
Säbener Stories – das ist die Kolumne für alle, die den FC Bayern München leben und lieben. Hier geht es um die ruhmreiche Vergangenheit und die spannende Gegenwart des Rekordmeisters.
Wenn Bayern am Samstag in Gladbach spielt – dann bedeutet das Nostalgie, Drama, Leidenschaft. Selbst wenn diesmal der Erste gegen den Letzten antritt, liegt Geschichte in der Luft.
Von Udo Lattek bis Jupp, Jupp, Jupp, von Lothar bis Effe: Feinschmecker wissen, dass es hier um den wahren „Clásico“ des deutschen Fußballs geht. Wir erzählen die Geschichte in fünf Akten.
Akt I: Der Kulturkampf der 1970er – Sturm gegen Drang
Bayern und Gladbach steigen 1965 gemeinsam in die Bundesliga auf – beide jung, wild, ungestüm. Auf der einen Seite Sepp Maier, Franz Beckenbauer, Gerd Müller. Auf der anderen Berti Vogts, Günter Netzer, Jupp Heynckes.
In München fürchten und achten sie „die Künstler vom Niederrhein“, das „weiße Ballett“. In Gladbach heißt es respektvoll: „Die Bayern sind gnadenlos präzise.“ Manche meinen: Rheinische Schönheit gegen bayerischen Erfolg, Kunst gegen Kalkül. Oder, politisch überhöht: Willy Brandt gegen Franz Josef Strauß.

Borussen-Trainer Hennes Weisweiler formuliert es poetisch: „Fußball muss Spaß machen. Ein 5:4 ist schöner als ein 1:0.“ Kühler Kaiser-Konter: „Am Ende kommt’s drauf an, wer gewinnt.“
Zwischen 1969 und 1977 holt kein anderer Club den Titel. Neun Meisterschaften werden abwechselnd verteilt – vier an Bayern, fünf an Gladbach.
Als Bayern 1972 ins Olympiastadion umzieht, geraten die Fohlen zunehmend aus dem Tritt. 75.000 Zuschauer, mehr Einnahmen, mehr Macht. Gladbach bleibt am kargen Bökelberg hängen. Der Kulturkampf endet in der Realität des Marktes – aber nicht in den Herzen der Fans.
Akt II: Die großen Spiele – 1971, 1974, 1977
Der 5. Juni 1971 bringt am letzten Spieltag das Herzschlagfinale schlechthin. Bayern und Gladbach liegen punktgleich an der Spitze, getrennt durch ein lumpiges Tor. Es ist die Mutter aller Fußballdramen.
Gladbach spielt in Frankfurt, Bayern in Duisburg. In der 55. Minute trifft Rainer Budde gegen Sepp Maier – 1:0 für Duisburg! Was erlauben Budde?
Die Münchner verlieren 0:2 bei den Zebras, während Gladbach 4:1 in Frankfurt gewinnt. Die Borussia verteidigt als erste Bundesliga-Mannschaft ihren Titel. Weisweiler prophezeit in der Pause beim Stand von 1:1 kess: „Wir gewinnen noch 3:1.“ Später gesteht er: „Ich habe selbst nicht an meine Prognose geglaubt, aber ich musste ja irgendwas sagen.“
1974 folgt das legendäre „betrunkene Spiel“. Bayern, als Meister schon durch, hat am Vortag Atlético Madrid im Wiederholungsspiel des Europapokalfinales mit 4:0 besiegt und durchgefeiert.
Bayern taumelt, die Fohlen tanzen. 5:0 heißt es am Ende. Ist den frischgebackenen Europacupsiegern aber latte (bzw. Lattek), wie man heute sagen würde. Die Bayern-Bank lacht bei jedem Gegentor.

Der 21. Mai 1977 ist ein bittersüßer Tag für den deutschen Fußball: Franz Beckenbauer nimmt im Olympiastadion in seinem 584. und letzten Spiel Abschied vom FC Bayern – ziemlich schmucklos mit Blumen, Anstecknadel und kühlen Worten von Präsident Wilhelm Neudecker.
„Da ist keine Sentimentalität aufgekommen“, erinnert sich der Kaiser später. Drei Tage später sitzt er im Flieger nach New York. Man trennt sich 2:2 – und Meister Gladbach trennt sich von der Schale. Den Titel holt die Borussia danach nie mehr.
Akt III: Von Helden, Verrätern und Millionen – die Transfer-Autobahn nach München
1980, der erste große Coup von Jung-Manager Uli Hoeneß. Er holt Gladbach-Star Karl „Calle“ Del’Haye für 1,3 Millionen Mark zum FC Bayern.
Doch „Calle mit C“ sitzt zunächst meistens auf der Bank, bis er 1982/83 doch noch zum Stammspieler avanciert. Mit ihm entsteht der Mythos, dass Bayern gezielt Spieler abwirbt, um Konkurrenten zu schwächen. Was natürlich ein Schmarrn ist…

Vier Jahre später verlässt Jungstar Lothar Matthäus für 2,4 Millionen Mark Gladbach Richtung München. Im Pokalfinale gegen die Bayern senst er seinen Elfmeter übers Tor. Die Fohlen verlieren. Legendäre Lothar-Logik: „Eigentlich habe ich beim Schuss gar nichts falsch gemacht. Der einzige Fehler war, dass ich überhaupt geschossen habe.“
Stefan Effenberg wechselt 1990 und 1998 gleich zweimal vom Bökelberg ins Olympiastadion. Der Champions League-Captain, der „Tiger“ – wild am Niederrhein, meisterlich in München. 1999 kommt Freistoß-Gott und Meisterschütze Patrik Andersson, 2012 der unverwüstliche Dante, 2023 Yann Sommer. Von ihm wird noch zu sprechen sein…
Akt IV: Zwei Trainer, ein Vermächtnis – Udo und Jupp
Udo Lattek ist die Verbindung der beiden Fußballwelten. Bei Bayern formt er ab 1970 den Mythos, gewinnt drei Meisterschaften und den Landesmeisterpokal. Nach seinem turbulenten Rauswurf 1975 durch Herrn Neudecker („Sie haben Recht, Herr Lattek. Sie sind entlassen“) tritt er in Gladbach das Weisweiler-Erbe an.
„Vom Mercedes zum Fahrrad“ spöttelt Lattek. Aber der große Udo fährt auch auf dem Radl voraus: 1976 und 1977 wird er mit der Borussia Meister – 1985, 1986 und 1987, zurück im Bayern-Mercedes, weitere drei Mal.

Sein gelehrigster Schüler Jupp Heynckes, das beste Pferd im Fohlen-Stall, schreibt eine ähnliche Geschichte – mit anderer Handschrift. Meistertrainer mit seiner Borussia zu werden, ist dem Gerd Müller vom Niederrhein nicht vergönnt. Dafür holt er vier Schalen mit Bayern – und wird als Champions-League-Sieger und als „Jupp, Jupp, Jupp“ zur Legende.
„In Gladbach bin ich groß geworden, in München bin ich gereift“, sagt er bei seinem Abschied 2018. Die Allianz Arena verbeugt sich vor ihm. Jupp Heynckes vereint das Beste beider Welten: Fohlen-Herz und Bayern-Verstand.
Akt V: Angstgegner Borussia – der Fluch der Fohlen
Seit 2011 gibt es keinen Klub, der so oft gegen den FCB gewinnt wie Gladbach. Elf Siege für die Borussen, die sich das Bayern-Tratzen zum Hobby machen. Tiefster Tiefpunkt aus Münchner Sicht ist das grausige 0:5 im DFB-Pokal 2021.
Zur Bayern-Nemesis, zum Albtraum mit Handschuhen, wird Yann Sommer. Beim 1:1 im August 2022 stellt er einen Liga-Rekord auf – 19 Paraden in einem Spiel!

Gegen Sommer fühlt sich der FC Bayern immer wie im Winter. Da hilft nur eins: Der Kerl muss Münchner werden! Im Januar 2023 kommt er.
Yann Sommer spielt gut – aber den ewigen Vorwurf „Manuel hätte den gehalten“ wird er nicht los. Dass 1,83 Meter für einen großen Torwart reichen, beweist er jetzt in Italien. Bei Inter ist für Sommer nie Winter.
Über den Autor: Unser Kolumnist, der „Balkonpoet“, war schon vor der WM 1974 als kleiner Münchner Bub überzeugt: „Der FC Bayern wird Weltmeister – weil da Franz Beckenbauer und Gerd Müller mitspielen.“
Gut, den Unterschied zwischen Vereinsfußball und Nationalelf musste er noch lernen. Aber an seiner Grundüberzeugung hat sich nichts geändert: Ein Spiel dauert 90 Minuten, und am Ende gewinnt der FC Bayern. Zumindest meistens.
In den Säbener Stories verbindet er jahrzehntelange Bayern-Leidenschaft mit einem amüsanten und unterhaltsamen Blick auf die Mannschaft von heute. Pack ma’s, Vincent!
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