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Alphonso Davies auf dem Rasen der Allianz Arena bei seinem Comeback gegen Sporting Lissbon
© picture alliance

Alphonso Davies: Am Ende des Tunnels

Hinter Alphonso Davies liegt
ein extremes Jahr: Vertragsverlängerung, Kreuzbandriss, Zweifel, Schmerzen, Comeback. Aber der härteste Kampf seines Lebens hat ihn nur stärker gemacht. 2026 kann kommen.

Meep-meep! Hier kommt Alphonso Davies. Es läuft die 88. Minute des Champions League-Spiels gegen Sporting Lissabon. Ein kurzes Abklatschen mit Trainer Vincent Kompany, eine herzliche Umarmung von Serge Gnabry, ein kräftiges „DAVIES“ von den Rängen, dann ist der 25-Jährige zurück. Achteinhalb Monate musste er pausieren – und dann ist plötzlich alles wie früher. Nur ein paar Augenblicke nach seiner Einwechslung zieht Davies zum Sprint an. Entschlossen läuft er einen Sporting-Angreifer ab, gewinnt den Ball zurück und unter­bindet einen Konter der Portugiesen. Auf den Tribünen applaudieren die Zuschauer – auf dem Rasen grinst Davies von einem Ohr zum anderen. Wie der Roadrunner aus den bekannten
Cartoons ist „Phonzy“ schon wieder nicht aufzuhalten. Von keiner Falle, keinem Hindernis, keinem Gegner. Nur eine Verletzung stoppte ihn. Aber in diesem Moment in der Allianz Arena wird die 261 Tage lange Pause zu einem immer kleiner werdenden Punkt am Horizont, hinter ihm lösen sich Schmerzen und Zweifel in Luft auf.

Vincent Kompany kniet im Training des FC Bayern auff dem Rasen und lacht.
© FC Bayern
Mental war die Heilung härter als körperlich. Aber ich wusste: Jammern bringt nichts!

Alphonso Davies

Es machte dreimal Klick

Mit 36,24 Kilometern pro Stunde hatte Davies in der letzten Saison den Top-Speed aller Bayern-Spieler. Im fünften Jahr in Folge. Als er dann jäh gestoppt wurde, war der Aufprall umso härter: Am 23. März 2025 spielt Davies mit der kanadischen Nationalmannschaft in der nordamerikanischen Nations League gegen die USA. Er bekommt einen Schlag von außen auf sein rechtes Knie, bleibt mit dem Fuß im Rasen stecken, verdreht. „Ich hörte, wie es dreimal klick machte. Mein ganzes Bein wurde taub, vom Knie bis zum Knöchel“, erzählt er. Trotzdem kehrt Davies noch mal kurz ins Spiel zurück. „Ich war voller Adrenalin, hatte kaum Schmerzen. Aber als ich sprinten wollte, wusste ich, irgendwas stimmt nicht. Ich dachte nur: Was zur Hölle …?!“ Ein MRT bringt die traurige Gewissheit: Kreuzbandriss im rechten Knie, auch der Meniskus ist beschädigt. „Als ich die Diagnose hörte, ging die ganze Energie aus meinem Körper.“ Schon am nächsten Tag wird er operiert. „Nach der OP wachte ich auf, sah mein Bein und konnte nicht glauben, was passiert ist. Dann kamen die Fragen: Werde ich wieder derselbe sein? Werde ich wieder spielen? Was ist, wenn …?“ Die Gedanken rasten – und dann musste alles raus. „Beim ersten Duschen nach der OP kamen alle Emotionen hoch. Ich bin in Tränen ausgebrochen.“

Davies‘ Verzweiflung ist im ersten Moment groß. Gerade hat er seine sportliche Zukunft sortiert. Anfang Februar beendete er alle Wechselgerüchte und verlängerte seinen Vertrag beim FC Bayern bis 2030 („Ich wollte immer bleiben. Ich liebe diesen Club.“). Mitte März erzielte er im Champions League-Achtelfinalrückspiel in Leverkusen ein wichtiges Tor. Er hatte in der Königsklasse und Bundesliga so viel vor mit dem FC Bayern. Im Sommer wartete die Klub-WM in den USA, ein Jahr später die Weltmeisterschaft in den USA, Mexiko und seiner Heimat Kanada. Davies war voller Tatendrang, voller Elan. Und dann reißt dieses blöde Band – und mit ihm gerät ein ganzer Lebenstraum ins Wanken.

