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Jens Scheuer: „Fußball sollte sein wie früher auf dem Schulhof“

Ein neuer Trainer bei den FC Bayern Frauen – das gab es seit neun Jahren nicht mehr. Einst lehnte Jens Scheuer dankend ab, als er vom Männerbereich wechseln sollte. Typisch Macho war das, sagt der 40-Jährige, der vom SC Freiburg kommt. Heute findet er, die Männer können viel von den Frauen lernen. Das große Interview zum Bundesligastart mit dem Clubmagazin „51“.

Herr Scheuer, seit der WM in Frankreich sind nun ein paar Wochen verstrichen. Wie fällt Ihr Fazit aus?
„Es war eine sehr, sehr gute WM mit hiochklassigen Spielen, zudem sehr physisch und athletisch. Man sieht, dass das Tempo im Frauenfußball immer höher wird. Wenn ich an das Spiel USA gegen England denke – das ist ein Maßstab, an dem sich alle orientieren sollten. Da wollen wir hin.“

Wo steht der deutsche Frauenfußball im Sommer 2019?
„Das ist eine gute Frage. Wir sollten jetzt nach dem Viertelfinal-Aus nicht alles schlechtreden. Man sieht zwar, dass andere Nationen aufgeholt oder – siehe England – uns sogar überholt haben. Aber ein K.o.-Spiel gegen Schweden kann man mal verlieren, das heißt noch lange nicht, dass Deutschland der Musik jetzt komplett hinterherläuft.“

Wo steht die Frauenfußballabteilung des FC Bayern in diesem Sommer?
(lacht) „Auch eine interessante Frage. Wir haben einen großen Umbruch: Neuer Trainer, neues Trainerteam, zudem gingen einige Schlüsselspielerinnen, die aber durch starke Neuzugänge ersetzt wurden. Unser Ziel ist es, zu den europäischen Topmannschaften weiter aufzuschließen.“

Bleiben Sie wie Ihr Vorgänger Thomas Wörle auch neun Jahre?
(schmunzelt) „Ach, ich befinde mich im Hier und Jetzt. Neun Jahre sprechen für Kontinuität und Qualität, und ich kann Tom nur Respekt zollen. Aber ich schaue jetzt bloß nach vorne und sage: Ich bin ich – egal, was vorher war.“

Müssen Sie Ihre Ansprache ändern, da Sie im Gegensatz zu Freiburg mit gestandeneren Spielerinnen arbeiten?
„Man ist, wie man ist. Es macht keinen Sinn, sich zu verstellen. Das merken die Spielerinnen sofort. Als Trainer musst du authentisch sein. Die Spielerinnen müssen wissen, wen sie vor sich haben. Ein Trainer darf kein Schauspieler sein.“

Sie wurden einst als A-Junior von Christian Streich zum SC Freiburg geholt. Ein Trainer, den viele als Vorbild sehen. Wie ist Ihr Verhältnis?
„Für ihn war es damals sein erstes A-Junioren-Jahr, in der Bundesliga. Ich war als Innenverteidiger sogar sein Kapitän. Als ich ihn Jahre später als Trainer auf einer vereinsinternen Weihnachtsfeier getroffen habe, konnte er mir genau meinen Jahrgang, meine Position, meine vorherigen Vereine sagen. Das war beeindruckend, wenn man bedenkt, wie viele tausend Spieler er in seiner Karriere gecoacht hat. Für Streich sind Spieler keine Nummern, und das versuche ich, von ihm zu übernehmen.“

Wie kamen Sie zum Frauenfußball?
„Als ich das erste Mal gefragt wurde, ob ich Trainer im Frauenbereich werden möchte, habe ich noch dankend abgelehnt.“

Dankend abgelehnt, das klingt hart.
„Ja, da bin ich auch ganz ehrlich. Das war typisch Macho. Damals war ich Junioren-Coach, im Fernsehen lief die Heim-WM 2011: Es gab da diese Situation, als eine Spielerin den Ball im eigenen Strafraum in die Hände genommen und ihrer Torfrau zugeworfen hat. Unglaublich – und das Spiel lief einfach weiter, die Schiedsrichterin reagierte nicht! Da musste ich den Fernseher ausschalten – ich konnte mir das nicht weiter anschauen. Und diese Szene blieb bei mir so haften, dass ich für mich entschied: Frauenfußball kommt für mich nicht infrage. Im Nachhinein weiß ich: Ich hätte mich eingehender mit dem Thema beschäftigen müssen.“

Wie kam es zur Kehrtwende?
„Ich habe dann mal bei den SC-Frauen zugeschaut - und habe mich sofort geärgert, dass ich zuvor so ablehnend war. Frauenfußball ist sehr attraktiv, das Niveau steigt kontinuierlich und mir imponiert, mit wie viel Ehrgeiz die Frauen arbeiten.“

Sind Frauen anders zu führen als Männer?
„In meinen Augen ist das eine Mär. Meine Erfahrung ist, dass Frauen auch gar nicht anders als ihre männlichen Kollegen behandelt werden wollen. Ich habe meinem Team hier in meiner ersten Ansprache gesagt: „Ich liebe es, Trainer zu sein. Aber ich hasse es, euch zu verletzen. Nur: Ich werde euch verletzen, in dem Moment, in dem ich die Aufstellung erarbeite.“ So denke ich, so fühle ich, da bin ich ehrlich. Und ich finde, wenn mein Team weiß, wie es in so einer Situation um mein Innenleben bestellt ist, sorgt das für Verständnis auf beiden Seiten.“

Was dürfen Spielerinnen bei Ihnen, was dürfen sie nicht?
„Man muss ein Ziel haben und dafür alles geben. Aber ich habe den Mädels jetzt hier auch gesagt, sie sollen im Biergarten ruhig mal ein Radler trinken. Warum denn nicht? Ich setze da auf Eigenständigkeit und Intelligenz. In der Nacht vor dem Spiel sollten sie jetzt nicht bis zum Morgengrauen in der Disco feiern. Aber wir müssen wieder dahinkommen, dass man auch wieder extrovertierte Typen wie eine Megan Rapinoe vom amerikanischen Weltmeister hat. Das sind die Unterschiedsspieler.“

Wie integriert man sich als neuer Trainer in eine bestehende Familie?
„Ganz einfach: Als der Mensch, der man ist. Und zu diesem Thema Familie, als die sich der FC Bayern ja gerne präsentiert, muss ich sagen: Das ist keine Floskel. Ich war überrascht, wie sensationell man hier aufgenommen wird. Miro Klose ist zum Beispiel ein super Typ, Weltmeister, WM-Rekordschütze, aber immer interessiert an den Menschen, der fragt, wie es einem geht. Das sind auf dem Boden gebliebene Leute, die es einem leichtmachen, in diese Familie reinzukommen: höflich, freundlich – und auch nicht zu verkrampft. Fußball soll Freude machen. Wir sollten das nicht arbeiten, sondern leben. Man fühlt sich schnell als Teil dieser Bayern-Familie.“

Wie empfinden Sie die Kultur des FCB?
„Man merkt trotz des familiären Miteinanders eigentlich auf jedem Schritt die Größe dieses Vereins. Der FC Bayern hat eine Aura. Allerdings erstickt sie nicht das Menschliche.“

Wie menschlich darf, kann oder muss man im Fußball eigentlich sein? Bei der WM hat das US-Team gesellschaftspolitische Fragen aufgeworfen, auch Marta appellierte an alle brasilianischen Frauen, sich mehr zu trauen. Ist das ein neuer Trend im Frauenfußball, politischer und gesellschaftskritischer zu sein als die männlichen Kollegen?
„Ich finde es stark, dass sie so Profil und Rückgrat bewiesen haben. Das macht Vorbilder aus, für Werte und Ziele einzustehen, die über das Geschehen auf dem Platz hinausgehen. Und drehen wir den Spieß doch einmal herum: Warum positionieren sich die Männer nicht in ähnlichem Stil? Warum sind gewisse Themen im Männerbereich immer so schwierig – beispielsweise gegen Homophobie Stellung zu beziehen? Die Frauen haben einen mutigen Schritt getan, und ich denke, die Männer können in unserer heutigen Zeit einiges von ihnen lernen. Auch wir Männer sollten mutiger auftreten – ohne Angst zu haben, danach vielleicht den einen oder anderen Euro weniger in der Tasche zu haben.“

Wenn wir auf den Platz schauen – was ist Ihnen da am wichtigsten?
„Spielfreude. Die Zuschauer sollen sagen: Das ist richtig guter Fußball. Offensiv, Ballbesitz – dafür möchte ich stehen. Im Grunde sollte es sein wie früher auf dem Schulhof, wo man auch nie groß nachgedacht hat. Natürlich muss man als Trainer den Spielern Lösungen auf den Weg geben. Aber man darf sie nicht blockieren. Gute Spieler sollten den Mut haben dürfen, Situationen instinktiv zu lösen. Nur so kommt es zu Momenten, über die man sagt: Das war ein Geniestreich. Wir alle wollen Spieler, die das gewisse Etwas haben. Solchen Spielern muss man den Spieltrieb lassen. Vielleicht fehlt das dem deutschen Fußball derzeit allgemein: Wir brauchen wieder mehr Schulhofmentalität.“

Wie verbringen Sie Ihre Freizeit?
„Ich habe zwei Söhne, die in einem kleineren Verein Fußball spielen. Da helfe ich gerne mit – nicht als Trainer, sondern einfach mal, ein Tor zu tragen. Ich finde Vereinsleben wichtig. Mir hat das als Kind oder Heranwachsender viel gegeben, und die Vereine sind froh um jede helfende Hand. Mir wäre es zu billig, meine Kinder da einfach zu parken, um zwei Stunden frei zu haben. Ich freue mich hier in München auf Ausflüge in die Berge, relaxe bei einem Glas Wein und spiele gerne Tennis – wobei ich nicht weiß, ob mein jeweiliger Gegner mit mir gerne spielt.“

Weil Sie so gut sind oder so schlecht?
„Weil ich so schlecht verlieren kann (lacht).“

Wenn Sie zu einem Buch greifen: Fußballfachliteratur oder Krimis?
„Gemischt. Gerne Biografien, zuletzt Johan Cruyff. Aber neulich gefiel mir „Café am Ende der Welt“ gut. Ich mag Bücher, die einen über den Sinn des Lebens nachdenken lassen. Und ich komme dann immer wieder zu dem Schluss: Es gibt so viele Probleme auf dieser Welt – umso wichtiger ist es, dass der Fußball den Menschen Freude schenkt.“

Schon in Freiburg war Ihr Wunsch, Meister zu werden – in München ist das leichter.
„Wir sollten so selbstbewusst sein, zu sagen: Wir wollen Meister werden. Wenn Sie mich fragen, was mein Ziel ist, sage ich: Ich will alle Spiele gewinnen. Das sollte das Ziel von jedem Sportler sein. Gewinnen wir alle Spiele, werden wir Meister. Ich bin guten Mutes.“

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