FC Bayern/Sebastian Bürgel
Seit mehr als sechs Jahren trägt Serge Gnabry inzwischen das Trikot des FC Bayern. Er hat sich immer wieder neu erfunden und ist sich trotzdem treu geblieben. Mit dem Club-Magazin „51“ sprach er über seine Entwicklung, seine Rolle im Team und darüber, was es bedeutet, das Bayern-Gen in sich zu tragen.
Das Interview mit Serge Gnabry
Serge, in der vergangenen Saison warst du vom Verletzungspech verfolgt. Im Sommer hast du deswegen sogar die Europameisterschaft im eigenen Land verpasst. Wie sehr erschüttert einen so was?
Serge Gnabry: „Kalt lässt mich so was nicht. Gefühlt war es ein verlorenes Jahr. Ich hatte natürlich gehofft, viel zu spielen, viel zu bewirken, beim FC Bayern und bei der Nationalmannschaft. Das war dann leider nicht möglich. Im ersten Moment ist die Enttäuschung groß, aber dann geht es um Wille und Arbeitsmoral. Es gibt Schöneres als Rehatraining, wenn du gleichzeitig jeden Tag draußen auf dem Platz die Jungs spielen siehst. Das tut auch mal weh. Und immer wenn ich zurückgekommen bin, immer wenn es gerade wieder angefangen hatte, gut zu laufen, gab es den nächsten Rückschlag. Es war eine totale Negativsträhne. Aber ich habe mich durchgebissen, immer wieder.“
Fußball ist ein leistungsorientiertes Geschäft. Wie viel Raum bleibt da für Zweifel?
„Selbstzweifel hatte ich nie. Ich habe immer wieder alles gemacht, was ich tun konnte, um fit zu werden. Aber es gibt eben auch Dinge, die man nicht 100-prozentig kontrollieren kann.“
Hast du in dieser Zeit Dinge verändert in der Hoffnung, dass du die Negativsträhne so beenden kannst?
„Es gab ja nicht den einen Grund, warum ich mich immer wieder verletzt habe. Ich habe daher nichts anders gemacht, mache auch jetzt noch die gleichen Dinge wie immer – und gerade läuft es super. Aber klar habe ich im Laufe meiner Karriere auch mal Dinge angepasst. Ich bin sowieso jemand, der immer etwas Neues lernen will, der gerne neue Wege geht. Je nachdem, was mein Körper gerade braucht, setze ich neue Trainingsreize, mache mal Yoga, mal Pilates, mal mehr Stretching, mal weniger. Und auch im Mentaltraining war ich immer offen für neue Ansätze. Kopf, Selbstvertrauen, Selbstbewusstsein, all das spielt eine entscheidende Rolle im Sport.“
„Die eigene Intention ist zentral für das, was man macht und was man wird.”
Serge Gnabry
Du spielst jetzt deine siebte Saison beim FC Bayern. Hast du dich immer wieder neu erfinden müssen – oder ist es eher die Kunst, sich treu zu bleiben, um über so einen langen Zeitraum zu bestehen?
„Ich glaube, es gehört von beidem etwas dazu. Da muss jeder seinen Mix finden, jeder ist anders. Es gibt Spieler, die Kontinuität brauchen, die lieber ihren Prozessen treu bleiben. Das ist auch in vielen Fällen eine gute Sache, weil man nicht überlegen muss, wie man etwas angeht. Man hat seinen Rhythmus, hat Vertrauen in die eigenen Abläufe. Aber für mich ist es manchmal besser, etwas Neues zu wagen. Ich habe einen Grundstock an Dingen, die immer funktioniert haben, und dazu bin ich aber Innovationen gegenüber offen.“
Was ist zuletzt neu bei dir dazugekommen? Und was hat sich über die Jahre bewährt? Gab es für dich einen persönlichen Gamechanger?
„Es gibt zum Beispiel viele spannende Dinge, die zur Regeneration und zur Verbesserung der körperlichen Verfassung beitragen können. Das interessiert mich alles sehr. Aber man muss schauen, was einem wirklich hilft. Inzwischen habe ich eine Art Werkzeugkasten, aus dem ich mir jeden Tag die Dinge raushole, die ich gerade brauche. Mal Eisbad, mal Infrarotkammer, mal Yoga, mal Stretching. Was ich außerdem sehr wichtig finde, ist die Auseinandersetzung mit dem Spiel an sich. Sich viel mit anderen über das Spiel und den Gegner zu unterhalten. Da bekommt man immer neue Perspektiven.“
Wenn man so lange beim FC Bayern spielt, wird man auch zu einem Träger des FC Bayern-Gens. Was bedeutet das für dich persönlich?
„Ich würde dieses Gen so beschreiben: Du willst immer gewinnen, du musst immer gewinnen – und gleichzeitig wollen alle anderen dich schlagen. Dagegen muss man ständig ankämpfen, weil du ja nicht verlieren willst, auf keinen Fall. Dieses Gen habe ich sehr schnell angenommen. Es ist für mich sehr schwer vorstellbar, diese Mentalität irgendwann nicht mehr in mir zu spüren.“
Wie hat der Prozess funktioniert, diese Mentalität zu verinnerlichen?
„Das geht ganz automatisch. Wer zum FC Bayern kommt, merkt sehr schnell, dass im Training ein anderer Wind weht, dass man Spiele anders angeht. Du siehst, spürst, erlebst jeden Tag dieses Immer-gewinnen-Wollen. Genau daraus entspringt dieser besondere Ehrgeiz, dieses Gen.“
„Ich bin in der Phase des Erwachsenseins angekommen. Das fühlt sich gut an.”
Serge Gnabry
Fühlst du dich inzwischen in der Rolle, dieses Gen an eine jüngere Generation weiterzugeben?
„Klar entwickelt man eine gewisse Reife, geht voran und übernimmt Verantwortung, das ist ein natürlicher Prozess. Ich war auch mal einer der Jüngeren und dankbar für Tipps der älteren Spieler. Jetzt selbst etwas weiterzugeben, zu motivieren, auch mal zu sagen ‚Mach das nicht – mach lieber das und das!‘, gehört für mich ganz normal dazu.“
Wie viel Widerstandskraft, Biss, vielleicht sogar Leidensfähigkeit braucht man für eine Karriere im Profifußball?
„Man muss mental schon stabil sein. Allein, um im Konkurrenzkampf zu bestehen, der zum Fußball einfach dazugehört. Du musst jedes Spiel gut spielen, Jahr für Jahr, sonst kommt der Nächste, und du bist raus. Dazu kommt die Öffentlichkeit. Das alles kann einem schon zusetzen. Umso wichtiger ist es, ein gutes Umfeld zu haben, sich auch mal ablenken zu können, um den Kopf frei zu bekommen. Am Ende ist die Liebe zum Spiel so groß, dass man das alles aushält. Wir gehen auf den Platz, wollen Fußball spielen, wollen gewinnen – und denken nicht darüber nach, was am nächsten Tag in den Medien berichtet wird. Da hat man irgendwann ein dickes Fell, und man kann die Dinge ja auch selbst gut einschätzen.“
Ablenkung vom Fußball findest du auch in einer sozialen Stiftung, die du vor ein paar Monaten gegründet hast. Warum war dir das wichtig und worum geht es bei der Serge Gnabry Stiftung?
„Die Idee dazu hatte ich schon länger. Als Profifußballer geht es mir so gut, dass ich etwas zurückgeben möchte. So bin ich erzogen. Ich habe auch bei anderen, mit denen ich zusammengespielt habe, gesehen, was sie bewirken können. Manuel Neuer zum Beispiel, Philipp Lahm oder Per Mertesacker. An ihnen habe ich mir ein Beispiel genommen und jetzt eine eigene Stiftung gegründet. Dabei habe ich mich für das Thema Gesundheit entschieden, weil mir das persönlich wichtig ist. Mit meinem Team möchte ich zum einen Menschen helfen, die aufgrund einer Erkrankung Unterstützung benötigen. Zum anderen wollen wir dazu beitragen, die Bedingungen in der Pflege und in medizinischen Einrichtungen zu verbessern. Mit der Haunerschen Kinderklinik in München haben wir eine Partnerschaft, gerade sind wir in Gesprächen, in welchen Bereichen wir konkret anpacken können: Forschung, medizinisches Gerät, Pflegepersonal …“
Ein großes Thema, bei dem es viel zu tun gibt. Du übernimmst Verantwortung beim FC Bayern und in der Gesellschaft. Wo stehst du gerade in deiner persönlichen Entwicklung?
„Ich würde sagen, ich bin in der Phase des Erwachsenseins angekommen, in der Phase der Vernunft. In jeglicher Hinsicht. Und das fühlt sich gut an. Der jugendliche Enthusiasmus früher war natürlich auch top. Aber alles zu seiner Zeit. Nächstes Jahr werde ich 30, das hört sich bei Fußballern immer so an, als müsste man sich langsam Gedanken über die Zeit danach machen. Aber so fühle ich mich auf jeden Fall noch nicht – noch nicht mal wie 29 (grinst).“
Mit 29 Jahren bist du mitten in deiner Karriere, nicht mehr ganz jung, aber weit weg von alt. Du stehst genau zwischen Spielern wie Jamal Musiala und Michael Olise auf der einen sowie Thomas Müller und Manuel Neuer auf der anderen Seite. Was schaust du dir von diesen Generationen ab?
„Von den Älteren noch mehr Vernunft, selbst Thomas fängt jetzt an, vernünftig zu werden (lacht). Und von den Jungen diese Lebenslust und Freude, mit der sie Dinge angehen. Manchmal ist es einfach besser, nicht so viel nachzudenken. Beides bereichert.“
Das ausführliche Interview lesen Sie in der aktuellen Ausgabe des Mitgliedermagazins „51“.
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