Es ist weit mehr als ein Ort, an dem wir verweilen und leben: Unser Zuhause ist Heimat, Rückzugsort und Lebensmittelpunkt zugleich. Umso wichtiger ist es, dass möglichst viele Menschen ein Zuhause haben. Damit dies in Zukunft auch der Fall ist, hat die U14 des deutschen Rekordmeisters nun ein „Little Home“ am FC Bayern Campus errichtet. Das FCB-Clubmagazin „51“ war beim Bau mit dabei und schildert, welche Eindrücke die Mannschaft hierbei erlebte.
Alles andere als ein normaler Samstag
Samstagmorgens um neun Uhr auf dem Parkplatz - das hört sich erst mal nach einem normalen Wochenende für eine Jugend-Fußballmannschaft an, nach dem Treffpunkt für die Abfahrt zum Auswärtsspiel zum Beispiel. Die U14 des FC Bayern wird an diesem Tag den Campus-Parkplatz an der Ingolstädter Straße aber nicht verlassen - okay, einmal, ganz kurz, geht es zum Mittagessen in die Kantine. Diesmal wird auch nicht gekickt und gesprintet, sondern gehämmert, gesägt, geflext und gestrichen. In einer ganz besonderen, achteinhalbstündigen Lerneinheit.
Gegen 17.30 Uhr knien Roy und Rayan auf dem Dach eines kleinen Hauses, das aussieht wie ein Bauwagen, und schlagen mit einem zufriedenen „Ja!“ die allerletzten Nägel ein. Dann allgemeines Abklatschen, Gruppenfoto, kurzer Jubel. Insgesamt haben die Bayern-Talente rund 5.000 Nägel, 3.000 Schrauben, zehn Töpfe Farbe, Styropor und Isoliermaterial verarbeitet. „Heute habe ich das Gefühl, wir haben wirklich etwas Besonderes geschafft. Das hat sich echt gelohnt“, sagt U14-Trainer Raphael Sonnweber, der das Projekt lange geplant hatte. Und gelohnt hat es sich vor allem für einen Obdachlosen, den das Team noch gar nicht kennt, der sich aber schon bald über das Dach über seinem Kopf freuen kann. Das „Little Home“ hat zwar nur eine Größe von 3,2 Quadratmetern, doch der kleine Raum ist möglicherweise Startpunkt in ein neues, besseres Leben.
Projekt mit gutem Zweck
Die Idee für das Heimwerker-Heimspiel hatte Sonnweber an einem düsteren Winterabend gehabt. „Du gehst aus dem Büro, ziehst den Mantel enger und freust dich auf deine warme Couch. Und dann liegen da Menschen, die nicht nach Hause können“, sagt der 29-Jährige. Jeder kennt dieses Gefühl, unbedingt etwas tun zu wollen. Anderen zu helfen, denen es nicht so gut geht. Doch dann versickert der Wille im Arbeitsalltag. Nein, diesmal nicht, dachte sich Sonnweber.
Teamgeist und soziales Engagement finden zueinander
Es kam noch ein anderer Gedanke hinzu. „Die Jungs konnten die letzten zwei Jahre wegen der Pandemie ganz wenig zusammen machen“, sagt Daniel Weber, der Teamleiter für die Jahrgänge U14 bis U16 am Campus. Jetzt sei es höchste Zeit für Aktionen, die den Mannschaftsgeist stärken. Wenn diese dann auch noch einen sozialen Aspekt haben: umso besser! Und so stehen sie also hier, pünktlich um neun. Die Sonne scheint, aber der Wind schneidet kalt in die Haut - könnte ein langer Tag werden.
Diesmal macht nicht Sonnweber die Ansagen oder Bereichstrainer Christian Ludwig, sondern ein Mann im hellgrauen Pulli, mit festem Schuhwerk und fester Stimme. „Schön, dass ihr mit uns ein Haus bauen wollt“, sagt Sven Lüdecke, der 2016 die Idee für „Little Home“ hatte. Damit hat er schon viele Menschen vom Leben auf der Straße befreit, einige haben das „Little Home“ als Sprungbrett genutzt. Am Freitag hat er für 3.200 Euro im Baumarkt eingekauft, die Kosten übernimmt der FC Bayern. Vor dem Stromkasten am Zaun liegen Akkubohrschrauber zum Aufladen, auf einem mannshohen mobilen Plastikschrank kleben Krepppapierfetzen, auf denen „Schutzbrillen“ oder „Cuttermesser“ steht.
Kreissäge statt Rotation
„Es gibt kein Werkzeug, das ihr nicht benutzen dürft“, ruft Sven den Jungs zu. Aber ein paar Warnungen gibt er ihnen noch mit auf den Weg. „Wenn ihr die Handkreissäge benutzt, dann bitte ohne Handschuhe. Wenn der Handschuh das Sägeblatt berührt, dann zieht der eure Hand rein.“ Andächtiges Schweigen macht sich breit. Dann sehen sie skeptisch an ihren dunklen Trainingsjacken herunter, als Sven nachschiebt: „Und für die, die nachher streichen: Die Farbe geht nicht mehr aus den Klamotten raus. Nur mit ’ner Schere.“
William traut sich als Erster. Heute also Kreissäge anstatt Rotation auf der Zehner-Position. Ganz bedächtig schneidet der Junge mit dem Baseball-Cap den ersten Balken bei 2,12 Metern ab, so hoch wird das Häuschen am Ende sein - plus den paar Zentimetern, die durch das Fundament hinzukommen, eine Europalette mit angeschraubten Rädern. Wenig später liegen ein paar große und Dutzende kleine Holzstäbe herum, in der Luft flirren feine Späne, es riecht nach Holz und bald darauf nach durchgeflexten Schrauben.
Gemeinsam etwas Besonderes erschaffen
Nico, Roy und David lassen sich für die Rückwand einteilen, Rayan, Chris und Max für die Vorderwand. Wer sich erst zum Schluss meldet, hat Pech gehabt, denn die Seitenwände, in denen das Holz für die 40 mal 50 Zentimeter großen Fenster zugeschnitten werden muss, sind das Komplizierteste. Am Vormittag arbeiten die Spieler einfach drauflos und geben sich ziemlich unbekümmert. Schnell entsteht auch richtiger Baustellen-Talk. „Die Annalena ist ’ne Zehn von Zehn“, sagt einer in der Gruppe, die gerade die kleinen Leisten rot anstreicht, die anderen Jungs lachen. „Die arbeiten alle super mit, toll“, schwärmt Sven, aber er macht sich auch ein bisschen Sorgen, ob sie rechtzeitig fertig werden. 203 „Little Homes“ gibt es schon, der 45-Jährige kennt sich aus und weiß: Wenn viele Mitarbeiter erst eingelernt werden müssen, kann’s auch ein bisschen länger dauern.
Aber auch Sven hat Unterstützung mitgebracht, zwei Handwerker, die selbst in einem „Little Home“ wohnen, Martin in Berlin und Patrick in Gießen. Die Idee dahinter ist, dass die jungen Spieler mit ihnen ins Gespräch kommen, ihre Welt verstehen lernen. „In erster Linie sollen die Jungs zufrieden und dankbar sein für das, was sie haben“, sagt Trainer Sonnweber. Gar nicht so einfach, denn „bei jedem Turnier, zu dem sie reisen, werden unsere Spieler quasi auf Händen getragen“. Bodenständig sollen sie bleiben, findet Sonnweber, „und wenn sie etwas selbst machen, dann bleibt das vielleicht etwas nachhaltiger im Kopf“.
Wir bauen ein Haus für euch!
Werken kenne er aus der Schule, sagt Jona, „aber das hier ist schon was anderes“. Es sei schon auch ein „super Gefühl“, jetzt für jemand anderen ein Haus zu bauen. Neben ihm steht Roy. Das Bohren habe Spaß gemacht, das Malen nicht so sehr, sagt er, verschmitzt lächelnd. Er hat blaue Farbe im Gesicht, bei einigen Teamkollegen sind die Sneaker rot bekleckst. Schnell wird klar: Der Aufwand ist enorm, auch wenn alle sagen: Training ist anstrengender. Die Jungs können sich auch nicht vorstellen, dass man in so einem kleinen Raum leben kann. „Konnte ich mir vorher auch nicht vorstellen“, sagt Martin. Am späten Nachmittag kommen die ersten schüchternen Nachfragen. „Wie bist du denn obdachlos geworden?“ - Martin erzählt, er habe seine Wohnung verlassen, als seine Freundin ihren Ex-Freund zurückholte.
Erkentnisse, die prägen und lernen lassen
Die Spieler bekommen ganz beiläufig kleine Geschichten mit, Schnipsel aus einem anderen Leben, die sich in ihren Köpfen vielleicht zu dem Bild einer komplexen, oft auch ungerechten Welt zusammensetzen - wie Einzelteile, aus denen am Ende ein fertiges Haus entsteht. Was ist denn das Wichtigste an so einem „Little Home“? „Dass man trockene Sachen hat“, sagen Martin und Patrick sofort, ohne nachzudenken. Darüber macht man sich im Alltag nie Gedanken, aber: Wenn jemand, der auf der Straße lebt, nasse Klamotten oder einen nassen Schlafsack hat, dann hat er ein Riesenproblem.
Und dann lernen die Spieler auch, wofür sie diese vielen Holzleisten zugeschnitten haben: „Die heißen Vandalismus-Leisten“, sagt Martin und befestigt eine - tschock, tschock - mit der Nagelpistole an der Wand. Sie dienen zum Schutz vor Randalierern. In die gewöhnliche, zwölf Millimeter dicke OSB-Holzplatte, die Hauswand also, könnte ein wütender Mensch mit der Faust ein Loch schlagen. Die Leisten schützen vor spontaner Gewalt. Aber warum sollte jemand so etwas tun? „Besitzneid“, sagt Martin. Patrick sagt, es gebe auch einfach viele boshafte Menschen da draußen, das sei in den letzten Jahren schlimmer geworden. Ein „Little Home“ gibt Sicherheit, die für viele Menschen in unserem Land nicht selbstverständlich ist.
Training für die Persönlichkeit
Auch in der U14 gibt es Jungen, die schon schlimme Dinge erleben mussten. Die Spieler wissen auch, dass eines ihrer Vorbilder, Alphonso Davies, einst in einem Camp für Geflüchtete lebte und dass im Frühjahr 2022 wieder sehr viele Menschen, die vor Krieg fliehen müssen, nach Deutschland kommen. Daran zu arbeiten, vielleicht einmal Fußballprofi zu werden, das ist etwas ganz Besonderes. Doch es ist eine Erkenntnis, die einem natürlich nicht auf dem Fußballplatz kommt - trotzdem ist sie dem Verein wichtig. Sonnweber sagt, die Trainer würden bei Spielern in diesem Alter viel Wert auf die charakterliche Entwicklung legen.
Noch vor der Mittagspause haben die U14-Jungs die Wände aufgestellt. Die Fenster werden eingefügt, das Dach abgedichtet und wetterfest gemacht. Eine hölzerne Zwei, eine Null und eine Vier werden noch zugeschnitten - die Hausnummer, die zum Schluss feierlich befestigt wird. Feierabend. Was sie an diesem Tag nicht mehr geschafft haben - den Einbau des Bettes, der Chemietoilette und des Feuerlöschers -, das holt Sven am Sonntag nach. Am Montag kommt das 750 Kilogramm schwere Häuschen auf einen Anhänger und wird nach Garching gebracht und auch gleich bezogen. Die Spieler haben gesagt, sie wollen bald mal vorbeischauen und nachsehen, wer jetzt im „Little Home“ Nummer 204 wohnt.
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