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Spielerlegende Klaus Augenthaler pfeift das Schiedsrichter-Team des FC Bayern.

Legende Klaus Augenthaler pfeift unser Schiri-Team

Ohne sie geht es nicht. Doch die Zahl der Schiedsrichter ist bedenklich gesunken. Der DFB rief daher das „Jahr der Schiris“ aus, und wir baten Klaus Augenthaler zum Selbstversuch. Eine Spielerlegende pfeift unser Schiri-Team.

Aus Liebe zum Spiel

Klaus Augenthaler pfeift zu früh ab. Auf der Uhr sind eigentlich noch fünf Minuten zu spielen, aber er hat genug. Das ganze Spiel über hat es in Strömen geregnet, und entschieden ist die Partie eh längst. „Fünf zu fünf“, sagt „Auge“ und grinst einen der Linienrichter an. Auch mit dem Ergebnis (10:0) nimmt er es nicht so genau. Es war ja nur ein Trainingsspiel zwischen dem Team der FCB-Schiedsrichter und den Ü45-Senioren des FC Bayern. Beide haben dieses Jahr die Deutsche Meisterschaft gewonnen. Mittendrin an der Pfeife: der siebenfache Deutsche Meister Klaus Augenthaler.

Handshake von Schiedsrichter Klaus Augenthaler mit einem Spieler.
Gut gemacht: „Es war ein faires Spiel“, meinte Augenthaler nach Abpfiff.

„Sie haben es mir einfach gemacht, es war ein faires Spiel“, meint der 66-Jährige nach seinen ersten fast 90 Minuten als Schiedsrichter. Vor Jahren musste er im Rahmen seiner Fußballlehrer-Ausbildung auch die Schiedsrichterprüfung ablegen. Regelfest ist er also. Dennoch fiel ihm die neue Rolle auf dem Fußballplatz nicht ganz leicht. „Innerlich habe ich oft gerufen: ‚Hintermann!‘ oder ‚Spiel ab!‘ Und ein paarmal hätte ich den Ball fast gestoppt.“

Augenthaler ist halt immer noch zu sehr Spieler. Lob bekommt „Auge“ von einem, der sich auskennt. „Er ist ein ruhiger Schiri, hat im wahrsten Sinne des Wortes Auge“, sagt Michael Humpa. Der 47-Jährige pfeift seit 1997 für den FC Bayern. „Man merkt, dass er vielleicht früher im Training immer wieder mal Schiedsrichter gespielt hat. Nur das Wetter passt ihm nicht so.“ Humpa lacht. Als Schiedsrichter ist er in der Kreisklasse im Einsatz, kümmert sich in der Abteilung zudem mit um den Nachwuchs. Gerade deswegen findet er Augenthalers Feldversuch so wichtig. Weil die Aktion ein Schlaglicht wirft auf eine Position, die zur Mangelware im deutschen Fußball geworden ist: die des Schiedsrichters.

Mit der Zeit merkt man, dass man ein Spiel wirklich gehändelt kriegt. Das ist schon etwas, was guttut.

Michael Humpa, Schiedsrichter

Im WM-Jahr 2006 zählte der DFB noch 81.372 Unparteiische, danach schrumpfte die Zahl und erreichte 2021 den Tiefpunkt (45.363). Selbst wenn man berücksichtigt, dass dies auch mit weniger durchgeführten Spielen während der Pandemie sowie einer Umstellung der Zählung zu tun hatte – seit 2016 fließen nur noch aktive Schiedsrichter in die DFB-Statistik ein –, ist die Entwicklung besorgniserregend. Immerhin hat sich der Trend in den letzten beiden Jahren nicht fortgesetzt. 2022 und 2023 war die Zahl der aktiven Schiedsrichter leicht steigend, aktuell sind es deutschlandweit 53.616. Dennoch sind es immer noch zu wenige, auch in diesem Jahr konnten einige Partien in den unteren Spielklassen nicht mit einem Schiedsrichter besetzt werden. Übrigens ist die Entwicklung kein allein deutsches Phänomen. Laut UEFA fehlen europaweit fast 40.000 Unparteiische.

Gert Mauersberger leitet die Schiedsrichterabteilung des FC Bayern.
Auf Ballhöhe: Gert Mauersberger leitet die Schiedsrichterabteilung des FC Bayern.

Ein Engagement, das guttut

Beim FC Bayern hat man den Schiedsrichterschwund kaum gespürt. Mit 136 Unparteiischen, davon 105 aktiven, hat man mehr Mitglieder als 2006 (119) und ist nach wie vor die größte Schiedsrichter-Abteilung Europas. „Der Name FC Bayern zieht einfach, das ist ein großer Vorteil“, meint Humpa, „aber bei den kleineren Vereinen sieht das anders aus.“ Er selbst hat es nie bereut, sich zwei Freunden angeschlossen zu haben, die Schiedsrichter beim FC Bayern werden wollten. Er kam mit – und ist 27 Jahre später immer noch dabei. Warum? Humpa muss grinsen. „Anfangs war es auch eine Frage des Taschengeldes. Die 20, 25 Mark, die man damals für einen Einsatz bekommen hat, waren ein schönes Zubrot.“ Als Bayern-Fan freut er sich zudem bis heute über das Privileg, Schiedsrichterkarten für Bundesliga-Spiele kostenfrei zu bekommen. 300 davon gibt es aktuell für jedes Heimspiel in der Allianz Arena. Humpa schätzt auch die „super Gemeinschaft“ in der Abteilung. Regelmäßig trifft man sich zum Kicken, er habe viele neue Freunde gewonnen. Und dann ist da natürlich noch das
Pfeifen selbst. „Mit der Zeit merkt man, dass man ein Spiel wirklich gehändelt kriegt. Und wenn die Leute am Ende zufrieden mit einem sind, ist das schon etwas, was guttut.“

Seit 27 Jahren ist Michael Humpa Schiedsrichter beim FC Bayern.
Spaß an der Pfeife: Seit 27 Jahren ist Michael Humpa Schiedsrichter beim FC Bayern.

Augenthaler erledigt seinen Job mit seiner jahrzehntelangen Erfahrung als Spieler und Trainer sowie mit der natürlichen Autorität, die ihn schon als Spieler ausgezeichnet hat. Es gibt eh nur wenige knifflige Entscheidungen. Ein paar Zweikämpfe, zwei Tore, die er wegen Abseits oder eines Stürmerfouls nicht anerkennt. Oft winkt er ab, war doch nicht so schlimm. „Auge“ ist ein Freund davon, das Spiel laufen zu lassen. Am häufigsten zur Pfeife greifen muss er, weil ein Tor gefallen ist. Zehn Stück an der Zahl, alle für die Senioren. Am Spielfeldrand gibt es trotzdem nach dem einen oder anderen Pfiff Kritik. Ein paar ältere Herren schauen zu und sind nicht immer einverstanden. „Foul“, monieren sie oder: „Das war kein Abseits.“ Sie bekommen Widerspruch von Gert Mauersberger. „Doch, doch, Abseits“, hält der Abteilungsleiter der FCB-Schiedsrichter dagegen. „Früher habe ich mich auch oft über Entscheidungen geärgert“, sagt er, „als Schiedsrichter kriegt man dann eine andere Sicht.“

Es wäre schön, wenn alle Beteiligten wieder mehr zeigen, dass sie den Wert der Schiedsrichter schätzen.

Gert Mauersberger, Abteilungsleiter Schiedsrichter

Mauersberger (70) bezeichnet sich als „Spätberufenen“, was die Schiedsrichterei angeht. Früher spielte er Basketball, leitete auch Spiele. Als sein kleiner Sohn mit dem Fußball anfing, hat er sich auch dort als Schiedsrichter zur Verfügung gestellt. Als er schließlich die Schiedsrichterprüfung ablegte, war er bereits 41. Zwei Dinge gefielen ihm am Pfeifen: die regelmäßige Bewegung an der frischen Luft („das hat mir gutgetan“) und: „Ich fand es interessant, auf dem Platz für Gerechtigkeit zu sorgen. Ich bin nämlich schon ein kleiner Gerechtigkeitsfanatiker.“

Fußballspiel zwischen dem Schiedsrichter-Team und den Senioren C des FC Bayern.
November Rain: Doch von Kälte und Dauerregen ließen sich das Schiedsrichter-Team sowie die Senioren C des FC Bayern nicht bremsen.

Zwischen 157 und 236 Situationen muss ein Fußballschiedsrichter in einem Spiel beurteilen, rund zwei bis drei pro Minute. Da kann man es nicht jedem immer recht machen. Das Problem sei nur, dass der Respekt vor den Entscheidungen deutlich abgenommen habe, sagt Mauersberger: „Jeder maßt sich an, über die Schiedsrichter zu urteilen. Das fängt schon in der Jugend an, wo sich am Spielfeldrand manche Eltern danebenbenehmen. Ich habe das als Vater selbst miterlebt.“ Alles werde bis ins kleinste Detail seziert. „Es wird eine fehlerfreie Leistung erwartet, von der A-Klasse bis in die Bundesliga. Aber das ist nicht machbar.“ Er würde sich wünschen, dass „alle Beteiligten wieder mehr zeigen, dass sie den Wert der Schiedsrichter schätzen“.

Gruppenfoto mit Klaus Augenthaler und Schiedsrichtern
Schiris unter sich: Ein Gruppenfoto mit Klaus Augenthaler muss sein.

Über 100 Spiele pro Saison

Leider gehören Beschimpfungen und Beleidigungen zum Schiedsrichter-Alltag. „Da muss man auf Durchzug schalten“, sagt Michael Humpa. In den letzten Jahren wurde aber immer wieder mal eine Grenze überschritten, es kam zu Gewaltandrohungen und körperlichen Übergriffen. Laut einer Statistik des DFB wurden Schiedsrichter 2022/23 im deutschen Amateurfußball 2.680-mal Opfer von Gewalt- und 
Diskriminierungsvorfällen. Humpa hatte bisher Glück. Aber natürlich bekommt er mit, was dem einen oder anderen Kollegen passiert ist. „Ich habe einige gehen gesehen, weil sie gesagt haben: Das mache ich jetzt nicht mehr mit“, erzählt er. Besonders hoch ist die Abbruchquote beim Schiedsrichter-Nachwuchs. Beim FC Bayern lässt man Neulinge daher nicht allein, wenn sie ihre ersten Schritte auf den Fußballplätzen in München machen. Erfahrene Schiedsrichter begleiten sie, geben Feedback und stehen an ihrer Seite, sollte es Probleme 
geben. Diese Betreuung hat sich bewährt. „Bei uns springen nur wenige wieder ab“, berichtet Gert Mauersberger. Gerade besuchen sechs Anwärter vom FC Bayern einen Neulingskurs. Und auch deutschlandweit machen die Zahlen Mut: Im ersten Halbjahr 2023 absolvierten 5.000 Menschen erfolgreich einen Neulingslehrgang, ein Drittel mehr als ein Jahr zuvor.

Klaus Augenthaler schaut auf die Uhr.
Wie lange noch, Schiri? Klaus Augenthaler beschließt: 85 Minuten reichen heute.

An jedem Fußballwochenende sind 50, 60 Schiedsrichter vom FC Bayern im Einsatz. „Manche pfeifen über 100 Spiele pro Saison“, sagt Mauersberger. „Unsere Abteilung leistet einen wichtigen Beitrag zum Spielbetrieb in München.“ Eine solche Einsatzfreude kann es nur geben, weil auch Schiedsrichter begeisterte Fußballer sind. Über den Besuch von Augenthaler freuen sie sich sehr, fleißig werden Erinnerungsfotos gemacht. Ob sie wissen, dass nur zwei Bayern-Spieler mehr Rote Karten gesehen haben als „Auge“ (3/Sammy Kuffour, Jérôme Boateng je 6)? „Alle drei waren absolut berechtigt“, findet Augenthaler mit einem Schmunzeln. Wiederholtes Foulspiel gegen Köln (1987), eine Notbremse gegen Porto (1991) und natürlich die legendäre Watschn gegen Real Madrids Hugo Sánchez (1987). „Eigentlich war’s nur ein kleiner Datscher, das war halt doof von mir“, meint er und grinst. Ein bisschen Humor schadet nicht, egal ob als Spieler oder als Schiri. Am Ende haben beide ja denselben Grund, warum sie an einem kalten Novemberabend bei Dauerregen auf dem Fußballplatz stehen: Sie lieben das Spiel.

© Bilder: Julian Baumann

Der Text erschien in der aktuellen Dezember-Ausgabe des Magazins „51“: