
Fußball mal Nebensache: Beim Erlebnis-Trainings-Camp der U11 bis U13 in Österreich wachsen Spieler, Eltern und Staff zusammen. Pädagogin Eva Zier spricht von einem „sozialen Setting“, das verbindet: gemeinsame Erlebnisse, Vertrauen, Zusammenhalt. Werte, die am Campus ebenso zählen wie Tore und Titel. Das FCB-Clubmagazin „51“ hat die Nachwuchsspieler bei ihrem Erlebnis-Trainingscamp begleitet.
Auf Wandertour mit den jüngsten Campus-Kickern

Der Blick aus der Gondel ist atemberaubend. Ein herrlicher September-Tag, der Schatzberg vor Augen und das Bergpanorama der Wildschönau überall: Aber die sechs Buben hier oben haben nur Sinn für das Eine. „Schaut mal, auf dieser Wiese Fußball spielen, das wäre doch was“, sagt Mustafa, und der Rest der Truppe nickt natürlich zustimmend. Sattes Grün, gut gemäht, er hat schon recht – aber trotzdem gibt es zwei Haken an der Sache. Zum einen ist der Ausstieg auf der Bergfahrt nicht möglich, und zum anderen ist das, was die Jungs sonst den lieben langen Tag machen, heute zweitrangig. Das Training ist vorbei, das Testspiel wurde auch gewonnen. Und der Rest des Tages in diesem ganz besonderen Erlebniscamp unserer U11-, U12- und U13-Teams ist bewusst dafür da, mal nicht an Fußball zu denken.
Ganz normale Jungs mit großen Träumen
Das fällt schwer, das darf es auch. Und die 15 Minuten Gondelfahrt haben sie ja noch für sich. Da sitzt Erlis, der erst vor einem Jahr aus Albanien nach München gekommen ist, aber so wirkt, als sei er schon immer da. Da ist Luca, der erzählt, dass er seine Eltern jeden Tag anruft, immer nach dem Training. Daneben Irfane und Vinnie, die sich an die Höhe hier erst mal gewöhnen müssen. Die Gesprächsthemen sind klar: Training, Spiel, zwischendurch wird getanzt, natürlich werden die Handys gezückt, es geht um Turnschuhe, Tiktok, Musik, Instagram, „Bro“ und „Digger“. Ganz normale Bald-Teenager, könnte man denken. Wenn man nicht wüsste, dass sie Füße – und teilweise Hände – haben, in die große Hoffnungen gelegt werden. Von ihnen selbst, von ihren Eltern, vom FC Bayern. Kurzum: von allen, die heute hier sind.

Wie groß diese Gruppe ist, sieht man beim Ausstieg sofort. Und wie bunt sie ist, auch. Mehr als 180 Berg- und Talfahrt-Tickets wurden gelöst – 55 von den Spielern, der Rest von all den Familienmitgliedern, die dabei sein können. „Dieses Jahr sind wir bei einer Quote von 97 Prozent“, erzählt Dr. Eva Zier, als sie bei der Wanderung zum Gipfel – nur zwei Kilometer, für jedermann geeignet – vorweggeht. Das hört sich nicht nur nach viel an, sondern ist für die Pädagogische Leitung am FC Bayern Campus auch ein großer Erfolg. Vor drei Jahren, als das sogenannte „Erlebnis-Trainings-Camp (ETC)“ der Grundlagen-Teams ins Leben gerufen wurde, hatten nur um die 64 Prozent der Spieler Familienbesuch. Jetzt sieht man so gut wie jeden mit Mama, Papa, Bruder, Schwester auf den Gipfel stürmen. Und diejenigen, deren Familien verhindert sind, werden an die Hand genommen, bestens integriert.
Auch Eva Zier und der Rest der insgesamt zwölf Staff-Mitglieder sind mittendrin. Die acht Trainer sowie das pädagogische Team um sie herum. Frederik Hellermann ist als Sportpsychologe dabei, Eric Mbarga als Präventions- und Kinderschutzbeauftragter, dazu kommt die Schulbeauftragte Janne Mlinarsky. Wie alle anderen werden sie allerdings überholt von Thiago, der in der U12 spielt.

