung hast, steh dazu. Geh deinen Weg, volles Risiko, denn dann lernst du auch. Ich war der Erste in der Bundesliga, der nicht immer Ja und Amen gesagt hat. Ich hatte meine Ideale, auf dem Platz, im sozialen und politischen Bereich. Damals habe ich schnell gelernt, dass ich mir ein zweites Ich für die Öffentlichkeit aufbauen muss, das nichts mit dem Ich zu tun hatte, wenn ich zu Hause war. Das hat mir oft über schwierige Momente hinweggeholfen, gerade dann, wenn mal wieder ein ganzes Stadion gegen mich war. Ihr schafft es nicht, dass ich untergehe, sagte ich mir oft. Mein Vorsatz war: Ich möchte irgendwann aufhören und nicht greifbar gewesen sein. Ich wollte nicht, dass mich jemand in der Öffentlichkeit so zu fassen kriegt, wie ich wirklich bin. Denn das geht niemanden etwas an.“
Jan-David, Sie haben gerade eifrig zustimmend genickt …
Bürger: „Weil ich dieses zweite Ich als Schutz in der Öffentlichkeit nachvollziehen kann – und wie es hilft, sich gegen Widerstand durchzusetzen. Genauso einen Effekt habe ich bei dieser Rolle auch gemerkt. Wie Uli Hoeneß und Paul Breitner damals den deutschen Fußball in so jungen Jahren aufgemischt haben, ist sowieso eine ganz eigene Geschichte. Die kamen an und sagten: So läuft der Hase! Ich denke, es braucht dominante Menschen in dieser Welt, weil das die sind, die Verantwortung übernehmen und die für andere einstehen.“
Herr Breitner sagte vorhin, es sei oft schwierig, wenn Schauspieler Fußball spielen. Jan-David, Sie können den Spieß umdrehen: Haben Sie den 70er-Jahre-Western „Potato Fritz“ gesehen?
Bürger (lacht): „Leider nicht komplett. Daher kann ich da kein Urteil fällen. Vom Typ her passt Paul Breitner zu der Rolle absolut. Mich hat irritiert, dass er mit einer fremden Stimme synchronisiert wurde.“
Breitner: „Im Englischen habe ich original gesprochen, die Zeilen werde ich ewig in Erinnerung behalten. Damals haben die Leute in Deutschland gesagt, jetzt spinnt der Breitner völlig – aber es war ein Freundschaftsdienst. Als Hardy Krüger und Regisseur Peter Schamoni einen US-Kavalleristen aus dem 19. Jahrhundert gesucht haben, sahen sie ein Foto und sagten: Der schaut aus wie der Paul! Da haben sie mich gefragt. Zur Synchronisation kann ich sagen: Es ist komisch, hier seinem Ich mit Anfang 20 gegenüberzusitzen – aber sich mit einer fremden Stimme reden zu hören, das ist gespenstisch.“
Gibt es eigentlich Parallelen zwischen Fußball und Schauspiel?
Bürger: „Sehr viele. Nehmen wir die Trainerperspektive: Ein Regisseur muss genauso ein Team anleiten, man muss die gleiche Vision teilen. Man hat ein gemeinsames Ziel und man will unterhalten. Aus der Perspektive des Schauspielers: Du hast immer was zu verlieren – und etwas, was du erreichen willst, gemeinsam mit den anderen Mitspielern.“
Was bedeutet Ihnen beiden Applaus?
Breitner: „Für mich bedeutet Applaus in erster Linie, dass ich den Zuschauern etwas geboten habe. Bei mir war es auswärts oft so, dass ich für 50.000 der Buhmann war. Als wir uns warm machten, bin ich oft demonstrativ an den Mittelkreis, unter Pfiffen: Euch werde ich es zeigen – heute spiele ich noch besser, als ich eigentlich wollte! Und wenn so nach 20, 25 Minuten die Ersten umschwenkten und zu klatschen begannen, hatte ich es mal wieder geschafft. Applaus an sich habe ich für meine Leistung nie gebraucht. Wenn ich heute höre, dass jemand die Unterstützung der Zuschauer braucht, damit er Leistung bringt, sage ich: Der ist im falschen Job! Ich muss unter der Woche täglich am Trainingsplatz an mir arbeiten, damit ich am Spieltag die Menschen von mir überzeuge, dass sie mich unterstützen.“
Bürger: „Du bist in einem Dialog mit dem Publikum. Applaus kann einen beflügeln – und er kann süchtig machen, aber da muss man vorsichtig sein …“
Breitner: „… ich wusste immer: Schon morgen kann ich wieder ausgepfiffen werden. Applaus ist Bestätigung, Belohnung – und immer ein Antrieb.“
Bürger: „Im Stadion wie im Theatersaal: Wenn da eine Lüge ist, etwas nicht echt wirkt oder zu oberflächlich, wenn das Publikum merkt, da stimmt was nicht, bekommst du die Quittung. Ich denke, Pfiffe im Stadion können auch etwas Positives sein, dass man sich sagt: Okay, ich muss etwas an mir ändern, das mache ich jetzt! Fast schade ist es in meinen Augen manchmal, dass im Theater keine Tomaten mehr geworfen werden (lacht).“
Breitner: „Spielern, die behaupten, sie würden nicht hören, was im Stadion passiert, glaube ich das nicht. In der Allianz Arena hörst du jeden – auch den, der am obersten Rang rumschreit. Im Olympiastadion war es auch so.“
Bürger: „Ich kann mir vorstellen, dass dieses ,Jetzt zeige ich es euch‘ auch immer ein Versprechen von dir an die Zuschauer war. Man spürt die Energie zwischen dir und der Menge.“
„Hinterfrage alles – und lass dir nichts gefallen! Wenn du eine Meinung hast, steh dazu. Geh deinen Weg, volles Risiko, denn dann lernst du auch.”
Paul Breitner
Wie viel Energie haben Sie gespürt, als Sie die Serie angeschaut haben?
Breitner: „Ich sagte vorher, es kann sein, dass ich nach fünf Minuten aufstehe, weil es Blödsinn ist. Aber ich habe mir mit meiner Frau alles am Stück angeschaut. Wir waren begeistert. Meine Frau sagte bei einer Szene: ,Schau, die, die mich darstellt, trägt genau den Rock, den ich damals hatte.‘ Es ist alles super recherchiert.“
Jan-David, wofür steht Paul Breitner?
Breitner: „Stopp – die Frage ist nicht fair, die sollte er nicht beantworten müssen …“
Bürger: „… ich kann aber sagen, was er für mich bedeutet. Er markiert ein wichtiges Kapitel in meiner schauspielerischen Entwicklung. Viele Jahre bin ich gescheitert und habe auch teilweise nicht gut gearbeitet. Chancen sind verloren gegangen, weil ich nicht bereit war, weil ich noch nicht wusste, was ich tue, und überfordert war. Jetzt bin ich durch jahrelange Arbeit an einen Punkt gekommen, an dem ich das sich auftuende Glück nutzen kann. Paul ist eine Inspiration für mich: Ich habe durch seine Persönlichkeit enorm viel gelernt.“
Waren Sie Bayern-Fan – oder sind Sie es jetzt geworden?
Bürger: „In der Grundschule war ich Bayern-Fan, dann habe ich Fußball eine Zeit nicht mehr so verfolgt. Aber insgesamt interessiert mich der FC Bayern am meisten … Vielleicht klingt es blöd: aber ich glaube, hauptsächlich weil die Bayern halt immer gewinnen.“
Breitner: „Also für mich klingt das gar nicht blöd. Im Gegenteil: Das ist doch ein super Argument. Ich gewinne gern.“
Mehr Infos über Schauspieler Jan-David Bürger gibt es HIER.
„Gute Freunde – Der Aufstieg des FC Bayern“ ist eine UFA Fiction-Produktion und ab Samstag, den 18. November, bei RTL+ streambar und am Mittwoch, den 22. November bei RTL zu sehen.
Hier geht es zur November-Ausgabe des FC Bayern-Mitgliedermagazins „51“:
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