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Säbener Stories: HSV History! Als der Kaiser gegen seine Bayern spielte I Kolumne

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Das Abschiedsspiel des Kaisers 1982 in Hamburg, mit DFB-Kapitän Kalle Rummenigge.
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HSV History! Als der Kaiser gegen seine Bayern spielte

Säbener Stories – das ist die wöchentliche Kolumne für alle, die den FC Bayern München leben und lieben. Hier geht es um die ruhmreiche Vergangenheit und die spannende Gegenwart des Rekordmeisters.

Wir erzählen von den großen Momenten des Vereins und von den neuesten Heldentaten. Hier begegnen sich Kaiser und Kane, Katsche und Kimmich, Sepp Maier, Oliver Kahn und Manuel Neuer. Die Säbener Stories liefern Geschichte und Geschichten rund um die Farbe Rot und ums „Mia san mia“.

Vor dem Spiel gegen den Hamburger SV am Samstagabend in der Allianz Arena geht es diesmal um den Allergrößten, um Franz Beckenbauer – ausnahmsweise nicht im Trikot seines FC Bayern, sondern in Blau, für den HSV.

Der Kaiser als Hamburger und sein einziges Spiel 1981 gegen den FC Bayern – das ist Fußballgeschichte zwischen Isar und Elbe.

Ein Münchner in Hamburg, als Nordlichtgestalt. Der Stern des Südens als Stern des Nordens. „Moin moin“ statt „Servus“ – was für ein Thema! Geht’s raus, und lest’s über Fußball! Auch deshalb, weil der Franz am 11. September 80 Jahre alt geworden wäre. Wir hätten so gern mit ihm gefeiert…

Es ist der 15. November 1980, als BR-Moderator Fritz Hausmann den Hörern in der Bundesligasendung „Heute im Stadion“ einen historischen Satz zuruft: „Beckenbauer ist auf dem Platz!“ Wer da keine Gänsehaut hat, ist kein Fußballfan.

Und tatsächlich: Franz Beckenbauer ist „Heute im Stadion“, beim Spiel VfB gegen HSV. 33 Sekunden nach Wiederanpfiff, in der 46. Minute, verhilft ihm Trainer Branko Zebec, elf Jahre davor sein erster Meistercoach beim FC Bayern, zum sensationellen Comeback.

Warum der Franz zu spät kommt – darüber gibt es zwei Versionen. Die eine besagt, dass die HSV-Masseure noch an ihm herumdokterten. Und die andere, dass er seine Rückkehr triumphal wie ein leibhaftiger Kaiser inszenieren wollte.

Der Kaiser in Blau – nicht die ideale Farbe, aber was will man machen?
Der Kaiser in Blau – nicht die ideale Farbe, aber was will man machen? | © Imago

Schwarze Hose, blaues HSV-Trikot, Raute und BP-Logo auf der Brust, ausnahmsweise Rückennummer 12: So trabt der GOAT (auch wenn man das 1980 noch nicht sagt) in seinem 397. Bundesligaspiel auf den Platz. Es ist sein erstes, das er nicht für den FC Bayern bestreitet.

Und es ist das einzige Mal, dass er in einem Bundesligaspiel eingewechselt wird. Ansonsten gilt für den Kaiser grundsätzlich: Entweder er spielt ganz, von Anfang an – oder gar nicht.

Servus, Francesco

Drei Jahre lang hat Franz davor bei Cosmos New York gekickt, in der US-„Operettenliga“, wie damals gespottet wird. Zusammen mit nicht mehr blutjungen Weltstars wie Pelé, dem anderen GOAT, oder Italiens Stürmerlegende Giorgio Chinaglia.

1977 hatte es ihn in den Big Apple verschlagen. Die Gründe? Ja mei, Steuern, Frauen, Erfolgsüberdruss beim FC Bayern. Nix wie weg also, in die Stadt, die niemals schläft. „Servus, Francesco“, ruft ihm Sepp Maier am Flughafen draußen in Riem zu – sonst kommt kein Mannschaftskamerad zum Abschied.

Nach 80 Spielen für Cosmos dann plötzlich Hamburg statt München. Als ob der Papst protestantisch wird, schreiben die Zeitungen. Aus heutiger Sicht: Wie Uli Hoeneß bei 1860, wie Thomas Müller bei Borussia Dortmund. Geht eigentlich gar nicht, ist aber so.

Endlich! Die HSV-Fans feiern ihren spektakulären Neuzugang bei der Ankunft.
Endlich! Die HSV-Fans feiern ihren spektakulären Neuzugang bei der Ankunft. | © Imago

Der Weg zur Heimkehr

Franz Beckenbauer fühlt sich wohl in New York, trotz Rückennummer 6 bei Cosmos und überschaubar spannendem Fußball. Er reift vom Giesinger Prachtkicker zum Weltmann. Glamour, Prominente, Mick Jagger, Andy Warhol, rauschende Partys im Studio 54, so lässt sich’s aushalten.

„Ich hatte ein prima Leben damals in Amerika. Bis Günter Netzer kam und alles zerstörte“, spöttelt der Franz rückblickend.

Und das kommt so: 1979 schauen HSV-Manager Netzer und Trainer Zebec in Dortmund bei einem Benefizspiel der Weltauswahl zu. Und wer zieht dort die Fäden, lässig, elegant, braungebrannt nach einem Karibikurlaub? Natürlich Franz Beckenbauer, mit 34 wie eh und je eine Augenweide auf dem Platz.

„Was meint’s ihr – kann ich noch Bundesliga spielen?“

„Der kann’s immer noch“, raunen sich die beiden HSV-Macher zu – und starten die Aktion „Wir holen den Kaiser zurück nach Deutschland“. Zebec verspricht ihm: „Franz, wir bauen um dich eine HSV-Mannschaft auf.“ Netzer erkundigt sich ganz direkt: „Hättest du Lust auf die Bundesliga?“

Ach geh, so ein Schmarrn, denkt sich Beckenbauer zuerst: „Herr Zebec, was soll ich mit 35 noch in der Bundesliga?“ Aber je öfter ihn die Hamburger umgarnen, mehrfach nach New York fliegen, desto spannender findet der Sechser von Cosmos das Abenteuer.

Vielleicht will er auch seine Bayern ärgern, die ihn nie nach einem Comeback fragen. Der Abschied von München, von Präsident Wilhelm Neudecker, war ja auch überschaubar herzlich.

Als ihn deutsche Journalisten in New York besuchen, fragt er sie: „Was meint’s ihr – kann ich noch Bundesliga spielen?“ Natürlich meinen sie das, und die sensationelle Heimholung nimmt ihren Lauf.

Genug Benzin im Tank, Franz?

Geld ist kein Problem: Der HSV-Sponsor, der Mineralölkonzern BP, übernimmt das Jahresgehalt von einer Million Mark. Die Frage ist bloß: Hat Franz noch genug Benzin im Tank? Oder haben die Jahre auf dem US-Kunstrasen zu viel Substanz gekostet?

Im Mai 1980 wacht er in Los Angeles auf – und beschließt spontan, das HSV-Angebot anzunehmen: „Es war so ein Bauchgefühl.“

Als Beckenbauer am 31. Oktober 1980 in Hamburg-Fuhlsbüttel landet, warten Tausende von Fans auf ihn. „Kaiser Franz, stoß die Bayern vom Thron!“, steht auf einem Transparent.

Beim ersten Heimspiel gegen den KSC drängen sich 41.000 im Volksparkstadion – doppelt so viele wie sonst. HSV-Regisseur Felix Magath jubelt: „Ich habe noch nie einen Spieler gesehen, der so eine Übersicht hat.“

Beckenbauer residiert im Norden nobel – erst im Hotel Interconti, dann in der Feldbrunnenstraße im feinen Stadtteil Rotherbaum. Spaziergänge an der Alster, Essen im Fischereihafen. Später schwärmt er: „Hamburg ist die schönste Stadt Deutschlands.“ Aber da muss er zurückrudern: „Ich hab natürlich Hamburg und München gemeint.“ Auch in Sachen Diplomatie ein Kaiser.

Zwischen Glanz und Adduktorenriss

Die ersten Spiele zeigen: Mit 35 ist Beckenbauer technisch immer noch brillant. Zentimetergenaue Pässe wie mit dem Zirkel gezogen, die Eleganz eines Liberos, der das Spielfeld wie ein Feldherr überblickt.

Der Ball gehorcht ihm wie eh und je. Aber sein Körper macht nicht mehr so recht mit. Einmal reißen ihm beim Elfmeter die Adduktoren. Ein andermal springt ihm Horst Hrubesch im Training versehentlich in den Rücken.

„Ich hätte gern mehr gespielt, aber die vielen Spiele in den USA hatten Spuren hinterlassen“, bekennt er. Am Ende stehen in eineinhalb Spielzeiten nur 28 Bundesliga-Einsätze für den HSV. Ein Tor schießt er dabei nicht mehr – alle seine 44 Bundesliga-Treffer schafft er für den FC Bayern.

Und doch schließen ihn die Hamburger ins hanseatische Herz. „Als ich verletzt war, hatte ich das Gefühl, die ganze Stadt leidet mit mir“, erinnert sich Beckenbauer später. Wildfremde Menschen rufen ihm auf der Straße zu: „Sie schaffen das.“

Jung-Manager Uli Hoeneß war heiß aufs Spiel gegen den Kaiser.
Jung-Manager Uli Hoeneß war heiß aufs Spiel gegen den Kaiser. | © YouTube/BR

Der Showdown: Beckenbauer gegen Bayern

Trotzdem bietet Beckenbauers HSV-Intermezzo einige unvergessene Höhepunkte – für seine Hamburger, und auch für seine Bayern.

Am 21. März 1981 steigt im Volksparkstadion am 25. Spieltag das historische Spiel, auf das Fußball-Deutschland wartet: Beckenbauer gegen Bayern, das erste und einzige Mal in seiner Karriere.

38 Punkte hat der HSV mit Interimscoach Aleksandar Ristić vor der Partie, 35 Punkte Pál Csernais Bayern. Mit dem nächsten Dreier, pardon, Zweier (so wird damals noch gezählt) machen die Nordlichter einen Riesenschritt Richtung Meisterschaft.

Solche Spiele bereiten Uli Hoeneß, Jung-Manager der Bayern, besonders viel Spaß. Er verrät davor im Blickpunkt Sport des BR: „Wir gehen zum ersten Mal in dieser Saison in ein Spiel, in dem wir absoluter Außenseiter sind. Und ich könnte mir vorstellen, dass jeder sich diebisch darauf freut.“

Horst Hrubesch jubelt, Franz Beckenbauer hofft auf den Sieg gegen Bayern
Horst Hrubesch jubelt, Franz Beckenbauer hofft auf den Sieg gegen Bayern | © Imago

Meisterschaft 1981 dank Breitnigge

Aber erstmal freut sich der HSV. Libero Franz Beckenbauer dirigiert das Spiel klug aus der Abwehr heraus. In der 54. Minute führen die Hamburger durch Tore von Magath und Hrubesch bereits 2:0. Wer wird Deutscher Meister? Ha-ha-ha-HSV?!

Sogar der rauschebärtige Paul Breitner, der mit einem Fehlpass auf Horst Hrubesch das 2:0 unfreiwillig vorbereitet, lässt den Kopf hängen. „Die Bayern scheinen etwas enttäuscht und leicht aus der Fassung geraten“, kommentiert Fritz Klein in der ARD-Sportschau.

Dann patzt ausgerechnet der Kaiser. Kein optimales Stellungsspiel in der HSV-Abwehr. Zuckerpass des unermüdlich rackernden Breitner auf seinen Breitnigge-Zwilling Kalle Rummenigge – der macht in der 67. Minute das 1:2. Eine Minute vor Schluss wuchtet Paule himself den Ball zum 2:2 ins Netz.

Auf geht's, Paule! Zwei bayerische Legenden unter sich.
Auf geht's, Paule! Zwei bayerische Legenden unter sich. | © Imago

Der FC Bayern gewinnt gefühlt 2:2 in Hamburg. Franz Beckenbauer kassiert im Kicker Note 4 – und Torwart Jupp Koitka wagt es, die Leistung des Weltmeisters zu rüffeln: „Über Beckenbauer sollte man reden, und zwar schnell.“ Kaiserlästerung!

