Ob er gerade auf der linken Überholspur war, ist nicht überliefert. Wir erreichen Lukas Podolski per Telefon im Auto. Der 38-jährige linke Außenbahnspieler mit der charakteristischen linken Klebe ist aktuell bei Górnik Zabrze in Polen aktiv. Zuvor schnürte der Sympathieträger bereits die Schuhe für den FC Bayern und Galatasaray, die am Dienstagabend im Topspiel der Champions League-Gruppe A aufeinandertreffen werden. Im Interview spricht der Weltmeister von 2014 unter anderem über seine besondere Beziehung zur Türkei, Döner-Läden, seine Zeit beim FC Bayern, Harry Kane und die EM in Deutschland.
Das Interview mit Lukas Podolski
Hallo Lukas. Du hast 3,5 Jahre in der Türkei gespielt. Kam Dir in dieser Zeit die Idee, unter die Gastronomen zu gehen und Döner-Restaurants zu eröffnen?
Lukas Podolski: „Ich hatte schon vorher Berührungspunkte mit der Türkei, weil ich mit vielen türkischen Freunden aufgewachsen bin. Und eines ist klar: Jeder mag Döner (lacht). Aber natürlich hat meine Zeit in der Türkei und in Istanbul die Idee befeuert, dieses Business zu beginnen.“
Du planst auch eine Filiale in Zabrze in Polen, wo Du aktuell bei Górnik Zabrze in der ersten polnischen Liga spielst. Wann kommen die Filialen in London, Mailand und München?
„Wir haben mittlerweile fast 50 Läden in Deutschland. Es war immer ein Ziel, auch in Zabrze einen Döner-Laden aufzumachen. Polen ist die erste Auslands-Station. Aber andere Städte wie London, Mailand oder München sind auch denkbar, wir wollen peu à peu expandieren. Jede Stadt kann einen guten Döner mit Lifestyle-Flair gebrauchen.“
Stichwort München: Du hast von 2006 bis 2009 drei Jahre lang beim FC Bayern gespielt. Wie blickst Du auf diese Zeit zurück?
„Es war eine schöne und erfolgreiche Zeit, obwohl es von außen manchmal anders dargestellt wurde. Als junger Kerl beim FC Bayern gespielt zu haben, hat mich zu der Person gemacht, die ich heute bin. Von der Siegermentalität des Vereins profitiere ich bis heute. Wir sind 2008 Meister und Pokalsieger geworden und haben in der Champions League gespielt. Ich erinnere mich noch gerne an den Autokorso durch die Stadt.“
In 106 Pflichtspielen für den FCB kamst Du auf 26 Tore und 20 Vorlagen.
„Die Statistiken können sich sehen lassen. Wir haben viel zusammen erlebt. Zu dieser Zeit war es in Deutschland eher unüblich, mit Anfang zwanzig bei einer europäischen Top-Mannschaft wie Bayern München zu spielen. Die Zeiten haben sich inzwischen ein bisschen geändert. Ich hatte superschöne Jahre bei Bayern und es war eine tolle Erfahrung, bei solch einem Weltclub zu spielen.“
Was ist Dir aus der Zeit in München am meisten im Gedächtnis geblieben?
„Es gibt viele schöne Anekdoten. Ich bin ein Typ, der immer Spaß hat (lacht) und bin gerne unter Leuten, auch unter den Fans. Ich hatte immer eine gute Beziehung zu den Bayern-Anhängern. Es ist natürlich auch immer wieder schön, Jungs wie Basti Schweinsteiger, Philipp Lahm oder Mark van Bommel zu sehen. Da lachen wir uns häufig über alte Geschichten kaputt (lacht). Für mich hat die menschliche Komponente immer eine wichtige Rolle gespielt. Beim FC Bayern arbeiten tolle Leute, die für den Verein alles geben. Ich habe schon am ersten Tag gemerkt, was es heißt, für Bayern München zu spielen. Auch Uli Hoeneß hat mir und meiner Familie sehr geholfen. Diese ganz besondere Wohlfühlatmosphäre ist mir fast mehr im Gedächtnis geblieben als mein erstes Tor, mein erstes Trikot oder mein erstes Champions League-Spiel. Auch wenn man für diese Momente spielt und lebt.“
Wie sehr verfolgst Du den FCB und wie schätzt Du das Team ein – gerade in der Offensive mit dem neuen Stürmer Harry Kane?
