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FC Bayern Frauen zu Besuch in der JVA Aichach

Aufgeschlossene Gesellschaft

Eine Begegnung ohne Vorurteile – das haben die FC Bayern Frauen bei einem Besuch in der JVA Aichach erlebt. Am Ende hinterlässt der gemeinsame Nachmittag viele bleibende Eindrücke. Auf beiden Seiten der Gefängnismauern. Das Vereinsmagazin „51“ hat die Frauen dabei begleitet.

Auf dem Rücken des Co-Trainers, ohne Schuhe und ohne Jacke, lässt Linda Dallmann den hohen dunkelgrünen Zaun hinter sich. Dass dieser prägende Nachmittag so ausgelassen enden würde, war noch wenige Stunden zuvor nicht abzusehen...

Aufgeregte Stimmen plappern wild durcheinander, alle sind gespannt auf das, was sie gleich erwarten wird. „Bitte alle rein, damit die Tür zugeht, sonst kommen wir nicht weiter. Es darf immer nur eine Tür offen sein“, erklärt Frau Mai zur Begrüßung. Die Vollzugsbeamtin mit lockigen blonden Haaren trägt wie alle anderen Mitarbeitenden der Anstalt eine dunkelblaue Uniform, auf der Brust steht „Justiz“. Im sterilen Vorraum, der als Schleuse dient, wird es eng. Die große vergitterte Eingangstür fällt zu, ein Schlüsselbund klappert, und die nächste Tür wird aufgeschlossen. Die Spielerinnen des FC Bayern sind jetzt dort, wo niemand freiwillig hinmöchte: In einer Justizvollzugsanstalt.

Mala Grohs und Giulia Gwinn bei der Besichtigung der JVA Aichach

Die Spielerinnen besichtigen den Zellentrakt, nur Netze trennen sie von den Insasinnen.

Eine hohe Mauer trennt die Spielerinnen für die kommenden Stunden von der Außenwelt. In Zusammenarbeit mit der Sepp-Herberger-Stiftung besuchen sie das Gefängnis in Aichach und sollen mit Gefangenen in den Austausch kommen. Für die Inhaftierten ist es ein Schritt zurück in die Gesellschaft, gleichzeitig kommen die Bayern-Frauen raus aus ihrer Fußballblase und werden sich ihrer Freiheit bewusster. Doch zunächst besichtigen sie die Anlage. Vor ihnen liegen mehrere mächtige Gebäude, über einen Innenhof geht es in die Verwaltung. Die Spielerinnen stehen in einem gewölbeähnlichen Raum vor den grauen Spinden der Angestellten, die weißen Wände sind noch weihnachtlich geschmückt. „Diese Kunstwerke haben die Gefangenen gemacht. Sie beteiligen sich auch oft an Ausstellungen der Aichacher Gemeinde“, erklärt die Gruppenführerin den FCB-Frauen.  Auf dem Weg zu den Besucherräumen werfen einige Fußballerinnen einen Blick durch die Fenster auf einen Volleyballplatz im Innenhof. Dicke schwarze Gitterstäbe beeinträchtigen die Sicht. Die Stimmung ist ruhiger geworden, langsam wird allen bewusst, dass man in einem Gefängnis ist.

Mitte Januar, kurz vor Beginn der Rückrunde, begeben sich die Frauen des FC Bayern auf ungewohntes Terrain. In der JVA Aichach sitzen Frauen und Männer, die für die Vergehen von Diebstahl bis hin zu Mord verurteilt wurden. Katharina Naschenweng geht wie jede andere auch mit gemischten Gefühlen durch die Anlage: „Es wirkt beängstigend und bedrückend, es ist kein gutes Gefühl.“ Der Raum, den sich die Frauen gerade anschauen, ist für Besucher, eine durchsichtige Wand trennt sie von den Gefangenen. „Man bekommt einen anderen Einblick. Davor kannte ich so was nur aus Filmen“, merkt Gulia Gwinn an.

Der Gefängnisalltag

Eine unscheinbare Tür öffnet sich, und die Frauen stehen im Zellentrakt. Es riecht leicht nach Essen, farblich ist alles weiß gehalten. Die Türen der Zellen sind mit Stahl verstärkt. Während die Spielerinnen langsam den Gang entlanggehen, schauen von oben Vollzugsbeamte und Gefangene auf sie herunter. Weiße Netze trennen die einzelnen Etagen und beeinträchtigen die Sicht. „Oft kommt das Gefühl auf, dass man sich bei diesem Besuch ein bisschen vorkommt wie im Zoo. Man schaut sich hier Menschen hinter Gittern an. Aber es ist auch andersrum so“, sagt Elisabeth Klenk, die stellvertretende Leiterin der JVA Aichach.

Während die Sportlerinnen durch den breiten Gang im Zellentrakt gehen, bekommen sie den Gefängnisalltag erklärt und dürfen auch einen Blick in eine leere Zelle werfen. Ein Bett, Stuhl, Regal aus hellem Holz sowie Waschbecken, Toilette und Tisch sind zu sehen. Bilder hängen an der Wand. Auf dem Tisch steht ein Fernseher. „Den Fernseher finanzieren die Gefangenen über ihr Gehalt, das sie hier im Gefängnis verdienen“, erklärt eine Mitarbeiterin. „Krass, diese kleinen Zimmer“, sagt Lea Schüller.

„Als ich von dem Besuch erfahren habe, war ich sehr gespannt auf die Eindrücke und Geschichten, die ich von hier mitnehmen werde“, sagt Gwinn. Jetzt geht es erst mal raus ins Freie. Kalte Luft schlägt den Bayern-Frauen entgegen, als sie auf dem Weg zur Mutter-Kind-Station sind. Unterwegs winken ihnen Insassinnen hinter einer Lagerhallentür zu. „Die Gefangenen freuen sich. Das ist mal was anderes, das reißt sie aus dem Gefängnisalltag“, erzählt Frau Mai. „Dass so viele Gäste aus der echten Welt heute hier sind, ist für uns ein Zeichen, dass jeder einen Platz da draußen hat“, bestätigt auch Elisabeth Klenk.

Im Spiel vereint

FC Bayern Frauen in der JVA Aichach

Sportpsychologe Walz erklärt den Frauen, worauf es gleich ankommt: Fokus!

Nach der Führung finden sich alle in einer Lagerhalle ein. Hier liegt der Duft von Kaffee in der Luft. In der Mitte, auf dem grauen Betonboden, ist ein großer Stuhlkreis aufgebaut. An der linken Wand stehen Werkbänke aufgestapelt, rechts stehen Wasser, Kaffee und Apfelschorle für jeden bereit. „Die Gefangenen haben heute extra die ganze Halle freigeräumt und alles hergerichtet. Hier stecken sie sonst Spielzeug zusammen“, erzählt Klenk.

Langsam füllt sich der Raum mit ausgewählten Gefangenen. Sie setzen sich gemeinsam mit den Bayern-Frauen in dem großen Stuhlkreis zusammen, Sportpsychologe Martin Walz ergreift das Wort. Er teilt alle in zwei Gruppen auf, die nun spielerisch gegeneinander antreten. Es gilt, Tennisbälle so schnell und mit so wenig Fehlern wie möglich einander im Zickzack zuzuwerfen. Die schnellste Gruppe mit den wenigsten Fehlern gewinnt.

Die Stimmung lockert sich und bei allen setzt der Ehrgeiz ein. Berührungsängste und Grenzen verschwinden. Für alle geht es jetzt ums gemeinsame Gewinnen. Nach einigen Runden zieht Walz zwei Eierkartons aus seinem Rucksack. „Die letzten beiden Runden spielen wir mit Eiern“, sagt er. Ob das gut geht? Am Ende zerbricht ein Ei pro Gruppe, das Team um Schüller und Naschenweng hat die meisten Durchgänge gewonnen. Die Sieger klatschen miteinander ab und bejubeln sich. In diesem Miteinander ist jede Beklemmung verschwunden, man kann glatt vergessen, dass man in einem Gefängnis ist.

FC Bayern Frauen in der JVA Aichach

Beim Wettkampf spornen sich alle gegenseitig an und sind bei der Sache. Es zählt nur eins: schneller sein als das andere Team!

Bevor die Fußballerinnen sich wieder verabschieden, setzen sie sich zusammen mit den Gefangenen in kleinere Stuhlkreise und unterhalten sich. Dabei kommt die Frage auf, was für die Insassinnen das Schwierigste im Gefängnis sei. „Das Eingesperrtsein. Ganz klar“, antwortet eine blonde Gefangene. Eine junge Frau fragt die Spielerinnen, wann ihr nächstes Spiel sei. Torhüterin Mala Grohs antwortet: „Am Mittwoch in Rom.“ Die vier Insassinnen kommen ins Schwärmen: „Ach, wie schön.“ Trotz auch ernsterer Themen herrscht eine angenehme Stimmung, als würde man sich schon länger kennen.

„Man hat die Gemeinsamkeiten im Spielen entdeckt. Heute sind sich Menschen begegnet, ohne sich gegenseitig ein Label aufzudrücken“, zieht Sportpsychologe Walz sein Fazit. Bereits letztes Jahr fand im Gefängnis solch ein Austausch mit einer Jugendmannschaft des FC Bayern statt, erzählt Markus Hörwick. Der langjährige Mediendirektor des FC Bayern ist Kuratoriumsmitglied der Sepp-Herberger-Stiftung. „Man lernt dabei, mit seiner eigenen Freiheit sorgsamer umzugehen.“

„Das heute war überwältigend“, sagt Grohs. „Ich habe festgestellt, wie privilegiert ich aufgewachsen bin und dass mein Leben einfach war. Ich nehme viel Dankbarkeit und Demut mit nach draußen.“ Naschenweng pflichtet ihr bei: „Man merkt, wie dankbar man sein muss. Dankbar für die eigene Jugend und was für Privilegien man zu Hause hatte.“

FC Bayern Frauen in der JVA Aichach

Die Geschichten der Gefangenen hinterlassen bei den Spielerinnen Spuren

Ein Besuch mit Wirkung

Die Gesprächsrunden ebben ab. Linda Dallmann und zwei Gefangene wollen sich einen Ball zuspielen, doch die Schuhe einer Gefangenen sind dafür nicht geeignet. Kurz entschlossen zieht Dallmann ihre aus und gibt sie dem Mädchen. Auch Sam Kerr und Georgia Stanway spielen sich einen Ball mit zwei Insassinnen zu. Langsam wird es Zeit, Abschied zu nehmen. Eine der jüngeren Gefangenen hat Tränen in den Augen. Dallmann ist direkt zur Stelle und tröstet sie. Als Andenken schenkt die Fußballerin der Inhaftierten ihren Trainingspullover und unterschreibt darauf. Das Lächeln kehrt auf die Lippen zurück. Auch ihre Schuhe lässt Dallmann in der JVA.

„Ich fand das Projekt heute gut, weil es ehrlich war“, sagt Walz zum Abschied. „Es war eine ehrliche Begegnung. Vor allem in dieser Zeit, wo die Gesellschaft immer weiter auseinanderdriftet, braucht es solche Aktionen. Man stärkt sich gegenseitig!“

„Der Besuch heute hat uns geerdet. Ein großes Danke von unserer Seite an euch alle. Es war sehr interessant, eure Geschichten zu hören“, erklärt Sarah Zadrazil im Namen der Mannschaft. Auf dem Weg zurück zum Bus knirscht der Schotter unter den Füßen der Bayerinnen. Bevor alle jedoch wieder rausdürfen, muss erst ein großes Tor geöffnet werden. Man hört Elektronik arbeiten, und das Tor setzt sich langsam in Bewegung. Auch in den Köpfen ist einiges in Bewegung geraten. „Nicht alles ist selbstverständlich“, sagt Gwinn, „wir müssen die Möglichkeiten, die wir haben, mehr wertschätzen.“ Schließlich treten die Bayern-Frauen hinaus, zurück in die Freiheit.

Fotos: Amelie Niederbuchner

Die März-Ausgabe des Clubmagazins 51:

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