In der Schlussphase der Saison 1980/81 ist der HSV von der Rolle, brillante Bayern feiern doch noch ihre siebte deutsche Meisterschaft.

War’s das für den Franz? Von wegen!

Der Kaiser bekommt seine Revanche. 1981/82 führt der ewig grantelnde Wiener Fußball-Visionär Ernst Happel die Hanseaten zur Meisterschaft. Legendär ist das 4:3 des HSV im April 1982 in München, als Hrubesch in letzter Minute trifft – leider wieder ohne den verletzten Kaiser.

Aber Nordlichtgestalt Franz hebt am Saisonende die Schale hoch – sein fünfter Titel, der erste und einzige ohne Bayern. Am 29. Mai 1982 spielt er beim 3:3 im Volkspark gegen den KSC zum letzten Mal in der Bundesliga. Nach 41 Minuten nimmt Happel ihn vom Feld. Tosender Applaus, Gänsehaut, Hamburg verneigt sich.

Abschluss mit Schale: Franz Beckenbauer hört standesgemäß als Deutscher Meister auf.
Abschluss mit Schale: Franz Beckenbauer hört standesgemäß als Deutscher Meister auf. | © Imago

Zehn Spiele schafft er in seiner zweiten HSV-Saison nur noch. „Ich bin hier der Notnagel“, hadert der Franz. Seine geheime Absprache mit Bundestrainer Jupp Derwall („Wenn ich zehn Spiele hintereinander mache, fahr ich zur WM“) ist hinfällig. Aber wenn er gesund ist, sind seine Brillanz, seine Eleganz nach wie vor nicht zu übersehen.

Ein Zeichen des Himmels

Ernst Happel würde ihn gerne zum Weitermachen überreden: „Noch mal wirst du nicht so viel Pech haben.“ Aber der gottesfürchtige Kaiser deutet nach oben: „Herr Happel, meine Ausfälle waren ein Zeichen des Himmels. Lassen Sie mich aufhören, bevor es peinlich wird.“ Wobei: Beckenbauer und peinlich – diese beiden Worte haben 78 Jahre lang nie und nimmer zusammengepasst.

Er bekommt noch ein rauschendes Abschiedsspiel im Volksparkstadion, mit dessen Erlös er die wohltätige Franz-Beckenbauer-Stiftung startet. 800.000 Mark bringt das Spiel, 200.000 Mark legt er privat drauf.

Der Rest ist Geschichte

Nach 25 letzten Spielen in der Nordamerika-Liga NASL, zu denen ihn Cosmos überredet, verlässt „The Kaiser“ am 12. September 1983 im Viertelfinale gegen Le Manic de Montréal endgültig den Platz – mit einer 0:1-Niederlage, die er ganz bestimmt verkraften kann.

Danach kehrt Franz Beckenbauer, für aufregende eineinhalb Jahre die Attraktion des Hamburger Fußballs, zurück nach Deutschland, nach München, zum FC Bayern. Der Rest, wie man so schön sagt, ist Geschichte. Weltmeisterliche Geschichte.

In der Allianz Arena, am Franz-Beckenbauer-Platz 5, steigt am Samstagabend das erste Bundesliga-Spiel gegen den HSV seit 2018.

Der Franz, unser Stern des Südens, würde schon wissen, wem er die Daumen drückt – auch wenn er eineinhalb Jahre lang der Stern des Nordens war.

Über den Autor: Unser Kolumnist, der „Balkonpoet“, war schon vor der WM 1974 als kleiner Münchner Bub überzeugt: „Der FC Bayern wird Weltmeister – weil da Franz Beckenbauer und Gerd Müller mitspielen.“

Gut, den Unterschied zwischen Vereinsfußball und Nationalelf musste er noch lernen. Aber an seiner Grundüberzeugung hat sich nichts geändert: Ein Spiel dauert 90 Minuten, und am Ende gewinnt der FC Bayern. Zumindest meistens.

In den Säbener Stories verbindet er jahrzehntelange Bayern-Leidenschaft mit einem amüsanten und unterhaltsamen Blick auf die Mannschaft von heute. Pack ma’s, Vincent!

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