Von der U19 am Campus ist es nur noch ein Schritt zu den Profis an der Säbener Straße. Das Vereinsmagazin „51“ war beim Spiel in der UEFA Youth League beim FC Basel dabei. Der Sportliche Leiter Halil Altintop weiß, wie man sich durchsetzt.
Die Stimmung im Leichtathletikstadion St. Jakob in Basel ist an diesem Abend im Februar profitauglich. 4.523 Zuschauer drängen sich auf den schmalen Tribünen rund ums Spielfeld, so viele kommen in manches Drittligastadion nicht. Ultras des FC Basel zeigen vor dem Anpfiff eine kleine Pyroshow. Es ist ein Vorgeschmack auf das, was die Zukunft für die Spieler bringen könnte: große Duelle, volle Stadien, aufgeheizte Atmosphäre. Aber hier und heute geht es „nur“ ums Weiterkommen in der UEFA Youth League. Die U19-Teams des FC Basel und des FC Bayern ermitteln in einem Play-off-Spiel, wer ins Achtelfinale einzieht. Auf dem Rasen spielt aber auch die Frage mit: Wer schafft es einmal in den Profifußball?
Ein Drittel schafft den großen Sprung
Die U19 ist der älteste Jahrgang am FC Bayern Campus. Die 17- und 18-Jährigen sind ganz nah dran am großen Ziel Profifußball. Statistisch ist die Sache einfach: Mindestens jeder dritte Spieler im Kader wird es zum Fußballprofi schaffen. Das ist der Durchschnitt der zurückliegenden Jahrgänge. Doch die Sache ist natürlich etwas komplexer. Denn gerade im Nachwuchsbereich ist Fußball manchmal schwer zu verstehen, Entwicklungen sind nur begrenzt vorhersehbar.
Unter den Zuschauern ist auch Halil Altintop. Der 41-Jährige hat selbst schon in Basel gespielt, im großen St. Jakob-Park, ganz in der Nähe des kleinen Leichtathletikstadions. Im Trikot des 1. FC Kaiserslautern bestritt er hier zwei Freundschaftsspiele, hat sogar ein Tor erzielt, 20 Jahre ist das inzwischen her. Heute ist Altintop Sportlicher Leiter am FC Bayern Campus und natürlich bei so einem wichtigen Spiel vor Ort. Die Umstände seien schon besonders, meint er: „Viele Zuschauer, gute Atmosphäre, Flutlicht – das erleben die Jungs nicht so oft. Das tut ihnen gut.“ Es ist eine wertvolle Erfahrung für den Schritt zu den Profis, wobei Schritt nicht das richtige Wort ist. Altintop spricht lieber von einem „Spagat“, um zu verdeutlichen, wie sehr man sich immer noch strecken muss, um vielleicht einmal vom Fußballspielen leben zu können.
