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Michael Brehe

Marathonläufer Michael Brehe - Die Kraft des Trikots

Weil er unbedingt im Olympiastadion laufen wollte, meldete sich ein Bayern-Fan vor 20 Jahren bei einem Marathon an. Seitdem läuft er. Und läuft. Und läuft. 258 Marathons und Ultramarathons. Immer im roten Trikot. Von seinem Herzensverein hat er viel über die Kraft des Willens und die Magie großer Ziele gelernt.

Michael Brehe sagt, er laufe nicht, um aufzufallen, und das glaubt man ihm auch. Aber man kann nicht sagen, dass ihm das besonders gut gelingt, auch nicht an diesem kalten Dezembermorgen an einem See am Stadtrand von Osnabrück. Er selbst hat an diesem Tag zum zehnten und letzten Rubbenbruchsee-Marathon eingeladen. 60 Menschen in teils kunterbunter Laufkleidung sind gekommen, um bei sieben Grad 42,195 Kilometer zu laufen, neun Runden um den See: jüngere und ältere Läufer, größere und kleinere, schnellere und langsamere, manch einer humpelt leicht. Aber Michael Brehe ist größer und drahtiger als die meisten. Wenn er läuft, dann ist sein Rücken leicht gekrümmt und sein Kopf nach vorne gebeugt, als würde sich sein Körper schon beim Start dem Ziel entgegenstrecken. Er wirkt dann fokussierter, auch entschlossener als die meisten. Seine Beine und Arme sind länger als die der meisten, und das gilt auch für seine grauen Haare, die ihm bis über die Schultern reichen und nur mit einem dünnen rot-weißen Stirnband fixiert sind. Sie wehen beim Laufen im Wind, und er sieht dann schneller aus als die meisten, auch wenn er das gar nicht ist. Aber das Auffälligste ist wohl, dass er von Kopf bis Fuß in den Farben des FC Bayern gekleidet ist: rotes Trikot, kurze rote Hose, rote Handschuhe, rote Socken, rote Schuhe.

Und er hat natürlich ein rotes Herz.

Michael Brehe
Michael Brehe organisierte im Dezember den zehnten Rubbenbruchsee-Marathon und lief natürlich im FC Bayern-Trikot. Foto: Victoria Jung.

Michael Brehe, 63 Jahre alt und von Beruf Programmierer, nennt sich selbst einen „0815-Freizeitläufer“, aber das ist klar untertrieben. Seit 20 Jahren läuft er Marathon und Ultramarathon, zuletzt um die 20-mal pro Jahr, dies ist sein 258. Lauf. Es ist sein Hobby, aber er verfolgt es mit einer solchen Hingabe und Zielstrebigkeit, dass man nur staunen kann, wie er das alles schafft, körperlich wie mental. Wie er sich immer wieder überwindet, mal 42 Kilometer, mal 238 Kilometer am Stück zu laufen, mal in Osnabrück, mal in Tokio oder der Wüste Gobi. Ohne Hinschmeißen, Abbrechen, Verrücktwerden.

Auch vor dem Rubbenbruchsee-Marathon hätte Brehe Gründe genug, nicht anzutreten. Er ist seit fünf Uhr auf den Beinen. Erst ist er die Strecke abgeradelt und hat alle Wegweiser angebracht. Dann hat er mit seiner Familie zwei Pavillons aufgebaut, den Computer für die Zeitnahme hergerichtet und die Verpflegung herangeschafft: warmen Tee und Cola, Wasser und Malzgetränke, Gummibärchen, Datteln, Lebkuchen und Lakritzschnecken. Schnellen Zucker für die schnelle Runde, bereitgestellt auf zwei Klapptischen am Streckenrand. Schon seit Tagen zwickt es Brehe von der Schlepperei im Rücken, aber er kann nicht nicht laufen, schon gar nicht bei einem Marathon, den er selbst veranstaltet. Und wenn er läuft, kann er auch nicht nicht im Ziel ankommen. In seinem ganzen Leben hat er nur einen Lauf abgebrochen (Zehenverletzung), und nur einmal ist er nicht angetreten (Lungenentzündung). Heute ist kein solcher Tag. „Wenn er nicht tot umfällt, kommt er heute auch ins Ziel“, sagt seine Tochter, und sie wird recht behalten.

„Bayern, Bayern“-Rufe an der Strecke

Rubbenbruchsee-Marathon
Verpflegung am Streckenrand des Rubbenbruchsee-Marathon - natürlich mit dabei: Der FC Bayern! Foto: Victoria Jung.

