© Bilder Daniel Delang
Am FC Bayern Campus trainieren unsere Top-Talente. Abseits des Platzes hilft ein ganzes Team bei Schulaufgaben, Haushalt und dem ersten Liebeskummer. Das „51 - Das FC Bayern Magazin“ hat den Pädagogen bei der täglichen Arbeit über die Schulter geschaut.
Fünf Bezugspädagoginnen und -pädagogen kümmern sich am Campus speziell um die bis zu 40 Bewohner der Allianz FC Bayern Akademie, wie das Internat offiziell heißt. Das Thema der Betreuung wird sehr ernst genommen. Insgesamt mehr als ein Dutzend Mitarbeiter umsorgen nicht nur die Akademie-Bewohner, sondern alle Spielerinnen und Spieler, die im Nachwuchs des FC Bayern kicken. Rund 200 sind das. Um ihnen allen gerecht zu werden und ihnen zur Seite zu stehen, hat der Verein einen eigenen sogenannten psychosozialen Bereich geschaffen. Er besteht aus drei Säulen: der Akademie, in der sich ein eigenes pädagogisches Team um die Bewohner kümmert, der Pädagogik, die sich auf Schule, Ausbildung sowie Kinderschutz und Prävention fokussiert, sowie der Sportpsychologie.
Kuchen und Geschenke
Die studierten Sozialpädagoginnen Lena Neumeier und Nikola Ries gehören zur ersten Säule des Konzepts. Nikola Ries sagt: „Wir sind die Verbindungsbrücke zu allen: den Eltern, den Trainern, der Schule.“ Kollegin Lena Neumeier ergänzt: „Wir sehen die Teenager nicht wie ein Fußballtrainer. Wir sehen sie als normale Jugendliche, die ein großes Talent im Fußball haben.“ Sie sind die ersten Ansprechpartnerinnen, die bei Fragen und Problemen weiterhelfen, etwa eine Hausaufgabenhilfe vermitteln oder gemeinsam mit der Sportpsychologie allgemein Unterstützungsmöglichkeiten anbieten. Und oft hören sie einfach nur zu, wenn es um Liebeskummer oder Heimweh geht. Neumeier sagt: „Wir haben eine Verantwortung auch gegenüber den Eltern, die uns ihre Kinder anvertrauen.“ In ihrem Büro hängt ein Kalender, in dem die Geburtstage der auf dem Campus lebenden Talente vermerkt sind. „Wir wollen so gut wie möglich für Normalität sorgen“, sagt Neumeier. Deshalb steht, wenn die Spieler ihren Geburtstag fern von zu Hause feiern, auch ein von den Betreuerinnen gebackener Kuchen auf dem Tisch. Und ein Geschenk zum Auspacken.
Abends, wenn es ruhig wird auf dem Campus, nach dem Training, nach dem Abendessen, nachdem die Teenager gemeinsam einen Film oder Fußball geschaut haben, „da hört man den einen oder anderen mit Mama telefonieren“, sagt Ries, „wir können nicht ersetzen, was ihnen ihre Eltern emotional geben. Aber wir versuchen, dass sie sich hier als junge Menschen wohlfühlen. Sie sollen bei uns ein möglichst warmes Zuhause haben.“
„Wir haben eine Verantwortung gegenüber den Eltern, die uns ihre Kinder anvertrauen.”
Lena Neumeier, Sozialpädagogin
Die Talente leben auf einem vom restlichen Gelände abgetrennten Bereich. Auf dem Boden liegt ein gemütlicher Teppich, an den Wänden hängen Panorama-Aufnahmen von München und Bayern. Hier kommen nur die Bewohner und ihre Betreuerinnen rein. „Die Teenager brauchen Privatsphäre”, sagt Sandy Zitzelsperger. Als „Hausmutter“ ist sie die einzige Erwachsene, die dauerhaft im Internat lebt. Von ihrer Dienstwohnung kann sie auf den Trainingsplatz schauen. Und auf die Weide dahinter, auf denen sie manchmal Schafe und Feldhasen sieht.
Ausbildung auch neben dem Platz
Von Zitzelsperger lernen die Talente, wie sie einen Haushalt führen: Wie macht man sich schnell mal ein Spiegelei? Wie wäscht man T-Shirts, wie Wollpullover? Wie hält man Ordnung in einem Raum, der nur einem selbst gehört? Die Jungs sollen Verantwortung für sich selbst übernehmen. Ein Begriff, der Zitzelsperger wichtig ist, lautet: Respekt. Bevor sie als Hausmutter anfing, hat sie an der Campus-Pforte gearbeitet: „Bei mir kam keiner durch, der nicht wenigstens ein Grüß Gott, ein Pfiat di oder ein Servus für uns übrighatte.“ Ein gewisses Maß an sozialen Regeln des Zusammenlebens einzuhalten, wird von allen eingefordert. Das fängt bei einem „Guten Morgen“ an, bedeute aber auch, dass die Jungs ihre Zimmer aufräumen. Mittlerweile, sagt Zitzelsperger, klappe das ganz gut.
Ein paar Zimmer weiter führt Dr. Eva Zier gerade ein Gespräch mit einem Nachwuchsspieler. Zier leitet das pädagogische Team am Campus, die zweite Säule des psychosozialen Konzepts. Sie legt besonderen Wert auf die Ausbildung der Nachwuchsspieler, die schulische ebenso wie die berufliche. Den Spieler, den sie heute zum Gespräch dahat, fragt sie: „Schätz mal: Wie viele schaffen es aus dem NLZ zum Profi?“ - „So 20 bis 30 Prozent?“ - „Unter 3 Prozent. Und wie viele haben Abi?“ - „Auch so 20 bis 30 Prozent?“ - „Zwei Drittel haben mindestens Fachabitur.“ Der Junge ist beeindruckt.
Zier möchte zum selbstständigen Nachdenken anregen. Sie sagt nicht mit erhobenem Zeigefinger: „Hör mal zu, es besteht die Möglichkeit, dass du kein Profi wirst - lern was Anständiges.“ Sie ermutigt zu Studium oder einer Ausbildung, je nachdem, wo die Talente der Teenager liegen. „Es ist mir eine Herzensangelegenheit, transparent zu sein“, sagt sie, „das soll niemanden demotivieren, sondern ein realistisches Bild der Zukunft geben.“ Ziel sei es, eine individuell höchstmögliche Bildung und Leistungsfußball erfolgreich zu kombinieren. Schulabschluss, Studium, Berufsausbildung, Bundesfreiwilligendienst… Es gibt vielfältige Möglichkeiten. Der Campus bietet sogar die Möglichkeit einer dualen Ausbildung innerhalb des Clubs an. Amateure-Spieler Angelo Brückner hat diese kürzlich als Erster erfolgreich in einem Fanshop abgeschlossen. Zier sagt: „Wir als Campus gemeinsam mit den Eltern haben die Verantwortung, die Jungs auch außerhalb des Platzes zu fördern und zu fordern, um Perspektiven für die Zeit nach dem Fußball und im normalen Arbeitsmarkt zu schaffen.“
„Erfolg und Selbstwert fußt auf mehreren Säulen. Die Fußballkarriere ist nur eine davon.”
Lorea Urquiaga, Sportpsychologin
Am Herzen liegt Zier aber auch der Bereich Kinderschutz und Prävention, wo sie bei Bedarf Unterstützung von der Kinderschutzfachkraft Christina Heigl erhält. Regelmäßig finden Workshops und Inputs zu Themen wie Toleranz und Vielfalt, soziale Medien oder Suchtprävention statt. Und: Sie hält Kontakt zu den Eltern. Einerseits um ein besseres Bild von den Talenten zu erhalten („Man kann in die Jungs ja nicht hineinschauen“), andererseits um auch die Eltern nicht allein zu lassen. Schon bevor ein neues Talent ins Internat zieht, besucht Zier die Familie. Offenheit und Transparenz sind ihr auch in diesen Gesprächen wichtig. Damit die Eltern verstehen: Es gibt auch beim FC Bayern keine Garantie, dass es ein talentierter Junge zum Profi schafft.
Was ist Erfolg eigentlich? Und was, wenn er sich nicht einstellen will? Wenn da vielmehr Frust ist oder die Angst vor dem Scheitern? Damit die Campus-Kicker mit diesen Fragen und Gefühlen nicht allein sind, gibt es die Sportpsychologie, die dritte Säule der Betreuung. Erst im März wurde am Campus unter der Regie von Sportpsychologie-Teamleiter Christian Luthardt ein Mental Health Awareness Month durchgeführt. Unter anderem gab es eine Diskussion mit Oliver Kahn, Serge Gnabry und Lina Magull zum Thema „Mentale Gesundheit und Wohlbefinden im Leistungssport“. Die Spieler werden ermutigt, auf sich selbst zu hören: Was tut mir eigentlich wirklich gut?
Erfolg, sagt Sportpsychologin Lorea Urquiaga, habe viele Gesichter: der Sprung in die nächste U-Mannschaft, das Profidebüt. Es gehe aber nicht nur um den Sport, sondern auch die persönliche Entwicklung. „Erfolg und Selbstwert fußt auf mehreren Säulen. Die Fußballkarriere ist nur eine davon“, erklärt Urquiaga. Vielleicht lernt ein Talent noch ein Instrument. Oder übt noch eine zweite Sportart aus. Einfach ist das alles nicht. Der Traum vom Profi-Fußball erfordert viel Zeit und Energie - und kann alle anderen Interessen überschatten. „Im Wort ‚Leidenschaft’ steckt auch ‚Leiden‘ drin“, sagt Heigl.
Dauerbeobachtung und Social Media
Alle Talente haben die Möglichkeit, regelmäßig Einzelgespräche mit den Mitarbeitern des psychosozialen Teams wahrzunehmen. Die Inhalte sind selbstverständlich vertraulich und werden nicht an Trainer weitergegeben. Klassisches Thema ist zum Beispiel der Umgang mit Rückschlägen oder Kritik. Ein Profi, selbst einer, der es noch werden will, steht unter Dauerbeobachtung. An einem Tag kann er der Held sein, am nächsten der große Verlierer. Zur traditionellen Sportpresse kommen heute die sozialen Medien hinzu. Es zählt nicht mehr nur, wer im Fachmagazin „kicker“ die beste Note bekommt. Sondern auch: Wer hat die meisten Follower auf Instagram? Es ist nicht einfach, diese Sorte der Aufmerksamkeit einordnen zu können. Viele Menschen, Normalos wie Fußballprofis, verwechseln sie mit dem, was sie eigentlich als Menschen ausmacht. Dabei sei es doch so, sagt Urquiaga: „Selbstwert kann man sich nur selbst zuschreiben.“
Das psychosoziale Team am Campus steht den Talenten zur Seite. Im Alltag unterstützen Pädagoginnen wie Lena Neumeier und Nikola Ries oder Sandy Zitzelsperger. Christina Heigl, Christian Luthardt, Dr. Eva Zier und Lorea Urquiaga bei mentalen Herausforderungen sowie allen weiteren Fragen, die das Leben so mit sich bringt. Es ist, den Eindruck bekommt man, wenn man einen Tag am Campus verbringt, ein Ort, an dem sich die Jugendlichen zu Hause fühlen können.
Im Interview spricht Thomas Müller, ein echtes Eigengewächs des deutschen Rekordmeisters, über seine Reise beim FC Bayern und seine Art zu leben:
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