Der 6. Februar 1958 ist ein schwarzer Tag in der Geschichte des Fußballs. Am Flughafen München Riem verunglückten die legendären Busby Babes von Manchester United. 23 Menschen starben, darunter acht Spieler. Doch 65 Jahre später steht die Tragödie auch für Freundschaft und Versöhnung.
Eine ganze Mannschaft verunglückte
Als Manchester United 1968 Benfica Lissabon im Finale des Landesmeistercups 4:1 n. V. besiegte, saß der siebenjährige Patrick Burns zu Hause gebannt vor dem Fernseher. „Mein Team gewann als erster englischer Club überhaupt einen Europapokal, den Heiligen Gral, genau zehn Jahre nachdem unser Verein fast ausgelöscht worden wäre. Das hat mich mein ganzes Leben lang nicht mehr losgelassen“, erzählt er heute. Was ihn so in den Bann gezogen hat, ist nicht einfach der pure Triumph. Es ist Manchesters Phönix-aus-der-Asche-Geschichte, die mit der größten Katastrophe begann, die einem Fußballverein passieren kann: Eine ganze Mannschaft verunglückte.
Wobei: Es war nicht einfach nur eine Mannschaft – es waren die „Busby Babes“. Ein Team mit Spielern überwiegend aus der eigenen Jugend, darunter einige der größten englischen Talente, benannt nach ihrem Trainer Matt Busby. 1956 und 1957 wurden sie Englischer Meister, mit einem Altersschnitt von 21, 22 Jahren. Die Babes galten als das Team, das den europäischen Fußball in den kommenden Jahren dominieren würde. Doch dann war da dieser Zwischenstopp in München am 6. Februar 1958. Auf dem Heimflug vom Auswärtsspiel im Landesmeistercup bei Roter Stern Belgrad, wo die Engländer durch ein 3:3 (Hinspiel 2:1) das Halbfinale erreicht hatten, musste die Maschine in München Riem auftanken. Als der Flieger zum Weiterflug ansetzte, schneite es heftig, Schneematsch lag auf der Startbahn – und das Flugzeug erreichte nicht die erforderliche Geschwindigkeit, um abzuheben. Stattdessen schoss es über die Startbahn hinaus, durchbrach den Sicherheitszaun, krachte in Bäume, eine Gärtnerei, ein Haus, einen Schuppen, einen Betonsockel. Die Maschine wurde auseinandergerissen und fing Feuer.
„Am Manchesterplatz spürt man die Tragweite des Unglücks. Für die Fans ist es, als hätten sie Familienmitglieder verloren.”
Mark Salzmann, Vorsitzender „Red Docs Munich“
20 von 44 Insassen waren sofort tot, ein weiterer starb im Rettungswagen, zwei weitere später im Krankenhaus. Insgesamt acht Spieler zählten zu den Opfern, außerdem zwei Trainer, der Clubsekretär, acht Journalisten, je zwei weitere Passagiere und Crew-Mitglieder. Nordirlands Nationaltorwart Harry Gregg, der selbst unverletzt blieb, zerrte zwei seiner Mannschaftskameraden, Bobby Charlton und Dennis Violett, die ihr Bewusstsein verloren hatten, vom Unfallort weg und rettete eine schwangere Passagierin sowie deren Tochter aus dem Wrack. Die Überlebenden wurden im Klinikum Rechts der Isar versorgt, darunter der schwer verletzte Matt Busby. Der „Vater“ der Babes erhielt zweimal die letzte Ölung, konnte das Krankenhaus aber nach neun Wochen verlassen und kehrte in der folgenden Saison auf die Trainerbank zurück. Von den 17 Spielern an Bord konnten nur sieben ihre Karriere fortsetzen. Es dauerte sieben Jahre, bis Busby 1965 mit ManUnited wieder Englischer Meister war, 1968 holte der Club schließlich den Landesmeistercup.
„Viele von uns wurden wegen der Busby Babes Fans von Manchester United“, sagt Patrick Burns. „Dass sie ihr Potenzial nicht verwirklichen konnten, ist eines der traurigsten Kapitel des englischen Fußballs. Das lässt uns bis heute nicht los.“ Burns ist Vorsitzender der Manchester Munich Memorial Foundation, die sich für das Gedenken engagiert. „Jeder United-Fan sollte wenigstens einmal in seinem Leben nach München pilgern“, findet er. Tatsächlich besuchen immer noch viele Fans der „Red Devils“ die Unglücksstelle im Münchner Stadtteil Trudering. Dort erinnerte zunächst ein hölzernes Wegkreuz an die Katastrophe, 2004 wurde dann ein Gedenkstein aufgestellt, initiiert vom langjährigen FCB-Verwaltungsbeirat Hermann Memmel. 2008, zum 50. Jahrestag, wurde der Platz in Manchesterplatz umbenannt.