Mit seinen Abenteuern hat es Brehe zu einer gewissen Bekanntheit im Zirkus der Freizeitläufer gebracht, und natürlich auch mit der Wahl seiner Uniform. Das Trikot wirkt nach außen, stellenweise wird Brehe angefeuert wie ein Bayern-Spieler: Oft euphorisch, mit „Bayern“- oder „Schweinsteiger“-Rufen, und das auf der ganzen Welt. Selten stößt er aber auch auf Ablehnung. In Bremen beispielsweise zog ihm mal ein Wasserträger den Becher weg: „Scheiß Bayern kriegen kein Wasser“, schallte es ihm entgegen. Das ärgert ihn heute noch. Und so wirkt das Trikot auch nach innen, weil es Brehe in den Wettkampfmodus versetzt. „Wenn ich das anziehe, weiß ich: Demnächst wird es wieder anstrengend“, sagt er. Es ist auch – wenngleich ihm natürlich klar ist, dass er nicht wirklich für den FC Bayern läuft – ein Ansporn, einen vernünftigen Auftritt hinzulegen. Keinesfalls will er darin „aussehen wie so ein Abloser“.

Bayern-Fan ist Michael Brehe seit seiner Geburt. Warum genau, ist nicht mehr zu ermitteln. Sein Vater ist früh gestorben, also muss die Mutter dahinterstecken, dass sich der Bursche aus Osnabrück irgendwann für die Roten aus dem Süden begeisterte. Bekannt ist nur, dass diese Begeisterung bis heute anhält; dass Brehe 1983 offiziell Mitglied im Verein geworden ist; dass er all seine Kinder und Enkelkinder zur Geburt im Verein angemeldet hat; und dass er seit 1982 jedes Europapokal-Finale mit Münchner Beteiligung besucht hat. Fragt man ihn nach seinen Erlebnissen als Fan, beamt er einen zurück in eine andere Zeit. Er erzählt dann, wie er 1981 zwei Tickets für ein Halbfinal-Spiel gegen den FC Liverpool gekauft hatte, Haupttribüne, für 45 Mark. Weil er aber keinen Mitfahrer fand, ging er in München zur Säbener Straße und verkaufte dem FC Bayern die Karte zurück. Er erzählt auch, wie er als junger Typ vor dem Olympiastadion erst durchs Gebüsch kroch und dann über den Zaun geklettert ist, weil er keine Karte für das Derby gegen 1860 bekommen hatte. Er sei dann aber sofort gefangen und wieder nach draußen transportiert worden. Mehr als eine Narbe an der Hand habe er von dem Spiel nicht mitgenommen. Brehe erinnert sich auch an das Europapokal-Finale 1987 gegen den FC Porto, das nach zwei späten Gegentoren verloren ging. Danach habe er sich kurz überlegt, für immer in der Donau baden zu gehen. Er raffte sich wieder auf, und so erlebte er auch das Finale in Wembley 2013 gegen den BVB mit seinem Sohn.

Durchs Marathontor im Olympiastadion

Michael Brehe FC Bayern
Seit jeher ist Michael Brehe mit Haut und Haaren Bayern-Fan. Foto: Victoria Jung.

Das Laufen dagegen kam erst spät über ihn. 2003, Brehe war da schon 42 Jahre alt, erzählte ihm ein Freund aus München von einem Marathon in der Stadt. Brehe machte damals überhaupt keinen Sport – und Laufen, das konnte er eigentlich nie so richtig leiden. Aber irgendwie fand er die Idee interessant, dass man eine Finisher-Medaille bekommt, und dass der Marathon im Münchner Olympiastadion enden würde, damals noch Heimspielstätte des FC Bayern. „Da kommst du ja sonst nicht rein“, habe er damals gedacht. Und die stundenlange Rennerei davor? Schreckte ihn nicht ab: „Irgendwie war ich mir
sicher: Wenn ich das will, dann kann ich das!“

Zurück in Osnabrück machte er einen Probelauf, fünf
Kilometer um den Block, dafür brauchte er 30 Minuten. Er rechnete, rundete großzügig zu seinen Gunsten und stellte fest: Den Marathon könnte er dann in weniger als vier Stunden packen. Das Ziel war gesteckt.

Brehe ist einer, der solche konkreten Ziele braucht. Einfach nur joggen, das wäre nichts für ihn. Dann würde er vielleicht auch mal auf der Couch sitzen bleiben, wenn es draußen regnet oder stürmt. Aber wenn er weiß, in vier Wochen steht der nächste Lauf an, dann hat er keine Wahl, dann muss er trainieren, weil er dann ja unbedingt ins Ziel kommen muss.

Als sein erster Marathon kurz bevorstand, fehlte ihm nur noch das richtige Dress. „Ich hatte ja keine Laufklamotten“, sagt er, aber ein Bayern-Trikot, das hatte er schon, rot mit weißen Ärmeln, ohne Namen und Nummer hinten drauf, vermutlich ein Weihnachtsgeschenk. Halb aus Sparsamkeit, halb aus Überzeugung wählte er das Trikot als Rennuniform: „Ich bin Bayern-Fan, der Lauf ist in München, ich dachte, das passt.“

Und dann ist das Ganze irgendwie eskaliert. Das mit dem Laufen, und auch das mit dem Trikot. Auf dem Marienplatz überholte Brehe einen Läufer im 1860-Trikot. Er quälte sich die letzten Meter durch den Englischen Garten und schaffte es bis ins Olympiastadion, nach 3 Stunden und 54 Minuten lief er durchs Ziel. Anstrengend sei das schon gewesen, sagt Brehe heute, aber das scheint ihn nicht nachhaltig gestört zu haben. Zumindest ist die Freude nach dem Lauf um ein Vielfaches größer.

Michael Brehe
Geschafft! Michael Brehe erreichte auch beim Rubbenbruchsee-Marathon das Ziel. Foto: Victoria Jung.

Seitdem passiert es ihm auch immer wieder in der Euphorie nach solch einem Lauf, dass er sich gleich für den nächsten anmeldet. Dann kurz feststellt, dass das wieder richtig mühsam werden wird. Und dann einfach durchzieht, bis er völlig entkräftet irgendwo auf der Welt in irgendein Ziel fällt. In den Jahren nach München läuft er erst drei, dann acht, dann bald zehn und mehr Marathons und Ultramarathons im Jahr. Er versinkt bis zur Hüfte in einem Sumpf im Amazonas. Er verliert in der Antarktis wertvolle Sekunden, weil Pinguine seinen Weg kreuzen. Und er läuft mit Eiswürfeln unter der Mütze bei 50 Grad durchs Death Valley. Laufend entdeckt er die Welt und sieht Orte, an die er ohne das Laufen nie gekommen wäre.

Ihm ist bewusst, sagt Brehe, dass das ganze Gerenne schon auch ein bisschen bescheuert ist. Und oft auch stinklangweilig. Auch er hat oft keine Lust, wenn es kalt ist und dunkel und er sich nicht gut fühlt. Aber er schafft es dann, sich durch die Täler zu kämpfen, indem er sich neue Ziele setzt, die in diesem Moment erreichbar sind. Fixpunkte, auf die er sich konzentrieren kann. Weiterlaufen, bis die Sonne aufgeht, zum Beispiel. Man muss sich nur überwinden, sagt er, dann kommen auch wieder Phasen, in denen man sich freut, weil alles wie von allein geht und man an einem wunderschönen Ort
laufen darf. Und nach dem Laufen, auch das weiß er, fühlt er sich immer besser als davor. Weiter, immer weiter – so lautet einer der legendären Bayern-Schlachtrufe. Ein anderer großer Philosoph, Albert Camus, formulierte es so: „Der Kampf gegen Gipfel vermag ein Menschenherz auszufüllen.“ 

Der Rubbenbruchsee-Marathon ist in dieser Hinsicht eine überschaubare Herausforderung für ihn. Aber eine Zeit unter vier Stunden soll es dann schon werden. Während sich an der Spitze ein Duo einen harten Kampf um Platz eins liefert, während sich im Ziel einige Familien und Fans mit Musikbox und Schildern zum Anfeuern in Position bringen, dreht Brehe stoisch und trotz Rückenschmerzen seine Runden. Am Ende kommt er als 13. ins Ziel, aber die Platzierung ist ihm egal. Er läuft nur gegen sich selber und gegen die Zeit: Drei Stunden und 54 Minuten braucht er am Ende für den Marathon um den See. Auf die Minute genauso lange wie bei seinem ersten Marathon vor 20 Jahren in München.

Die Reportage über Michael Brehe ist in der aktuellen Ausgabe des Mitgliedermagazins 51 erschienen:

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