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Kaum war der Abpfiff in Stuttgart erklungen, stimmten sich die überglücklichen Bayern-Fans bereits auf den nächsten Kracher ein. Hatte der Gästeblock vor Anpfiff noch eine eindrucksvolle Choreografie zum 125. Geburtstag des Herzensvereins mit Glitzerpapier, Gründungsdatum und historischem Logo inszeniert, besangen die mitgereisten Anhänger nun lautstark den „Europapokal“: Jenes hart erkämpfte 3:1 (1:1) in einem intensiven, teils hitzigen und bis zum Ende packenden Schlagabtausch mit dem VfB Stuttgart bedeutete Erleichterung bei allen Münchnern - und gleichzeitig die optimale Generalprobe für das mit Hochspannung erwartete Achtelfinale in der Champions League gegen Bayer 04 Leverkusen am Mittwochabend. In dieses kann der FC Bayern mit enorm großem Selbstbewusstsein gehen: Der wichtige Erfolg am Neckar bedeutete bereits das neunte unbesiegte Spiel in Folge. Der Vorsprung in der Bundesliga vor dem Tabellenzweiten aus Leverkusen ist vorübergehend mit elf Punkten sogar zweistellig.
„Es war heute ein hartes Stück Arbeit“, freute sich der Torschütze zum 2:1, Leon Goretzka und strahlte. „Ich habe diesen Sieg genossen“, verriet Vincent Kompany. „Ich habe gesehen, wie der Trainer mit uns gejubelt hat. Es war sehr wichtig für uns“, meinte Kingsley Coman, dem das 3:1 gelungen war. Als Spieler hatte Cheftrainer in Stuttgart nie gewinnen können: „Wir sind heute im Spiel gewachsen“, so Kompany.

Das Wachsen war nötig gewesen, nachdem der FC Bayern alles andere als gut in die Partie vor 60.000 euphorisierten Fußballfans gefunden hatte. Erst recht, als ein mutiger und frecher VfB durch den gebürtigen Münchner und ehemaligen Campus-Spieler Angelo Stiller per Sonntagsschuss in Führung gegangen war (34.). Stuttgart war in dieser ersten Hälfte wacher und ganz offensichtlich mit dem unbedingten Willen ausgestattet, mithilfe der lautstarken Heimfans im Rücken dem FC Bayern trotz zweier Heimniederlagen in Folge den Schneid abzukaufen. Mit schnellem Umschaltspiel und teils erstaunlich spielfreudigen Kombinationen stellte der VfB die Bayern-Defensive vor Probleme.
Energie und Charakter
„Die erste halbe Stunde war Stuttgart klar besser“, sagte auch Kompany. „Aber von der Energie und vom Charakter her haben wir alles dafür getan, dass wir nur wenige Großchancen gegen uns kriegen.“ Immer wieder auch gingen Stuttgarter in den vielen Zweikämpfen zu Boden, nutzten die entstehende Empörung, um zusätzlich Kohle in die packende, großartige und knisternde Atmosphäre dieses Freitagabendspiels zu schaufeln. Der Südgipfel, er brodelte und er kochte - und hätte irgendjemand ein Thermometer in den hinter dem Stadion vorbeifließenden Neckar gehalten, es wäre wohl ein Temperaturanstieg messbar gewesen.
Auf dem Rasen lebte die Begegnung von zwei offensivfreudigen Teams, die sich immer wieder gefährlich vor die Tore kombinierten. „Wir wollten couragiert und intensiv spielen, Bayern unter Druck setzen, ihr Pressing überspielen, sie rauslocken - das ist aufgegangen und gelungen“, sagte VfB-Coach Sebastian Hoeneß, ebenfalls einer mit Campus-Erfahrung. „Aber es gab auch zwei Großchancen gegen uns. Und wir hatten selber genug Möglichkeiten.“
Doch Josha Vagnoman scheiterte allein vor dem herausstürmenden Manuel Neuer mit einem leichten Heber ebenso (6. Minute), wie der agile Jamal Musiala, der den Ball allein vor dem Heimtor ein ganzes Stück vorbei setzte (22.). Glück hatte der FC Bayern, dass Deniz Undav nur den Außenpfosten traf (31.).
„Dann schießen wir das Tor zum richtigen Zeitpunkt“, analysierte Kompany. Sein Gegenüber ärgerte sich: „Das war bitter. Das 1:0 zur Pause wäre wichtig gewesen, um sich mit einem guten Gefühl zu sammeln, rauszugehen und weiterzufighten.“ So aber bedeutete der Ausgleich durch den starken Michael Olise auf Zuspiel von Leroy Sané das nicht unverdiente 1:1 einer Mannschaft, die, wie ihr Trainer fand, nach dem Rückstand Mentalität gezeigt hatte. „Wir haben daran geglaubt, dass wir das Spiel drehen können“, sagte Kapitän Manuel Neuer. „Das haben wir uns als Mannschaft erarbeitet.“ Auch deshalb, weil es ein Schlitzohr gab.
Schlitzohr Goretzka erahnt sein Führungstor
„Ich habe lustigerweise dem Trainer in der Halbzeit gesagt, dass ich so ein Tor machen werde“, verriet Leon Goretzka nach Abpfiff. Der FC Bayern hatte weit in Stuttgarts Hälfte gepresst, Torhüter Nübel seinen Spielgestalter Angelo Stiller mit einem Flachpass in Verlegenheit gebracht. Stiller, in Hälfte eins neben seinem Treffer noch mit hundertprozentiger Passquote herausgestochen, wurde vom drückenden Goretzka in einen Zweikampf verwickelt, verlor den Ball – und der FC Bayern führte mit 2:1. „Ich weiß, dass Angelo den Ball oft über den linken Fuß rüber spielen will, darauf habe ich spekuliert“, meinte der Torschütze. „Schon in der Vorbereitung habe ich mir das ausgeguckt. Umso schöner, wenn so etwas belohnt wird.“
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Das Momentum, es kippte nun zunehmend auf die Seite der Gäste, weil nun die Bayern die Aggressivität, die Leidenschaft in der Defensive entwickelten, um gemeinsam den Auswärtssieg regelrecht zu erzwingen. „Wir waren bis zum Schluss gierig und wollten das Spiel unbedingt gewinnen“, meinte der eingewechselte Josip Stanišić. Auch wenn Stuttgart noch einmal wütend drückte und sich gegen die Heimniederlage stemmte, so waren stets die bayerischen Beine einen Schritt schneller am Ball. „Das war beeindruckend zu sehen, wie sie hier geschlossen dagegenhalten als Mannschaft“, lobte Sebastian Hoeneß seinen Gegner. „Daher war unsere Niederlage am Ende verdient.“
Wichtige Erkenntnisse vor Leverkusen
Denn auch offensiv blieb der FC Bayern laufstark und hochkonzentriert: Wieder provozierte das starke Pressing und engagierte Anlaufen Fehler in der Stuttgarter Hintermannschaft. Diesmal erkämpfte sich der eingewechselte Kingsley Coman den Ball, war schneller als der hinausgeeilte Nübel am Ball und schoss diesen ins verwaiste Tor zur Entscheidung (90.).
„Wir gehen gut ins Spiel gegen Leverkusen, haben Frankfurt mit 4:0 geschlagen und jetzt 3:1 in Stuttgart gewonnen", freute sich auch Manuel Neuer. „Etwas Besseres kann nicht passieren. Was in der Champions League auf uns wartet, ist nochmal ein anderes Kaliber mit Leverkusen. Aber wir freuen uns auf die Spiele und werden es positiv angehen.“ Es sei ja auch eine wichtige Erkenntnis, meinte Stanišić, „dass wir wissen, dass wir, wenn wir mal zurückliegen, auch gegen eine gute Mannschaft nochmal eine Schippe drauflegen und zurückkommen können.“
Bevor die ersten Gesangszeilen der Bayern-Fans Richtung Europapokal angestimmt wurden, gab es voll Erleichterung und Stolz auf den 3:1-Erfolg noch ein anderes, bekanntes Ständchen: „Deutscher Meister wird nur der FCB.“
Die Stimmen zum Spiel in Stuttgart:
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