Für den FC Bayern ist Thomas Häussler viel unterwegs. Ende 2022 mehr denn je. „51“ hat den Allesfahrer auf seinem Weg durch sechs Englische Wochen am Stück begleitet. Von München über Barcelona bis Gelsenkirchen. Der Weg ist das Ziel.
Eigentlich ist Thomas Häussler ja „ein zäher Hund“. Das sagt er jedenfalls selbst über sich. Aber am Tag nach dem letzten von 13 Spielen in sechs Wochen ist er doch etwas gerädert. Nun gut, zugegeben, von der Auswärtspartie auf Schalke ist der Unterfranke mit einem „Räuschle“ zurückgekehrt. Doch so richtig Kopfschmerzen bereitet ihm der Blick auf sein Auto. Ein breiter Kratzer zieht sich über eine Wagenseite. „Ärgerlich“, grummelt Häussler. „Da ist mir wohl einer am Stadion beim Ausparken dagegen gefahren.“ Aber egal. Jetzt ist eh erst mal Fußballpause. Zeit zur Reparatur für den Wagen, Zeit zur Erholung für Häussler. „Es hat schon geschlaucht“, blickt er zurück auf den Jahresendspurt als Bayern-Fan. „Das war ein Marathon, richtig hammermäßig.“ Doch wenn das einer aushält, dann Thomas Häussler.
Der 56-Jährige aus Schweinfurt ist ein sogenannter „Allesfahrer“. Bei jedem Bayern-Spiel ist er im Stadion. Egal, ob Champions League, Bundesliga, DFB-Pokal, Supercup oder Klub-WM. Auch bei Trainingslagern und jeder Audi Summer Tour ist er dabei. Warum er das macht? „Es hat sich halt so ergeben“, meint Häussler. Die Stadionbesuche, die Reisen, der Rhythmus des FC Bayern, alles ist mit seinem eigenen Leben verschmolzen. „Es ist wie eine Sucht“, meint er, „ich mache das, bis ich nimmer kann.“
„Ein Bayern-Spiel im Fernsehen anschauen. Das ist das Schlimmste. Das gibt mir gar nichts.”
Thomas Haeussler
Kurzer Halt bei Mickie Krause
An einem Vormittag Mitte Oktober fährt Häussler auf die Autobahn. Sein Auto ist eigentlich ein kleiner Bus, acht Leute haben darin Platz. Er hat ihn sich extra angeschafft. Gerade geht es zu siebt Richtung Pilsen. 310 Kilometer, drei Stunden Fahrt. „Mal wieder was anderes“, meint Häussler. „In Madrid und Barcelona war ich schon x-mal.“ In Pilsen erst einmal, 2013, auch mit Bayern. Diesmal bleibt er sogar für zwei Nächte. Am Tag nach dem Spiel will er mit den Kumpels noch die Stadt erkunden. Gerade auswärts in der Champions League sieht Häussler gerne mehr als nur das Stadion. Auch zwei Wochen später in Barcelona geht es nicht nur um Fußball. Schon am Tag vorher fliegt er, diesmal als Teil einer 14-köpfigen Gruppe, nach Mallorca. Ein bisschen Sonne tanken am Pool, abends in den „Megapark“ zu Mickie Krause. Am nächsten Tag dann weiter nach Barcelona, Stadtrundfahrt, abends zum Spiel, ehe es am nächsten Tag nach Hause geht. „Schon ein bisschen Stress“ sei die ganze Organisation, sagt Häussler. Aber er ist natürlich längst Reiseprofi. Hotels, Flüge, Routenplanung, wenn nötig Visa, „das organisieren wir alles selbst“. Zumindest über sein Ticket muss er sich nicht den Kopf zerbrechen. Er besitzt eine Jahreskarte für die Allianz Arena und eine Auswärtsdauerkarte.
Häussler ist ständig unterwegs. Autobahn, Flugzeug, Stadion hier, Stadion da. Etwas von A nach B zu bewegen, ist irgendwie sein Ding, auch beruflich. Er arbeitet – na klar – bei einer Logistik-Firma. Beruf und Bayern unter einen Hut zu bringen, das gelingt ihm gut, auch wenn es mal wehtut. „Wer abends feiern kann, kann auch früh auf die Arbeit“, ist sein Motto. Er wolle sich nicht nachsagen lassen, dass der Job unter seiner Bayern-Leidenschaft leide, sagt er. Und deswegen ist er nach einem Champions League-Heimspiel am nächsten Morgen um sechs Uhr wieder in der Arbeit. „Das ist hart, aber da muss man durch. Ich bin auch nie krank, das wäre unfair meinen Kollegen gegenüber.“ Nur für die Auswärtsfahrten in der Königsklasse (und Trainingslager-Besuche) nimmt er frei. Seiner roten Leidenschaft opfert er so schon mal seinen Jahresurlaub. Was seine Freundin dazu sagt? „Es ist nicht immer einfach für sie“, weiß Häussler. „Sie ist kein großer Fußballfan.“ Trotzdem fährt sie immer wieder mit. „Das ist immer schön. Sie muss ja auch nicht unbedingt mit ins Stadion. Manchmal gehen die Mädels lieber shoppen.“
Häussler ist nie allein unterwegs. Es finden sich immer Bekannte, die mitfahren. Nur ein einziges Mal war das nicht so. „Letztes Jahr in Berlin“, erzählt er. „440 Kilometer allein zu fahren, macht keinen Spaß.“ Es geht eben nicht nur ums Fußballschauen, sondern vor allem darum, den Fußball zusammen mit anderen zu erleben. Erst so wird ein Fest daraus. Für Häussler war das schon immer so. Im April 1981, er war 15, besuchte er zum ersten Mal das Olympiastadion. Er weiß es noch ganz genau: Bayern gegen Liverpool, 80.000 Zuschauer, Rummenigge erzielte kurz vor Schluss den Treffer zum 1:1. „Das war Wahnsinn“, schwärmt er noch heute. Ein Rummbeckenenigge-Trikot mit der Nummer 11 auf dem Rücken war damals sein größter Schatz. Sein Vater hatte es ihm zu Weihnachten geschenkt. „Das habe ich Tag und Nacht angehabt.“ Er besitzt es immer noch. „Aber es passt halt nicht mehr“, grinst er. Das gilt auch für das „Jeansjäckle“ mit großem Bayern-Logo auf dem Rücken, mit dem er jahrelang ins Stadion pilgerte. Häussler, Bayern-Fan von Geburt an, hat alles aufgehoben. Alle Trikots der letzten 30 Jahre hängen eingerahmt bei ihm zu Hause. Sogar einen Champions League-Pokal ließ er sich anfertigen, in England. „Es ist eine Kopie, sieht aber aus wie das Original. Jeder freut sich, ihn mal in die Hand nehmen zu können.“
Der Kleinste im Polo
Wenn man Häussler anruft, weiß man gleich, dass man bei einem großen Bayern-Fan landet. Statt des gewöhnlichen „tuut, tuut“ erklingt der „Stern des Südens“. Auf seinem Handy hat er unzählige Fotos gespeichert. Er mit Franz Beckenbauer, Hansi Flick, Xabi Alonso. Natürlich ist Häussler auch in einem Fanclub: „Gulp Dittelbrunn ’82“. „Wir sind nur 35 Leute“, sagt er, „denn wir wollen nur Mitglieder, die ins Stadion fahren. Wir sind kein Stammtisch, sondern wollen zum Fußball, wir wollen zum FC Bayern. Früher sind wir auch mal zu siebt in einem kleinen Polo nach München gefahren – weil ich der Kleinste war, saß ich immer hinten am Boden. Unvorstellbar heutzutage.“ Im Fanclub ging es also los mit seiner Allesfahrerei. Irgendwann – wann genau lässt sich nicht mehr sagen – war es normal, dass er immer dabei war. Nur ein einziges Spiel hat er in all den Jahren verpasst. „In Wolfsburg, im tiefsten Winter. Da sind wir auf der Autobahn bei Kassel nicht mehr weitergekommen, alles war vereist. Wir haben das Spiel dann in einer Wirtschaft angeschaut.“ Notgedrungen. Denn eigentlich erträgt Häussler Fußball im Fernsehen nicht. „Das ist das Schlimmste“, sagt er, „das gibt mir gar nichts.“ Es fehlt die Atmosphäre, das Gemeinschaftsgefühl, mit den Kumpels unterwegs zu sein. Die Geisterspiele während der Pandemie verfolgte er nur gezwungenermaßen am Fernseher. „Es blieb mir ja nichts anderes übrig“, sagt er. „Champions League-Endspiel im Fernsehen, das war schon blöd. Zum Glück haben wir wenigstens gewonnen.“
„Ich freue mich auch schon, wenn es im Januar wieder losgeht.”
