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50 Jahre Frauenfußball: „Bei Bayern stehen uns viele Türen offen“

Die FC Bayern Frauen feiern 50. Jubiläum. Vier Spielerinnen - Sydney Lohmann, Lineth Beerensteyn, Giulia Gwinn und Jovana Damnjanović - erzählen im FC Bayern Mitgliedermagazin „51“, wo der Frauenfußball 2020 steht, was sie mit 1970 verbindet – und warum die große Tradition auch eine besondere Verantwortung für die Zukunft bedeutet. (Bilder: Dirk Bruniecki)

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Vielleicht wäre aus Lineth Beerensteyn eine erfolgreiche Leichtathletin geworden. Vielleicht eine Krankenschwester wie ihre Mutter. Vielleicht eine Ärztin. Jedenfalls keine Fußball-Europameisterin und -Vizeweltmeisterin, wenn sie als Kind nicht aufmüpfig gewesen wäre. „Als Zweijährige habe ich zu meiner Mama gesagt: ‚Ich gehe jetzt Fußball spielen.‘ Sie hat geantwortet: ‚Frauen spielen nicht Fußball. Sie dürfen das nicht.‘ Ich ging trotzdem. Fußball war schon immer alles für mich“, erzählt die Holländerin.

‚Ich kenne dich. Du bist Lineth Beerensteyn.‘

Ihre Geschichte ist keine aus den 1960er oder 1970er Jahren. Lineth Beerensteyn wurde 1996 in Den Haag geboren. Es ist schon bemerkenswert: Was sie als Kind erlebt hat, das Verbot, das fehlende Verständnis, den Trotz, unterscheidet sich nicht von Erfahrungen, die Frauen und Mädchen vor 50 Jahren gemacht haben, zu der Zeit also, als beim FC Bayern die Frauenabteilung gegründet wurde. Die Vergangenheit ist näher, als man denkt – und dennoch ist 2020 nicht mit 1970 vergleichbar. „Heute ist Frauenfußball viel größer als früher“, sagt Beerensteyn: „In den Niederlanden sind die Stadien bei unseren Länderspielen ausverkauft.“ Und zuletzt an Silvester, als sie mit ein paar Münchner Teamkolleginnen in Amsterdam feierte, passierte Folgendes: „Wir waren in einem Taxi – und auf einmal hat der Fahrer gesagt: ‚Ich kenne dich. Du bist Lineth Beerensteyn, die Fußballspielerin.‘ Alle haben gelacht. Das war richtig cool.“

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Titel und Endspiele

Ob vor 50 Jahren schon eine Spielerin daran gedacht hat, mit Fußball berühmt zu werden? Der 7. Juni 1970 ist das offizielle Gründungsdatum der FCB Frauen. An diesem Tag traf Gerd Müller bei der Fußball-WM in Mexiko drei Mal für Deutschland beim 5:2-Sieg gegen Bulgarien. Die Ostpolitik von Bundeskanzler Willy Brandt beherrschte die Schlagzeilen. Ende des Jahres lief die erste von mittlerweile 1.126 „Tatort“-Folgen im Fernsehen. Und: Kaum zu glauben, aber Frauen durften laut Gesetz nur einem Beruf nachgehen, „soweit dies mit ihren Pflichten in Ehe und Familie vereinbar“ war. Das galt bis 1977.

Wechselhafte Geschichte

„Wir können uns gar nicht mehr ausmalen, wie es früher war. Gegen welche Widerstände die Frauen ankämpfen mussten, gegen welche Vorurteile, die zum Teil leider immer noch bestehen“, sagt Giulia Gwinn. Die 20-Jährige ist froh, „dass wir diesen Sport heute so ausleben können, wie wir wollen.“ Als die deutsche Nationalspielerin 1999 geboren wurde, spielten die FCB-Frauen in der zweitklassigen Bayernliga – und konnten bereits auf eine wechselhafte Geschichte zurückblicken. Fünf Mal (1975 1976, 1979, 1982, 1985) hatten sie das Finale um die Deutsche Meisterschaft erreicht und 1976 den Titel einmal nach München geholt. Im DFB-Pokal standen sie zwei Mal im Endspiel (1988, 1990) und gehörten 1990 zu den Gründungsmitgliedern der Frauen-Bundesliga. Zwei Jahre später folgte der Abstieg in die Bayernliga, zur Saison 2000/01 kehrten sie ins Oberhaus zurück. Mit dem DFB-Pokalsieg 2012 sowie den beiden Deutschen Meisterschaften 2015 und 2016 gelangen schließlich die ersten nationalen Titelgewinne seit fast 40 Jahren. Inzwischen sind die BayernFrauen auch international angekommen. In der fünften Saison in Folge spielen sie aktuell in der Women’s Champions League, letztes Jahr erreichten sie das Halbfinale.

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Schäftlarn, Aschheim, Grünwalder, Campus

Unter welchen Bedingungen vor gar nicht allzu langer Zeit im Frauenfußball trainiert und gespielt wurde, davon erzählt den Jüngeren im Kader manchmal Simone Laudehr. Als sie 2003 zum ersten Mal zum FC Bayern wechselte, trugen die Frauen ihre Heimspiele in Schäftlarn, südlich von München, aus. Später zogen sie in den Münchner Osten nach Aschheim, ab 2013 spielten sie im Grünwalder Stadion, ehe 2017 der FC Bayern Campus zur neuen Heimat der Frauen wurde. Hier steht ihnen erstmals auch ein eigener Trainingsplatz zur Verfügung. „Heute haben wir erstklassige Möglichkeiten“, findet Sydney Lohmann, „ich war ja selbst noch ein Jahr in Aschheim dabei. Am Campus haben wir jetzt ganz andere Bedingungen. So wie es sein sollte. Nur so kann man sein Potenzial voll ausschöpfen.“

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Hierfür ist auch wichtig, dass Spielerinnen beim FC Bayern vom Fußball leben können und nicht nebenher noch einer Arbeit nachgehen müssen. „Simone erzählt, dass sie früher in Duisburg oft nicht zum Training kommen konnte, weil sie eine Ausbildung bei der Bundeswehr gemacht hat. Am Wochenende kam sie zum Spiel, dann musste sie zurück in die Kaserne“, erzählt Lohmann. Die 19-Jährige gilt zusammen mit Giulia Gwinn als Hoffnungsträgerin des Frauenfußballs beim FC Bayern und in der Deutschen Nationalmannschaft.

Als deutscher Frauenfußball Weltspitze war

Beide begannen in einer Zeit mit dem Fußballspielen, als der deutsche Frauenfußball Weltspitze war. 2003 und 2007 wurden die DFB-Frauen Weltmeister, 2005 und 2009 Europameister. Im UEFA Women’s Cup, dem Vorgängerwettbewerb der Women’s Champions League, kam der Sieger in vier von fünf Jahren zwischen 2005 bis 2009 aus der Bundesliga. Die Zahl der im Verein Fußball spielenden Mädchen (bis 16 Jahren) schoss nach oben, von 214.543 (2002) auf 342.312 (2012), ein Höchstwert, der bis heute nicht mehr erreicht wurde. „Wir hatten einen Bolzplatz direkt neben dem Haus. Meine zwei älteren Brüder haben mich immer zum Kicken mitgenommen“, erzählt Gwinn von ihren ersten Schritten im Fußball. Ihre Mutter habe das anfangs nicht gerne gesehen. „Ihr wäre es lieber gewesen, wenn ich einen anderen Sport gemacht hätte. Ich habe auch sehr viel ausprobiert, meistens Einzelsportarten wie Taekwondo. Aber ich habe immer gleich gemerkt, dass das nicht mein Ding ist.“ Irgendwann hat sich die kleine Giulia heimlich zum Fußballtraining geschlichen. „Da hat es meine Mutter eingesehen.“

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Plötzliche Popularität

Bei der Weltmeisterschaft im letzten Sommer wurde Gwinn zum Gesicht der deutschen Mannschaft und am Ende als „Beste junge Spielerin“ des Turniers ausgezeichnet. Das hatte Folgen, als erstes auf Instagram. Ihre Followerzahlen schossen während der WM im Juni um 726 Prozent in die Höhe, auf 135.000. Inzwischen steht sie bei fast 220.000, keine andere deutsche Fußballerin erreicht solche Werte. „Damit hätte ich nie gerechnet“, ist sie selbst überrascht von der rasanten Entwicklung. Die neue Popularität erfuhr sie aber auch schnell im wirklichen Leben. „Direkt nach der WM bin ich zuhause am Bodensee über einen Rummel gelaufen – und da war es schon krass“, erzählt sie, „die Leute haben sich umgedreht, getuschelt. Durch das Turnier hat sich einiges verändert.“ Daran musste sich die damals 19-Jährige gewöhnen. „Natürlich ist es erstmal etwas Schönes. Ich war auch mal ein kleines Mädchen, hatte Idole wie Joshua Kimmich oder Marco Reus – und jetzt bin ich selbst in so einer Position“, sagt sie, „aber klar steigt auch die Erwartungshaltung. Ich will schon meiner Vorbildrolle gerecht werden, auf dem Platz und außerhalb. Ich versuche, den kleinen Mädels von heute zu zeigen, wie mein Weg war – und gleichzeitig bei mir zu bleiben, mich nicht zu verstellen.“

„England, Frankreich, Spanien rüsten auf“

Der Fußball bietet Frauen heute eine Bühne und neue Möglichkeiten. „Im Frauenfußball wurden in den letzten 50 Jahren viele wichtige Schritte gemacht. Die Akzeptanz wird immer größer – und der Trend geht weiter nach oben“, fühlt Sydney Lohmann eine Art Aufbruchstimmung. Aktuell müsse man in Deutschland aber darauf achten, nicht stehenzubleiben. „England, Frankreich, Spanien rüsten richtig auf. Für uns gilt es jetzt, dranzubleiben, junge Spielerinnen zu fördern.“ Umso wichtiger findet die Oberbayerin es, „dass die großen Vereine hinter dem Frauenfußball stehen.“ Sie müssten die Entwicklung vorantreiben.

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„Bei Bayern stehen uns viele Türen offen“

So wie der FC Bayern, der den Frauenfußball als einziger (Männer-)Bundesligist über 50 Jahre unterstützt hat. Nur beim SC Freiburg besteht eine Frauenfußball-Abteilung ähnlich lange, seit 1975. Viele Klubs wie Wolfsburg, Köln oder Leverkusen haben den Frauenfußball erst nach der Jahrtausendwende entdeckt. Bei sechs Bundesligisten (Dortmund, Schalke, Hertha BSC, Paderborn, Düsseldorf, Mainz) spielen Frauen überhaupt keinen Fußball. Lohmann weiß: „Bei Bayern stehen uns viele Türen offen. Wir können und wollen hier noch viel erreichen. Deswegen freue ich mich auf die nächste Zeit.“ Der Verein versteht die lange Tradition als Verpflichtung und will auch die Zukunft des Frauenfußballs aktiv mitgestalten. FCB-Präsident Herbert Hainer kündigte in der letzten „51“-Ausgabe Investitionen an, um national die Dominanz des VfL Wolfsburg zu durchbrechen und auch international um Titel mitzuspielen. „Ich finde es nur gerecht, unseren Frauen im Verhältnis vergleichbare Mittel wie unseren Männern an die Hand zu geben“, sagte Hainer: „Wir sind der FC Bayern. Daraus leitet sich auch ab, in jedem Bereich die Nummer eins zu sein.“

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Keine Lust auf zweite Plätze

Das deckt sich mit dem Selbstverständnis der Frauenabteilung. „Ich habe keine Lust mehr, immer Zweiter zu werden“, sagt Jovana Damnjanovic. Die Stürmerin wuchs in Belgrad auf, und in der Nachbarschaft gab es nur Jungs, erzählt sie. „Ich hatte keine Freundinnen, um mit Barbies zu spielen. Wenn ich mit anderen spielen wollte, musste ich Fußball spielen.“ Und irgendwie weckte der Fußball etwas in ihr, etwas, was auch ihre Teamkolleginnen teilen, egal ob sie aus Holland, vom Bodensee oder aus Oberbayern stammen: eine riesige Leidenschaft, die sie familiäre und gesellschaftliche Widerstände überwinden ließ. Eine Leidenschaft, die die Fußballerinnen von 2020 und 1970 direkt verbindet. „Auf dem Platz habe ich mich total gefunden“, sagt Damnjanovic, „ich liebe die Emotionen, die man im Fußball durchlebt. Diesen Ehrgeiz, gemeinsam alles für den Sieg zu geben. Diese Intensität gibt es im normalen Leben nicht. Meine Emotionen passen perfekt zum Fußball.“ Mit dem VfL Wolfsburg gewann sie Champions League, Deutsche Meisterschaft und DFB-Pokal, doch jetzt beim FC Bayern fühlt sie sich als Fußballerin richtig angekommen.

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Ihre Mutter habe vor Freude geweint, als sie 2017 nach München wechselte, berichtet sie. „Sie hat schon immer gewusst, dass ich eines Tages für Bayern spielen werde. Auch ich habe irgendwie immer gefühlt, dass München der richtige Ort für mich ist.“ Schon 2013 wäre sie beinahe hier gelandet. Sie absolvierte ein Probetraining, entschied sich aber am Ende für Wolfsburg – aus finanziellen Gründen. „Das Gehalt bei Bayern wäre damals zu gering gewesen, um einen Aufenthaltstitel zu bekommen. Es waren halt noch andere Zeiten.“ Für die Zukunft hofft sie auf „mehr Aufmerksamkeit in den Medien, damit auch die Stadien voller werden. Dann kann man noch mit viel mehr Herz und Emotion spielen. Ich wünsche kleinen Mädels, die jetzt mit dem Fußballspielen anfangen, dass sie einmal diesen Rückenwind bekommen.“

„Meine Mama ist richtig stolz“

So wie Lineth Beerensteyn bei Länderspielen in den Niederlanden. Bei ihrer Familie zuhause ist die Geschichte, dass ihre Mutter ihr als kleines Kind das Fußballspielen verbieten wollte, eine gern erzählte Anekdote. Heute können sie alle darüber lachen. Beerensteyn hat als Fußballerin Geschichte geschrieben und große Titel gewonnen. Vergangenen Dezember wurde sie in ihrer Heimatstadt Den Haag als „Sportlerin des Jahres“ geehrt. „Meine Mama ist richtig stolz, wie weit ich es mit dem Fußball gebracht habe“, erzählt sie. So ist es auch bei Jovana Damnjanovic, Sydney Lohmann und Giulia Gwinn – und das sind nur vier von unzähligen Erfolgsgeschichten in 50 Jahren Frauenfußball beim FC Bayern.

Eine kuriose Geschichte der jüngeren Vergangenheit ist die CL-Reise nach Kasachstan. Hier erzhählt in 33 Bildern. 👇