
Als der FC Bayern zum Weltclub aufstieg, war Eckhart Müller-Heydenreich schon lange da. 1956 wurde er Mitglied, über Jahrzehnte prägte er den Verein hinter den Kulissen. Die Satzung, auf der alles fußt, trägt seine Handschrift. Ohne ihn wäre vieles beim FC Bayern anders. Grundlegend. Am 19. April feiert Müller-Heydenreich, bis heute Mitglied der Montagskicker, seinen 90. Geburtstag.
Wenn jemand sagt, Eckhart Müller-Heydenreich führe ein bewegtes Leben, würde er als studierter Jurist das wohl mit seinem typischen Augenzwinkern dem Tatbestand der Untertreibung zuordnen. Nachdem er 1956 in München seinen Lebensmittelpunkt gefunden hatte, arbeitete er sich kontinuierlich nach oben, wurde unter anderem Bürgermeister, war lange Stadtrat, baute seine eigene Kanzlei auf – und wurde ganz nebenbei eine der prägendsten Figuren des FC Bayern hinter den Kulissen. Als er 2021 auf eigenen Wunsch aus dem Verwaltungsbeirat ausschied, nannte ihn Edmund Stoiber, mit dem er in dem Gremium lange gemeinsam den Vorsitz geführt hatte, „den geistigen Vater der modernen Satzung“ des Clubs. Müller-Heydenreich wurde zu einem Spielmacher in der Tiefe des Raums, zum Satzungsmacher des deutschen Rekordmeisters. Nach den Regeln, die er maßgeblich mitgestaltete, wird im Verein gespielt, bis heute: eine Handschrift, die bleibt.

Bis zu seinem zehnten Lebensjahr war vieles tabu. Im Weltbild des Vaters rangierte der Fußball ganz unten, und der junge Eckhart litt, wenn er im Sonntagsanzug mit der Familie an Wiesen vorbeispazieren musste, auf denen Gleichaltrige kickten. Nach dem Krieg und seinen Folgen wurde die gesamte Zeit benötigt, um am Leben zu bleiben, aber als junger Student trug er sich sofort nach seiner Ankunft in München beim FC Bayern ein. Warum nicht beim damals populäreren 1860? „Mir gefiel, dass bei den ,Roten‘ der Schwerpunkt beim Fußball lag, mir war der Verein von seiner ganzen Ausrichtung her sympathisch.“
Der Kern des Rekordmeisters
Müller-Heydenreich wusste, „dass meine Fähigkeiten nicht ausreichten, um in der ersten Mannschaft zu spielen – meine eigentliche Sportart war Leichtathletik, Mittelstreckenlauf, außerdem Hallenhandball“. Man hatte „eine gute Kameradschaft“ – und irgendwann begannen der Club wie Müller-Heydenreich, gemeinsam groß zu werden: 1965 stieg der FC Bayern auf, 1966 wurde Müller-Heydenreich zum Stadtrat gewählt und Mitglied im Sportausschuss. 1967 stand dann der damalige Präsident Wilhelm Neudecker vor ihm und sagte, er solle bitte die Satzung überarbeiten. Zwei Punkte seien wichtig: „Kosten darf’s nichts – und die Entscheidungen treffe weiter ich.“ Der Rest ist (Vereins-)Geschichte. Das, was Müller-Heydenreich federführend erarbeitete, bildet bis heute den Kern des deutschen Rekordmeisters.
„In der neuen Satzung ist die gesellschaftliche Haltung des FC Bayern klar festgehalten – das ist wichtig.”
Eckhart Müller-Heydenreich
Ihm war dabei besonders wichtig, „dass innerhalb des Vereins keine Gremien entstehen, die sich gegenseitig blockieren“, erzählt Müller-Heydenreich. Im deutschen Fußball gab es damals schon einige Beispiele, bei denen genau das passiert war. „Für mich war elementar, dass alle Entscheidungen bei denjenigen liegen, die den Verein nach außen vertreten – nicht bei Nebengremien, die aus persönlichem Ehrgeiz oder Überzeugung die Stabilität des Clubs schwächen können.“ Deshalb wurde auch der damals eingeführte Verwaltungsbeirat so strukturiert, dass er eine rein beratende Funktion hat. Wichtig war zudem, dass er nicht von womöglich emotionalisierten Fans in schwierigen Situationen besetzt werden kann. Deshalb wird er nicht gewählt, sondern vom Präsidium berufen – als ein Gremium aus Vertrauenspersonen. „Das hat sich als richtig erwiesen, denn es geht ja oft um vertrauliche Themen“, erklärt Müller-Heydenreich.

2010 kam es erneut zur Überarbeitung der Satzung, und wieder spielte Müller-Heydenreich eine zentrale Rolle. „Es ging darum, sicherzustellen, dass der FC Bayern nicht fremdbestimmt wird“, erzählt er, während er sich eine Weißwurst aus dem Topf angelt. „Die Mitglieder und Fans wollten verhindern, dass sich Personen die Mehrheit am Verein sichern, die eigentlich nichts mit dem Club zu tun haben.“ Die Partnerschaften mit Audi, Allianz und Adidas wurden in einem strategischen Maß Konsens, aber die Begrenzung des Einflusses war der Schlüsselbegriff. Im deutschen Fußball gibt es die 50+1-Regel. Beim FC Bayern gilt 70+1. Diese Lösung entstand im Austausch mit den Fans, „und hier war Uli Hoeneß entscheidend“, so Müller-Heydenreich: „Er hatte das richtige Gespür für die Fans und wusste genau, wo die Grenzen liegen. Diese Abstimmung war ausschlaggebend.“ Am Ende einigte man sich darauf, „die Fremdanteile klar zu begrenzen und den Mitgliedern weiterhin den entscheidenden Einfluss zu sichern. Wir sprechen hier über das Wesen des FC Bayern – das, was diesen Verein von anderen unterscheidet.“ Präsident Herbert Hainer hatte erst kürzlich auf dem exklusiven Jubiläumsstammtisch für Mitglieder erklärt: „Andere Vereine werden von Investoren getragen – der FC Bayern von seinen Mitgliedern.“ Müller-Heydenreich: „Die Entscheidungsgewalt muss immer beim Verein, beim Präsidium und bei den Mitgliedern bleiben. Das sichert Stabilität.“
Ein ganzes Leben lang zu wenig Zeit
Schon 2010 waren die Fans stark eingebunden, genauso verfuhr der Verein bei der jüngsten Satzungsreform vor zwei Jahren. „Das lief alles transparent mit intensiver Partizipation ab“, lobt der „geistige Vater der Satzung“, dem besonders „die neu hinzugefügten Passagen über die ethischen Ansprüche des Vereins“ gefallen: „Vorher war die Satzung eher technisch, jetzt ist die gesellschaftliche Haltung des Vereins klar festgehalten. Das ist wichtig.“ Der FC Bayern sei in diesem Themenfeld mal wieder ein Pionier: „Wenn ich andere Vereine beraten würde, würde ich ihnen empfehlen, sich die FC Bayern-Satzung anzusehen.“ Was den FC Bayern stark mache? Müller-Heydenreichs Appell: „Diejenigen, die einen Verein führen, müssen immer den Club im Fokus haben, keine eigenen Motive. Und es darf kein Deckel auf alles gesetzt werden, sodass nichts unter der Oberfläche brodelt. Uli Hoeneß ist dabei das Vorbild.“
Nach über 60 Jahren in Diensten des FC Bayern („Man muss wissen, wann man Jüngere ranlässt“) ist Müller-Heydenreich weiterhin fit, körperlich wie geistig. „Bis heute spiele ich bei den Montagskickern“, erzählt er. „Franz Beckenbauer hätte über mich gesagt: ‚Der kann nur geradeaus laufen.‘ Und er hat recht. Aber besser, als gar nicht zu laufen!“, sagt er schmunzelnd. „Ich jammere nicht. Ich bin nur dann unzufrieden, wenn ich unter meinen eigenen Möglichkeiten bleibe. Dann ärgere ich mich über mich selbst.“ Langweilig werde ihm nicht: „Mein ganzes Leben lang hatte ich immer weniger Zeit, als ich eigentlich gebraucht hätte.“
Der Artikel erschien in der aktuellen Ausgabe des Mitglieder-Magazins „51“ – hier in einer gekürzten Fassung.
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