Alphonso Dvies bei Reha-Übungen nach seinem Kreuzbandriss
Stationen der Reha: Fahrrad fahren und Stabilitätsübungen. | © FC Bayern

Rückblick: Am 13. Juni 2018 betritt Davies die Weltbühne des Fußballs. Buchstäblich. Beim FIFA-Kongress in Moskau wird über die Austragung der WM 2026 entschieden. Mexiko, Kanada und die USA haben sich gemeinsam beworben – und ein 17-Jähriger mit Zahnspange und leuchtend roter Jacke steht am Rednerpult. „Mein Name ist Alphonso Davies“, beginnt er zu sprechen, „meine Familie ist aus Liberia und floh vor dem Bürgerkrieg. Ich wurde in einem Flüchtlingscamp in Ghana geboren. Es war hart. Mit fünf Jahren hat uns ein Land namens Kanada aufgenommen. Und die Jungs aus dem Fußballteam haben mir das Gefühl gegeben, zu Hause zu sein.“ Davies, damals schon der jüngste Nationalspieler Kanadas, erzählt von seinem großen Traum, irgendwann für Ka­nada bei einer WM aufzulaufen – und er trifft mit seiner einminütigen Rede genau den richtigen Ton. Seine Worte bewegen und gelten als kleiner, wichtiger Moment im Entscheidungsprozess, der dann tatsächlich zugunsten von Kanada, Mexiko und den USA ausfällt. Als das Ergebnis bekannt gegeben wird, springt Davies von seinem Sitz. „Jetzt werde ich davon träumen, das erste Tor für Kanada bei einer WM zu schießen“, sagt er damals. „Ich glaube, das kann ich wirklich schaffen.“

Bayern, Titel, WM

Für Davies ist der Sommer 2018 ein Sommer voller Träume. Von der Weltmeisterschaft, von neuen Zielen, von einer großen Zukunft. Sechs Wochen nach seiner Rede entscheidet er sich für einen Wechsel zum FC Bayern. Es ist der Start einer großen Karriere. Vier Jahre später hat er nicht nur die Champions League, die Klub-WM und Deutsche Meisterschaften gewonnen – im November 2022 fährt er mit Kanada zur WM nach Katar. Überglücklich postet er auf Instagram: „Ein Kind, das in einem Flüchtlingslager geboren wurde, hätte es eigentlich nicht schaffen dürfen! Aber jetzt geht es zu einer Weltmeisterschaft! Lass dir von niemandem einreden, dass deine Träume unrealistisch sind.“ Und siehe da: In Katar erzielt Davies im Gruppenspiel gegen Kroatien dann tatsächlich das allererste WM-Tor Kanadas.

Alphonso Davies bei Kraftübungen mit Bleiweste während seiner Reha
Bleiweste und Kettlebell: Muskelaufbau ist mühsam. Im operierten rechten Bein hat Davies viel Kraft verloren. | © FC Bayern

Wenn im Sommer 2026 in seiner Heimat die nächste Weltmeisterschaft ansteht, ist Alphonso Davies nicht einfach nur der größte Fußballstar Kanadas. Mit seiner Geschichte steht er für Aufstieg, Chancen, Hoffnung. Er hat vorgemacht, dass man es mit Talent, Mut und Arbeit ganz nach oben schaffen kann. Wie kein anderer verkörpert er ein neues Selbstbewusstsein des kanadischen Fußballs. Nationaltrainer Jesse Marsch machte ihn zum Kapitän. „Alphonso hat sich verändert. Er ist gereift“, berichtete Marsch Anfang 2025. Für ihn ist klar: Davies „muss“ das Gesicht Kanadas bei der Heim-WM sein. „Und er ist bereit dazu. Er will das auch sein.“

