Alles Gute, Fußballgott! Bastian Schweinsteiger feiert am 1. August seinen 40. Geburtstag. fcbayern.com gratuliert ganz herzlich und blickt auf unvergessliche Momente unserer ehemaligen Nummer 31 zurück.
Der große Bastian Schweinsteiger macht sich gerne klein. Es läuft die 11. Minute des Champions League-Finales 2013 in Wembley: Borussia Dortmund gegen den FC Bayern München. Die Bayern stehen unter Druck wie noch nie zuvor in dieser Saison, agieren hastig und unsicher. Dortmund spielt seinen typischen Überfallfußball, erobert viele zweite Bälle, schaltet blitzschnell um, kommt zu Torchancen. Philipp Lahm köpft einen weiten Abschlag des Dortmunder Torwarts Roman Weidenfeller etwas unkontrolliert zurück ins Mittelfeld. Schweinsteiger läuft dem Ball entgegen, geht bei der Annahme tief in die Knie, verlagert den Körperschwerpunkt nach unten, dreht sich mit einer Halbpirouette nach rechts gegen die Spielrichtung und lässt so drei pressende Dortmunder Spieler ins Leere laufen. Dann spielt er einen flachen Pass zurück auf Dante und ermöglicht so, fast zum ersten Mal in diesem Match, einen geordneten Spielaufbau.
Es ist eine unspektakuläre Szene. Sie führt zu keinem Tor und keiner Torchance, wird nicht in den audiovisuellen und verbalen Best-of-Wiedergaben auf YouTube oder in der Kneipe auftauchen. Und doch dreht Bastian Schweinsteiger mit dieser für ihn so typischen geduckten Halbpirouette (und einigen weiteren, die noch folgen werden) das Match. Die Bayern winden sich aus dem Dortmunder Klammergriff, finden zu ihrem kontrollierten, ruhigen Stil und werden dominanter. „Nach 20 Minuten haben wir das Spiel in die Hand genommen“, wird Bastian Schweinsteiger später sagen. „Ich hatte nie den Gedanken, dass es wieder schiefgehen könnte.“
Wendepunkte in Spiel und Leben
Aus diesen Sätzen sprechen die Erfahrung und das Selbstvertrauen einer langen Laufbahn. Geboren wird Schweinsteiger 1984. Er wächst im oberbayerischen Oberaudorf auf. Auf alten Videoaufnahmen sieht man ihn schon als Knirps seine typischen Halbpirouetten vollführen. Er ist kaum zwei Mal so groß wie der Ball, den er eng am Fuß führt. Vielleicht hat er die Wende-Bewegung auch beim Skifahren perfektioniert, das er ebenfalls als Kleinkind lernt. Tatsächlich träumt Bastian von einer Wintersportkarriere und besiegt mehrfach Felix Neureuther, der später einer der besten Slalomfahrer der Welt wird. Auch beim Skifahren kommt es auf die exakte Körperkontrolle an, auf das Kippen und Drehen der Hüfte, den tiefen Schwerpunkt.
1994 wechselt Schweinsteiger zu den FCB-Junioren. Im November 2002, mit 18 Jahren, absolviert er sein erstes Profispiel. Der Club, anderthalb Jahre zuvor noch Champions League-Sieger, befindet sich auf einem Tiefpunkt, hat die schlechteste CL-Gruppenphase seiner Geschichte gespielt und kann das Achtelfinale nicht mehr erreichen. Im letzten, bedeutungslosen Gruppenspiel gegen den RC Lens, vor gerade mal 22.000 Zuschauern im Münchner Olympiastadion, wird Schweinsteiger in der 72. Spielminute eingewechselt. Von nun an gilt er als Hoffnungsträger des deutschen Fußballs, der den FC Bayern und die Nationalmannschaft aus der internationalen Bedeutungslosigkeit führen soll. Aber Schweinsteiger hat mit Verletzungen zu kämpfen, mit Formtiefs und mit seiner Position auf dem Feld. Die Bayern-Coaches setzen ihn lange Zeit auf den Mittelfeldflügeln ein. Für diese Position mangelt es Schweinsteiger jedoch vor allem an Geschwindigkeit.
Er braucht Zeit, um seinen Platz zu finden – im Leben und auf dem Platz. Nach einigen Jahren im Vorort Grünwald zieht er in die Münchner Innenstadt, wo er sich endlich so richtig wohlfühlt. 2009 lässt ihn Jupp Heynckes bei seinem Fünf-Spiele-Rettungseinsatz erstmals im zentralen Mittelfeld spielen. Unter Louis van Gaal wird Schweinsteiger zu einem der besten Sechser weltweit. 2010 kommen die Bayern ins CL-Finale, verlieren aber gegen Inter Mailand. 2012, im Finale dahoam gegen den FC Chelsea, schießt Schweinsteiger den letzten Elfmeter an den rechten Pfosten, zieht sich das rote Trikot über den Kopf und liefert so das ikonische Bild der wohl größten Niederlage in der Geschichte des FCB.
Trotzdem war er immer ein absoluter Fan-Liebling. Als er seine Vertragsverlängerung 2010 live im Stadion verkündet, jubelt die Südkurve lauter als nach einem großen Sieg.
Bastian Schweinsteiger hadert nicht lange mit seinem Fehlschuss. Und lamentiert nicht über die Ungerechtigkeit, dass der absurd unterlegene FC Chelsea das Match für sich entscheiden konnte. Stattdessen analysiert er ganz nüchtern: „Wir waren viel zu hektisch in unserem Wesen. Es war ganz untypisch zu dem, was wir davor gespielt haben.“ Genau das soll der Mannschaft ein Jahr später in Wembley nicht noch einmal passieren.
Herrscher über Raum und Zeit
Bastian Schweinsteiger ist oft für seine mangelnde Geschwindigkeit kritisiert worden. Diese fiel schon den Scouts des FC Bayern auf, als sie den jungen Bastian beobachteten. Tatsächlich wirken seine berühmten Halbpirouetten wenig explosiv. Meistens setzt er sie auch gar nicht für einen offensiven Raumgewinn ein. Schweinsteiger dreht und wendet sich, um dem Gegnerdruck zu entkommen, um sich Platz und Zeit zu verschaffen. Auffällig ist, wie oft er dabei über die Schulter blickt. Bastian Schweinsteiger sagt dazu: „Es gibt kein Spiel auf der Welt, das genau gleich abläuft. Es bewegen sich 22 Menschen auf dem Feld, unterschiedlich. Wenn du das Spiel liest, musst du viel deinen Kopf bewegen. Du musst nach links, rechts, vorne, hinten schauen.“ Schweinsteiger ersetzt Bewegungsschnelligkeit durch Gedankenschnelligkeit, registriert sofort, wo sich freie Räume für Rückzug oder Attacke öffnen und wie seine eigenen Bewegungen die Bewegungen seiner Mit- und Gegenspieler stimulieren. So entstehen neue Optionen für den Spielaufbau. Mal leitet er den mit weiten Verlagerungen oder Schnittstellenpässen ein. Sehr selten schließt Schweinsteiger dank seiner guten Schusstechnik selbst ab. Viel häufiger verschiebt er das Match mit kurzen Innenristpässen ruhig in die gegnerische Hälfte, wo dann die anderen glänzen können.
Im CL-Finale 2013 setzt Schweinsteiger dem hektischen, vertikalen, eindimensionalen Dortmunder Stil seine kontrollierte, rhythmisierte und auch demütige Spielweise entgegen, die den ganzen Platz nutzt. Er interpretiert das Spiel als Libero, als freier Mann. Oft lässt er sich im Spielaufbau zwischen die beiden Innenverteidiger oder links von ihnen fallen. Er weiß aber auch genau, wann er ein Übergewicht im Mittelfeld herstellen kann oder noch weiter nach vorne stoßen muss. Ein- und aufdrehen, verschleppen und beschleunigen, ausweichen, abwarten und attackieren: ein souveräner Herrscher über Zeit und Raum.
Eine bayerische Bilderbuch-Karriere
Die Bayern gewinnen das Match mit 2:1 und werden 2013 zum ersten Mal nach 2001 wieder Sieger der Champions League. Zum Spieler des Spiels wird Arjen Robben gewählt. Aber der wohl wichtigste Mann der gesamten Saison ist Bastian Schweinsteiger. Seine Karriere erreicht ihren Höhepunkt ausgerechnet in Wembley, dem mythischsten Ort des globalen Fußballs (ein Jahr später wird Schweinsteiger die Nationalmannschaft in Rio de Janeiro zur Weltmeisterschaft an einem weiteren mythischen Ort führen: Maracanã).
Kaum ein Spieler aus der eigenen Jugend hat den FCB so sehr geprägt wie Bastian Schweinsteiger. Ein Held, der durch viele private und sportliche Prüfungen gehen musste und einige Wendepunkte durchlebte. Ein Filou, der zum freien, erwachsenen Mann wurde, ein Weltstar aus der oberbayerischen Idylle, der sich seine Unbekümmertheit bewahrte und der immer wusste, wo er herkam. „Hoch lebe Bayern!“, ruft Schweinsteiger, als er 2010 in der Allianz Arena seine Vertragsverlängerung verkündet. Die Fans antworten mit: „Fußballgott, Fußballgott!“ Und genau das war er ja auch. Der Fußballgott der kleinen Dinge.
Bastian Schweinsteiger war Teil der legendären Generation Wembley - jetzt die sechsteilige Doku-Serie mit FC Bayern TV PLUS anschauen:
Themen dieses Artikels