Von März 2004 bis Juni 2022: 18 Jahre lang war Peter Kargus Torwarttrainer der FC Bayern Frauen. Und das ehrenamtlich und nebenberuflich. Nur wenige haben einen besseren Einblick in die Entwicklung des FCB-Frauenfußballs als das Trainer-Urgestein. Im Interview spricht der 58-Jährige über seine Zeit bei Bayern, die Reise von Schäftlarn über Aschheim an den Campus und was ihm nach seiner 50-jährigen Fußballlaufbahn fehlen wird.
Das Interview mit Peter Kargus
Peter, Du warst 18 Jahre lang Torwarttrainer bei den Frauen des FC Bayern. Was war das Schönste - einzelne „große“ Momente und Titel oder mehr die tagtäglichen Begegnungen?
„Beides auf seine Art und Weise. Als Torwart war ich früher Amateur, deshalb waren so Titelgewinne wie Deutscher Meister oder Pokalsieger schon etwas Besonderes. Aber was mir persönlich am meisten gegeben hat, war die Arbeit am Platz mit den Mädels. Das war überragend - ich habe von jeder Einzelnen etwas lernen können. Und ich denke, die Torhüterinnen haben auch von mir viel gelernt und auch viel fürs Leben mitgenommen. Das war immer unser Ziel. Aber auch die Begegnungen mit dem ganzen Umfeld - dem Trainerteam, dem Staff, all den Leuten bei Bayern - das war immer sehr bereichernd.“
Du hast mit den Bayern drei Deutsche Meisterschaften und den DFB-Pokal gewonnen. Welcher Titel war Dir der wichtigste?
„Was mir am meisten im Kopf geblieben ist, war das Pokalfinale 2012. Das war alles einmalig. Trainer Tom Wörle hatte in der Kabine ein emotionales Video abgespielt und ich konnte mich gar nicht mehr halten. Ich war so gepusht, ich musste raus auf den Platz und gegen einen Ball dreschen. Sonst wäre ich durchgedreht. Und als Ivana Rudelić am Ende des Spiels allein auf das Tor zuläuft, den Ball einschiebt und den Deckel drauf macht, da sind Tom und ich mit 100 km/h auf das Feld gelaufen, haben uns im Kreis gedreht - so was wie in diesem K.o.-Spiel habe ich nie mehr erlebt. Aber natürlich waren auch die drei Meisterschaften überragend. Da belohnt man sich für die Arbeit das ganze Jahr über.“
Auch in der Champions League haben es die Bayern-Frauen während Deiner Zeit von 'nicht vertreten' bis fast ins Finale geschafft. Wie siehst Du hier die internationale Entwicklung des FCB und des Wettbewerbs an sich?
„Stimmt, zu Beginn haben wir vielleicht um den vierten Platz in der Liga mitgespielt. Und zuletzt standen wir gegen den FC Barcelona und gegen den FC Chelsea im CL-Halbfinale! Barcelona 2019 wird auch immer in meinem Gedächtnis bleiben. Beim Rückspiel auswärts herrschte eine einzigartige Stimmung. In dem „kleinen“ Stadion waren über 12.000 Zuschauer und haben Remmidemmi gemacht, wie sonst noch was. Das ganze Wochenende mit dem gesamten Team in Barcelona war einfach unvergesslich. Auch der Wettbewerb an sich hat sich mit der Gruppenphase weiterentwickelt. Das alles bedeutet aber auch mehr Aufwand. Nebenberuflich schafft man das auf diesem professionellen Niveau jetzt nicht mehr.“
Von der internationalen Bühne zurück zu den Anfängen: Schäftlarn, Aschheim, Grünwalder, Campus…
„Wir haben 2004 noch in Schäftlarn gespielt und sind dann nach Aschheim gezogen. Das waren überragende Jahre. Aschheim hat uns total unterstützt und zu 100 Prozent bei sich aufgenommen. Das war sehr familiär. Das Grünwalder ist ein schönes Stadion - ich habe dort mit 1860 mal vor 10.000 Zuschauern im Kader sein dürfen. Das war schon genial. Aber für unsere Frauenmannschaft war das Stadion zu groß. Als wir 2017 an den Campus gezogen sind, war das ein großer Schritt. Hier musste sich zwar alles erst mal finden und einspielen, aber bessere Trainingsmöglichkeiten und Bedingungen als hier am Campus findet man nirgends.“
Der Frauenfußball hat sich immer mehr professionalisiert. Wie hast Du die Entwicklung verfolgt?
