Im August 2023 spielt Aleks Pavlović in der Regionalliga. Im Sommer 2024 hat er Champions League-Erfahrung und steht im Kader der deutschen Nationalmannschaft für die Euro 2024. Die Fußballwelt staunt. Was denkt unser Aufsteiger des Jahres eigentlich selbst darüber? Im Interview mit dem FC Bayern-Mitgliedermagazin „51“ lässt er seine Debütsaison bei den Profis Revue passieren.
Aleksandar Pavlović über seinen Aufstieg beim FC Bayern
Die Saison 2023/2024 ist ein schwieriges Jahr für den FC Bayern gewesen. Es gab viele Tor-Festivals mit dem neuen Münchner Schützenkönig Harry Kane und dramatische Europacup-Nächte, aber es bleibt auch die erste Saison ohne Titel seit zwölf Jahren, das Pokal-Aus in Saarbrücken und der dritte Platz in der Bundesliga. Aleksandar Pavlović war hingegen ein absoluter Lichtblick. „Es ist natürlich sehr bitter, dass wir keinen Titel geholt haben. Aber für mich persönlich war es trotz allem ein Jahr, in dem ich viel Spielzeit bekommen habe und zeigen konnte, was ich draufhabe“, sagt der Mittelfeldmann.
Zeiten der Krise sind Zeiten der Veränderung. Und der Möglichkeiten. Im Fußball kann das bedeuten, dass ein Interimstrainer plötzlich Pokale hochstemmt. Dass ein Bankdrücker wieder eine prägende Rolle spielt. Oder eben: dass ein 20-Jähriger acht Monate, nachdem er noch bei einem 3:3 der zweiten Mannschaft in der Regionalliga gegen Wacker Burghausen gelbbelastet ausgewechselt wird, bei einem Champions League-Halbfinale gegen Real Madrid im Estadio Santiago Bernabéu in der Startelf steht. Wer ist dieser Aleksandar Pavlović? Wo kommt unser Jungstar her? Und wie tickt er abseits des Platzes?
Am 28. Oktober 2023, es ist ein sonniger Herbsttag, wärmt sich ein schlaksiger Nachwuchsspieler hinter dem Bayern-Tor in der Allianz Arena auf. Sein Team ist so schlecht in das Spiel gegen den Abstiegskandidaten Darmstadt gestartet, wie es nur möglich ist: Rot für Joshua Kimmich nach vier Minuten. Zur Halbzeit steht es 0:0. „Da war ich mir ziemlich sicher: Das wird heute nichts mit dem Debüt“, sagt Aleksandar Pavlović. Nach der Pause jedoch spielen seine Teamkollegen, ohne es zu wissen, auch für ihn: „Dann sehe ich, wie das Ergebnis immer höher wird. Ich habe gehofft: Bitte, bitte, bitte, wechsle mich einfach ein!“
Thomas Tuchel ruft Pavlović zur Bank. Es steht 7:0, es bleiben knappe 15 Minuten auf der Uhr, eine bessere Gelegenheit gibt es nicht, einen Nachwuchsspieler auszuprobieren. In der 77. Minute ist es so weit. Aleksandar Pavlović steht an der Seitenlinie. Man sieht ihm an, wie er in diesem großen Moment ernst bleiben will, doch die Mundwinkel gehen wie von allein Richtung Ohren. „Da zu stehen und dann reinzukommen, dieses Gefühl kann ich schwer in Worte fassen. Ich bin mein ganzes Leben schon Bayern-Fan, ich spiele mein ganzes Leben für diesen Verein“, sagt er.
Papa Dejan schaut beim Training zu
Auf sein Debüt gegen Darmstadt folgen in den nächsten Wochen weitere Einsätze, gegen Dortmund gelingt ihm die erste Vorlage, gegen Heidenheim dann das Startelfdebüt.
Aleksandar Pavlović ist die Entdeckung der Saison. Nicht nur bei den Bayern, sogar im gesamten deutschen Männerfußball. Und es ist lange her, dass ein Bayern-Eigengewächs seiner Debütsaison derart den Stempel aufgedrückt hat. Vermutlich muss man zurückgehen in die Saison 2009/10, als ein etwas kleinerer, aber ähnlich schlaksiger Ur-Bayer namens Thomas Müller die Gegner schwindelig lief.
„Da zu stehen und dann reinzukommen, dieses Gefühl kann ich schwer in Worte fassen. Ich bin mein ganzes Leben schon Bayern-Fan, ich spiele mein ganzes Leben für diesen Verein.”
Aleksandar Pavlović
Wie Müller spielt Pavlović seit früher Kindheit beim FC Bayern. Nach ersten Gehversuchen beim SC Olching und einer Saison beim SC Fürstenfeldbruck wechselt er 2011, bei einem Hallenturnier entdeckt, zum FCB. Da ist er sieben Jahre alt.
Im großen Konkurrenzkampf, der der Nachwuchsfußball ist, stand Pavlović dennoch einige Male vor Herausforderungen. „In der U15 zum Beispiel war ich eine ganze Zeit lang immer der Kleinste. Ich kam spät in die Pubertät, war körperlich schwach. Die anderen hatten schon alle Bärte und ich war gefühlt noch 1,20 Meter! Ich musste lernen, richtig zu kämpfen, mit den Rückschlägen umzugehen und an mir zu arbeiten.“ Diese Zeit habe ihn nicht nur emotional reifen lassen, sondern auch sein Spiel geschliffen. „Wenn du der Kleinste bist, hast du weniger Zeit. Ich musste also lernen, in jeder Aktion schneller zu spielen“, sagt er.
Dass Kritik von überall kommen kann, aber nicht immer negativ ist, hat Aleksandar Pavlović nach seinen ersten Profi-Einsätzen gemerkt. Wenn junge Spieler in die erste Mannschaft durchbrechen, sind Team und Umfeld bemüht, sie auf dem Boden zu behalten. Im Falle Pavlović übernahm diese Rolle ausgerechnet der, dessen Weg dem des jungen Stars am meisten ähnelt: Thomas Müller. „Es war nicht perfekt, in der ersten Halbzeit war ich in einigen Zweikämpfen nicht zufrieden mit ihm“, konstatierte Müller in der Hinrunde nach dem Heimsieg gegen Stuttgart. Es war Pavlovićs zweiter Startelfeinsatz.
„Thomas ist einfach ehrlich. Und das schätzen wir alle sehr an ihm“, sagt Aleksandar Pavlović. „Ich wusste damals ganz genau, was er damit meinte. Und er hatte recht. Wenn etwas gut läuft, dann lobt er. Wenn etwas nicht passt, dann kritisiert er. Aber immer konstruktiv. Ich lerne sehr viel von ihm.“ Pavlović genießt es, mit Weltklassespielern wie Müller, Manuel Neuer oder Harry Kane zu trainieren. Doch er löchert seine älteren Teamkollegen nicht mit Fragen. Er lernt über das Zuschauen.
Was Pavlović im Jugendbereich des FCB, im Studium seiner Vorbilder und auf dem Weg in die Profimannschaft gelernt hat, war für die deutschen Fußballfans in den letzten Monaten ersichtlich. Über 90 Prozent seiner Pässe in der Bundesliga fanden den Mitspieler, fast 85 Prozent seiner langen Bälle ebenso – damit gehört er zu den besten zwei Prozent der Liga. Seine Standards führen regelmäßig zu Toren, auf seiner defensiven Position bleibt er diszipliniert.
„Da habe ich vor Freude erst mal richtig geschrien.”
Aleksandar Pavlović
Nach dem Durchbruch bei den Bayern folgte die Nominierung zur DFB-Elf. „Das war bitter, dass ich bei meiner ersten Nominierung nicht mitreisen konnte. Ich hatte eine Mandelentzündung. Aber ich war zuversichtlich, dass ich noch mal eine Chance bekommen würde“, sagt er.
Mitte Mai entschied Nationaltrainer Julian Nagelsmann, unter dem Pavlović beim FCB einige Einheiten absolviert hatte, ihn zur Europameisterschaft im eigenen Land mitzunehmen. Der Anruf erreichte ihn auf dem Trainingsgelände an der Säbener Straße. „Da habe ich vor Freude erst mal richtig geschrien. Ich glaube, dem Trainer gefällt meine Ruhe am Ball, wie ich jeden Ball haben will, wie ich Räume antizipiere.“
Wenn es noch einen letzten Beweis gebraucht hätte für die Gelassenheit des 20-Jährigen, dann wäre es wohl dieser Anruf. Den nahm Pavlović nämlich maximal entspannt entgegen. Er saß im Whirlpool.
© Bilder: Markus Burke
Dieser Text stammt aus der aktuellen Ausgabe des FC Bayern Clubmagazins „51“. Hier erschien er in einer leicht gekürzten Fassung.
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