„Ich schaue vor allem die Champions League-Spiele. Die Bundesliga kann ich seltener verfolgen, da ich in Polen häufig zeitgleich spiele. Bayern hat immer den Anspruch, um alle Titel zu spielen. Gerade offensiv war die Qualität zu meiner Zeit sehr groß und sie ist auch jetzt wieder groß. Mit Harry Kane haben sie einen überragenden und kaltschnäuzigen Stürmer. Bei Bayern ist es wichtig, dass vorne jemand ist, der die vielen Chancen verwertet.“
Dich hat häufig Deine Unbekümmertheit ausgezeichnet. Gefallen Dir deshalb Spieler wie Mathys Tel oder Jamal Musiala aktuell besonders?
„Das sind extrem interessante Jungs. Sie spielen sehr unbekümmert und kreativ. Besonders gefällt mir ihre Spielweise, die man so in der Bundesliga nur selten sieht. Man schaut ihnen gerne zu. Sie haben das gewisse Etwas. Bayern kann froh sein, solche Jungs in den eigenen Reihen zu haben.“
Von 2015 bis 2017 warst Du für Galatasaray in Istanbul aktiv. Auf was muss sich der FCB im CL-Auswärtsspiel am Dienstag einstellen?
„Das wird ein geiles Spiel! Es ist ein spektakuläres Stadion und die Stimmung ist fantastisch. Es ist besonders, weil das ganze Stadion mitgeht, jeder steht hinter der Mannschaft. Ich habe dort jedes Heimspiel genossen. Selbst als Gegner ist es immer schön, dort zu spielen, weil Galatasaray auch über die Grenzen der Türkei sehr beliebt und Istanbul eine Weltstadt ist. Aktuell ist die Euphorie bei Galatasaray groß, insbesondere nach dem Auswärtssieg in Manchester. Sie haben in der letzten Zeit eine starke Mannschaft aufgebaut und sehen jetzt die realistische Chance, in der Gruppe weiterzukommen. Deshalb wird es im Stadion rundgehen und jeder kann sich auf eine geile Atmosphäre freuen.“
Wie schätzt Du die aktuelle Gala-Mannschaft ein? Mit Icardi, Ziyech oder Zaha haben sie im Sommer große Namen verpflichtet.
„Nominell hat Galatasaray wohl die beste Mannschaft der vergangenen zehn, 15 Jahre. Bisher zeigen sie in der Meisterschaft und in der Königsklasse ihre Stärke. Wenn die Stimmung im Team gut und die Euphorie im Club bleibt, dann können sie dieses Jahr viel erreichen.“
Keeper Fernando Muslera stand schon zu Deiner Zeit bei Gala zwischen den Pfosten. Hast Du einen Tipp für Harry Kane und Co. wie man ihn bezwingen kann - von Stürmer zu Stürmer?
„Fernando ist der Kapitän, ein Liebling der Fans und sehr erfahren. Er ist ein sehr guter Torwart, der mit seiner Erfahrung und seiner Strahlkraft seine Abwehr und seine Mitspieler dirigiert. Er ist lautstark und ein emotionaler Typ, der auch auf der Linie stark ist. Es wird nicht einfach, ihn zu bezwingen.“
War der Pokalsieg mit Gala 2016 und Dein Siegtreffer gegen den Erzrivalen Fenerbahce einer Deiner größten Erfolge?
„Das war, als würde der FC Bayern gegen 1860 München im Pokalfinale spielen. Auf der einen Seite stehen 30.000 Leute in Rot und auf der anderen 30.000 in Blau. Und dann machst du den Siegtreffer zum 1:0 – etwas Schöneres gibt es nicht. Diesen Moment habe ich zum Glück erlebt. Am Flughafen haben uns tausende Fans empfangen, so etwas vergisst du nicht. Ich hatte eine schöne Zeit in Istanbul und habe immer noch Kontakt zu ehemaligen Mitspielern und Leuten im Verein. Ich war im Sommer auch ein paar Tage im Urlaub in Istanbul und habe das Trainingsgelände besucht und viele alte Weggefährten getroffen.“
Nach zweieinhalb Jahren in Japan hast Du ab 2020 nochmal eineinhalb Jahre bei Antalyaspor in der Türkei gespielt. Wie würdest Du Deine Beziehung zu diesem Land beschrieben? Auf Instagram bist Du zum Beispiel häufig mit einem landestypischen Çay-Tee zu sehen.