2020 erfolgte die Grundsteinlegung für eine Erinnerungsvitrine, die in diesem Jahr im Rahmen der Gedenkfeier am 6. Februar feierlich eingeweiht wird. Pandemiebedingt war das zuvor nicht möglich gewesen. In der Vitrine werden Gegenstände ausgestellt, die Fans aus aller Welt am Unglücksort ablegen: Schals, Briefe, Bilder und vieles mehr. Gesammelt und archiviert werden sie vom FC Bayern-Fanclub „Red Docs Munich“. Deren Vorsitzender, Mark Salzmann, hat die Vitrine mit angeregt. Durch sie soll die Bedeutung des Ortes noch anschaulicher werden, erklärt er: „Viele Leute aus England und der ganzen Welt kommen hierher. Wenn man sieht, was sie zurücklassen, spürt man die Tragweite des Unglücks. Es ist für sie, als hätten sie Familienmitglieder verloren.“ Ganz besonders gilt das für die Gedenkveranstaltungen am Jahrestag. Mehrere Hundert ManUnited-Fans versammeln sich dann am Gedenkstein, in diesem Jahr, 65 Jahre nach der Katastrophe, wird mit tausend Besuchern gerechnet. Sie verlesen die Namen der Opfer und singen von den „Flowers of Manchester“, viele mit Tränen in den Augen.
Münchner Engel
Dass sich die „Red Docs“ der Pflege des Erinnerungsortes angenommen haben, hängt damit zusammen, dass Salzmann in Trudering aufwuchs. Dort bekam er schon früh mit, wie Fans von Manchester United der Busby Babes gedachten. 2012 war er Gründungsmitglied des Fanclubs, der über die Unterstützung für den FC Bayern hinaus aktiv werden wollte. Da lag es nahe, sich um den Manchesterplatz, das Gedenken und die Fans der „Red Devils“ zu kümmern. Man merke immer wieder, wie dankbar die Menschen aus Manchester dafür seien, erzählt Salzmann. Dass viele Gründungsmitglieder der „Red Docs“ einen medizinischen Hintergrund haben, ist „vielleicht Schicksal“, meint der Orthopäde. Denn die Tragödie der Busby Babes ist auch eine Geschichte der Ärzte und Pfleger des Klinikums Rechts der Isar. Mit ihrer aufopferungsvollen Pflege der Verletzten verliehen sie dem Bild der Deutschen auf der Insel 13 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs wieder Menschlichkeit. In England wurden sie als „Engel von München“ gefeiert, Chefarzt Prof. Dr. Georg Maurer wurde von der Queen sogar ein Orden verliehen.
Auch zwischen Manchester United und dem FC Bayern entwickelte sich eine besondere Beziehung. Der damalige FCB-Präsident Alfred Reitlinger besuchte mit Geschäftsführer Walter Fembeck die Verletzten im Krankenhaus. Und bereits sechs Monate nach dem Unglück, im August 1958, kam es zum sportlichen Wiedersehen. Im ausverkauften Grünwalder Stadion trat Manchester United gegen eine Stadtauswahl aus Spielern von Bayern und 1860 an. Die Münchner gewannen 4:3. Bis 1966 folgten vier weitere Freundschaftsspiele zwischen dem FC Bayern und den „Red Devils“. Die besondere Verbundenheit der beiden Clubs lebt bis heute fort, auch am Manchesterplatz in Trudering, wo der FC Bayern das Gedenken mitträgt. So steht am Ende der Geschichte der Busby Babes nicht eine Katastrophe, sondern Versöhnung und Freundschaft. Es entstanden Brücken zwischen zwei Clubs, zwei Städten und zwei Ländern, die bis heute Bestand haben. Das wird man wieder spüren, wenn am 6. Februar die Gedenkfeier in Trudering stattfindet. „Hier ist Fußball mehr als nur Sport“, sagt Mark Salzmann, „es geht um Historie, Gesellschaft und Emotion abseits des eigentlichen Spiels.“ Salzmann wird ebenso wie Patrick Burns ein paar Worte an die Teilnehmer richten. Auch FCB-Präsident Herbert Hainer, Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter und ManUnited-Botschafter Bryan Robson zählen zu den Rednern. Burns ist überzeugt: „Die Liebe und der Respekt zwischen den beiden Vereinen und ihren Fans sind unglaublich speziell. Ich habe keinen Zweifel, dass dieses besondere Band weiterwachsen und für die kommenden Generationen aufrechterhalten werden wird. Wir werden auf ewig dankbar sein.“
Im Rahmen des Jahrestags des Flugzeugabsturzes berichtete Manchester United auf seinen Vereinskanälen auch über das Engagement des FC Bayern zum Gedenken an die Tragödie. Zum Artikel.
© Bilder Felix Brandl, imago
Der Text erschien in der Februar-Ausgabe des Club-Magazins „51“ - hier geht es zu den weiteren Themen des aktuellen Hefts.
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