„Es stimmt, es ist alles immer professioneller geworden. Den größten Unterschied machen die deutlich häufigeren Trainingseinheiten. Sechs Einheiten pro Woche, Athletik- und Krafttraining, tägliches Torwarttraining. Wir haben das früher irgendwie in drei, vier Einheiten nach der Arbeit untergebracht. Auch die physiotherapeutische und medizinische Betreuung hat sich enorm verbessert. Da herrschen heute perfekte Bedingungen, die man aber auch braucht, um in drei Wettbewerben auf Top-Niveau mitzuspielen.“
Wie kam es eigentlich dazu, dass Du damals angefangen hast, die Frauenmannschaft zu trainieren? Du kamst ja eigentlich aus dem Herrenfußball.
„Ich habe im Trainerlehrgang die B-Lizenz gemacht und die Bayern-Frauen haben einen Torwarttrainer gesucht. Sissy Raith hat dazu in der Sportschule in Oberhaching angerufen und nachgefragt. Mein Kursleiter hat mich dann ins Spiel gebracht und so sind wir zusammengekommen. Ich habe dann mal vorbeigeschaut und aus dem ‚Vorbeischauen‘ sind dann über 18 Jahre geworden.“
Was war Dir persönlich wichtig, deinen Torhüterinnen zu vermitteln?
„Auch wenn bei uns und bei Bayern immer Leistungsdruck herrscht, war mir immer wichtig, dass es menschlich zugeht. Und wir haben uns immer die Wahrheit ins Gesicht gesagt, auch wenn es mal weh tat. Aber sonst lernt man auch nichts und man ist ja nicht immer nur auf der Erfolgsspur. Und wir haben immer viel Wert auf eine gute Ausbildung gelegt. Wenn ich schaue, mit wie vielen Torhüterinnen ich heute noch Kontakt habe - international - dann denke ich mir, haben wir nicht allzu viel falsch gemacht (lacht).“
Was unterscheidet eine Torhüterin 2022 von der von 2004?
„Die Athletik macht einen großen Unterschied. Die Torhüterinnen von damals waren auch athletisch, aber sie hatten nicht die gleichen Bedingungen wie heute. Ansonsten wäre auch damals schon mehr möglich gewesen. Heute sind alle unsere Torhüterinnen Profis - zum Glück. Sie haben Zeit, sich voll und ganz auf den Sport zu konzentrieren. Das ist der Hauptknackpunkt.“
Wo kann man im Frauenfußball noch mehr rausholen?
„Bei unserem Spiel gegen Paris Saint-Germain hat mich die Athletik der Französinnen sehr beeindruckt. Da ist bei uns vielleicht noch etwas in Sachen Tempofußball möglich. Wir haben in Paris ja super gespielt, aber wenn die PSG-Spielerinnen durgestartet sind - das war schon stark. Ansonsten ist bei uns wirklich alles auf höchstem Niveau angekommen. Lediglich im Nachwuchsbereich haben wir bei den Mädels noch Möglichkeiten. Da gibt es noch große Unterschiede zu den Jungs. Und dementsprechend ist für junge Spielerinnen dann oft der Schritt von der U17 zur 2. Mannschaft oder von der Zweiten in die Erste zu groß.“
Nun ist nach 18 Jahren Schluss. Was wirst Du vermissen?
„Das Soziale. Mit den Mädels und wie schon gesagt mit allen Leuten hier beim FC Bayern. Und es gehen ja nicht nur 18 Jahre Bayern für mich zu Ende, sondern meine Fußballlaufbahn mit über 50 Jahren. Im Fußball war ich immer aufgehoben, das war immer mein Ausgleich und das wird mir fehlen. Ich weiß ehrlich gesagt noch nicht, wie ich das ohne Fußball meistern werde, aber es war jetzt an der Zeit.“
Und was wird Dir nicht fehlen?
„Die Mehrfachbelastung mit meinem Vollzeit-Job, dem Training und ganz nebenbei noch der Familie. Das unter einen Hut zu bekommen, war nicht immer einfach. Besonders während der Woche. Da hatte ich Glück mit meinem Arbeitgeber, dass ich mir meine 40 Stunden gut einteilen konnte.“
Was hast Du für Deine Zukunft geplant?
„Ich werde weiterhin viel Sport treiben. Jetzt eben mehr für mich selbst. Da werde ich mal meinen eigenen Schweinehund kennenlernen. Bisher stand es ja nie zur Debatte, ob man trainiert oder nicht. Wenn ich dann jetzt zuhause auf der Couch sitze, wird das vielleicht auch mal schwierig (lacht). Aber vor allem werde ich mehr Zeit für die Familie haben.“
Neben Peter Kargus werden am Sonntag beim letzten Heimspiel auch drei Spielerinnen und Cheftrainer Jens Scheuer verabschiedet.
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