Damals in Wattenscheid
Die Youth League ist die Champions League für U19-Teams. Aktuell läuft die zehnte Saison. In ihrer Vorrundengruppe trafen die FCB-Junioren auf die gleichen Gegner wie Harry Kane, Manuel Neuer und Co. in der „echten“ Champions League. Sie holten den zweiten Platz knapp hinter dem FC Kopenhagen sowie vor Galatasaray Istanbul und Manchester United. Parallel spielten Clubs, die eine nationale U19-Meisterschaft gewonnen haben, aber nicht über ihr Herrenteam für die Gruppenphase qualifiziert waren, eine zweistufige K.-o.-Runde. Wer sich durchgesetzt hat, trifft nun in einem Play-off-Spiel auf einen Gruppenzweiten. So wie jetzt also der FC Basel auf den FC Bayern. Für Altintop ist der Wettbewerb ein wichtiger Vergleich, „ein anderes Level“ als die heimische Bundesliga. „Wir brauchen diese Berührungspunkte mit internationalen Top-Vereinen, um genau zu sehen, wo wir stehen.“ Die Herausforderungen sind hier größer, spielerisch, körperlich und mental. „Je weiter wir in der Youth League kommen, desto besser ist das für die Jungs.“
Altintop: Durchsetzungsvermögen ist essenziell
Altintop selbst hat einst bei der SG Wattenscheid 09 in der U19 gespielt. Die Erinnerung lässt ihn schmunzeln. „Wir haben nur auf roter oder schwarzer Asche trainiert. Und von den Gegnern haben wir oft auf den Deckel bekommen. Vereine wie Schalke, Dortmund oder Bochum waren uns einfach überlegen“, erzählt er. Mit 18 debütierte er in der ersten Mannschaft, damals in der drittklassigen Regionalliga. „Gegen Tennis Borussia Berlin“, erinnert er sich noch genau, „als ich eingewechselt wurde, stand es noch 0:0. Kurz darauf gab es Elfmeter für uns, den durfte ich natürlich nicht schießen. Aber ich habe auf den Abstauber gelauert.“ Und tatsächlich: Der Ball landete bei ihm, und Altintop traf zum 1:0. Zehn Minuten später bereitete er sogar noch das 2:0 vor. Die Jahre in Wattenscheid waren Lehrjahre für den jungen Stürmer. „Diese Zeit hat mich geprägt. Ich habe gelernt, gegen Widerstände anzukämpfen. In der Regionalliga gab’s richtig auf die Knochen.“ Genau diesen Schritt müssen auch die 17- und 18-Jährigen heute noch machen. Sie müssen lernen, sich zu wehren, sich nicht entmutigen zu lassen, sondern an sich zu arbeiten und ihre Qualitäten durchzusetzen. Altintop weiß, wie schwer das sein kann. Auch weil alle parallel zum Fußball noch in Schule oder Ausbildung gefordert sind. Denn auch darauf legt man am Campus Wert. Statistisch schaffen es 36 Prozent der Spieler, die am Campus ausgebildet werden, in den Profifußball, das ist ein sehr hoher Wert. Doch gleichzeitig bedeutet das: Der Großteil (64 Prozent) schafft es nicht. Und auch für ihre Zukunft gilt es vorzusorgen. „Ich bin damals auch auf dem Zahnfleisch gelaufen“, erzählt Altintop, „aber meine Mama hat gesagt: Wenn kein Abitur, dann auch kein Fußball. Also habe ich auf die Zähne gebissen.“
Veränderungen auf der Trainerbank
Die erste Halbzeit in Basel läuft ganz so, wie es sich die Bayern vorstellen. Sie beherrschen Ball und Gegner, führen dank eines Treffers von Lovro Zvonarek mit 1:0. Nach der Pause ist es dann allerdings ein ganz anderes Spiel. Basel macht Druck, die Bayern müssen kämpfen, als Mannschaft dagegenhalten, bis sie sich schließlich in der Nachspielzeit mit dem 2:0 erlösen, wieder durch Kapitän Zvonarek. Altintop ist zufrieden: „Man darf nicht vergessen: Basel hat davor gegen starke Gegner wie Zagreb und Gent noch kein Gegentor kassiert.“ Was man außerdem nicht vergessen darf: Zwei Tage vor dem Spiel gab es bei Bayern einen Trainerwechsel, das ist ungewöhnlich, so mitten in der Saison. René Maric, zuvor Teamleiter Trainerentwicklung und Spielphilosophie am Campus, übernahm von Michael Hartmann. „Diese Entscheidung ist uns sehr schwergefallen“, sagt Altintop. Die Mannschaft sei hoch talentiert, lasse aber leider über die ganze Saison die Konstanz vermissen. In der Bundesliga Süd/Südwest steckt sie im Mittelfeld fest, die Entwicklung einzelner Spieler stockte. „Wir haben viele Gespräche geführt, auch mit Michael, und uns am Ende dazu entschieden, einen anderen Weg zu gehen“, sagt Altintop. Der erste Schritt ist schon mal gelungen.
Entwicklung über Erfolg
In Basel liegen sich die Spieler in den Armen und feiern ausgelassen den Einzug ins Achtelfinale. Weiter ist Bayern in der Youth League noch nie gekommen. Es hat sich ausgezahlt, dass die Mannschaft in diesem Wettbewerb Unterstützung von ein, zwei Spielern bekommt, die in ihrer Entwicklung schon weiter sind. Vom Doppeltorschützen Zvonarek zum Beispiel, der eigentlich Stammspieler bei den Amateuren ist, regelmäßig mit den Profis trainiert und Ende Januar sein Bundesliga-Debüt feierte. Der Kroate sei auf dem Papier noch ein U19-Spieler, weiter oben aber besser aufgehoben, erklärt Altintop: „Die individuelle Entwicklung steht für uns über dem Mannschaftserfolg.“ Daher spielt Zvonarek schon im Herrenbereich – und verstärkt die U19 nur punktuell in der Youth League. „Er gibt der Mannschaft mehr Stabilität“, sagt Altintop.
Ein Herz für Entwicklung
Dieses Rezept hat sich seit vielen Jahren bewährt. Auch Spieler wie Bastian Schweinsteiger, David Alaba oder Thomas Müller wurden früh in ältere Teams hochgezogen, um ihre individuelle Entwicklung mit den richtigen Reizen optimal zu fördern. „Wenn wir uns die letzten fünf Jahre anschauen, zeigt die Statistik, dass wir der Verein in Deutschland sind, der mit Abstand die meisten Profifußballer ausgebildet hat“, sagt Altintop. Allerdings sei es heute bei Bayern extrem schwer, den Sprung zu den eigenen Profis zu schaffen. „Aber es ist nicht unmöglich“, betont Altintop und verweist auf Jamal Musiala und Aleksandar Pavlovic, den aktuellen Shootingstar im Profikader. „Sein Beispiel zeigt, was für eine Arbeit wir am Campus leisten. Aleks ist bei uns groß geworden. Man hat immer gesehen, was er für ein unfassbar guter Fußballer ist. Aber er hatte es schwer, weil er sich physisch erst recht spät entwickelt hat. Wir haben ihm Vertrauen geschenkt, er hat immer an sich geglaubt und an sich gearbeitet. Jetzt wird er belohnt.“
Auch Altintop machte Karriere. 351-mal lief er für Kaiserslautern, Schalke, Frankfurt und Augsburg in der Bundesliga auf. Danach begann er als Trainer, zuletzt in der U17 des FC Bayern. Als Sportlicher Leiter fühlt er sich nun genau an der richtigen Stelle. „Es geht einem das Herz auf, wenn man sieht, wie sich die jungen Menschen hier am Campus entwickeln“, sagt Altintop und denkt noch einmal zurück an seine Zeit in Wattenscheid. „Wir hatten damals einen Jugendleiter, Hermann Heroven, der rund um die Uhr für uns da war. Ihm ging es nicht nur um Fußball, sondern auch um den Menschen. Wir sollten mit beiden Beinen im Leben stehen können. Daran orientiere ich mich jetzt auch.“ Wer am Campus ausgebildet wird, soll am Ende fit fürs Leben sein, am liebsten natürlich als Fußballer, aber eben auch dann, wenn es nicht mit der großen Karriere klappt.
Über Feyenoord ins Viertelfinale?
Zwei Tage nach Basel verfolgt Altintop in einem Büro am Campus mit einigen Mitarbeitern die Auslosung des Youth League-Achtelfinals. Wer wird der Gegner sein? Real Madrid? Manchester City? Es wird spekuliert und geflachst. Am Ende wird es Feyenoord Rotterdam. „Eine schöne Herausforderung“, freut sich Altintop, „das wird ein Duell auf Augenhöhe.“ Ein Duell, mit dem die Jungs in der U19 ihrem großen Traum vom Profifußball wieder ein Stückchen näher kommen können.
Mehr zum FC Bayern München findet Ihr in der aktuellen Ausgabe des Mitgliedermagazins „51“:
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