
Illustration © by Thomke Meyer
Uli Hoeneß zieht sich am 15. November auf der Jahreshauptversammlung als Präsident des FC Bayern zurück. Im Interview mit „51“ spricht der 67-Jährige über 49 Jahre in Diensten des Rekordmeisters, Dankbarkeit und Zukunftspläne. „Ich bereue keinen Tag“, sagt er. Das ausführliche Hoeneß-Interview lesen Sie in der aktuellen Ausgabe unseres Mitgliedermagazins „51“.
Das Interview mit Uli Hoeneß
Herr Hoeneß, Sie ziehen sich nun tatsächlich vom FC Bayern zurück – wie ist es um Ihre Gefühle bestellt?
„Es geht mir gut. Ich habe diese Entscheidung getroffen und sie keine Sekunde bereut. Es wird jetzt eine Zeit kommen, die ich nicht gewohnt bin, ich war ja stets von Terminen und Vorhaben gelenkt. Ich werde das alles auf mich zukommen lassen. Es wird sicher interessant – ich selbst bin am meisten darauf gespannt.“
Gab es einen Morgen, an dem Sie wussten: Das war‘s?
„Nein, es war ein schleichender Prozess. Ich wollte immer alles perfekt machen, habe auch versucht, meine Aufgaben beim FC Bayern so perfekt wie möglich zu erledigen und hatte nun das Gefühl, dass der Zeitpunkt gekommen ist. Mir sind zwei Aspekte wichtig: Ich will nicht zum Teufel gejagt werden. Und ich will auch nicht sagen: Hoffentlich geht es dem FC Bayern nach meinem Abschied schlecht, damit mein Schaffen im Nachhinein im größtmöglichen Licht dasteht. Meine Maxime ist, dass es dem Verein künftig sogar noch besser geht. Weil es mir immer um den FC Bayern geht, nie um einzelne Personen. Ich habe einige Jahre Kandidaten für die Nachfolge von Karl-Heinz Rummenigge und mir durchgespielt.“
Wie kamen Sie auf Herbert Hainer und Oliver Kahn?
„Oliver saß oft in meinem Büro zum Kaffee auf der Couch, wir hatten tiefgreifende Gespräche. Vor zehn oder auch vor fünf Jahren hätte ich ihn mir in dieser Position noch nicht vorstellen können – und als ich ihn schließlich gefragt habe, hat er kurioserweise zunächst selbst auch gemeint, das sei eher nichts für ihn. Eine Woche später rief er dann aber an und sagte, wir sollten das mal genauer durchsprechen. Als ich Herbert Hainer fragte, sagte er: ‚Das ist der einzige Posten auf der Welt, der mich reizen würde.‘“
Was entgegnen Sie Kritikern, die sagen, Hainer und Kahn sind Ihre Vertrauten, um die Macht zu behalten?
„Das behaupten nur Menschen, die hinter jedem Busch einen Feind sehen. So ticke ich nicht. Ich habe Leute ausgesucht, denen ich diese Aufgabe zutraue.“
Was kommt bei Ihnen im neuen Lebensabschnitt?
„Ich bin selbst neugierig. Mein Büro soll Herbert Hainer beziehen. Wenn man beim FC Bayern meinen Rat braucht, bin ich da. Wenn sie ihn nicht brauchen, ist es ein gutes Zeichen. Mein Leben ist total in Balance. Besonders freue ich mich auf noch mehr Zeit mit meinen Enkelkindern. Ich bin unter anderem Vorsitzender des Kuratoriums der Dominik-Brunner-Stiftung und sitze im Vorstand des FC Bayern Hilfe eV, werde weiter meine Vorträge halten, dazu Golfen und Schafkopfen – es wird nicht so sein, dass ich zuhause vor dem Telefon sitze und warte, dass jemand anruft.“
Viele sagen dennoch: Loslassen, sich zurückhalten – das kann der Hoeneß nicht! Was passiert, wenn es im Februar nicht läuft und Interview-Anfragen kommen?
„Ich werde nie als Erstes mit einem Reporter sprechen. Ich bleibe im Aufsichtsrat, es wird weiter einen Austausch mit den Verantwortlichen geben. Mein Verhältnis ist zu allen handelnden Personen tadellos. Ich bin nicht so ehrgeizig, dem Verein jetzt weiter meinen Stempel aufzudrücken. Meine Stärke war immer, dass ich nie von mir dachte, alles besser zu wissen. Sondern dass ich an jeder Hand Leute hatte, die ich um Rat fragen konnte, die mich korrigiert haben, die mir was sagen durften. Und so eine Ratgeberfigur möchte ich jetzt für die anderen werden. Und eines ist klar: Ich werde kein Claqueur sein. Ich räume jetzt mein Büro, sonst hätte sich nichts verändert. Aber ich bin nicht aus der Welt.“
Inwieweit war die Jahreshauptversammlung vor einem Jahr mit ausschlaggebend für Ihren Rückzug?
„Ich muss ehrlich sagen, ich habe mich geärgert, dass jemand, der mich gar nicht kennt, über zehn Minuten lang in der Vielzahl unsachliche Vorwürfe gegen mich äußern konnte, ohne dass auch nur ein einziges der anwesenden Mitglieder darauf reagiert. Auf dem Heimweg war ich in dieser Nacht sehr betroffen – und das hielt an. Ob du an gewissen Dingen schuldig bist oder nicht, ob du für bestimmte Punkte verantwortlich bist oder nicht – das spielt irgendwann offenbar keine Rolle mehr.“
Bedeutet das, dass Sie sich auch ein wenig aus der Enttäuschung heraus, womöglich aus Wut zurückziehen?
„Nein. Dafür ist dieser Übergang für die Zukunft des Vereins zu wichtig. Ich kann sagen, dass ich durch und durch zufrieden bin. Wenn ich morgens aus dem Fenster schaue, bin ich glücklich. 49 Jahre FC Bayern - ich habe keinen Tag bereut. Ich habe diesem Klub alles zu verdanken und mich nie als Angestellter, sondern immer als sein erster Fan gesehen. Ich empfinde in Bezug auf den FC Bayern nichts als Dankbarkeit.“
Haben Sie Fehler gemacht?
„Mein allergrößter Fehler war meine Steuersache. Das bereue ich zutiefst, und Kritik daran ist höchst berechtigt. Ich bin meiner Familie so dankbar, sie war ein ungeheurer Halt. Damals konnte ich viel nachdenken und über das Leben lernen. So verrückt es klingt: Auch diese Zeit möchte ich nicht missen. In schweren Stunden erinnere ich mich an die Schicksale, die ich da mitbekommen habe. Einmal saß einer in meiner Kammer, obwohl er entlassen war. Er sagte, er wüsste nicht, wohin er soll. Keiner hat ihn abgeholt. Irgendwann saß er dann in einem Taxi. Ins Nirgendwo. Solche Erlebnisse gehen nicht spurlos an einem vorüber.“
Was werden Sie nun am meisten vermissen?
„Momentan verdränge ich solche Fragen. Ich bin aber insgesamt kein wehmütiger Mensch. Mit dem FC Bayern werde ich weiter ein intensives Verhältnis pflegen, auch Spieler mal zum Essen einladen und hinter verschlossenen Türen meine Meinung äußern, wenn es gewünscht ist. Ich sehe mich in Zukunft als „Elder Statesman“, der seinen Rat anbietet, ihn aber nicht aufdrängt.“
Die Fans lagen Ihnen immer besonders am Herzen. Wie war das, als sie im Spätsommer beim Empfang an der Staatskanzlei „Uli, Uli, Uli“ skandierten?
„An dem Tag war ich sehr überrascht. Seit der Jahreshauptversammlung hatte sich in unserem Verhältnis ja schon etwas verändert. Wobei ich glaube, dass im tiefen Bewusstsein der Fans sicher weiterhin abgespeichert ist, dass ich mir für sie immer den Hintern aufgerissen habe.“
Hat Sie in diesen Zusammenhang der Vorwurf „Der FC Bayern ist nicht Ihr Eigentum!“ besonders getroffen?
„Ja, weil ich ihn schlicht falsch finde. Wahr ist: Ich habe den FC Bayern immer behandelt, als wäre er meine Familie.“
Sie hatten zuletzt oft mit Gegenwind zu kämpfen; Hoeneß sei aus der Zeit gefallen, hieß es.
„Darüber kann ich lächeln. Jedem, der so denkt, sage ich nur: Dann bin ich gerne aus der Zeit gefallen.“
„„Ich glaube, dass unser Konzept in den nächsten Jahren prosperiert wie nie!“”
Uli Hoeneß
Wo steht der FC Bayern in zehn Jahren?
„Ich glaube, dass unser Konzept in den nächsten Jahren prosperiert wie nie. Es gibt weltweit kaum einen Verein, der so wie wir auf der Geldanlage-Seite geführt wird. Viele Klubs steuern stattdessen darauf zu, einen Schuldenberg jenseits einer Milliarde Euro anzuhäufen. Die wird es in absehbarer Zeit nicht mehr geben. Das wird Große treffen. Wo ist Inter Mailand heute, wo der AC Mailand? Wo ist Valencia, das war auch mal ein großer Verein? Oder mein großes Vorbild: Manchester United. Es gibt viele Hinweise, dass man im Fußball nur mit Geld alleine, ohne Know-how, ohne Herz, ohne gewisse Werte auf Dauer nicht erfolgreich sein kann.“
Ihre Säulen waren immer sportliche Qualität, wirtschaftliche Solidität – und soziale Werte. Werden diese Parameter auch die Zukunft des Klubs bestimmen?
„Ich kann es nicht versprechen, aber ich kenne die handelnden Personen und denke, sie beherzigen es. Denn das ist ein entscheidendes Alleinstellungsmerkmal, das unsere Marke so populär macht. Es ist ja kein Zufall, dass wir rund 295.000 Mitglieder haben – kein anderer Verein hat nur annähernd so viele. Wenn Sie Leute zitieren, die sagen, wir führen den FC Bayern wie die Gestrigen, scheint es immer noch genügend zu geben, die unseren Stil nicht so schlecht finden und sich damit identifizieren. Wenn alle Probleme nur noch mit Geld gelöst werden könnten, wäre etwas falsch. Genauso, wenn ein Handschlag nichts mehr gilt.“
Das Soziale ist jedenfalls ein zentraler Aspekt Ihrer persönlichen FCB-Philosophie.
„Ich habe es immer so gehalten: Wenn einem etwas nicht passt, soll er mir einen Brief schreiben, und ich rufe ihn an. Außer in meiner Steuersache habe ich auch nie mit Unterlassungserklärungen gedroht. Schrieb ein Journalist was, mit dem ich nicht einverstanden war, habe ich ihn angerufen. Das Wichtigste finde ich, ist, mit Menschen persönlich umzugehen. Bei Bedarf kontrovers, kein Problem. Ein Shitstorm im Internet, bei dem sich die meisten hinter der Anonymität verschanzen, sollte kein Gradmesser sein. Ich habe im Gefängnis teilweise so rührende Briefe bekommen, dass ich in meiner Zelle wie ein Kind geweint habe. Auch jetzt werfen Leute Post bei mir ein, handgeschrieben, herzerweichend, Lebensgeschichten, seitenlang – so was ist wahrhaftig.“
Gibt es heute eigentlich noch Visionäre, wie Sie früher waren – oder ist der Raum für Visionen heute zu eng?
„Es gäbe sie schon – wenn man ihnen Zeit lässt. In unserer schnelllebigen Welt reichen aber drei Fehler, und du wirst gekillt. Mir rollen viel zu schnell Köpfe. Sobald einer mal etwas Mist baut, verurteilen ihn gleich alle: ‚Der muss weg!‘ Dabei sollte sich jeder eingestehen: Ich baue auch mal Mist. Weiterkommen heißt auch: Einander verstehen, Fehler verzeihen, nachgeben. Deshalb hatte ich immer ein so tiefes Verhältnis zu unseren Spielern. Was habe ich mich mit einem Mario Basler gefetzt, mit einem Olli Kahn, einem Stefan Effenberg! Die sagen alle: ‚Mit dem Hoeneß konntest du wunderbar streiten – aber er war nie nachtragend!‘“
Haben Sie alles erreicht, was Sie sich damals als kleiner Bub in Ulm vorgenommen haben?
„Im Beruf auf jeden Fall. Der FC Bayern ist zu einem der Top-Vereine der Welt geworden. Wir haben viele links und rechts überholt und es geschafft, unseren Fußballklub in der Mitte der Gesellschaft zu etablieren. Bei Auslandsreisen fragen uns die anderen Vereine immer wieder: ‚Wie macht ihr das alles nur?‘ Sie können es nicht glauben, dass man sich auch ohne ausländisches Kapital im Hintergrund so aufstellen kann. Mein Credo war immer, dass wir alles aus eigener Kraft schaffen können. Und wenn man Wirtschaftliches wie Sportliches zusammenzählt, sind wir gerade so gut aufgestellt wie nie zuvor.“
War es als Spieler am schönsten – oder kann die Faszination Management gut mithalten?
„Schwierig zu sagen. Vor 80.000 ein Tor schießen – unbeschreiblich. Aber die Verantwortung im Management hat mich auch immer motiviert. Als ich vor dem Champions League-Finale 2001 die Choreo unserer Fans las: Heute ist ein guter Tag, Geschichte zu schreiben – da zerfließt man. Das kannst du durch nichts ersetzen. In der Tagesarbeit verliert man leicht aus den Augen, wie das Seelenheil, das Leben der Fans an Spielen des FC Bayern hängt.“

Was waren Ihre größten Bayern-Momente: Als Spieler Ihre Tore im Finale des Landesmeisterpokals gegen Atletico Madrid, der Champions League-Triumph 2013 ein Jahr nach dem Finale dahoam – oder die Jubelstürme bei Ihrer Rückkehr als Präsident?
„Drei wunderbare Momente, aber nicht miteinander vergleichbar. Die Tore im Europacup-Endspiel waren mit 22 mein internationaler Durchbruch. Ich weiß noch, wie kaputt wir vor dem Wiederholungsspiel waren – wir sind im Training getorkelt. Aber dann spielten wir tags drauf wie vom anderen Stern, unter anderem Gerd Müller und ich mit je zwei Toren. In der Kabine nahm ich fix und fertig den Pokal in die Hände und dachte mir: ‚Jetzt bitte das Leben anhalten – schöner kann es nicht werden!‘ Aber es kamen noch viele tolle Momente. Der Triumph in Wembley war für mich persönlich sehr emotional, weil ich wusste: Gefängnis ante portas. Franck Ribéry weinte, und die Fans sangen meinen Namen, das hat mich unfassbar bewegt. Ich weiß auch noch, dass ich mich erst in letzter Sekunde entschieden hatte, im November 2013 zu der Versammlung zu gehen, auf der ich mich als Präsident verabschieden musste. Wäre ich nicht hingegangen, wäre ich sicher nicht mehr zurückgekehrt, denn dieser Zuspruch unserer Fans damals hat mir eine ungemeine Kraft gegeben. Ich streckte nur den Kopf aus dem Auto, schon kam der Beistand von allen Seiten. Das hat mich umgehauen. Die Fans ließen mich nicht hängen, und als ich dann oben auf der Bühne sprechen sollte, brachen bei mir alle Dämme. Da musste alles raus. Ich war trotz allem: glücklich.“
Sie im Retter-Shirt von St. Pauli ist ein Zeitzeugnis. Solidarität, das war Ihnen wichtig – ist das ein Vermächtnis und eine Verpflichtung für die Zukunft?
„Ich habe angeregt, dass wir auch in Zukunft jedes Jahr ein solches Retterspiel machen werden. Wenn man oben ist, muss man an die denken, die unten sind.“
Fällt beim FCB im kommenden Jahr die berühmte 100-Millionen-Marke bei Transfers?
„So eine Summe wäre stemmbar. Aber ich glaube nicht, dass sie fällt, wenn man geschickt genug vorgeht.“
Sie sagten neulich, Sie haben noch nie einen Blick ins Internet geworfen – bleibt es dabei? Oder werden Sie sich im Ruhestand diesem mysteriösen Medium dann doch noch einmal öffnen?
„Ich werde mich damit beschäftigen und es dann soweit beherrschen, dass ich mir darin auch mal gezielt Informationen besorgen kann. Es wird bei meiner Frau und mir jedoch nie so weit kommen wie bei diesem amerikanischen Ehepaar, das im Sommerurlaub am Nebentisch saß und sich eine Stunde nicht unterhalten hat, weil beide mit ihrem Smartphone beschäftigt waren. Ich habe mir fest vorgenommen, dass ich bei sozialen Medien in Zukunft bei meinen Familienmitgliedern mitreden kann. Momentan werde ich da immer etwas mitleidvoll in die Ecke gestellt (grinst).“
Werden Sie twittern?
„Nein. Ich werde weiterhin telefonieren und mich mit Leuten persönlich treffen.“
Also nicht wie Donald Trump?
„Der ist sowieso in keinem Bereich ein Vorbild.“
Wie sollen die Leute Sie in Erinnerung behalten?
„Die Leute sollen mich als einen Mann in Erinnerung behalten, der nichts geschenkt haben wollte, der immer versucht hat, aus seinem Leben was zu machen und immer bereit war, sich für Menschen und Themen, die ihm wichtig waren, einzusetzen. Und als einer, der nie vergessen hat, woher er kommt.“
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