Der Kampf im Kopf

Zurück an die Säbener Straße: Es sind noch rund zehn Monate bis zur WM – und Alphonso Davies hat endlich wieder Rasen unter den Füßen. Regelmäßig dreht er seine Laufrunden über das Trainingsgelände. Wenn gleichzeitig die Mannschaft trainiert, mischt er sich gern kurz unter die Kollegen. Mitte August 2025 sieht man ihn mit Dayot
Upamecano zusammenstehen. Aus Spaß spielt Davies ihm einen Ball durch die Beine. „War keine Absicht! Das ist einfach Instinkt, weißt du?!“, sagt er grinsend, als Upa droht, sich auf ihn zu stürzen. Es ist eine kleine Szene, die zeigt: Davies ist wieder zu Späßen aufgelegt. Es liegt zwar noch einiges an Reha-Arbeit vor ihm, aber den härtesten Teil hat er geschafft. „Ich hatte Schmerzen, konnte mein Bein nicht beugen, konnte sechs, sieben Wochen lang nicht gehen. Nachts schlief ich kaum, wachte schweißgebadet auf“, erzählt er. Aber den schwersten Kampf trug Davies im Kopf aus. „Mental war die Heilung härter als körperlich“, sagt er. „Nicht genau zu wissen, wie lange du raus bist. Nicht spielen zu können. Jeden Tag dasselbe tun zu müssen … Irgendwann wird dein Geist müde und sagt: Ich will nicht mehr.“ Aber Davies gewinnt den Kampf: „Ich sagte mir: Ich kann hier sitzen und mich schlecht fühlen – oder ich kann positiv bleiben und kämpfen. Und das tat ich. Ich wusste: Jammern bringt nichts.“

Alphonso Davies im roten Bayern-Trikot vor schwarzem Hintergrund
© FC Bayern
Eine meiner wichtigsten Fragen war: Würde ich wieder so schnell sein wie früher?

Alphonso Davies

Noch einmal ins TV-Studio an der Säbener Straße. In der Dokumentation gibt es ein wiederkehrendes Element – es öffnen sich Türen, die zu verschiedenen Kapiteln von Davies’ Leben führen: seiner Kindheit in Kanada, seinem ersten großen Schritt als Teenager weg von zu Hause nach Vancouver, seinem Wechsel ins noch weiter entfernte München und so weiter. „In meinem Leben gingen immer wieder Türen auf“, sagt er. „Jede Tür war ein Zeugnis davon, wer ich wirklich bin. Da hindurchzugehen, hat mich weitergebracht.“ Auch die Tür der „schwersten Verletzung meiner Karriere“ hat Davies jetzt durchschritten, eine Erfahrung, die ihn wieder verändert und geprägt hat. „Was ich vor allem gelernt habe: Geduld“, erzählt er, und das war bestimmt nicht leicht für einen, für den es auf dem Rasen nicht schnell genug gehen kann.

Mit Musik und handwerklichen Projekten versuchte er, seine Energie in an­dere Kanäle zu leiten. Mehrere Möbel habe er zusammengebaut, erzählt er. Aber auch seinen eigenen Bauplan als Fußballer hat sich Davies vorgenommen. „Immer nur zuschauen zu können, nicht mitspielen zu können, Woche für Woche – das hat mir die Augen geöffnet. Vielleicht musste ich einen Schritt zurücktreten, um das große Bild zu sehen“, sagt er. „Ich weiß jetzt, dass ich nichts für selbstverständlich nehmen kann. Wenn ich heute auf dem Rasen bin, gebe ich noch mehr als vor meiner Verletzung. Ich freue mich, den Sport zu spielen, den ich liebe. Mit Menschen, die ich mag. Draußen zu sein, zu kämpfen, zu gewinnen.“ Die Rückrunde kann kommen. Und dann die WM. Meep-meep!

Der Text erschien in der Januarausgabe des Mitgliedermagazins „51“, hier in einer gekürzten Fassung.

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