Illustration: Studio Pong, Fotos: Imago
Am 30. November tritt der FC Bayern mal wieder im Deutschen Klassiker bei Borussia Dortmund an. Beide Clubs und Städte verbindet eine große Geschichte und viele dramatische Duelle. Wie erleben das die Roten im schwarz-gelben Dortmund? Ein Porträt der Hellweg Bazis Unna, die unweit des Borsigplatzes die Bayern feiern.
Leoni Neumann war 13 Jahre alt und trug ein kleines Geheimnis mit sich herum. Sie hatte schon länger geahnt, dass sie irgendwie anders tickte. Dass sie die Werte, an die ihr Vater, ihr Bruder, ihre gesamte Familie glaubten, nicht teilte. Dass die Instanz, die den Familienalltag bestimmte und darüber entschied, ob die Sonne im Elternhaus schien oder dunkle Wolken aufzogen, für sie nur wenig Bedeutung hatte. „Ich wusste wirklich nicht, ob und wie ich es meiner Familie erzählen sollte“, erinnert sich die heute 22-Jährige. Am Ende führte sie kein direktes Gespräch mit ihrem Bruder und Vater, sondern änderte einfach das Hintergrundbild ihres Handys.
Der Bildschirm zeigte nun: einen blauen Hintergrund und ein rotes FC Bayern Wappen. Es war ein klares Signal. Leoni Neumann lebt in Schwerte, 20 Kilometer entfernt vom Signal Iduna Park, und sie ist Fan des FC Bayern München. Sie sagt: „Ich habe gespürt: Der FCB ist mein Verein.“
Dazu muss man wissen: Alle in ihrer Familie sind Dortmund-Fans. Alle. Ihr Vater „war früher immer im Stadion Rote Erde“ und spielte in der zweiten Mannschaft der Borussia. Das Zimmer ihres Bruders war mit Dortmund-Postern tapeziert, und die Onkel und Cousins waren ebenfalls harte BVB-Fans. „Mein Vater muss sich immer anhören, was er in meiner Erziehung falsch gemacht hat“, erzählt Leoni lachend. In vielen Familien hätte das ein echtes Problem werden können. Eine Provokation, wie Teenager sie lieben, um ihre Eltern zu schockieren: eine Ratte als Haustier, die Augenbrauen abrasieren oder als Bassistin einer Punkband auf Tournee gehen. Die Neumanns gingen recht entspannt damit um. Leonis Vater schenkte ihr später gar ein FC Bayern-Trikot. Leoni Neumann sagt: „Ich mag, dass der FC Bayern schon so oft anderen Vereinen geholfen hat. Das passt zu meinen Werten. Aber ich gewinne natürlich auch gern.“
Hellweg Bazis Unna: Eine Rote Insel im gelben Meer
Leoni Neumann musste die Bayern-Spiele „meist allein auf dem Zimmer schauen“. Doch im April 2023 überraschte sie ihr Vater, der seine Tochter halt doch mehr liebt als die Borussia, mit einem Ticket für das Spiel gegen RB Leipzig in der Allianz Arena. Er hatte es über Bekannte besorgt. Das Spiel ging zwar 1:3 verloren, was das Meisterschaftsrennen unnötig spannend machte, aber für Leoni Neumann war die Reise nach München entscheidend: „Unvergesslich. Diese Emotionen!“ Dort traf sie auch auf den FCB-Fanclub „Hellweg Bazis Unna“ aus ihrer Region – eine rote Insel im gelben Meer, eine zweite Familie.
410 FC Bayern-Fanclubs in Nordrhein-Westfalen
Die Bazis sind mit 124 Mitgliedern einer der aktivsten und größten Fanclubs in der Region. Insgesamt hat der FCB in Nordrhein-Westfalen 410 Fanclubs mit mehr als 20.000 Mitgliedern. Wer verstehen will, warum man mitten in NRW zum Roten wird, sollte mit Michael Struwe sprechen, dem Gründer und Vorsitzenden des Fanclubs. Er ist seit Anfang der 1970er Jahre Bayern-Fan – obwohl seine Freunde in der Schule Düsseldorf, Köln und Essen liebten, sein Vater den BVB unterstützte und seine Mutter Borussia Mönchengladbach. Diese Patchwork-Fußballfamilien sind in NRW nicht selten, schließlich kommen acht der Top-20-Clubs der ewigen Bundesliga-Tabelle aus dem Bundesland. In manchen Familien wird die Fußballidentität von einer Generation zur nächsten weitergegeben, andere Fans bewundern einen Spieler oder die Spielweise eines Teams. Und dann gibt es Menschen wie Michael Struwe, die nur sagen können: „Da war auf einmal die Liebe da. Plötzlich gab es nichts anderes mehr.“
„Wenn ich zum Bäcker komme, dann frotzeln die Leute und sie sagen: Da kommt der Mr. FC Bayern. Früher war das eine Beleidigung. Aber ist es nicht das größte Kompliment?”
Michael Struwe
Das Centro Oberhausen als Signal
„Ich glaube, dass schon immer viele Leute hier den FCB gut fanden“, erzählt Struwe. „Sie haben sich nur nicht getraut, es zuzugeben.“ Das änderte sich langsam in den 1990ern. Ab und zu sah man nun in den Schrebergärten rote Fahnen flattern. Das Fußballgeschäft veränderte sich: Es gab mehr TV-Sender, die Fußball übertrugen, neue Medien, neue Möglichkeiten. 1996 eröffnete der FC Bayern dann einen Fanshop im Einkaufszentrum Centro in Oberhausen, der unerwartet erfolgreich war. „Das war ein echter Meilenstein“, erinnert sich Struwe, „danach trauten sich mehr Leute, zu ihrer Liebe zum FCB zu stehen.“ 2012 gründete er die Hellweg Bazis Unna.
Wie offen kann man seine Liebe zum FC Bayern in Unna, Dortmund und Umgebung leben, der Heimat des größten Rivalen der vergangenen 30 Jahre? Die Bayern-Fans sprechen nur zögerlich über dieses Thema. „Wir sind halt für manche ein Feindbild“, sagt Struwe. Wenn die Bayern in Dortmund zu Gast sind, fährt er deshalb lieber mit dem Auto zum Stadion. „Mit dem Bayern-Trikot durch Dortmund zu laufen, wäre nicht in allen Stadtteilen ratsam.“ Auch Leoni Neumann trägt ihre Bayern-Klamotten zwar im Alltag und im Fitnessstudio, „aber in Dortmund bin ich eher in Zivil unterwegs“.
In der zweiten Jahreshälfte 2024 haben erneut regionale Fanclubtreffen stattgefunden, bei denen der direkte Austausch mit den offiziellen Fanclubs des FC Bayern im Mittelpunkt stand:
Soziales Engagement für Kinderhospiz
Die Bayern-Fans wollen nicht provozieren, aber sie möchten sich auch nicht verstecken. Michael Struwe glaubt fest daran, dass die Gemeinschaft der Fußballfans etwas bewirken kann. Deshalb organisieren die Hellweg Bazis regelmäßig einen Leberkäs-Verkauf, dessen Erlös dem Kinderhospiz in Unna zugutekommt. Die bayerische Spezialität wird von einem lokalen REWE-Markt zubereitet – und ist so beliebt, dass sie mittlerweile das ganze Jahr über in Unna bestellt werden kann.
Das Engagement in der Gemeinde bleibt nicht unbemerkt. Struwe ist etwa regelmäßig im Lokalradio zu Gast. Vielleicht dreht sich der Wind. „Früher wurden wir nur geduldet. Heute spüre ich eine gewisse Akzeptanz“, sagt Struwe.
Vielleicht kann man es so sagen: Die Hellweg Bazis haben im Kleinen erreicht, was den FC Bayern im Großen auszeichnet. Durch klare Haltung, festen Zusammenhalt und soziales Engagement zwingen sie selbst einem eher ablehnend gestimmten Gegenüber durchaus Respekt und manchmal sogar echte Anerkennung ab. „Wenn ich zum Bäcker komme, dann frotzeln die Leute“, erzählt Struwe, „und sie sagen: Da kommt der Mr. FC Bayern. Früher war das eine Beleidigung. Aber ist es nicht das größte Kompliment?“
Dieser Text stammt aus der November-Ausgabe des Mitgliedermagazins 51:
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