Der Fußball wurde durch den „Kaiser“ ein anderer. Er prägte das Geschehen wie niemand zuvor – doch was zeichnete ihn aus? Unser Clubmagazin 51 hat den Spieler Franz Beckenbauer analysieren lassen. Am heutigen Mittwoch hätte er seinen 79. Geburtstag gefeiert.
Wie fein er doch war, Franz Beckenbauers rechter Fuß. Vor allem sein Außenrist, mit dem er die Bälle über das gesamte Feld verteilte. Seine Mitspieler erhielten von ihm die Bälle oft ansatzlos – und genau das machte sein Aufbauspiel so flexibel und für den Gegner schwer zu verteidigen. Außerdem spielte er seine Pässe in den Raum statt in den Fuß. So zwang Beckenbauer seine Mitstreiter zu einem aktiven Spiel und lenkte die Dynamik einer gesamten Partie.
Elegante Zweikampfführung
Beckenbauer schaffte es jedoch nicht nur, seine Offensivaktionen leichtfüßig und elegant vorzutragen, auch seine Arbeit gegen den Ball war weit weg von rüden Fouls oder unfairem Spiel. Zumeist gelang es ihm, noch vor dem direkten Zweikampf in eine günstige Position zu kommen, um dann durch sein exzellentes Timing den Ball zu erobern.
Mindestens genauso wichtig wie sein Timing war seine Schnelligkeit, die es ihm ermöglichte, Gegner in Laufduelle zu verwickeln und so den Ball zu erobern oder zu klären. Außerdem hatte Beckenbauer zu seiner Zeit noch die Möglichkeit, seine eroberten Bälle dem Torhüter zuzuspielen, der den Ball damals noch mit den Händen aufnehmen konnte. Diese Kombination aus individuellen Fähigkeiten und dem damaligen Regelwerk machten Beckenbauer zu einer unüberwindbaren Hürde für Angreifer. Das zeigt auch die Statistik: Während seiner Zeit beim FC Bayern erhielt Beckenbauer in 582 Spielen nur vier Gelbe und keine einzige Rote Karte. Zum Vergleich: Der äußerst faire Philipp Lahm kam in 652 Spielen auf 49 Gelbe Karten.
Meister der Doppelpässe
Beckenbauers Spiel mit Ball war stets nach vorne gerichtet, ob mit genauen Pässen oder per Dribbling ins Mittelfeld und in Richtung gegnerisches Tor. In vielen Spielen sahen die Zuschauer Beckenbauer an den ersten Gegenspielern im schnellen Dribbling vorbeiziehen, bevor er einen kurzen Pass zu einem Mitspieler in der Tiefe spielte. Er blieb nicht stehen, sondern führte seinen Lauf fort und bot sich zum Doppelpass an. Häufiger Partner bei diesen Doppelpässen war Gerd Müller. Die gegnerischen Teams hatten große Probleme, diese Läufe aus dem Mittelfeld oder der Abwehr in das letzte Drittel aufzunehmen. Zum einen, da Beckenbauer seine Angriffsaktionen meist im höchsten Tempo vollzog, und zum anderen, da er durch seinen Offensivdrang häufig Überzahlverhältnisse schaffen konnte. Die Dynamik in diesen Aktionen und die Fähigkeit, sich im richtigen Moment vom Ball zu lösen und den zurückklatschenden Ball im höchsten Tempo wieder zu verarbeiten, war und ist gleichermaßen anspruchsvoll wie effektiv.
Vorbild moderner Verteidiger
Als Libero hinter den Vorstoppern blühte Beckenbauer auf und wurde zu der sportlichen Ikone, die er bis heute geblieben ist. Die eigentliche Arbeitsbeschreibung des klassischen Liberos: als freier Mann hinter der letzten Defensivreihe alle gefährlichen Bälle zu klären und Gegner abzufangen. Diese Art von reiner Torverteidigung und „Ausputzer-Mentalität“ wird Beckenbauer rückblickend natürlich nicht gerecht. Sein Spiel lebte neben der Defensivarbeit auch von der offensiven Ausrichtung. In alten Aufzeichnungen ist zu sehen, wie Beckenbauer den Ball von seinen Vorstoppern bekommt und ihn mit Blick in Richtung gegnerisches Tor führt. Stets aufrecht und mit ruhiger Ballführung war er der Antreiber von hinten. Er setzte das um, was Trainer heutzutage von ihren Innenverteidigern fordern: andribbeln. Beckenbauer verstand es wie kein Zweiter, Räume vor sich zu erkennen und mutig in diese zu dribbeln. Hilfreich waren ihm dabei seine sehr enge Ballführung und generell großartige Technik. Er überwand in dieser Weise die ersten Pressinglinien des Gegners und belebte damit das Spiel seiner Mannschaft im Mittelfeld.
Gleichzeitig vernachlässigte Beckenbauer aber nicht seine Arbeit als Abwehrspieler und war da, wenn er gebraucht wurde, klärte Bälle mit dem Fuß oder Kopf aus der Gefahrenzone. Diese Mischung aus offensiven Akzenten und Defensivarbeit war seiner Zeit weit voraus und kann bis heute als Vorbild für moderne Verteidigung gesehen werden.
Text: Markus Brunnschneider, Leiter des Bereichs Spiel- & Taktikanalyse, Scouting und Kaderplanung am Internationalen Fußball Institut.
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