Neues Jahr, neue Ziele: Mathys Tel hat sich 2022 mit seinem Wechsel zum FC Bayern einen großen Traum erfüllt. Auch 2023 hat er viel vor. Zum Start ins neue Jahr zeigte der 17-Jährige den Kindern von der „Arena of Change“, warum es sich lohnt, immer an seinen Weg zu glauben.
Während Mathys Tel sorgfältig einen kleinen Trainingsparcours aus bunten Hütchen absteckt, wächst bei den Kids der „Arena of Change“ der Drang, endlich draufloszukicken. Er habe sich extra für sie ein paar Übungen ausgedacht, lässt der französische Jungprofi des FC Bayern übersetzen, nur noch ein wenig Geduld. Es ist ein schöner Tag am FC Bayern Campus, die Sonne kämpft mutig gegen die frischen Temperaturen an, und dann ist Mathys Tel mit seinen Vorbereitungen auf dem Mini-Court fertig. „Alle gegen ihn?“, will ein Frechdachs wissen. Tel grinst breit, als ihm das übersetzt wird. „Nein“, antwortet er auf Deutsch. „Wir spielen zusammen - kommt, kommt, kommt!“
Die „Arena of Change“, das einzigartige pädagogische Projekt, das der FC Bayern gemeinsam mit SOS-Kinderdörfer weltweit auf dem Campus initiiert hat, ist in diesem Sommer in seine zweite Saison gestartet. 60 Kinder zwischen acht und 14 Jahren kommen in vier Gruppen einen Nachmittag in der Woche zusammen, um Werte wie Gemeinschaftssinn, Solidarität sowie Toleranz zu erfahren und zu leben, erklärt Verena Milasta, die Projektleiterin von SOS-Kinderdörfer weltweit. Das partnerschaftliche Engagement eines international renommierten Profivereins und einer weltweit tätigen Kinderhilfsorganisation liefert interessante Impulse, von denen die Mädchen und Jungs unmittelbar profitieren. Und gerade jetzt, wo die Pandemie und ihre Folgen weiter wirken und Schulen über Lehrermangel klagen, hilft die „Arena of Change“, Kindern in einer unsicheren Welt das Gefühl zu geben, eine Kontrolle über ihr Leben zu haben, indem sie aktiv sind, Selbstwirksamkeit erfahren und immerzu in neue Welten eintauchen können.
An diesem Nachmittag haben sie hohen Besuch, und die Freude ist groß, denn wegen der Pandemie konnte bisher noch kein Profi für längere Doppelpässe vorbeischauen. „Wenn man in die Augen der Kinder schaut, ist das schon Antwort genug auf die Frage, wie gut ihnen das gefällt. Heute gehen viele Träume in Erfüllung“, sagt die Pädagogin Teresa Jehlicka. Auch Tel genießt den Besuch sichtlich. Mit seinen 17 Jahren könne er sich nur zu gut in die Kinder hineinversetzen, erzählt er. Dieser Nachmittag am FC Bayern Campus erinnere ihn an seine eigene Kindheit: „Ich habe zu Fußballern aufgeschaut - für mich wäre es das Größte gewesen, wenn uns damals einer besucht und mit uns gespielt hätte. Das sind Momente, die Kinder genießen. Ich hoffe, sie haben Spaß.“ Da muss er sich keine Sorgen machen. Das Trikot, das er für die „Arena of Change“ gemeinsam mit den Kids unterschrieben hat, bekommt umgehend einen Ehrenplatz in den Räumlichkeiten der Initiative.
Renner auf dem Smartphone
Der Besuch beginnt mit einem ausführlichen Frage- und Antwortspiel. Auf dem Spielfeld kann Tel vielleicht Haken schlagen und davonflitzen - doch hier im Sitzkreis muss er sich stellen. Die Finger sausen nach oben, jeder will etwas von dem französischen Juniorennationalspieler wissen, der im Sommer von Stade Rennes zum FC Bayern gewechselt ist. Obwohl er noch gar nicht so lange im Münchner Dress stürmt, sei er „schon jetzt ein großes Vorbild für die Kinder“, erzählt Anna Kronen, die zweite „AoC“-Pädagogin. Als den Mädchen und Jungs mitgeteilt wurde, wer sie bald besuchen kommen würde, hatte ihr ein Junge stolz das Hintergrundbild seines Smartphones gezeigt: Mathys Tel in Aktion.
Der junge Stürmer, der es in der ersten Phase der Saison bei zwölf Einsätzen auf stattliche vier Treffer gebracht hat, ist bereits ein Begriff. „Ça va?“, leitet ein Mädchen die erste Frage stilsicher auf Französisch ein, nach ihrem „Wie geht’s?“ möchte sie wissen, wie alt Tel gewesen ist, als er zu kicken begonnen hat. Im Alter von fünf sei es bei ihm richtig losgegangen, erzählt er, und damals habe er sich nicht träumen lassen, einmal für einen so großen Club wie den FC Bayern aufzulaufen. Auch das soll sein Besuch vermitteln: Träume groß, verfolge deine Ziele - dann erreichst du sie, wenn du an dich glaubst und immer bereit bist, alles zu geben. Warum er nicht für die WM nominiert wurde, möchte ein Junge wissen. Tel lächelt: Das wäre zu früh gekommen. „Aber ich bin jung, es gibt noch viele Turniere.“
Tel wuchs in Villiers-le-Bel auf, einem Vorort von Paris im Norden der Metropole. Mitunter gibt es in solchen Siedlungen soziale Probleme, doch für ihn war seine Familie entscheidend, erzählt er, und in seinem Umfeld „habe ich immer viel Liebe und Solidarität erlebt - mir wurden viele Werte und Prinzipien vermittelt, die mich noch heute prägen. Wir hatten eine schöne Kindheit.“ Die Mädchen und Jungs der „Arena of Change“ stammen aus unterschiedlichen Schulen, die Gruppen sind altersübergreifend zusammengesetzt - eine Parallele zu Tels Kindheit, denn in beiden Fällen herrscht so dieses spezielle Setting vor, wie man es auf allen Bolzplätzen der Welt findet. Der Jungprofi erinnert sich gerne zurück: „Wir haben überall Fußball gespielt, auf der Straße gleich vor unserer Wohnung zum Beispiel, und wir haben dabei einfach Hauswände oder Sicherheitspfosten als Tore benutzt.“ Beim gemeinsamen Kicken lernte er, sich durchzusetzen. „Ich habe viel an mir gearbeitet, jeden Tag - deshalb bin ich jetzt auch hier beim FC Bayern. Und auch hier weiß ich, dass ich weiterhin permanent an mir arbeiten und immer dazulernen muss. Das habe ich seit meiner Kindheit in mir drin.“ Seiner Familie ist er da besonders dankbar: „Sie haben immer einen Weg gefunden, wie sie mich unterstützen können, damit ich meinen Traum leben kann.“
Die Frage „Was wünschen wir uns?“ steht auf einem bunten Plakat an einer Wand der „Arena of Change“ zu lesen. Darunter haben die Kids Zettel mit ihren Antworten geklebt. „Ich wünsche mir, dass wir nicht mehr so viele Bäume fällen und so viele in Plastik verpackte Sachen kaufen“, kann man dort lesen, oder: „Ich wünsche mir, dass alle Menschen gleich behandelt werden“ - oder, auch das: „Keine Hausaufgaben!“ Mathys Tel lächelt immer wieder, wenn ihm eine neue Frage gestellt wird, am häufigsten erkundigen sich die Kids, ob er später für ein Foto zur Verfügung steht. Nachdem er noch verraten hat, mit wem er schon alles Freundschaft im Team geknüpft hat („Jamal Musiala, Jo Kimmich, Sadio Mané, Dayot Upamecano, Lucas Hernández, Benjamin Pavard, Kingsley Coman – im Grunde mit allen“) und wie lange er beim FC Bayern bleiben möchte („sehr, sehr lange“), reihen sich alle für eine Runde Autogramme auf. Der Schriftzug landet vornehmlich auf Shirts und Smartphone-Hüllen, denn um den zeitlichen Rahmen nicht zu sprengen, muss sich jeder für eine Sache entscheiden. Hin und wieder gibt es danach ein kindlich-süßes „Merci beaucoup“ als Dankeschön zu hören.
Tel lernt Deutsch, jeden Tag, und er versteht vieles schon recht gut, wenn ihn die Kinder ansprechen, erzählt er, als es gemeinsam raus zu den Minifußballfeldern des Campus geht, um dort noch ein bisschen zusammen zu kicken. Sein Ziel sei, eines Tages fließend Deutsch zu sprechen, denn Kommunikation sei wichtig, so der 17-Jährige: auf und neben dem Spielfeld. Auf seinem Insta-Account verwendet er gern den Hashtag #PrécisPasPressé - ein Leitmotiv, das ihm seine Großeltern vermittelt haben. „Es spiegelt meine Persönlichkeit“, erklärt er. „Es bedeutet, dass man immer versuchen muss, genau in dem Moment, in dem man ist, nichts zu vernachlässigen. Du musst bei allem, was du tust, konzentriert sein, auf dich, auf den Moment, auf das, was du tust. Man muss Selbstvertrauen haben und darf sich nicht von außen beeinflussen lassen.“ Man sieht es dem reflektierten jungen Mann bei jeder Gelegenheit an, dass er sich an dieses Motto hält - bei seinen Antworten während der Fragerunde genauso wie jetzt, während er detailgetreu seinen Hütchenparcours aufbaut.
Start als Abwehrspieler
Bevor es losgehen kann, folgen die Instruktionen durch den FCB-Profi: Bei der ersten Übung sollen die Kids auf ihn zulaufen, den Ball dann zu ihm passen, er spielt zurück, dann Schuss aufs Tor. Wer eines der kleinen Hütchen trifft, die auf der Linie zwischen den Pfosten aufgebaut sind, bekommt Applaus. „Auf geht’s“, sagt Tel wieder auf Deutsch. Die Mädchen und Jungs legen begeistert los. „Es ist einfach cool, wie viel Zeit er sich für die Kinder nimmt: Erst so geduldig bei den Fragen und den Autogrammen, und dann hat er sich auch noch so viele Gedanken für das gemeinsame Spielen gemacht“, sagt Teresa Jehlicka. „Die Kinder sind riesig glücklich.“ Gerade fliegt wieder eines der Hütchen in hohem Bogen durch die Luft, getroffen von einem satten Schuss eines Jungen im Trainingsanzug des SV Olympiadorf München. Über den Campus hallt Applaus. „Weiter, weiter“, spornt Tel die Mädchen und Jungs immer wieder in einwandfreiem Deutsch an.
Als in ihm die Fußballbegeisterung wuchs, wurde Thierry Henry das erste große Idol von Mathys Tel, erzählt er in einer Verschnaufpause. Er selbst war zwar noch ein Kind, als die französische Stürmer-Ikone ihre Karriere beendete, „aber als ich älter wurde, habe ich mich über ihn informiert. Er hat eine großartige Laufbahn absolviert und ist einer der prägenden Spieler in der Geschichte des Fußballs: technisch, körperlich, mental - er hatte alles, was einen großen Spieler ausmacht. Es wäre schön, wenn ich eines Tages auch mal solche Erfolge wie er feiern könnte.“ Interessanterweise, erzählt er, habe er eigentlich in der Abwehr begonnen. „Es war dann zunächst ungewohnt für mich, in den Sturm zu wechseln, mir hat es auch als Verteidiger viel Spaß gemacht. Aber heute bin ich als Stürmer sehr zufrieden.“ Auch das ist ein Punkt, der bei der „Arena of Change“ immer wieder thematisiert wird: Es ist wichtig, sich selbst kennenzulernen, seine Stärken, seine Schwächen - und sich dann entsprechend für seine Zukunft zu entscheiden.
Beim Kicken mit den Kids am Campus lässt Tel beide Talente aufblitzen: Es ist eine kleine Herausforderung, ihn auszudribbeln - und beim Torschuss setzt er freilich Maßstäbe. Bei der Abschlussübung stellt er sich dann zwischen die Pfosten. Hütchen markieren, von wo aus die Mädchen und Jungen schießen dürfen: Rot ist am weitesten vom Kasten entfernt, „für Profis“, erklärt er lächelnd. Blau ist für Schützen, die sich nicht ganz sicher sind, Grün für Anfänger, nur wenige Meter vom Tor entfernt. Das grüne Hütchen räumen die Kids gleich zur Seite: zu leicht, so die einhellige Meinung. Das ist gelebtes „Mia san mia“ in der „Arena of Change“ - so soll es sein!
Zum Abschluss des Besuchs dürfen sich die Kinder noch ein paar Tricks wünschen. Übersteiger, Elastico, Rainbow Flick, Rabona - Mathys Tel hat sie alle drauf. Nur als ein Junge gerne einen Fallrückzieher sehen möchte, schüttelt der Jungprofi bedauernd den Kopf: Da wäre die Verletzungsgefahr leider ein bisschen zu groß. Die Kids nicken verständnisvoll. Aber in der Allianz Arena, wenn der Ball wieder rollt, wird er alles geben, um Tore für den FC Bayern zu schießen - und, wenn es angebracht ist, auch mal einen Fallrückzieher machen, das verspricht er. Anfangs sei es schon eine Anpassung gewesen, vor 75.000 Menschen im Stadion zu spielen: „Aber ich habe gelernt, mit dem Druck umzugehen - und das Wichtigste: Meine Teamkollegen helfen mir. Zusammen sind wir stark, zusammen können wir viel erreichen.“ Das habe er heute den Mädchen und Buben bei seinem Besuch vermitteln wollen: dass es wichtig ist, mal die eigene Komfortzone zu verlassen. Und dass sich nur im Zusammenspiel etwas bewirken lässt. Die Kids der „Arena of Change“ haben das alles gerne aufgenommen. Am Abend schreibt Mathys Tel noch extra eine WhatsApp, wie viel Spaß ihm der Besuch bereitet habe. 2023 kann kommen.
© Fotos: Amelie Niederbuchner
Dieser Artikel ist in der aktuellen Ausgabe des FC Bayern Mitgliedermagazins „51“ erschienen:
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