Mala Grohs ist die aktuelle Nummer eins der FC Bayern Frauen. Die 21-Jährige ist von der Zweiten Liga in die Champions League durchgestartet und steht jetzt gegen Arsenal vor ihrem bisher wichtigsten Spiel. In der Vorbereitung hilft ihr: ein Zauberwürfel.
Wenn es darum geht, vor dem Spiel den nötigen Fokus aufzubauen, hat Mala Grohs ein sicheres Rezept: Sie packt einfach ihren Zauberwürfel aus. Dann sitzt sie im Bus zum Stadion, dreht und wendet den Würfel in ihren Händen, konzentriert, aber ohne groß darüber nachdenken zu müssen. Über die Jahre ist es zu einem Automatismus geworden, einer Routine, die gerade so viel Aufmerksamkeit benötigt, dass sie mit ihren Gedanken nicht abschweift. „Im Kopf bin ich nur bei den Farben und Bewegungen“, beschreibt die 21-Jährige diese Minuten, in denen alles andere ausgeblendet ist. Zehn-, zwanzigmal in Folge löst sie ihren Würfel. Ihre Bestzeit für einen Durchgang: 40 Sekunden.
Im Rekordtempo hat sich Mala Grohs auch im Tor der FC Bayern Frauen etabliert. „Es ist Wahnsinn, wie schnell es plötzlich gegangen ist“, denkt sie zurück an den Februar 2022. Damals – sie war Torhüterin der zweiten Mannschaft in der zweiten Bundesliga – wurde sie positiv auf Corona getestet. Das passte in eine Saison, in der sie sich schon mit Pfeifferschem Drüsenfieber und einem Bänderriss im Daumen hatte herumschlagen müssen. Und kaum war Corona überstanden, folgte die Diagnose Herzmuskel-Entzündung. Statt auf den Fußballplatz zurückzukehren, musste Mala fünf Wochen lang total pausieren. „Ich durfte nicht einmal spazieren gehen“, erzählt sie, „die Zeit war hart.“ Erst nach drei Monaten war sie zurück im Tor – und erlitt eine Woche später, beim Spiel gegen Andernach, einen Bänderriss im Fuß. Es war wie verhext. Dass sie ein Vierteljahr später in der Champions League auflaufen würde? Schwer vorstellbar.
Feuertaufe vor Rekordkulisse
Als im Sommer die Vorbereitung auf die neue Saison begann, hatte Mala ihr letztes Jahr abgeschüttelt. Sie fühlte sich körperlich und mental endlich wieder fit. „Mir war klar: Ich hänge mich jetzt voll rein. Und: Ich schaue nicht auf die anderen.“ Denn auch Janina Leitzig und Cecilía Rán Rúnarsdóttir kämpften um den Platz im Tor, Laura Benkarth war nach ihrer Knie-OP zunächst noch in der Reha. Mala überraschte sich selbst und alle anderen. Keiner hatte damit gerechnet, dass sie so stark zurückkehren würde. Mitte August stellte sie Trainer Alexander Straus beim Test gegen den FC Barcelona (2:1) ins Tor. „Danach bekam ich aus der Mannschaft die Rückmeldung: Dass du nach deinem letzten Jahr jetzt so spielst, ist richtig gut“, erzählt sie. Beim Bundesliga-Auftakt vier Wochen später stand sie erneut zwischen den Pfosten, 23.200 Zuschauer im Stadion von Eintracht Frankfurt bedeuteten eine Rekordkulisse. „Ich war sehr aufgeregt“, weiß sie noch. Anzumerken war ihr das aber nicht. Mit starken Paraden sicherte sie den Bayern einen Punkt. „Auch wenn wir als Team nicht ganz zufrieden waren, hat sich das 0:0 für mich innerlich wie ein Sieg angefühlt.“
Ursprünglich kommt Mala aus Münster. Dort spielte sie bis zur U19 bei ihrem Heimatclub 1. FC Gievenbeck, in einem Jungs-Team. Ihr Talent fiel natürlich auf. Sie erhielt Anfragen, wollte aber nicht in ein Internat ziehen. Erst als der VfL Bochum auf sie zukam, ob sie nicht in der U17-Bundesliga auflaufen möchte, sagte Mala zu. „Ich hatte Lust, eine reine Mädchenmannschaft auszuprobieren. Und Bundesliga hörte sich natürlich auch gut an“, erklärt sie. Gleichzeitig konnte sie in Gievenbeck weiterspielen. „Es war nicht einfach, aber dieses Jahr hat mir viel gebracht.“ 2019 machte sie Abitur – und der FC Bayern meldete sich. Einige Jahre zuvor hatte sie während eines Schülerpraktikums in München als Gast am Bayern-Training teilgenommen. Der damalige Torwarttrainer Peter Kargus hatte sie nicht vergessen und fragte jetzt an, ob Mala nicht zum FC Bayern kommen wollte. Der Plan war, Mala über Training mit der ersten Mannschaft und Spielpraxis in der zweiten weiterzuentwickeln. Und da sich alles auch mit einem Maschinenbau-Studium an der TU verbinden ließ, zögerte sie nicht.
