Konrad Laimer sagt, wenn er Fußball spielt, dann „mit Haut und Haar“. Seine Leidenschaft, seine Aggressivität, seine Energie kann Bäume versetzen – und Spiele gewinnen. Ein Gespräch über schöne Siege, schmerzhafte Niederlagen und große Ziele mit dem FC Bayern.
Das Interview mit Konrad Laimer
Es ist früher Abend, als Konrad Laimer im Mannschaftshotel zum Interview erscheint. Ein Elf-Stunden-Flug nach Seoul zur Audi Summer Tour liegen da hinter ihm und dem FC Bayern, eine Trainingseinheit steckt in seinen Beinen und zwei Gespräche mit koreanischen Journalisten. Gleich geht es noch zum Barbecue – Mitspieler Minjae Kim hat seine Mitspieler als Willkommensgeschenk in seiner Heimat eingeladen. Und doch wirkt Konrad Laimer, 27, überhaupt nicht müde. Ein Gespräch über Energie, Leidenschaft und den Karabiner an seinem Schlüsselbund.
„Das EM-Aus hat im Urlaub noch nachgewirkt“
Konrad, hast Du Deinen Schlüsselbund dabei?
Konrad Laimer: „Meinen Schlüsselbund? Nein. Warum?“
Ist da noch der Karabiner dran?
„Ach so, nein. Der ist jetzt in meinem Rucksack vorn drin. Den habe ich da rein, damit ich ihn immer mal wieder sehe. Den behalte ich gern, der ist eine schöne Erinnerung.“
Ralf Rangnick, der österreichische Bundestrainer, hat jedem Nationalspieler vor der Europameisterschaft einen Karabiner für den Schlüsselbund geschenkt. Er sollte Zusammenhalt signalisieren, Fokussierung auf das Turnier. Welche Gefühle verbindest Du heute damit?
„Immer gute, weil ich liebend gern für die Nationalmannschaft spiele. Es ist das größte, was man als Spieler erreichen kann: Das eigene Land zu vertreten. Wenn jetzt im Alltag der Karabiner im Rucksack auftaucht, dann erinnere ich mich daran, was unser Ziel mit Österreich war – und ja noch immer unser Ziel ist. Dieser Weg ist ja nicht vorbei, er geht weiter.“
Mit welchen Gefühlen geht er weiter nach dieser Europameisterschaft?
„Ich bin mit gemischten Gefühlen von der EURO gefahren. Erst war es toll mit dem Gruppensieg vor Frankreich und den Niederlanden. Am Ende war es ein bitteres Ausscheiden im Achtelfinale gegen die Türkei. Das hat sehr wehgetan – aber so wechselhaft ist es im Fußball. Das hat auch bei mir im Urlaub noch nachgewirkt an den ersten Tagen. Aber das ist vorbei, jetzt bin ich voll fokussiert auf die Saison und freue mich wieder auf Fußball.“
Wie verarbeitest Du solche Enttäuschungen?
„Ich konnte die ersten Nächte nicht gut schlafen, mir gingen einzelne Spielsituationen immer wieder durch den Kopf – und dann fragst Du Dich mitten in der Nacht: Wieso? Warum? Weshalb? Manchmal schaue ich mir dann die Spiele nochmal an, um aus den Szenen zu lernen. Aber auch damit kann man es nicht mehr rückgängig machen. Deshalb war jetzt der Urlaub wichtig: ein paar Tage rauskommen, Kopf freikommen, bei der Familie sein, irgendwo nur liegen – und einfach mal nicht mehr an Fußball denken.“
Geht das, wenn eine Europameisterschaft im Fernsehen läuft: nicht mehr an Fußball zu denken?
„Okay, stimmt. Das geht nur sporadisch. Am Anfang habe ich wenig schauen können, das war zu bitter. Wenn Du das siehst und weißt, dass du da dabei warst, dann denkst du nur: Ich könnte da noch dabei sein. Dann tut es zu sehr weh. Am Ende ging es wieder besser mit dem Zusehen. Aber es war nicht mehr so euphorisch wie am Anfang, als wir die Spiele der anderen gemeinsam im Team geschaut haben.“
Nach einer langen Saison mit dem FC Bayern wirktest Du bei der Europameisterschaft noch immer energiegeladen. Woher nimmst Du diese Kraft, „mit Haut und Haar“, wie Du sagst, Fußball zu spielen?
„Das ist einfach meine Art, Fußball zu spielen. Ich glaube, so ist auch meine Lebenseinstellung, so bin ich als Mensch. Es gibt für mich nichts Schöneres als Fußballer zu sein, die Tatsache allein gibt mir soviel Emotionen und Energie, jeden Tag. Und wenn dann nach einer langen Saison noch eine EURO ansteht, könnte ich mir gar nicht vorstellen, keine Energie mehr für so ein Turnier zu haben. Heute, wie wir so dasitzen, ist es aber auch nicht anders: Wenn ich aus dem Urlaub komme, dann kribbelt es überall und ich habe so Lust, endlich wieder auf dem Platz zu stehen, Fußball zu spielen. Ich möchte mich jederzeit als Spieler weiterentwickeln – und mit der Mannschaft erfolgreich sein.“
Kribbelt es auch nach elf Stunden Flug nach Korea noch in Konrad Laimers Beinen – oder sind die in Korea dann auch erst einmal müde?
„Sagen wir so: Es gab schon Tage, da war mehr Energie in meinen Beinen. So eine Reise ist auch kräftezehrend – aber wir hatten vor dem Abflug ein sehr intensives Training, da konnte ich sechs Stunden im Flieger schlafen. Das war auch notwendig. Irgendwie gab es ja gefühlt keine Nacht durch die Zeitverschiebung, deshalb hat es auch so gut getan, in Seoul schnell wieder auf dem Platz zu sein, um die Müdigkeit aus den Beinen rauszuschütteln.“
„Dieses Gefühl ist immer da: Ich will den Ball entweder auf keinen Fall verlieren – oder um jeden Preis gewinnen. Seit ich denken kann, ist das so.”
Konrad Laimer
Wie ist es in Korea bei 35 Grad und mehr als 80 Prozent Luftfeuchtigkeit Fußball zu spielen?
„In München war es zum Glück die letzten Tage auch schon heiß, daher war der Kontrast nicht so groß. Aber klar, hier ist es anders heiß. Aber das ist für uns kein Grund, nicht Fußball zu spielen. Das nehmen wir so an, wie es ist.“
Vincent Kompany, der neue Coach, war selbst ein aggressiver Defensivspieler. Was erhoffst Du Dir von ihm für Deine persönliche Entwicklung?
„Er hat eine sehr klare Idee, wie wir defensiv und offensiv Fußball spielen sollen. Das sauge ich auf, auch alle seine Ideen zum Umschaltspiel. Wir lernen Training für Training mehr, können unglaublich viel von ihm mitnehmen. Aber wir hatten erst wenige Einheiten. Wenn wir das mehr verinnerlicht haben, werde auch ich noch stärker sein.“
Also ist es ein sehr positiver Eindruck vom neuen Coach – oder ist es für eine Einschätzung noch zu früh?
„Nein, gar nicht, man hat ja sofort ein Gefühl, wenn man einen Raum betritt. Auch, wenn man Gespräche führt, gemeinsam auf dem Trainingsplatz steht, in Besprechungen sitzt. Da habe ich bereits einen sehr guten Eindruck. Ich bin sehr positiv gespannt und auch ein wenig aufgeregt darauf, dass es endlich losgeht.“
Hat Vincent Kompany auch jedem Spieler einen Karabiner geschenkt?
„Dafür sind wir einfach noch zu kurz zusammen, ein paar Spieler waren ja erst noch im Urlaub. Aber vielleicht kommt das ja noch, wer weiß? Da macht jeder Trainer seine eigenen Sachen …“
„Wir leben alle dafür, große Spiele zu gewinnen“
Auch Du hast Deine eigenen Sachen: Deine Leidenschaft, Deine Aggressivität, über die sich Dein Spiel definiert. Gegen Arsenal zum Beispiel hat Mitspieler Thomas Müller voll Ehrfurcht gesagt, Du hättest Martin Ødegaard „über den Platz gejagt wie ein Hund“. Woher kommt diese Aggressivität von Konrad Laimer?
„Ich glaube, ich war immer schon so auf dem Platz. Diese Eins-gegen-Eins-Situationen, die will ich auf keinen Fall verlieren – egal gegen wen und wo auf dem Platz! Dieses Gefühl ist immer da: Ich will den Ball entweder auf keinen Fall verlieren – oder um jeden Preis gewinnen. Seit ich denken kann, ist das so.“
Du kannst schlecht verlieren?
„Ja, furchtbar schlecht! Aber das können wir Fußballer alle nicht, sonst wären wir nicht da, wo wir sind. Das muss doch wehtun, egal, ob wir ein Spiel im Training verlieren, ein Testspiel oder ein Pflichtspiel. Das Gefühl, das man bekommt, wenn man ein großes Spiel verliert, das ist furchtbar, das will man nicht haben. Deshalb leben wir alle dafür, die ganz großen Spiele zu erreichen, sie zu spielen – und dann auch zu gewinnen. Es gibt kein schöneres Gefühl!“
Wenn ich Deine Frau frage – würde sie sagen, Du bist privat ganz anders als auf dem Platz?
„Nein, sie würde sagen, ich kann nicht verlieren. Wenn wir Karten spielen oder Brettspiele machen, dann kann ich sehr anstrengend sein. Aber sie kennt mich schon so lange, dass sie damit umgehen kann.“
Wie äußert sich das dann, schmeißt Du das Spielbrett um, wirfst die Spielfiguren durch den Raum?
„Nein, so weit geht es nicht. Aber ich kann schöne Sprüche klopfen, wenn ich gewinne – und, sagen wir so: sehr eingeschnappt sein, wenn ich verloren habe.“
„Der aggressive Leader hat mich schon immer mehr interessiert als der Zauberer“
Du bist bei RB Salzburg groß geworden, hast Du damals schon immer lieber Grätschen und Zweikämpfe geguckt, als Traumtore und Fallrückzieher?
„Ich habe beides gern geguckt. Ich wollte nie nur die Grätschen sehen. Fußballer lieben immer schöne Tore. Aber der andere Weg, über den ich mich auch mehr identifiziere, der Weg des aggressiven Leaders, der hat mich immer schon mehr interessiert als der des Zauberers und Künstlers.“
Wird das auch mit ein Schlüssel für diese Saison mit dem FC Bayern werden: Mit Konrad Laimer als aggressiven Leader zum Erfolg?
„Ich hoffe es! Aber wir müssen erst einmal weiter analysieren, was wir letztes Jahr nicht so gut gemacht haben. Dann müssen wir das Bild vom Fußball, das der neue Trainer hat, verinnerlichen und als Gruppe umsetzen. Und zusätzlich geht es dann darum, die einzelnen Qualitäten, die wir als Spieler einbringen, konstant auch auf den Platz zu kriegen. Dann bin ich überzeugt, dass wir mit der Qualität, die wir haben, eine sehr erfolgreiche Saison spielen werden.“
Welche Rolle spielt dafür die Zeit in Korea und die Vorbereitung?
„Diese Phase ist immens wichtig, sie muss uns auf unser höchstmögliches Level bringen, damit wir gemeinsam konstant so dominant auftreten können, dass wir gegen jeden Gegner gewinnen können. Dafür muss jetzt etwas wachsen – dann kann der Weg am Ende großartig werden.“
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