Thomas Häussler
Reeperbahn und Kapstadt
Zum Glück hatte Häussler aber vor allem Erlebnisse, an die er sich gerne erinnert. Zum Beispiel 2001: erst das Herzschlagfinale in der Bundesliga, als Patrik Andersson die Bayern in der Nachspielzeit zum Titel schoss („An diesem Tag haben wir die Reeperbahn umgekrempelt!“), dann ein paar Tage später der Triumph im Champions League-Finale in Mailand. „Da warst du eine Woche lang selig“, sagt Häussler lachend. Begeistert erzählt er auch von der Weltmeisterschaft 2010 in Südafrika. Auch da war er vor Ort, wie bei allen großen Turnieren der deutschen Nationalmannschaft. „Südafrika war der Hammer. Das Land, die Natur, die Nationalparks, Kapstadt … In drei Wochen haben wir alle zehn WM-Stadien besucht.“ Im Laufe der Zeit hat er fast überall auf der Welt Kontakte geknüpft. „Ich habe so viele nette Leute kennengelernt und Freunde gewonnen. Bayern ist einfach eine Riesenfamilie.“
Inzwischen ist es Mitte November. Mit sieben Freunden fährt Häussler nach Gelsenkirchen. Jeweils 370 Kilometer hin und zurück. Feuchtfröhlich feiern sie den 2:0-Sieg auf Schalke. Um zwei Uhr nachts sind sie zurück in Schweinfurt. 13 Spiele und fast 10.000 Kilometer in sechs Wochen liegen hinter Häussler. Als es nach der Länderspielpause Ende September losging, war Bayern in der Bundesliga-Tabelle noch Fünfter, mit fünf Punkten Rückstand auf Platz eins. Jetzt steht der Club auf Rang eins, vier Punkte vor dem Zweiten. Es war wie eine Rallye – und Allesfahrer Häussler, der früher im Polo am Boden hockte, saß dabei im Kofferraum. Er hat alle Bodenwellen, jedes Auf und Ab mitgemacht. Nun atmet er durch. „Ich bin schon froh, dass jetzt mal Pause ist. Es kommt nicht oft vor, dass ich das sage. Aber ich bin ausgelaugt.“
Erst im Januar geht es für ihn weiter, die Weltmeisterschaft lässt Thomas Häussler diesmal ausnahmsweise aus. Während des Turniers geht er auf Kreuzfahrt, von Teneriffa zu den Kapverdischen Inseln. Es ist ihm wichtiger, mal Zeit mit seiner Freundin zu verbringen. „Aber ich freue mich auch schon, wenn es im Januar wieder losgeht.“
© Fotos: Sebastian Lock
Bayern-Fan Toni berichtet in Teil 1 der Fan-Storys von seinen schönsten Erlebnissen in der Allianz Arena und was die Faszination Bayern München für ihn persönlich bedeutet: