Legenden unter sich: Zum 80. Geburtstag der FCB-Torwart-Ikone Sepp Maier an diesem Mittwoch setzte sich der Jubilar mit Manuel Neuer zusammen, um über das Gestern, Heute und Morgen zwischen den Pfosten zu sprechen. Das komplette Interview gibt es im FC Bayern-Mitgliedermagazin „51“.
Das Interview mit Sepp Maier und Manuel Neuer
Sepp, wenn du die Plätze und heutigen Trainingsmöglichkeiten hier an der Säbener Straße siehst – wird man da neidisch?
Sepp Maier: „Ich habe mir früher meinen Torraum noch selber mit der Schneeschaufel freiräumen müssen, das war ganz normal. Im Winter war der gefrorene Boden teilweise steinhart. Weil der FC Bayern damals noch eine Eishockey-Mannschaft hatte, habe ich mir von denen eine Eishockey-Torwart-Ausrüstung besorgt, die ich im Training getragen habe.“
Manuel Neuer: „Aber einen Helm hattest du nicht auf, oder?“
Maier: „Na, und Schläger hatte ich auch keinen in der Hand (lacht). Es ging mir vor allem um die Knie- und Ellenbogenschoner. Und ein schöner Nebeneffekt war: Das Zeug war sauschwer. Wenn ich mich damit die Woche über im Training durch die Gegend geworfen habe und das dann beim Spiel natürlich nicht getragen habe, habe ich mich so leicht gefühlt wie eine Feder.“
Manu, wie vertraut ist dir Sepp Maiers Torwartspiel?
Neuer: „Ich bin zu jung, als dass ich ganze Spiele von ihm gesehen hätte. Aber klar kenne ich viele seiner klassischen Szenen aus Zusammenschnitten. Und seine Methoden als Torwarttrainer sind mir sowieso in Fleisch und Blut übergegangen: Ich hatte als Kind ein Buch von Sepp, in dem er verschiedene Trainingsformen vorstellt. Dieses Buch hatten wir in jedem Urlaub auf dem Campingplatz dabei, und da hat mein Vater immer die Übungen mit mir gemacht. Das war speziell für Kinder, da wurden einem die ersten Torwartschritte erklärt, wie hechtet man sich richtig und so. Das hat Riesenspaß gemacht.“
Maier: „Mir war es als Torwarttrainer immer wichtig, dass das Training möglichst abwechslungsreich ist, weil ich das selbst als Aktiver nicht hatte. Bei uns hieß es damals vom Cheftrainer, dass ich eine halbe Stunde vor dem regulären Training da sein soll oder dass wir nach dem Mannschaftstraining noch eine halbe Stunde dranhängen. Dann habe ich erst das normale Programm mitgemacht, 100-Meter-Sprints, Konditionstraining und sonst was – und anschließend wurde ich noch endgültig kaputtgemacht.“
Neuer: „Das klingt alles andere als zeitgemäß…“
Maier: „Du sagt es. Eine Viertelstunde nur nach rechts hechten, dann nur nach links, zack, zack, zack, 20-mal hintereinander rauf und runter. Gebracht hat das nichts. Als ich dann 1984 bei Bayern als Torwarttrainer mit Jean-Marie Pfaff gearbeitet habe und ab 1988 für die Nationalmannschaft, war mir wichtig, dass es nicht langweilig und zäh ist, sondern dass es Freude macht. Es ist viel besser, wenn man eine Übung fünf-, sechsmal konzentriert macht als 30-mal hintereinander – im Spiel bekommst du auch nicht 30-mal den gleichen Schuss aufs Tor. Gegen Ende meiner Trainerlaufbahn hatte ich 146 unterschiedliche Übungen im Programm – und Oliver Kahn hat gar nicht mitbekommen, wie lange wir schon trainierten. Er hat nach 90 Minuten erstaunt gefragt, warum wir schon aufhören. Ich war auch nie ein Freund des Kraftraums. Das ist gut in der Vorbereitungszeit oder während einer Verletzung. Aber unter der Saison brauche ich Geschmeidigkeit und Sprungkraft, die bekomme ich am besten auf dem Platz.“
„Für alle ist Sepp das große Vorbild. Er hat es geschafft, dass im Torwarttraining strukturiert und spezifisch gearbeitet wird, das gab es vorher einfach nicht.”
Manuel Neuer über Sepp Maier
Manu, wie hoch ist Sepps Pionierarbeit einzuschätzen?
Neuer: „Es ist eine Lebensleistung, keine Frage. Wenn ich mit Wegbegleitern aus anderen Generationen spreche, seien es Oliver Kahn oder meine Torwarttrainer: Für alle ist Sepp das große Vorbild. Er hat es geschafft, dass im Torwarttraining strukturiert und spezifisch gearbeitet wird, das gab es vorher einfach nicht.“
Sepp, umgekehrt heißt es von Manuel, dass er das moderne Torwartspiel revolutioniert hat. Wie siehst du das?
Maier: „Manuel war der Erste, für den es ganz normal war, dass er als Torhüter weit mit aufrückt und mitspielt. Er ist immer im Geschehen, das macht er perfekt. Und ich bin mir sicher, wenn man ihn mit seinen technischen Fähigkeiten beim FC Bayern mal als Mittelstürmer aufstellen würde, könnte er das auch. Du kannst ihn auf beiden Füßen anspielen, das macht keinen Unterschied – ich hatte meinen linken Fuß dagegen nur zum Bierholen, wie es so schön heißt. Torhüter müssen heute genauso beidfüßig sein wie die Feldspieler, sonst hast du auf höchstem Niveau keine Chance. Das haben wir früher ja gar nicht gebraucht, weil wir den Ball auch nach einem Rückpass immer mit der Hand aufnehmen durften. Ich persönlich finde es super, dass diese Regel abgeschafft wurde, das hat das Torwartspiel grundlegend verändert und Torhüter plötzlich ganz anders gefordert. Sie sind heute viel mehr Teil der Feldspieler als noch zu meiner Zeit.“
Wie wichtig sind Selbstbewusstsein und Mut im Torwartspiel?
Neuer: „Die Ausstrahlung kann für einen Torhüter spielentscheidend sein. Ich bin der letzte Mann, die Lebensversicherung meiner Mannschaft, da muss ich dem Gegner zeigen: Halt, an mir kommst du nicht vorbei! Dieses Selbstverständnis muss ein Torwart haben, sonst hast du auf der Position nichts verloren.“
Maier: „Du musst dir vor dem Gegner Respekt verschaffen. Wenn die wissen, dass sie es aus 20 Metern gegen dich gar nicht erst versuchen brauchen, dann fangen sie bei jedem Angriff an zu überlegen. Ausstrahlung ist das A und O – und Angst hat bei einem Torwart nichts verloren. Wenn ich früher gefragt wurde, vor welchem Stürmer ich Angst habe, war meine Antwort: Vor gar keinem, weil der einzige, vor dem ich Angst hätte, der spielt in meiner Mannschaft: Gerd Müller.“
„Manu ist ja mittlerweile so lange da, er ist ja schon fast ein waschechter Bayer.”
Sepp Maier über Manuel Neuer
Als Torwart ist man allerdings auch schnell der Depp, wenn der Ball drin ist.
Neuer: „Das sehe ich immer ein bisschen anders, denn es spielt ja nicht Maier oder Neuer gegen eine andere Mannschaft, sondern unser ganzes Team. Alle müssen sich reinhauen und wehren.“
Maier: „Ich habe früher immer gesagt, dass jedes Tor, das ich bekommen habe, unhaltbar war. Das war wie ein Reflex, eine Schutzhaltung. Irgendwer muss den Fehlpass oder Ballverlust ja gehabt haben. Mich durfte auch zwei, drei Tage danach niemand ansprechen – da konnte ich fuchsteufelswild werden.“
Neuer: „Es ist menschlich, dass man sich da einen Schutz aufbaut, das geht mir selbst auch manchmal so. Aber ich habe für mich gelernt, dass ich den Kopf schneller frei bekomme, wenn ich offen darüber spreche, mir auch mal selbst einen Fehler eingestehe. Dann geht es weiter. Während eines Spiels habe ich mir allerdings angewöhnt, dass ich einen Fehler, der zu einem Gegentor geführt hat, zunächst komplett ausblende und mir einrede, dass es immer noch 0:0 steht. Ich verdränge das bis zum Abpfiff und lasse so keine Selbstzweifel aufkommen.“
Maier: „Das ist eine gute Einstellung. Selbstzweifel haben bei einem Torwart nichts verloren. Denn wenn es in den wirklich wichtigen Spielen um etwas geht, entscheidet nach wie vor ein Torhüter mit seiner Tagesform zu 60 bis 80 Prozent, wie es ausgeht. Wenn du in einem Finale als Torhüter einen guten Tag erwischst, ist das für deine Mannschaft die halbe Miete. Bei mir war das 1974 im WM-Endspiel der Fall, aber noch viel mehr im Halbfinale gegen Polen. Oder bei Manuel das Champions League-Finale 2020 gegen Paris. Wenn du Champions League-Sieger werden willst, brauchst du einen starken Torwart, der von sich selbst überzeugt ist. Punkt.“
Sepp, du hast unglaubliche 442 Bundesliga-Spiele in Folge bestritten. Wird das denn nicht irgendwann langweilig, wenn man zum x-ten Mal im gleichen Stadion aufläuft?
Maier: „Mir ist diese Serie nie richtig bewusst gewesen – erst als ein Reporter mal zu mir gesagt hat, er würde gerne ein Interview und Fotos im Olympiastadion zu meinem 400. Spiel am Stück machen, fiel mir das auf. Ich weiß aber auch noch, dass ich später nach meinem schweren Autounfall 1979 bereits im Auto sofort zum Sanitäter gesagt habe, dass ich am Wochenende unbedingt wieder fit sein muss, damit meine Serie hält.“
Das sind umgerechnet 13 Jahre am Stück. Manu, wie hört sich das an?
Neuer: „Für die heutige Zeit ist unvorstellbar, wie Sepp das geschafft hat. Ich bin 2011 nach München gekommen, das ist jetzt also im Prinzip genau die gleiche Zeitspanne. Hattest du nie eine Zerrung oder eine Erkältung oder hast einfach mal eine Verschnaufpause gebraucht?“
Maier: „Nie, ich war nur ein einziges Mal verletzt, da ist mir Uwe Seeler 1965 in Hamburg bei einer Flanke mit dem Knie in die Rippen gesprungen. Und weil man damals noch nicht wechseln durfte, ist der Gerd Müller für mich ins Tor. Ich lag dahinter, wurde behandelt und habe ihn währenddessen dirigiert: ‚Geh da hin, geh dort hin!‘ Die Hamburger witterten ihre Chance, Charly Dörfel hat eine Flanke nach der anderen nach innen geschlagen. Aber Gerd wusste als Mittelstürmer ja, wohin die Flanken kommen sollten, und ist mit den Fäusten dazwischengesprungen. Unser Doc hat mir dann schnell ein paar Spritzen gegeben, ich habe auf die Zähne gebissen – und weiter ging’s.“
Sepps Spitzname lautete ‚die Katze von Anzing‘. Manu, wieso hast du eigentlich nicht so einen Spitznamen – und was würde passen? Vielleicht die ‚Tatze vom Tegernsee‘?
Neuer: „Klingt gut, den würde ich nehmen.“
Maier: „Oder der ‚Hai vom Tegernsee‘, so wie er zuschnappt. Aber bei uns war das eine andere Zeit. ‚Kaiser‘, ‚Bomber der Nation‘, ‚Adler von Giesing‘, ‚Bulle‘ – wir hatten ja alle irgendwelche Namen.“
Was sollen die Leute mal über euch sagen?
Maier: „Sie werden uns immer in guter Erinnerung behalten. Mich auf alle Fälle (lacht). Und den Manu auch, er ist ja mittlerweile so lange da, er ist ja schon fast ein waschechter Bayer.“
Neuer: „Ich glaube, wir beide sind gute Beispiele dafür, dass man beim FC Bayern nie ein Torhüterproblem hatte und hier über alle Epochen hinweg gute Torleute gespielt haben. Es gibt viele Legenden beim FC Bayern – und hoffentlich kommen in der Zukunft auch immer wieder neue hinzu, denn das würde ja bedeuten, dass der Verein nach wie vor erfolgreich ist.“
Und du verleihst Manu hiermit die bayerische Staatsangehörigkeit, Sepp, ganz offiziell?
Maier: „So schaut’s aus. Hat er sich schon lange verdient. Ein Pfundskerl, die Tatze vom Tegernsee.“
© Bilder: Julian Baumann
Das vollständige Interview gibt es in der neuesten Ausgabe des FC Bayern-Clubmagazins „51“ zu lesen:
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