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FC Bayern Amateure, Holger Seitz

Holger Seitz: Rocky und die Amateure

Die FCB-Amateure haben ihre Saison auf Platz drei der Regionalliga Bayern abgeschlossen. Coach Holger Seitz (48) erzählte im exklusiven Interview mit dem Mitgliedermagazin „51“, was ihm an seinem Team besonders imponiert hat und was er sich von Rocky abgeschaut hat.

Das Interview mit Holger Seitz:

Herr Seitz, nach dem Spiel in Würzburg Anfang Mai und dem umjubelten 2:2-Ausgleich in der Nachspielzeit haben Sie Ihr Team auf dem Rasen um sich versammelt und emotionale Worte gefunden. Passiert so etwas aus dem Bauch heraus oder nach Plan?
„Das kommt aus meinem tiefsten Inneren. Normalerweise ist es wichtig, dass man sich als Trainer unter Kontrolle hat. Aber es gibt Momente, da merke ich, dass es besser ist, seinen Emotionen freien Lauf zu lassen. Ich glaube, den Spielern gefällt das auch. Einer dieser Momente war in Würzburg.“

Was bewirkt so ein Ausbruch bei den Spielern?
„Aus meiner eigenen Erfahrung als Spieler weiß ich, wie wichtig es ist, dass die Spieler ein Gefühl für ihren Trainer entwickeln, dass sie einschätzen können, wie er denkt, wie er fühlt, was für ein Mensch er ist. Deswegen ist es für einen Trainer wichtig, auch mal Emotionen zu zeigen. Sonst gibt es eine Art Schleier in der Zusammenarbeit, und das möchte ich nicht haben. Die Spieler müssen wissen, mit wem sie es zu tun haben. Nur so entwickelt sich Vertrauen.“

FC Bayern Amateure, Holger Seitz

Wie behalten Sie bei aller Emotionalität einen kühlen Kopf?
„Das ist mir früher schwerer gefallen als heute. Ganz zu Beginn meiner Trainerlaufbahn habe ich einen Kreisklassisten trainiert, die Sportfreunde Egling. Da war ich manchmal zu emotional. Wahrscheinlich weil ich mich selbst noch ein bisschen als Spieler gefühlt habe, manchmal habe ich sogar noch selbst mitgekickt. Inzwischen weiß ich, dass man als Trainer den Jungs zeigen muss: Da draußen steht jemand, der Entscheidungen mit einem kühlen Kopf trifft.“

Sie haben zwischen 1996 und 2000 98 Spiele für die Amateure bestritten – und dabei beachtliche 28 Gelbe Karten und zwei Platzverweise kassiert.
„Gleich in meinem ersten Spiel für Bayern habe ich Rot gesehen (lacht). Auswärts in Weismain, da habe ich meinen Gegenspieler an der Mittellinie weggegrätscht. Die Rote Karte konnte man schon geben. Aber danach wurde es so richtig peinlich: Beim Aufstehen merkte ich, irgendwas stimmt in meinem linken Knie nicht. Ich hatte mir beim Foul einen Meniskusschaden zugezogen. Als ich vom Platz bin, habe ich alles versucht, um ja nicht zu humpeln. Die Zuschauer hätten sich doch kaputtgelacht.“

FC Bayern Amateure, Grünwalder Stadion

Kultig ist es im Grünwalder Stadion, wenn die Amateure spielen (Foto: Marco Donato).

Wie hilfreich ist Ihre Vergangenheit als Spieler heute als Trainer?
„Ich lasse meine Spieler schon wissen, dass ich selbst mal da war, wo sie jetzt sind. Ich weiß, wie sie sich fühlen. Ich weiß, wie sich die Eltern fühlen. Meine Mutter ist heulend nach Hause gefahren, als ich mit 16 aus dem tiefsten Niederbayern ins Internat nach Nürnberg gegangen bin. Ich weiß auch, was notwendig ist, um sich bei den Profis durchzusetzen. Und auch wenn manchmal harte, aber ehrliche Entscheidungen zu treffen sind, sollen meine Spieler wissen, dass ich es gut mit ihnen meine.“

Sie sind Ende November auf die Trainerbank der Amateure zurückgekehrt. Seitdem hat bis Saisonende Ihr Team die meisten Punkte geholt. Wie stolz sind Sie auf die letzten Monate?
„Ich bin mit der Entwicklung sehr zufrieden. Besonders hat mir gefallen, dass ich bei dieser Mannschaft das ‚Mia san Mia‘ gespürt habe. Sie hat das auf den Platz gebracht, und zwar vor allem dann, wenn es kompliziert wurde. Dann dem Gegner aufzuzeigen, heute gebe ich die Richtung vor, das ist das, was einen Bayern-Spieler ausmacht. Und das war in den letzten Monaten mehrmals zu beobachten: zum Beispiel gegen Burghausen, gegen Haching oder in Würzburg.“

FC Bayern Amateure, Grünwalder Stadion

21 Siege holten die Amateure diese Saison, darunter ein 4:1 gegen die SpVgg Hankofen-Hailing (Foto: Marco Donato).

Wie gibt man den Spielern diese „Mia san mia“-Mentalität mit?
„Dafür braucht man ein Klima, das Orientierung gibt. Wenn Spieler neu zu uns an den Campus kommen, merken sie: Hoppla, bei Bayern ist noch mal ein anderer Zug drin. ‚Mia san Mia‘ steht über allem, auf und außerhalb des Platzes. Auftreten, Selbstsicherheit, Überzeugung, Teamgeist, Einsatzbereitschaft, aber auch stets Respekt und eine Portion Demut. Das sind die Basics. Die braucht man, um es nach oben zu schaffen.“

Und was ist mit den fußballerischen Basics?
„Auch da muss in der Ausbildung das Wesentliche im Fokus stehen: der Zweikampf, die Flanke, das Kopfballspiel … Erst danach kommen mannschaftstaktische Dinge. Die Jungs müssen natürlich schon wissen, wie man im 4-3-3 anläuft, wenn sie bei den Profis mittrainieren. Aber wir müssen dafür sorgen, dass wir nicht an der Seele des Fußballs vorbei ausbilden. Wir sind in diesen Dingen sehr aufmerksam.“

Sie sind 1996 zu den Amateuren gekommen. Ging damals ein Traum in Erfüllung?
„Seit ich denken kann, bin ich rot-weiß unterwegs. Ich erinnere mich noch gut an das erste Spiel, das ich im Olympiastadion erlebt habe. Mit meinem Bruder bin ich im Fanbus nach München gefahren. Zum ersten Mal ins Olympiastadion zu gehen, diese Riesenschüssel zu sehen, das war gewaltig!“

FC Bayern Amateure, Holger Seitz

Kühler Kopf, heißes Herz: Auch an der Seitenlinie geht es mal emotional zur Sache (Foto: Marco Donato).

Und später durften Sie selbst das rote Trikot tragen.
„Ich wurde als Nachfolger für Hans Pflügler zu den Amateuren geholt. Wenn die Profis mal einen gebraucht haben, durfte ich oben mittrainieren. An eine Situation im Spielersatztraining kann ich mich noch genau erinnern. Ich war in der Mannschaft von Oliver Kahn. Der hatte zwar am Tag zuvor gespielt, aber weil er nichts aufs Tor bekommen hatte, wollte er Intensität fahren. Spätestens ab diesem Tag wusste ich, was es heißt, bei den Profis auf dem Platz zu stehen. Jeder Pass, den ich sonst einfach gespielt habe, war maximal schwierig.“

Welche Rolle spielen die Amateure im Ausbildungskonzept des FC Bayern?
„Das oberste Ziel unserer Jugendspieler muss sein, es vom Campus an die Säbener Straße zu schaffen. Dort sind auch die Amateure zu Hause, ganz nah an der Profiabteilung. Der Einser-Platz, auf dem die Profis trainieren, ist buchstäblich in Sichtweite.“

FC Bayern Amateure, Holger Seitz

Respekt und Teamgeist gehören für Seitz zu den Basics, um Profi werden zu können (Foto: Marco Donato).

Ist der Schritt aus dem Nachwuchs zu den Profis heute größer als noch zu Ihrer Zeit?
„Schon. Weil das Niveau bei unseren Profis inzwischen unfassbar hoch ist. Ich staune bei jeder Trainingseinheit, die ich beobachten kann. Jeder Moment ist maximal.“

Was fällt Ihnen ins Auge, wenn Sie beim Profitraining zuschauen?
„Ich bin so dankbar, weil ich hier bei den weltbesten Trainern hospitieren kann. Wer hat schon so eine Möglichkeit? Ich habe gesehen, welch enge Beziehung Jupp Heynckes zu seinen Spielern aufbaut durch vermeintliche Kleinigkeiten, die aber eine unwahrscheinlich große Wirkung haben. Bei Pep Guardiola war jede Trainingseinheit ein Wettkampf, die Spieler haben gedampft. Und auch beim ersten Training von Thomas Tuchel stand ich staunend draußen. Wie er coacht, wie klar er in seinen Ansagen ist, das ist beeindruckend. All diese Eindrücke sauge ich auf und versuche zu lernen.“

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Wie sieht denn der Austausch mit Thomas Tuchel aus?
„Obwohl Thomas intensive Wochen zum Start hatte, hat er sich die Zeit genommen, bei unserem Training vorbeizuschauen. Mit seinem Assistenten Arno Michels kommuniziere ich mehrmals die Woche. Man spürt eine Wertschätzung der Nachwuchsabteilung gegenüber.“

Welcher Trainer war für Sie als Spieler prägend?
„Ganz klar Rainer Ulrich mit seinem Co-Trainer Gerd Müller. Die beiden haben mich gepackt, die haben mich gelehrt, worauf es ankommt. Nämlich den Spieler als Menschen zu sehen, empathisch zu sein.“

Sie haben vier Jahre für die Amateure gespielt, waren Kapitän, jetzt sind Sie zum dritten Mal Trainer. Was bedeuten Ihnen persönlich die sogenannten „kleinen“ Bayern?
„Ich hatte viele tolle Momente mit den Amateuren, der Drittliga-Aufstieg 2019 war das Größte überhaupt. Die Amateure sind für mich viel mehr als nur eine Fußballmannschaft – sie sind Kult. Das merkt man auch bei den Fans. Hier Trainer sein zu dürfen, ist für mich eine große Ehre und eine Verpflichtung, alles zu geben. Diese Aufgabe beschäftigt mich rund um die Uhr. Manchmal werde ich nachts wach und bin im Kopf wieder im Training. Die Amateure sind für mich nicht Arbeit, sondern pure Leidenschaft.“

FC Bayern Amateure, Holger Seitz

Verschworener Haufen: Die Amateure waren nach der Winterpause das beste Team der Liga (Foto: Marco Donato).

Sie haben die Fans angesprochen. Jedes Wochenende wird Ihr Team lautstark unterstützt, egal ob im Grünwalder Stadion oder in Würzburg.
„Im Grünwalder ist die Stimmung noch genauso wie zu meiner aktiven Zeit. Ein paar Gesichter kenne ich sogar noch von damals. Das ist echt krass. Wir haben einen harten Kern an Fans, die zu uns ins Stadion kommen. Ich weiß aber, dass noch viele mehr unsere Ergebnisse verfolgen. Die Amateure von Bayern München sind für viele Menschen ein fester Teil ihres Lebens.“

Als Spieler haben Sie es bis in die Zweite Liga geschafft. Hätten Sie Bundesliga gespielt bei den heutigen Ausbildungsmöglichkeiten?
„Bestimmte Trainingsformen und Trainer, wie wir sie am Campus haben, hätten mir sicher gutgetan. Meine Beine waren leider immer zu langsam. Als junger Kerl habe ich die ‚Rocky‘-Filme gesehen und dachte, ich muss viele Ausdauerläufe machen (lacht). Stundenlang bin ich an den Inn-Auen in Malching am Inn gelaufen, teilweise bin ich dafür um halb sechs aufgestanden. Das war total falsch. Ich hätte Schnellkraft und Beweglichkeit trainieren müssen. Dann wäre vielleicht noch ein bisschen mehr für mich drin gewesen.“

Die individuelle Entwicklung ist das eine, der Mannschaftserfolg das andere. Wie bringt man beides zusammen?
„Manchmal höre ich Trainer sagen: ‚Wir haben zwar verloren, aber wir wollen ja individuell ausbilden.‘ Ich sehe das anders. Wenn wir gut ausbilden, sollte sich das auch in den Ergebnissen widerspiegeln.“

So wie in dieser Saison bei den Amateuren. Die Kunst ist es, aus Spielern mit ihren individuellen Qualitäten eine schlagkräftige Mannschaft zu bilden. Sind wir da wieder beim Thema „Emotion und Teamgeist“?
„So ist es. Jeder einzelne Spieler hat große Ziele. Es ist Aufgabe von uns Trainern, ihnen klarzumachen, dass Fußball ein Mannschaftssport ist. Dass es nichts Schöneres gibt, als wie in Würzburg in der 94. Minute noch gemeinsam dieses Tor zu erzwingen. Dieses Miteinander, diese Emotionen sind doch das, was uns alle irgendwann zum Fußball gebracht hat. Mannschaftserfolg und individuelle Entwicklung funktionieren nur zusammen.“

Das Interview ist im aktuellen FC Bayern-Mitgliedermagazin „51“ erschienen: