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Hans Jörg Butt sagt, er hat nicht mehr nur diese eine Heimat. Sicher, da gibt es auf der einen Seite die Geburtsstadt Oldenburg mit Residenzschloss, St.-Lamberti-Kirche oder dem alten Rathaus mit dem dreieckigen Grundriss, ein Muss auf jedem Touristenfoto. In Oldenburg kam Butt am 28. Mai vor 50 Jahren auf die Welt, hier stieg er 1995 mit dem VfB in die 2. Bundesliga auf, Bruder Henning saß als Ersatztorwart zeitweise auf der Bank. Vier Saisontore erzielte der Stammkeeper im Aufstiegsjahr - alle per Elfmeter. An den Elfmeterschützen Hans Jörg Butt erinnert man sich heute auch noch beim Hamburger SV, bei Bayer Leverkusen, Butts Ex-Vereinen - und natürlich beim FC Bayern. „Mittlerweile“, sagt Hans Jörg Butt, „ist München auch eine Heimat geworden.“
2008 wechselte der Keeper von Benfica Lissabon zum FC Bayern – eigentlich sollte er in München ein international erfahrener Ersatzmann sein. Dann kam vieles anders: Das Double 2010 als Nummer 1 des FC Bayern, die Champions League-Finals 2010 und 2012, eine weitere WM-Teilnahme 2010. Der Ersatzmann kämpfte sich zum souveränen Rückhalt – der immer wieder auch vom Elfmeterpunkt traf: „Das hatte damals aber nichts mit Abenteuern zu tun“, sagt Hans Jörg Butt, „das hat sich einfach so ergeben: Wenn sich ein Spieler sicher fühlt, dann tritt er an. Das ist heute noch so. Das waren stets Situationen, in denen ich der Mannschaft helfen wollte.“
Glorreiche Vergangenheit mit Eusébio
Seit seinen vier Jahren beim Rekordmeister von 2008 bis 2012 wohnt Hans Jörg Butt mit seiner Frau und den drei Kindern in der bayerischen Landeshauptstadt. Er arbeitet seit Ende der Profikarriere im Familienunternehmen, das sich auf Verladerampen, Verladeplattformen und Verladeschleusen spezialisiert hat. In feiner Regelmäßigkeit holt ihn die Fußballkarriere aber wieder ein – mindestens dann, wenn in der Champions League seine beiden Ex-Clubs FC Bayern und Benfica Lissabon aufeinandertreffen. So wie Mittwochabend wieder in Fröttmaning.
„Es ist jedes Mal etwas Besonderes“, sagt Hans Jörg Butt, im Tor steht er nur noch fürs Legendenteam des FC Bayern hin und wieder. „Das eine Jahr in Lissabon war aufregend – auch wenn es sportlich nicht ganz so lief, wie ich es mir vorgestellt hatte.“ Hinter dem portugiesischen Nationaltorhüter Quim lauerte Butt an der Atlantikküste auf seine große Chance – die sich aber, abgesehen von vier Pokaleinsätzen und einem in der Liga, nicht erfüllte. „Es war trotzdem rückblickend ein tolles Jahr mit einer super Erfahrung bei einem Traditionsverein mit einer riesigen Historie“, sagt Butt. Benfica ist immer noch der größte Verein in Portugal: 38 Mal feierte der Club die Meisterschaft, 26 Mal die Taça de Portugal, den Pokal – mehr als jedes andere Team in Portugal. 1961 und 62 gewann Benfica in seiner glorreichsten Zeit mit dem legendären Eusébio den Vorläufer der Champions League, den Europapokal der Landesmeister.
Auswärtsspiele sind fast immer Heimspiele
„Benfica war wichtig für das Selbstwertgefühl der Portugiesen während der Diktatur – der Erfolg der Fußballmannschaft hat den Menschen viel Selbstbewusstsein gegeben. Daher hat der Club einen unglaublich hohen Stellenwert in der Bevölkerung“, sagt Butt. Das hat er auch zu seiner Zeit in der Hafenstadt gespürt, sagt der Ex-Torhüter. Egal, wohin man auch kam: „Wo wir auch gespielt haben - außer vielleicht in Porto und bei Sporting: Es waren immer Heimspiele, weil der größte Teil des Stadions immer für Benfica war.“ Und wenn der Benfica-Spieler Hans Jörg Butt zum Essen in ein Restaurant kam, „dann war es, wenn man erkannt wurde, häufig schwierig, danach die Rechnung bezahlen zu dürfen“. Zu groß war die Liebe, die Hingabe der Portugiesen zu Benfica. Der Respekt vor einem Benfica-Spieler, sagt Butt, sei jederzeit riesengroß.
Die Parallele zum FC Bayern wiederum sei vor allem die Erwartungshaltung, das Selbstbewusstsein und die herausragende Stellung im Land: „Das Unbedingt-Gewinnen-wollen - das ist sehr ähnlich. Bei beiden Clubs fühlt sich ein Unentschieden wie eine Niederlage an.“ Wobei die Fans bei Benfica aufgrund ihres Temperaments vielleicht noch ein wenig wehmütiger leiden: „Was nicht heißen soll, dass es bei Bayern nicht schmerzt“, sagt Butt.
Vergleichbar ist auch der Druck eines Torhüters zwischen den Pfosten in Lissabon und in München: „Auch wenn die letzten Jahrzehnte international nicht so erfolgreich waren, national ist es vergleichbar: Die besondere Mentalität ist, dass man in jedes Spiel mit dem Willen geht, es unbedingt gewinnen zu wollen“, sagt Butt. International aber sei das Selbstbewusstsein nicht ganz so groß wie beim FC Bayern – weil die Erfolge nach Eusébio ausblieben.
Benfica kämpft gegen den Guttmann-Fluch
Fast schon mystisch ist bei der langen Durststrecke Benficas auf europäischer Ebene der sogenannte Guttmann-Fluch. Der Erfolgscoach Béla Guttmann, mit dem die Portugiesen 1961 und 1962 den Europapokal der Landesmeister gewonnen hatten, soll unmittelbar nach dem Finaltriumph über Real Madrid im Jahr 1962 (5:3) eine Gehaltserhöhung gefordert haben, die ihm aber verweigert wurde. Die Wege von Guttmann und Benfica trennten sich, woraufhin der Trainer prophezeit haben soll, Benfica werde „in Europa 100 Jahre keine Titel mehr gewinnen.“ Es folgten seither acht Final-Niederlagen der Portugiesen im Europapokal - teils auf dramatische Art und Weise, wie zuletzt im Endspiel der Europa League 2013/14 gegen den FC Sevilla im Elfmeterschießen.
„Die besondere Mentalität bei Bayern und bei Benfica ist, dass man in jedes Spiel mit dem Willen geht, es unbedingt gewinnen zu wollen”
Hans Jörg Butt, FC Bayern-Legende
Zwei Weltmeister bei Benfica
Zwar verfolgt Hans Jörg Butt die portugiesische Liga heute nicht mehr en Detail, Benfica aber kommt mit ordentlich Rückenwind und neun Siegen aus den vergangenen zehn Spielen in die Allianz Arena – einzig gegen Feyenoord wurde knapp mit 1:3 verloren, die Entscheidung fiel da erst in der Nachspielzeit. „Mit Ángel Di María habe ich selbst noch zusammengespielt“, sagt Butt: Der 36-jährige Argentinier wurde wie Benfica-Abwehrchef und Kapitän Nicolás Otamendi 2022 Weltmeister, spielte über Jahre bei Real Madrid auf Topniveau. Di Marías erste Station in Europa war einst: Benfica. „Es ist ein Verein, der sehr gute Kontakte nach Südamerika hat. Immer wieder werden junge, talentierte Spieler mit großem Potenzial entdeckt“, sagt Hans Jörg Butt.
Für das Aufeinandertreffen am Mittwochabend aber, wenn Butt selbst auf der Tribüne zuguckt, sieht der Ex-Bayern-Keeper Benfica nahezu chancenlos: „Ich bin überzeugt, dass der FC Bayern gewinnen wird. Ich tippe 3:1.“
Hier findet Ihr die Fakten zu Benfica:
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