Im Zuge der Champions League-Saison 2022/23 hat Julian Nagelsmann der UEFA ein Interview gegeben. Der Chefcoach des FC Bayern sprach dabei über seinen Werdegang, seine Spielphilosophie und was es ihm bedeutet, für den deutschen Rekordmeister tätig zu sein.
Das Interview mit Julian Nagelsmann
Wann haben Sie erstmals vom FC Bayern München gehört?
„(lächelt) Das ist lange her. Ich habe schon mit zweieinhalb Jahren angefangen, in meinem Heimatverein FC Issing Fußball zu spielen. Mein Bruder ist elf Jahre älter als ich, war Bayern-Fan und sicher der Erste, der damals mit mir über Bayern gesprochen hat – und ab dem Tag war ich dann auch Bayern-Fan. Wie es oft so ist: Wenn die Geschwister Fans von einem bestimmten Verein sind, dann wirst du auch Fan von diesem Club. Ich hatte dann immer das Ziel, für diesen Club zu spielen, was mir aber leider nicht gelungen ist.“
Wie haben Sie reagiert, als Sie die Möglichkeit bekommen haben, Bayern zu trainieren?
„Der FC Bayern ist der größte deutsche Verein. Jede Chance im Leben hat ein Verfallsdatum. Man hat nicht unendlich begrenzte Möglichkeiten, so ein Jobangebot anzunehmen. Es war schon ein großer Schritt, klar. Aber trotzdem hat zuerst mal mein Herz reagiert, das war natürlich euphorisch. Der Kopf hat versucht, dem Ganzen nüchtern die nötige Sachlichkeit zu geben. Aber das gibt es einfach nur sehr, sehr selten, dass man die Option hat, in seiner Heimat den größten Club zu trainieren. Darüber bin ich sehr froh. Als Trainer sehe ich mich beruflich immer zu Topleistungen verpflichtet und versuche, den Fans, die im Stadion sind, als echter Fan auch gute Spiele zu liefern.“
Hat sich Ihre Einstellung zum Fußball verändert, als Sie Trainer wurden?
„Es ist natürlich etwas ganz anderes, ob man Trainer oder Spieler ist. Als Spieler folgt man dem Traum, Profifußballer zu werden, investiert sehr, sehr viel und verzichtet auch auf einige Dinge. Gerade in der Jugend muss man auf sehr viel verzichten. Während andere auf ihre erste Party gehen, liegt man früh im Bett, weil am nächsten Morgen ein Spiel ist. Als Trainer hat man dagegen viel mehr Verantwortung, auch abseits des Platzes. Man muss viele Themen moderieren, gibt Interviews und Pressekonferenzen. Der Blick auf den Fußball wird so ganzheitlicher, da auch Themenfelder von außen mit reinspielen, die man als Spieler nicht so zu beachten hat. Der grundsätzliche Blick auf diesen Sport hat sich aber nicht gewandelt: Ich bin leidenschaftlich bei der Sache und liebe den Fußball.“
Was ist Ihre Philosophie des Fußballs und wie ist sie entstanden?
„Als Spieler hat man auf seinen Stationen unterschiedliche Trainer, die jeweils eigene Arten des Trainings anbieten. Diese Einflüsse nimmt man mit. Aber generell ist es wichtig, seine eigene Philosophie zu entwickeln. Man muss daran arbeiten, eigene Ideen zu kreieren und eigene Regeln aufzustellen. Am Ende meiner aktiven Zeit war ich sehr viel verletzt und hatte viel Zeit darüber nachzudenken, wie ich gewisse Dinge als Trainer machen würde. Als ich dann Trainer wurde, habe ich Woche für Woche an meiner Philosophie geschraubt. Das Grundgerüst steht seit meinem ersten Jahr als Cheftrainer in der U19. Die Überschrift ist ‚Spielkontrolle durch hohe Balleroberung und Tempowechsel im Ballbesitz‘.“
Machen Sie jemals Kompromisse bei diesen Aspekten?
„Ich habe gewisse Prinzipien, da gehe ich im Grunde keine Kompromisse ein. Die gelten immer, ganz egal, wie es steht, wer der Gegner ist oder wer spielt. Wenn man mit Menschen zu tun hat, muss man in manchen Punkten aber natürlich auch mal flexibel sein. Das ist ganz normal. Man muss auf Menschen zugehen, muss als Trainer oder Führungsperson empathisch sein und versuchen, auf die Bedürfnisse seines Gegenübers einzugehen. Es gibt gewisse Dinge, die immer gelten sollten. Genauso gibt es aber auch Dinge im Leben, bei denen man ein bisschen Laissez-faire zulassen kann.“
Konnten Sie ihre Philosophie bei Bayern direkt anwenden?
„Die Spieler müssen deine Philosophie am Anfang erst kennenlernen, man selbst muss aber auch die Spieler kennenlernen. Generell bin ich der Überzeugung, dass ein Verein nur dann einen Trainer holen sollte, wenn die Philosophie vorher schon übereinstimmt. Es ergibt keinen Sinn, einen Trainer zu verpflichten, der seine Philosophie gänzlich ändern müsste. Dann wird er niemals zufrieden sein und wird auch nicht so authentisch trainieren und die Spielphilosophie vermitteln können. Bayern München wusste, wofür ich stehe, und hat mich auch wegen meiner Philosophie verpflichtet. So konnte ich den Weg, den ich vorher gegangen bin, auch weiter gehen.“
Kann dieser Prozess, seine Philosophie zu entwickeln, irgendwann ein Ende nehmen?
„Es ist das Ziel, Perfektion anzustreben, aber man wird sie niemals erreichen. Wenn man mit einer Grundordnung komplett vertraut ist, alles richtig macht, dann kann man eine neue Grundordnung einstudieren und versuchen, die Abläufe so zu verfestigen, dass sie wieder nahezu perfekt sind. Es gibt immer Nuancen, Weiterentwicklungen und Dinge, die man verbessern sollte. Ich fände es eher frustrierend, wenn man nichts mehr optimieren könnte. Dann würde der Job weniger Spaß machen. Herausforderungen sind wichtig im Leben, um daran zu wachsen.“
Wie erfolgreich Julian Nagelsmann mit seiner Mannschaft in den vergangenen zwölf Monaten unterwegs war, lest Ihr in den Fakten zum Jahr 2022:
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