Ursprünglich wollte Mala Luft- und Raumfahrttechnik studieren. „Flieg! Immer fliegen!“, liest man als Motto auch auf ihrem Instagramprofil. Mathe, Physik und alles mit Zahlen liegen ihr einfach. Auch beim Torwartspiel geht es ja um die Berechnung von Flugbahnen, um räumliche Vorstellungskraft. „Im Torwarttraining sprechen wir auch viel über Winkel“, sagt sie. Ob man heutzutage eine Torwartmaschine bauen könnte? Künstliche Intelligenz eröffnet neue Möglichkeiten. Mala ist hin- und hergerissen. „Meine Entscheidungen auf dem Rasen haben viel mit Wahrscheinlichkeiten zu tun“, überlegt sie, „ich beobachte und lerne: Der Konter kommt wahrscheinlich über diese Seite, die Spielerin schießt hierhin … Je länger ein Spiel dauert, desto mehr stelle ich mich auf den Gegner ein.“ Daten sammeln und auswerten könne eine Maschine auch. Aber Mala bleibt skeptisch. Auf dem Platz müsse man sich oft intuitiv zwischen mehreren Möglichkeiten entscheiden. „Es gibt nicht immer nur die eine Lösung.“ Mitspielerinnen, Gegner, Spielstand, verbleibende Spielzeit, alles spielt eine Rolle. „Mein Job ist es auch, den Spielrhythmus mitzubestimmen.“ Ob das eine Maschine kann? Manchmal ist das wirkliche Leben nicht zu berechnen. Der Weg, den Mala beim FC Bayern verfolgte, gestaltete sich auch anders als gedacht. Sie konnte nicht so viele Einsatzminuten in der zweiten Mannschaft sammeln wie geplant, weil sie als Ersatztorfrau in der ersten aushelfen musste, krank oder verletzt war. Trotzdem ging der Plan auf. Sie kann es selbst noch nicht ganz glauben. „Man sagt ja immer: Torhüter brauchen Spielpraxis“, sagt sie und grinst, „aber man sieht: vielleicht auch nicht.“
Nur mittags schläfrig
Was sie gelernt hat in den letzten Monaten? Mala fällt einiges ein. Zum Beispiel mit Druck umzugehen, sich selbst zu vertrauen, sich nicht aus dem Konzept bringen zu lassen, selbst wenn mal etwas schiefgeht. „Mala strahlt eine extreme Ruhe auf dem Platz aus“, meinte Bianca Rech, die Sportliche Leiterin der FCBFrauen, als Mala kürzlich einen neuen Vertrag bis 2025 unterschrieb. Die Verlängerung war ein weiterer Meilenstein in einem Halbjahr voller Höhepunkte: Stammplatz, Champions League, Camp Nou und Allianz Arena, im Oktober wurde sie auch erstmals zur deutschen Nationalmannschaft eingeladen. „Es waren so viele neue Eindrücke“, sagt die 21-Jährige, „das musste ich erst mal alles verarbeiten. Ich glaube, seit ich fünf war, habe ich nicht mehr so viele Mittagsschläfchen gemacht. Das habe ich einfach gebraucht.“ Und die nächsten Highlights warten schon. Ende März stehen innerhalb einer Woche die beiden Viertelfinalspiele in der Champions League gegen den FC Arsenal an, am Wochenende dazwischen steigt das Bundesliga-Duell mit dem VfL Wolfsburg. Und im Sommer hofft sie, es vielleicht in den deutschen Kader für die Weltmeisterschaft zu schaffen. „Das Rennen ist eröffnet. Nachdem Almuth Schult wieder schwanger ist, ist ein Torwartplatz frei. Dafür möchte ich mich empfehlen.“ Aber eins nach dem anderen. Es ist wie bei ihrem Würfel: Wenn sie fokussiert Spiel für Spiel angeht, fügt sich am Ende alles wie von Zauberhand.
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