„Ich habe schon eine Art Türkei-Gen in mir. Ich bin schon viel in der Türkei rumgekommen – egal ob mit den Clubs oder privat mit der Familie. Ich schätze das Land, die Kultur und die Menschen. Auch der Çay war zu meiner Spielerzeit in Istanbul und in Antalya immer Teil des Tages – das hat sich bis heute nicht geändert (lacht).“
Hast Du einen Lieblingsort in Istanbul, den Du allen Auswärtsreisenden empfehlen kannst? Und hattest Du eigentlich auch einen Lieblingsort in München?
„Man braucht Wochen, um Istanbul kennenzulernen. Das ist eine echte Metropole. Durch den Verkehr und das Chaos, das manchmal in der Stadt herrscht, ist es schwer, Dinge zu planen. Man muss immer viel Zeit einberechnen (lacht). Es gibt viele schöne Orte: zum Beispiel den Bosporus, viele interessante Stadtviertel und Cafés. Während meiner Zeit in München habe ich etwas außerhalb gelebt, in Richtung Ammersee. Die Nähe zur Natur war herrlich. München ist eine tolle Stadt. Ich habe noch immer Freunde dort, die ich regelmäßig besuche. Meine Familie hatte eine super Zeit in München und mein Sohn wurde dort geboren. Ab und zu fahre ich auch an die Säbener Straße.“
Du bist der letzte aktive Profi, der 2006 bei der Heim-WM dabei war. Was traust Du der deutschen Nationalmannschaft für die Europameisterschaft im eigenen Land zu?
„Die letzten Jahre waren nicht so erfolgreich, wie man das aus der Zeit davor gekannt hat. Jetzt hoffe ich, dass sich das Team bis zur EM findet. Wichtig ist, dass die Mannschaft eine Euphorie entfachen und die Fans mitnehmen kann. Der Funke muss wieder überspringen. Man kann auch ein gutes Turnier spielen, wenn man davor keine allzu gute Phase hatte, das war auch schon zu meiner Zeit so. Wenn du dann das erste Spiel gewinnst – wie wir bei der Heim-WM 2006 – helfen dir die Euphoriewelle und das Momentum. Freundschaftsspiele sind oft nur Momentaufnahmen. Ich bleibe auf jeden Fall Fan und kenne ja noch viele Spieler. Ich hoffe, dass die Jungs die Situation herumreißen und dass wir am Ende Europameister werden.“
Zurück zur Aktualität: Was bedeutet es Dir, gegen Ende Deiner Karriere in Polen zu spielen?
„Ich hatte immer wieder den Gedanken, dass ich mal für den Verein spielen möchte, von dem meine ganze Familie Fan ist und der in der Region liegt, aus der meine Familie stammt. Ich möchte dem Club und den Leuten in der Region auch etwas zurückgeben. Mein Vater und mein Onkel haben mich früher immer mit ins Stadion genommen. Der Großteil meiner Verwandten hat hier unter Tage gearbeitet – und verrichtet teilweise bis heute diese körperliche Arbeit. In Zabrze zu spielen, ist eine Zugabe und eine tolle Sache für mich. Ich genieße jede Trainingseinheit und jedes Spiel. Ich bin als kleiner Junge in Deutschland und Polen aufgewachsen, habe auf der Straße das Fußballspielen gelernt und durfte am Ende 130 Länderspiele für Deutschland bestreiten. Darauf bin ich stolz und das kann mir keiner mehr nehmen.“
Wirst Du in Zabrze Deine Karriere beenden oder sehen wir Dich nochmal in Deutschland?
„Es gibt noch keine Pläne, weil ich nicht so weit nach vorne schauen möchte. Mal schauen, was passiert. Jetzt will ich erstmal spielen, Spaß haben und glücklich sein.“
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