Der brasilianische Rechtsverteidiger verließ 2019 München nach acht Jahren mit vielen Titeln und noch mehr Freundschaften. Damals wie heute beim FC Sao Paulo wird er geschätzt als Emotional Leader auf dem Platz und in der Kabine.
Der Europäische Supercup gehört nicht zu den begehrtesten Trophäen im Weltfußball. Trotzdem war das Supercup-Finale 2013 gegen Chelsea ein Meilenstein in der jüngeren Geschichte des FC Bayern. An diesem Augustabend gelang die Revanche gegen die Blues für das verlorene „Finale dahoam“. Bayern-Fans beschreiben die Stimmung in Prag als ekstatisch. Zudem war es für Pep Guardiola der erste Titel beim FC Bayern. Und: In jenem Spiel beorderte Guardiola erstmals Philip Lahm ins Mittelfeld. Eine wegweisende Entscheidung für den deutschen Fußball. Hinten rechts spielte bei den Roten nun der Brasilianer Márcio Rafael Ferreira de Souza – seit seiner Kindheit bekannt als Rafinha. „Pep wollte halt Platz für mich schaffen“, erinnert sich „Rafaelchen“ ein Jahrzehnt später in Sao Paulo an diese Umstellung – und meint das ziemlich ernst. Acht Jahre spielte Rafinha in München, 266-mal kam er zum Einsatz, gewann sieben Meisterschaften, viermal den Pokal und die Champions League 2013.
Stolz erinnert der 38-Jährige an die Erfolge. Dann schnappt er sich zufrieden sein viersaitiges Banjo und spielt mit einem Grinsen ein paar Takte Samba.
Rafinha hat es mit seiner selbstbewussten, forschen und sympathischen Art weiter gebracht als es mancher von ihm erwartet hat. In seiner Wohnung gleich gegenüber vom Trainingsgelände seines heutigen Arbeitgebers FC Sao Paulo stehen Repliken der Trophäen von Champions League, Weltpokal und Copa Libertadores. Nur acht Profis überhaupt konnten diese drei größten Titel des Vereinsfußballs gewinnen. Rafinha gehört zu diesem sehr exklusiven Club.
Dabei war sein Start in München alles andere als einfach. 2011 kam er aus Genua und erlebte eine dramatische Saison, in der alle Titel schmerzhaft knapp verpasst wurden. „Wir haben alles verloren. Meisterschaft, Pokal, Champions League – einfach alles.“ Nie wieder habe er München so trist erlebt wie nach der Champions League-Finalniederlage 2012. „Wie eine Beerdigung“, sagt er auf Deutsch. „Niemand war auf der Straße! Tagelang Trauer pur.“
Danach lastete ein immenser Druck auf der Mannschaft, erzählt Rafinha. Manche Mitspieler hatten nach 2010 bereits das zweite Champions League-Finale verloren. Und Neuzugänge wie Rafinha wurden von den Medien kritisiert. Der Rechtsverteidiger hatte sogar ein schlechtes Gewissen, dass er sich nach seinem Wechsel nach München für die Unglückszahl 13 als Trikotnummer entschieden hatte. „Mir hat niemand Vorwürfe gemacht. Aber wir hatten nun mal alles verloren, und ich bin abergläubisch. Ich habe alles hinterfragt.“
Glückszahl 13
In der Folgesaison aber ging es steil bergauf. Rafinha beschreibt Trainer Jupp Heynckes und besonders dessen Assistenten Peter Hermann als Motor der Motivation 2012/13. „Peter Hermann ist ein ganz besonderer Kerl. Er und Hermann Gerland standen kaum im Rampenlicht, aber sie waren so unglaublich wichtig für uns! Klar, wer spielt, ist gut drauf, für den läuft es. Aber wer nie spielt, kommt auch mal angefressen zum Training. Und da haben die beiden immer dazu beitragen, dass man sich wohlfühlt.“
Die Spieler der zweiten Reihe hätten gerade deshalb bedingungslos für den Erfolg mitgearbeitet. „Und das Trainerteam wusste, dass sie sich vollends auf uns verlassen konnten.“ 2013 wurde Bayerns und Rafinhas Glücksjahr. Nach drei Vizemeisterschaften (zwei in seinen fünf Jahren zuvor beim FC Schalke) gewann er mit der 13 auf dem Rücken seine ersten Titel überhaupt. „Und eine Woche vor dem Champions League-Finale kam meine Tochter zur Welt“, strahlt der jung gebliebene Rafinha, der inzwischen vierfacher Vater ist. Die 13 hat er bis heute fast immer getragen.
Nach dem Triple verabschiedete sich Heynckes und unter Guardiola brach mit dem Sieg gegen Chelsea eine neue Ära an. „Unter Pep habe ich viel gespielt, über 120 Spiele in drei Jahren“, erinnert sich Rafinha an seinen Förderer. Das Team glich einer Maschine, Punkterekorde wurden gebrochen, Guardiolas Ballbesitzfußball galt als kaum besiegbar. „In der Halbzeit habe ich Gegner gehört, die sich wünschten, dass das Spiel schon zu Ende wäre.“
Wenn samstags gewonnen wurde – also fast immer – gab es am Tag darauf ein gemeinsames Mittagessen, erzählt Rafinha. Mit Dante wurde dann musiziert. „Thomas Müller wünschte sich immer, dass ich diesen brasilianischen Superhit ‚Ai Se Eu Te Pego!‘ spiele.“ Auch mit den anderen Landsleuten Luiz Gustavo, Thiago Alcantara und Douglas Costa habe es regelmäßig Samba-Runden gegeben. „Geselligkeit ist für uns Brasilianer einfach wichtig.“
Auch hier in Sao Paulo ist es bei Rafinha zu Hause sehr lebendig. Die Familie sitzt vor dem TV, dazu quiekt der Zwergspitz Mingo, und das Spielzeugauto der kleinsten Tochter tutet in Dauerschleife. Aber Rafinha gibt den Ton an und greift noch mal zum Banjo. „Ich kann aber nur den Refrain“, entschuldigt er sich, bevor er in einer Samba-Version „Stern des Südens“ klampft und mitsingt: „Weil wir in guten wie in schlechten Zeiten zueinander steh’n …“
In seiner Münchner Zeit habe er auch bei sich daheim Abendessen organisiert. „Kleine oder große Partys“, wie er sagt, die zum Teambuildung beitragen. „Und darin bin ich sehr gut. Ich bin immer ein Spieler gewesen, dem die Stimmung in der Mannschaft wichtig ist. Wenn in der Kabine Harmonie herrscht, kann man wirklich Großes erreichen.“ Im Laufe der Jahre wurde Rafinha so eine wichtige Figur in der Bayern-Kabine.
„Als ich mein Profidebüt bei Coritiba hatte, hörte ich von meinem Trainer Antonio Lopez erstmals etwas von Führungsqualitäten: ‚Du bist zwar erst 18, aber wenn du sprichst, hören dir alle zu‘, hat er gesagt. Schon vorher als Kind beim Futsal war ich immer Kapitän und habe gern zur Gruppe gesprochen. Aber völlig ungezwungen.“ In Deutschland habe er noch Disziplin gelernt.
Einer der ersten Taktik-YouTuber
Die Medien interessierten sich lange Zeit weder in der brasilianischen Heimat noch in Deutschland besonders für den Außenverteidiger. Aber der 1,72 Meter große Rafael hatte Redebedarf und setzte, in Deutschland angekommen, einen Youtube-Kanal auf: @Rafinha18deSouza, ein Account, der nicht einmal 150 Abonnenten erreichte. Jahrelang gab es dort keinen Jux oder Luxus aus dem Privatleben, sondern von seinem Bruder gefilmte präzise Interviews zu aktuellen Gegnern. „Ich war immer beides: Wenn es ums Feiern ging, war ich der Erste. Aber wenn ich an der Säbener Straße durch die Tür bin, habe ich mich immer absolut professionell verhalten.“ Das Training sei höchstes Niveau gewesen, „besser als viele Spiele in der Bundesliga“. Auf Rechts habe er dann meistens gegen Ribéry verteidigt. „Das war schon ziemlich hart. Franck und auch Kingsley Coman habe ich als die besten Gegenspieler überhaupt in Erinnerung.“
Rafinhas Standing innerhalb der Mannschaft wurde auf seiner Abschiedspressekonferenz vor dem letzten Spieltag der Saison 2018/19 deutlich. Überraschend begleitete ihn eine Reihe Mitspieler in den Presseraum, darunter Neuer, der schluchzende Ribéry und Javi Martínez. „Das war vielleicht einer der schönsten Momente bei den Bayern“, erinnert er sich mit Gänsehaut. „Unter so vielen Stars – und ich gehörte natürlich zu den kleineren Sternchen – ist es etwas ganz Besonderes, so viel Respekt und Liebe zu erfahren.“
Rafinha besitzt weiterhin ein Haus im Münchner Süden, auch um seine Beziehung zur Stadt aufrechtzuerhalten. Kurz nach dem Saisonende mit dem FC Sao Paulo reiste er in die alte Heimat und freute sich riesig auf Glühwein und heiße Maroni auf dem Marienplatz.
Nach der Rückkehr nach Südamerika wollte es Rafinha „locker angehen lassen. Mir war wichtig, dass mich die Brasilianer überhaupt mal spielen sehen.“ Rafinha wechselte zum beliebtesten Club des Landes, Flamengo Rio de Janeiro, und gewann prompt wenige Monate später die Copa Libertadores, die südamerikanische Champions League. „Die Libertadores zu gewinnen, ist viel schwieriger“, meint Rafinha – etwa wegen der strapaziösen Reisen und der wilden Fans. „Ich habe damals erst verstanden, was dieser Pokal für die Südamerikaner bedeutet. Millionen Fans haben uns auf der Straße in Rio empfangen!“ Auf den Libertadores-Titel 2019 folgten zwei Meistertitel und weitere Trophäen. Für Flamengo die erfolgreichste Zeit seit Jahrzehnten. „Ich hätte nicht gedacht, dass ich nach meiner Zeit in München noch so viel gewinnen würde.“
Es ging sogar noch weiter: 2021 wechselt Rafinha noch mal nach Europa zu Olympiakos Piräus. Seit 2022 spielt er beim FC Sao Paulo. Und startete wieder mit zwei schmerzhaften Finalniederlagen bei einem neuen Verein. Vor der neuen Saison sprach er als Kapitän zur Mannschaft, berichtete auch von den Finalniederlagen in München. „Bei der ersten Besprechung habe ich den Jungs gesagt: ‚Kopf hoch! Der Erfolg wird kommen, wenn wir weiter hart arbeiten!‘“ Und so kam es: Im September 2023 reckte Rafinha als Kapitän der Rot-Weiß-Schwarzen den brasilianischen Pokal in die Höhe.
Fast 100 Spiele hat er in den letzten zwei Jahren gemacht. Er lege Wert auf guten Schlaf, verbringe viel Zeit mit dem Physioteam und einem persönlichen Fitnesscoach. „Massagen, Regeneration – darauf achte ich.“ Er gehört immer noch zu den besten Außenverteidigern der Liga. „Ich hab das Gefühl, dass ich noch überall spielen könnte.“ Am liebsten, sagt er, würde er noch einmal im roten Trikot auflaufen. Aber, betont er: „Ein Pflichtspiel! Und dann ‚Danke‘ und ‚Tschüss‘! Äh, ‚Servus‘.“
Die Reportage über Rafinha ist in der aktuellen Ausgabe des Mitgliedermagazins 51 erschienen:
Rafinha war ein wichtiger Bestandteil der Generation Wembley - jetzt die sechsteilige Doku mit FC Bayern TV PLUS schauen: