
Sie stehen ihren männlichen Kollegen in dieser Saison in Nichts nach - im Gegenteil. 20 Siege in 20 Pflichtspielen können die FC Bayern Frauen aktuell verbuchen. Zum Internationalen Weltfrauentag am 8. März spricht Jens Scheuer, Cheftrainer der Münchnerinnen, über die Entwicklung im Frauenfußball, was Männer von Frauen und was Fußballer von Fußballerinnen lernen können.
Das Interview mit Jens Scheuer
Herr Scheuer, Hand aufs Herz: Was bedeutet Ihnen der Weltfrauentag?
(lächelt) „Im Zuge der Gleichbehandlung sollte er eigentlich genauso viel bedeuten wie der Weltmännertag – wobei ich ehrlich gesagt gar nicht weiß, ob es den gibt…“
Doch, gibt es: 3. November.
„Sehen Sie: Das wusste ich gar nicht. Wenn ich ehrlich bin, sind solche speziellen Themen-Tage nicht wirklich was für mich – so gut der Gedanke dahinter ist. Woran da appelliert wird, sollte man eigentlich jeden Tag leben. Es ist sicher gut, ein Bewusstsein für ein Thema zu schaffen, aber das Ziel in einer Gesellschaft sollte sein, dass es solche Themen-Tage gar nicht braucht. Ähnlich ist es meiner Meinung nach mit der Diskussion um Frauen-Quoten: Viel wichtiger wäre doch, dass Unternehmen familiengerechte Stellen schaffen. Man muss aber natürlich auch sagen, dass es Länder auf dieser Welt gibt, die sich bei der Stellung der Frau noch etwas bewegen sollten. Da wird an solchen Tagen der Fokus geschärft, und das ist ja sinnvoll.“
Jetzt arbeiten Sie schon seit vielen Jahren mit Frauen – was ist der große Unterschied zu Ihrer vorherigen Trainer-Tätigkeit?
„Man muss da immer vorausschicken, dass man nie pauschalisieren sollte, und ich möchte auch keine Klischees bedienen. Solche Fragen kann ich nur aus meiner persönlichen Wahrnehmung heraus beantworten. Ich glaube, Frauen sind feinfühliger, zum Beispiel auch mit Blick auf den Trainer. Männer wollen in erster Linie Fußball spielen, für sie ist es im Zweifel zweitrangig, ob der Coach draußen ruhig ist oder nicht. Es spielt auch eine Rolle, aber nicht im gleichen Maße. Ich höre das bei Gesprächen mit unseren Spielerinnen immer wieder, dass sie meine Haltung viel reflektierter spiegeln. Sie haben meiner Erfahrung nach feinere Antennen für Ausstrahlung.“

Mal ganz provokativ-plakativ gefragt: Ticken Frauen anders?
„Ich würde sagen, es wäre zu einfach, generell zu sagen, dass Frauen anders als Männer ticken. Mein Bild, so wie ich die Frauen vor allem in meiner Tätigkeit kennengelernt habe, ist, dass Frauen überlegter handeln und vielleicht auch manchmal kompromissbereiter als der Großteil von uns Männern sind – mich inklusive.“
Wie laufen gruppendynamische Prozesse in einem Frauen-Team ab?
„Frauen wollen die Abläufe viel mehr verstehen und suchen das Verständnis untereinander. Daher findet man in einem Frauen-Team ganz selten die Struktur wie bei den Männern, dass ein, zwei, drei Führungsfiguren den Takt vorgeben. Es geht bei den Frauen meiner Erfahrung nach mehr über das große Ganze. Deshalb ist es wichtig, dass die Harmonie in einer Frauen-Mannschaft stimmt. Alle wollen sich mitgenommen fühlen.“
Wie steht es um Konfliktlösungen?
„Die Kommunikation bei Frauen läuft meines Erachtens generell mehr zwischen den Zeilen ab als bei Männern. Wenn ein Mann sauer ist, spricht er es aus. Eine Frau trägt das auf einer anderen Ebene aus. Beides hat seine Vor- und Nachteile. Manchem Mann würde mehr Feingefühl guttun, mancher Frau ein Schuss mehr Direktheit. In meinen Augen ist das Dominanzverhalten bei Männern ausgeprägter. Das kann bis zu einem offenen Konflikt in einer Trainingseinheit reichen. Bei den Frauen wäre es hingegen zum Beispiel undenkbar, dass eine ihre Kollegin mal bewusst umhaut. Das gibt es nicht. Da findet viel mehr im Gespräch ab.“
Was haben Sie gedacht, als Sie den aufsehenerregenden TV-Spot der DFB-Frauen gesehen haben mit dem Satz „Wir brauchen keine Eier – wir haben Pferdeschwänze!“?
(lächelt) „Aus welcher Sicht, in welcher Rolle: Als Trainer oder als Mann?“
Beides. Letztlich entscheidender ist: Als Trainer.
„Ich fragte mich: Welchen Zweck wollte man mit diesem Video erreichen? Um Aufmerksamkeit zu bekommen, war es gelungen, weil jeder darüber gesprochen hat. Ich persönlich würde sagen: Lasst doch einfach fußballerische Klasse sprechen, denn die haben wir!“
Sind die Zeiten vorbei, in denen eine Fußballerin im Playboy posieren musste, um auf ihren Sport aufmerksam zu machen?
„Ja, definitiv. Solche Aktionen sind mit Sicherheit ästhetisch, aber nicht mehr notwendig. Wir sind längst soweit, dass wir unsere Entwicklung vorantreiben können, ohne dabei auf provokante Effekte setzen zu müssen, die letztlich nicht zielführend sind.“
Was können Männer von Frauen lernen?
„Oh, da gibt es vieles. In der Kommunikation können wir Männer uns sicherlich etwas von ihnen abschauen. Zudem die Fähigkeit zum Multitasking: Eine Frau kann drei Dinge gleichzeitig machen – ich kann das nicht. Ich muss mich auf eine Sache konzentrieren, das war’s. Und ich bewundere die Robustheit von Frauen. Zum einen die Beharrlichkeit: Die Frustrationsgrenze liegt viel höher als bei uns Männern. Dazu sind Frauen insgesamt widerstandsfähiger. Wenn ich einen Schnupfen habe, bin ich todkrank. Wenn meine Frau einen Schnupfen hat, macht sie das Frühstück, bringt die Kinder in die Schule, macht ihre Arbeit und ist auch am Abend noch für uns da. Männer sind wehleidiger, so ehrlich müssen wir sein (grinst).“
Und was können Fußballer von Fußballerinnen lernen?
„Ich glaube Disziplin. Ich habe tatsächlich nullkommull die Sorge, dass bei uns eine über die Stränge schlagen könnte. Frauen ist es außerdem wichtig, dass es der Gruppe gut geht, dass es dem Team gut geht – und auch, dass es jedem Einzelnen in der Gruppe gut geht. Mitgefühl ist extrem ausgeprägt. Das zahlt auf den Teamgeist ein.“

Die Gehälter im Frauen-Fußball liegen weit unter denen der Männer. Wie realistisch sind für Sie Forderungen nach einer Annäherung?
„Das gleiche Niveau ist utopisch. Ein Ziel sollte sein, dass jede Fußballerin, wenn sie ihren Sport als Beruf ausübt, davon leben kann. Das ist hier in Deutschland noch immer nicht der Fall, und wenn wir den Frauen-Fußball auf das nächste Level heben wollen, mit sicheren Strukturen und optimalen Möglichkeiten, ist ein flächendeckendes Profitum im Grunde alternativlos. Es geht nicht um die Frage, ob zum Beispiel wir beim FC Bayern vielleicht mehr verdienen könnten – sondern darum, dass alle anderen nachziehen können sollten. Denn sie investieren genauso viel in ihre Leidenschaft und müssen viele Entbehrungen in Kauf nehmen.“
Fänden Sie Reformen im Frauen-Fußball sinnvoll: kleinere Spielfelder, größere Tore, kürzere Spielzeiten?
„Nein, das würde ja nur Sinn machen, wenn die Physis der Spielerinnen gravierend schwächer wäre. Aber die Physis entwickelt sich ja immer besser. Der Frauen-Fußball hat in den vergangenen zehn Jahren Quantensprünge hinter sich. Die Qualität ist enorm gestiegen.“
Ihr Team spielt bisher eine Saison ohne Makel. Was ist der Schlüssel?
„Unsere mannschaftliche Geschlossenheit und unsere hohe Qualität. Und wenn ich an unser Spiel gegen Wolfsburg denke, gegen das Team, das im deutschen Frauen-Fußball das Maß der Dinge ist: Da waren wir auf Augenhöhe von der Qualität her – und der Wille war bei uns klarer zu erkennen. Unsere Mannschaft will in dieser Saison unbedingt zeigen, was in ihr steckt, wie gut sie ist. Sie will zeigen: Wir sind bereit!“
Wo ist die Mannschaft international einzuordnen?
„In der Champions League sind wir bis auf Lyon, Chelsea und vielleicht Paris mit allen anderen auf Augenhöhe.“
Was ist alles drin in dieser Saison?
„Wir sind in allen drei Wettbewerben vertreten. Die Pokal-Halbfinal-Auslosung habe ich letzte Woche ehrlich gesagt gar nicht verfolgt, da war ich mit meiner Familie auf dem Heimweg von einem Ausflug an den Tegernsee. Meine Frau hat mir dann gesagt, dass wir nach Hoffenheim im Viertelfinale im Halbfinale womöglich schon auf Wolfsburg treffen können. Das sind aktuell der Tabellendritte und -zweite, schwere Aufgaben. Abends habe ich mit unserer Sportlichen Leiterin Jay Rech geschrieben, was uns die nächsten Wochen alles bevorsteht. Aber wir denken von Spiel zu Spiel. Und ich weiß, wenn wir in jedem Spiel alles abrufen, können wir jedes Spiel gewinnen.“
Themen dieses Artikels