Am Berg ist er der Erste und schnauft erst mal kurz, bevor er grinsend sagt: „Eigentlich habe ich Höhenangst.“ Ganz Sportler eben, starker Wille kann Grenzen überwinden. Aber Thiago muss jetzt ein bisschen hier oben aushalten, bis alle anderen da sind. Die Wanderfamilien in adäquater Ausrüstung, die Mamas in Schlappen, die kleinen Geschwister auf den Schultern. Ein Gruppenfoto – nur zu schaffen mit Weitwinkel – gibt es erst, wenn die Gruppe auch vollständig ist. Und Kneifen geht übrigens auch nicht. Ein Junge mag nicht aufs Bild, bis ein Trainer ruft: „Kinder, ihr seid die Hauptpersonen hier, um euch geht es!“ Besser hätte man all das, was heute passiert, nicht zusammenfassen können.
Erlebniscamp als „Herzensprojekt“
Die spätsommerliche Wanderung fühlt sich nicht nach Arbeit an, aber sie bringt alle voran. „Soziales Setting“ nennt Eva Zier die Werte, die am Campus gelebt und in Zusammenarbeit mit den Eltern vertieft werden sollen. Aktionen wie diese verbinden, fördern den Austausch, schaffen Vertrauen. Das erklärt auch, warum die Pädagogische Leitung, eigentlich gerade in Elternzeit, heute dabei ist. Das Erlebniscamp ist Ziers „Herzensprojekt“, seitdem sie vor vier Jahren mit U11-Trainer Marcel Schneider und ihrem Team überlegt hat, wie man die Eltern der jüngsten Campus-Kicker besser ins Boot holen kann. Gemeinsame Erlebnisse, die über die Zeit am Campus hinweg in Erinnerung bleiben, standen im Fokus der Konzeption – denn sie stärken das Zugehörigkeitsgefühl und die Identifikation mit dem FC Bay- ern. Zier nennt Schlagworte wie Kommunikation, Vertrauen, Zusammengehörigkeit, Familie, „Mia san mia“, Transparenz. Und sie sagt auch: „Was wir hier machen, hat einen Effekt auf die ganze Saison.“ In den einzelnen Teams, unter den Mannschaften, bei den Eltern, beim Staff.

Wer hier oben die Aufsichtspflicht hat? „Alle und keiner“, sagt die Mama von Inas lachend. Aber sie weiß, dass am Ende sie in der Waschküche mit den Socken zu tun haben wird, die ihr Sohn gerade über Stock und Stein trägt. Die Schuhe sind voller Matsch, also hat er sie ausgezogen. Sein Kumpel und Teamkollege Ferdi lacht über die unfreiwillige Fuß-Reflexzonen-Massage. Man darf nicht vergessen: Sie sind halt alle noch Kinder.
Das wird auch nachts deutlich, denn natürlich gibt es Heimweh-Fälle. Einige Eltern wohnen im Gasthof nebenan, für den Notfall. Schritt für Schritt in die FC Bayern-Familie wachsen ist das Ziel. „Für die U11 sind es die ersten Erlebnisse mit dem FC Bayern“, sagt Eric Mbarga, „das darf man nicht vergessen.“ Ab diesem Jahrgang – heuer ist es das Geburtsjahr 2015 – beginnt der Grundlagenbereich am Campus. Talente werden zusammengebracht, es geht Jahr für Jahr darum, ein Team zu bilden, das auch auf dem Feld gemeinsam kämpfen will. Dass die Fluktuation im Jugendbereich auf höchstem Niveau groß ist, ist nur logisch. Um es in Kinderworten – aus dem Mund eines U12-Spielers – zu sagen: „Wir waren letzten Jahr elf, zwei wurden rausgekickt, zehn Neue sind gekommen.“ Eine Mama sagt es diplomatischer: „Die Abschiede waren hart. Für die Jungs und für uns Eltern.“

Jeder hier hat seine eigene Geschichte, das wird im Gespräch schnell deutlich. Viele Jungs waren schon im Fördertraining ab der U8 am Campus, andere sind neu. Viele werden von ihren Eltern gefahren, andere viermal pro Woche von einem Shuttle eingesammelt. Manche haben noch einen kleinen oder großen Bruder, der genauso gut kickt. Was sie eint, ist der große Traum, Profi zu werden. Am liebsten natürlich in Rot-Weiß.
Mehr als nur ein Trainingslager
Auch der Umgang damit ist in den Familien unterschiedlich. Ferdis Mama zum Beispiel sagt: „Es muss einen Plan B geben.“ In jedem Bereich des Lebens können Träume platzen. Die Kinder zu begleiten, zu bestärken, zu fördern, aber nicht zu überfordern, ist eine Gratwanderung. Dass sie als Gemeinschaft am besten gelingt, weiß Kinderschutzbeauftragter Mbarga. Man sieht ihn in diversen Gesprächen, und er sagt über die Zusammenarbeit mit den Erziehungsberechtigten: „Wir wollen deutlich machen, dass sie wichtig sind. Sie geben ihre Kinder in unsere Obhut. Im direkten Austausch können wir vermitteln: Wir sind Experten!“

Dazu ist das Camp ein guter Ort, im Alltag aber wird am Campus der Dialog gefördert. Es gibt Elternsprechstunden, dazu viermal im Jahr Workshops, die Themen sind vielfältig. Über Ernährung wurde schon gesprochen, über Individualisierung, über die Begleitung vor, während und nach dem Spiel. Dass es dem Campus-Team ernst ist, zeigte eine Szene am Vormittag. Als es einem U13-Trainer beim Testspiel in Hopfgarten im Bayern-Block auf der Tribüne zu laut, zu emotional, zu individuell wurde, mäßigte er „seine“ Eltern. Klare Grenzen muss jeder kennen. „Wir stellen auch No-Gos vor“, sagt Eva Zier, für jeden gelten die gleichen Regeln. Anfeuern ja, aber bitte im Rahmen.
Auf der Wanderung geht es ruhiger zu. Wie lange der Weg noch ist? „Zehn Minuten“, sagt eine Mama, „zweieinhalb Stunden“, sagt ein großer Bruder und lacht. Die Wahrheit liegt dazwischen, aber es wirkt auch so, als ob alle noch Lust hätten. Große Geschwister laufen mit kleinen aus anderen Familien, Papas mit Trainern, Mamas in großen Runden. Und einer der Jungs hat Redebedarf. Auch dafür ist der Tag mit den Eltern da: erzählen über Freude und Sorgen. Zu wissen: Auch wenn Mama und Papa nicht jeden Tag hier sind, wir sind für dich da!
Eine Challenge für den Teamgeist
Gesprächsstoff gibt es allein von diesem Wochenende genug, denn wenn der sportpsychologische Experte Frederik Hellermann vom „bunt gemischten Programm“ spricht, ist das noch untertrieben. Die Trainingseinheiten und zwei Freundschaftsspiele sind heuer Fixpunkte, drum herum aber ist der Plan pickepackevoll. Ein Kreativworkshop sowie eine nächtliche Fackelwanderung haben das Camp eröffnet, nach dem Wander- und Grilltag mit den Eltern stehen ein internes Turnier, Sommerrodeln, Schwimmbad und der obligatorische bunte Abend an. „Alles, was abseits des Rasens passiert“, hat das psychosoziale Team „Hand in Hand mit den Trainern“ organisiert. So auch die Challenge, die über alle drei Tage läuft – und als bestes Beispiel für die Mission vor Ort steht.

Schon vor dem Camp wurden die jeweiligen Mannschaften in vier Teams eingeteilt. Im Turnier geht es um Tore, aber zweifach honoriert werden Dinge wie Support und Interaktion in der Gruppe sowie Fair Play. Dazu gab es diverse kleine Prüfungen, etwa ein Quiz und Teambuilding in verschiedenen Spielformen. Am bunten Abend sollte eine Darbietung her, das kennt man aus dem Schullandheim. Es gab schon alles, von Akrobatik über Helene Fischer, natürlich wurde auch der „Stern des Südens“ gesungen. Spannend ist, welcher Charakter sich durchsetzt. Mustafa zum Beispiel, inzwischen in der U13 und schon Erlebniscamp-erfahren, würde gern Deutsch-Rap zum Besten geben. „Aber die anderen können das nicht so gut.“ Also muss ein Kompromiss her.
Beim Grillabend gilt: „Die Jungs zuerst“
Zusammengestellt wurden die Gruppen von den Trainern. Sportlich muss es passen, aber auch menschlich. Vier Alphatiere in einem Team bringen wenig. In den Vier- oder Sechsbettzimmern wurden die „Neuen“ zudem gleichmäßig verteilt. Die Gruppendynamik ist auch für die Betreuer interessant. Die WG im obersten Stockwerk hat einen Aufenthaltsraum. Wenn die Jungs schlafen, wird hier reflektiert.
Eva Zier erzählt das, als die Gruppe zurück am „Jugendhotel Angerhof“ ist. Der Tag neigt sich dem Ende, das Panorama ist immer noch herrlich, nur das Setting ein anderes. Grillabend mit den Familien, die Stimmung an den Bierbänken ist ausgelassen, fantastisch duften tut es obendrein. Aber die Eltern haben alles richtig gemacht, indem sie erst mal in Richtung Bar gehen. Ein lauter Ruf „Das Büfett ist eröffnet“ wird nämlich schnell ergänzt vom Satz: „Aber erst die Kids.“
Das Glück der hungrigen Nicht-Spieler: Essen geht bei den Jungs schnell. Denn das satte Grün der Wiese vor dem Hotel hat die größere Anziehungskraft. Wie in der Gondel gilt: Fußball macht halt am meisten Spaß.
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